21.02.2023 · IWW-Abrufnummer 233900
Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 31.03.2022 – 1 K 2073/21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Baden-Württemberg
In dem Finanzrechtsstreit
Kl
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Ehrenamtliche Richterin
Ehrenamtlichen Richter
Tenor:
3. Die Revision wird zugelassen.
Streitig ist, ob der für die Voranmeldungszeiträume August und September 2020 (Streitzeiträume) geschuldete Steuerbetrag gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) zu berichtigen ist, wenn über das Vermögen eines Dritten, der das vom Leistungsempfänger geschuldete Entgelt für Rechnung des Leistenden eingezogen hat, das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bevor der Dritte das Entgelt an den Leistenden weitergeleitet hat.
Der Kläger betreibt als selbständiger Unternehmer eine Apotheke, die den (gesetzlichen) Krankenkassen die Arznei- oder Heilmittel liefert, die die Versicherten gemäß § 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) als Sachleistungen erhalten. Er berechnet die entstandene Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten. Die Voranmeldungen gibt der Kläger monatlich ab.
Mit einem "Vertrag zur Übernahme der Abrechnungstätigkeit und des Einzugs von Rezeptforderungen" beauftragte der Kläger gemäß § 300 Abs. 2 SGB V ein Rechenzentrum -- R-Z GmbH -- mit der Abrechnung mit den Krankenkassen. Der Vertrag bestimmte die "Höhe der Vorschusszahlung" mit 80 % und die Fälligkeit der "Vorschusszahlung" und der "Restzahlung" mit dem 7. bzw. 18. Tag des auf die Lieferung folgenden Kalendermonats. Nach § 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der R-Z GmbH sollte die Einziehung der Forderungen zwar im Namen der R-Z GmbH, jedoch für Rechnung des Klägers erfolgen. Nach § 6 der AGB der R-Z GmbH sollte außerdem im Einzelnen Folgendes gelten:
"Die ... (R-Z GmbH) unterhält bei Geldinstituten zum Ausgleich der Forderungen der Apotheke ein eindeutig durch das Institutionskennzeichen (IK) der Apotheke bestimmtes, für die Kunden des jeweiligen Abrechnungskreises einheitliches Konto. Die ... (R-Z GmbH) verfügt über dieses Konto nur zu Gunsten ... (der) Apotheken, ... nach Maßgabe der den Abrechnungskunden bereits gezahlten Abschlagszahlungen ... und zu eigenen Gunsten in Höhe der ihr für ihre Tätigkeit zustehenden Vergütung. Die Apotheke tritt ihre gegenwertigen und zukünftigen Forderungen gegenüber den Kostenträgern an die ... (R-Z GmbH) ab. Wenn die ... (R-Z GmbH) auch mit dem Einzug weiterer Forderungen beauftragt ist, tritt die Apotheke auch diese Forderungen an die ... (R-Z GmbH) ab. Die ... (R-Z GmbH) nimmt die Abtretung an. Die ... (R-Z GmbH) hat das Recht, die Forderungen an die kreditgewährende und die jeweilige Zahlung vorfinanzierende Bank abzutreten, welche die Zahlung bzw. Überweisung an die Apotheke vornimmt.
Im Falle einer Übersicherung kann der Apotheker insoweit von der ... (R-Z GmbH) Rückabtretung verlangen. Die ... (R-Z GmbH) ist ihrerseits berechtigt, jederzeit Forderungen wieder an den Apotheker zurückabzutreten; der Apotheker nimmt eine solche Rückabtretung hiermit an.
Die Apotheke wird bei der Beantragung des IK die von der ... (R-Z GmbH) jeweils benannte Bankverbindung angeben und für die Dauer des Vertragsverhältnisses nur auf Anweisung der ... (R-Z GmbH) eine Änderung dieser Bankverbindung vornehmen. Dies gilt auch für einen Wechsel der Abrechnungsstelle oder wenn eine Selbstabrechnung nicht fortgeführt wird. Die Apotheke ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass das von ihr angegebene IK richtig ist und die von der ... (R-Z GmbH) genannte Bankverbindung für dieses IK eingetragen ist."
Die R-Z GmbH wurde später mit einer [ ___ ] (nachfolgend: Re-GmbH) verschmolzen. Die Verschmelzung wurde am [ ___ ] in das Handelsregister des Sitzes der Re-GmbH als übernehmenden Rechtsträgers eingetragen. Die R-Z GmbH und die Re-GmbH traten im Abrechnungsverfahren auch für die Krankenkassen erkennbar für Rechnung des Klägers auf. Sie vereinnahmten --ebenfalls für Rechnung des Klägers-- diejenigen Geldbeträge, die die Krankenkassen für die Arzneimittellieferungen des Klägers schuldeten und bezahlten.
Die Re-GmbH beantragte am xx.xx. 2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Amtsgericht X (Insolvenzgericht) bestellte mit Beschluss vom xx.xx. 2020 einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Außerdem ordnete es an, dass Verfügungen der Re-GmbH nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Mit Beschluss vom xx.xx.2020 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren (Az. xxx).
Die Re-GmbH hatte dem Kläger zuvor --mit Schreiben vom 14.09. bzw. 14.10.2020-- Kontoauszüge erteilt, nach denen er --einschließlich der anteiligen Umsatzsteuer-- die folgenden "Restzahlung(en)" zu beanspruchen hatte:
Kontoauszug für vom
August 2020 14.09.2020 20.233,28 €
September 2020 14.10.2020 24.318,15 €
für in Kz. zu Bemessungsgrundlage Steuer Steuer
August
#xxx 5% 6.165,40 € 308,27 €
#xxx 16% 137.250,60 € 21.960,10 €
22.268,37 € 22.268,37 €
#yyy 5% 19.045,80 € 952,29 €
#yyy 16% 217.660,20 € 34.825,63 €
? 35.777,92 € 35.777,92 €
35 380.122,00 €
36 58.046,29 €
81 19% 491,00 € 93,29 €
95 16% 506,00 € 80,96 €
? 58.220,54 €
abziehbare Vorsteuerbeträge
66 47.877,34 €
61 80,96 €
? 47.958,30 € 47.958,30 €
? 10.262,24 €
September
#xxx 5% 6.864,00 € 343,20 €
#xxx 16% 154.760,00 € 24.761,60 €
25.104,80 € 25.104,80 €
#yyy 5% 21.029,00 € 1.051,45 €
#yyy 16% 190.258,00 € 30.441,28 €
? 31.492,73 € 31.492,73 €
35 372.911,00 €
36 56.597,53 €
81 19% 726,00 € 137,94 €
95 16% 227,00 € 36,32 €
? 56.771,79 €
abziehbare Vorsteuerbeträge
66 45.783,23 €
61 36,32 €
? 45.819,55 € 45.819,55 €
? 10.952,24 €
Mit Schreiben vom 03.11.2020 legte der Kläger gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate August und September 2020 Einspruch ein, mit dem er auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Re-GmbH hinwies, sodann vortrug, dass er seine Ansprüche gegen die Krankenkassen an die Re-GmbH abgetreten habe, und schließlich vorbrachte, die Restzahlungen für August und September 2020 seien i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich geworden. Die Vorschrift sei im Streitfall über ihren Wortlaut hinaus jedenfalls sinngemäß anzuwenden. Zugleich führte er näher aus, "der Begriff der Uneinbringlichkeit ... (sei) umsatzsteuerlich mithin im Sinne der Vermeidung einer Vorfinanzierungswirkung autonom (europarechtskonform) auszulegen". Mit seinem Einspruch beantragte der Kläger "hilfsweise (auch) eine abweichende Steuerfestsetzung ... aus sachlichen Billigkeitsgründen".
Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 28.07.2021 führte er hierzu aus, dass die Krankenkassen das dem Kläger zustehende Entgelt an die "inkassoberechtigte" Re-GmbH geleistet hätten. An diese habe der Kläger --wie er selbst vorgetragen habe-- seine Ansprüche gegen die Krankenkassen abgetreten. Damit sei das Entgelt an den Kläger bezahlt und somit auch von ihm vereinnahmt worden. Das Entgelt würde sich danach richten, was der Leistungsempfänger an den Abtretungsempfänger bezahlt habe. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 06.05.2010 V R 15/09 (BStBl II 2011,142) entschieden habe, bestimme sich das Entgelt nach den Zahlungen der Kunden des Unternehmers an den Forderungserwerber. Die Störung der Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger und der Re-GmbH hätte deshalb keinerlei Auswirkung auf die Höhe des Entgelts und damit der festzusetzenden Umsatzsteuer.
Weiter wies der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2021 (S. 7) darauf hin, dass "über den Antrag auf Billigkeitserlass ... bislang noch nicht entschieden" sei. Sollte der Kläger den Antrag aufrechterhalten, werde hiermit um eine entsprechende Mitteilung gebeten.
Mit der vorliegenden Klage hält der Kläger an seiner Ansicht, auf den Streitfall sei § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG entsprechend anzuwenden, fest. Er führt hierzu insbesondere aus, die angefochtenen Bescheide würden gegen den Neutralitätsgrundsatz der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 (Mehrwertsteuersystemrichtlinie --MwStSystRL--) verstoßen. Nach dem Neutralitätsgrundsatz dürfte der Bemessungsgrundlage auch im Streitfall nur das Entgelt zugrunde gelegt werden, das er, der Kläger, als leistender Unternehmer von den Krankenkassen i.S. von § 4 SGB V als den Leistungsempfängern für seine Leistung --im Streitfall: für die Lieferung von Arzneimitteln-- erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen, jedoch abzüglich der für diese Leistung gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer (Art. 73 MwStSystRL, § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Entscheidend sei mithin, dass "das Entgelt nicht bei ... (ihm, dem Kläger) eingegangen" sei.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide über die Umsatzsteuer (Steuervoranmeldungen) für August 2020 vom 02.11.2020 und für September 2020 vom 03.11.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.07.2021 zu ändern und den Betrag der bislang festgesetzten Umsatzsteuer zu mindern
für August 2020 um 2.789,56 Euro und
für September 2020 um 3.354,24 Euro.
Der Beklagte beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 26.07.2021,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 26.01.2021 weiter mitgeteilt, dass das vorliegende Verfahren "als Musterverfahren anzusehen ... (sei), auf das sich Apotheken im gesamten Bundesgebiet in deren Einspruchsverfahren beziehen" würden.
Entscheidungsgründe
Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hebt das Gericht den angefochtenen Steuerbescheid nur auf oder ändert ihn, soweit dieser rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die angefochtenen Bescheide sind allerdings nicht rechtswidrig.
a) Die Lieferung von Arznei-, Verband-, Heil- oder Hilfsmitteln, die der Kläger an die Krankenkassen i.S. des § 4 SGB V ausgeführt hat, unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer.
Leistungsempfänger sind i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die Krankenkassen, die damit i.S. des Art. 90 MwStSystRL als Endverbraucher der Lieferungen anzusehen sind, nicht jedoch die Re-GmbH oder die gesetzlich Versicherten selbst (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Boehringer Ingelheim vom 06.10.2021 - C-717/19, MwStR 2021, 930, zuvor --zu staatlichen Krankenversicherungsträgern-- EuGH-Urteil Boehringer Ingelheim Pharma vom 20.12.2017 - C-462/16, DStR 2018, 75 [FG Berlin-Brandenburg 13.09.2017 - 2 K 2164/15], ebenso BFH-Urteil vom 18.11.2021 V R 4/21 [V R 41/17], DStR 2022, 420 [BFH 20.10.2021 - XI R 2/21] und bereits BFH-Beschluss vom 24.02.2015 V B 147/14, DStR 2015, 756).
Dies folgt insbesondere aus § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V. Nach diesen Vorschriften stellen die Krankenkassen den Versicherten etwa --wie im Streitfall-- Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln zur Verfügung. Die Versicherten erhalten diese Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Mithin geben die Apotheken Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkassen ab (vgl. § 130a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB V, zu dieser Vorschrift vgl. auch BFH-Urteil vom 10.12.2020 V R 34/18, BStBl II 2021, 576).
b) Die Umsatzsteuer ist im Streitfall auch entstanden, soweit die Re-GmbH dem Kläger noch die Weiterleitung des Kaufpreises (vgl. § 433 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) schuldet, den der Kläger für seine Lieferungen an die Krankenkassen zu beanspruchen hat.
Zum einen berechnet der Kläger die Umsatzsteuer gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG nach vereinbarten Entgelten. Zum anderen hat der Kläger die entsprechenden Lieferungen an die Krankenkassen bereits ausgeführt. Gegenteilige Anhaltspunkte tatsächlicher Art sind jedenfalls weder von dem Kläger vorgetragen noch sonst nach Aktenlage ersichtlich.
Damit ist die Umsatzsteuer auch insoweit bereits mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums entstanden (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG).
c) Damit sind auch die Beträge zu Recht in der Bemessungsgrundlage der streitigen Umsatzsteuer berücksichtigt, die die Re-GmbH dem Kläger noch schuldet.
Nach Art. 73 MwStSystRL umfasst die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen dabei mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll (Art. 78 Satz 1 Buchst. a MwStSystRL). Dementsprechend ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG der Umsatz bei Lieferungen nach dem Entgelt zu bemessen. Folgerichtig rechnet zum Entgelt alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der leistende Unternehmer vom Leistungsempfänger oder von einem anderen als dem Leistungsempfänger für die Leistung erhält oder erhalten soll, jedoch abzüglich der für diese Leistung gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Die Höhe des Entgelts richtet sich also nach dem zwischen Leistendem --hier: dem Kläger-- und Leistungsempfänger --hier: den Krankenkassen-- bestehenden Rechtsverhältnis, aus dem sich der für die Steuerbarkeit der Leistung maßgebliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ergibt (so bereits BFH-Urteil vom 06.05.2010 V R 15/09, BStBl II 2011, 142, Rn. 11 f., m.w.N.). Besteuerungsgrundlage i.S. von § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG, aber auch i.S. von Art. 73 MwStSystRL ist mithin die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2008 V R 56/06, BStBl II 2009, 250, Rn. 41, m.w.N.).
Damit geht der Beklagte zu Recht davon aus, dass im Streitfall der Kaufpreis abzüglich der in diesem enthaltenen Umsatzsteuer der Bemessungsgrundlage hinzuzuschlagen ist. Ohne Einfluss hierauf ist der Umstand, dass der Kläger seine Forderungen an die Re-GmbH abgetreten hat, denn die Re-GmbH ist an dem Austauschverhältnis zwischen dem Kläger und den Krankenkassen (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 UStG) weder als Leistende noch als Leistungsempfängerin beteiligt, insbesondere ist im Streitfall gerade nicht vereinbart, dass die Re-GmbH für die Lieferung --(dann wohl) zu Lasten des Klägers-- ein Entgelt erhalten sollte. Vielmehr ist im Streitfall zwischen dem Kläger und der Re-GmbH ein eigenständiges Austauschverhältnis vereinbart, bei dem - die Re-GmbH die Abrechnung mit den Krankenkassen vornehmen und die Forderungen folgerichtig für Rechnung des Klägers einziehen, mithin eine sog. Inkasso-Leistung erbringen und - der Kläger hierfür ein Entgelt entrichten sollte.
Mit Blick auf die Bemessungsgrundlage ist weiter festzustellen, dass --wie schon in Abschnitt a und b ausgeführt-- der Kläger die Lieferungen, die den Abrechnungen für August und September 2020 zugrunde liegen, tatsächlich ausgeführt hat und die Umsatzsteuer hierauf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG auch entstanden ist.
Ohne Einfluss auf das vorliegende Ergebnis ist, dass der Kläger seine Kaufpreisansprüche an die R-Z GmbH oder nachfolgend die Re-GmbH abgetreten hat (vgl. näher BFH-Urteil vom 06.05.2010 V R 15/09, BStBl II 2011, 142, Rn. 9, BFH-Beschluss vom 29.10.2010 V B 123/09, BFH/NV 2011, 663, Rn. 7; zum Fall der Abtretung vgl. auch § 13c Abs. 1 Satz 3 UStG, hierzu wiederum BFH-Urteil vom 16.12.2015 XI R 28/13, BStBl II 2018, 365).
d) Die Entgelte sind auch nicht als i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich anzusehen.
Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG). Entsprechendes gilt, wenn das vereinbarte Entgelt etwa für eine steuerpflichtige Lieferung uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG). Uneinbringlich i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist ein Entgelt, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 20.05.2010 V R 5/09, BFH/NV 2011, 77, DStRE 2011, 758, und vom 13.02.2019 XI R 19/16, BFH/NV 2019, 928, MwStR 2019, 790, Rn. 21 f., je m.w.N.).
Im Streitfall ist das Entgelt, das der Kläger für August und September 2020 zu beanspruchen hatte, nicht i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich geworden, sondern mit den Zahlungen, die die Krankenkassen an die Re-GmbH bewirkten, von dem Kläger vereinnahmt worden, denn die Leistungsverhältnisse zwischen dem Kläger und den Krankenkassen einerseits und der Re-GmbH andererseits sind --wie in Abschnitt c ausgeführt-- getrennt zu betrachten. Die Krankenkassen haben --gegenteilige Anhaltspunkte tatsächlicher Art sind weder von dem Kläger vorgetragen noch sonst nach Aktenlage ersichtlich-- die von ihnen geschuldeten Zahlungen auf den Kaufpreis tatsächlich bewirkt, und zwar ganz offenkundig mit Einwilligung (vgl. § 182 Abs. 3 BGB) des Klägers. Mit diesen Zahlungen ist der Anspruch des Klägers auf den Kaufpreis jeweils erloschen (vgl. § 362 Abs. 1 BGB, aber auch § 362 Abs. 2 BGB). Mithin hat der Kläger sein Entgelt bereits in dem Augenblick vereinnahmt, in dem die Krankenkassen auf dessen Rechnung an die Re-GmbH zahlten (Korn, in: Bunjes, UStG, 20. Aufl., 2021, § 10 Rn. 14, § 17 Rn. 65).
e) Ob die Anforderungen, die die Apotheken im Abrechnungsverfahren gemäß § 300 Abs. 1 SGB V erfüllen müssen, eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 Satz 1, § 227 der Abgabenordnung (AO) nahelegen oder gar erfordern (zur Unterschlagung durch Mitarbeiter des Steuerpflichtigen vgl. auch Stadie in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 17, Rn. 414, m.w.N.), kann der Senat ebenfalls offenlassen, da ein Verwaltungsakt, der eine solche Maßnahme ganz oder teilweise ablehnt, nicht Gegenstand der vorliegenden Klage ist (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.2019 V R 29/19 [V R 44/16], BStBl II 2021, 646, Rn. 32 f., m.w.N., und BFH-Urteil vom 14.02.2019 V R 47/16, BStBl II 2020, 424, dem sowohl die Klage gegen eine Steuerfestsetzung als auch gegen die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme zugrunde lag).
2. Der Kläger trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (vgl. Schreiben des Beklagten vom 26.01.2021).
Urteil vom 31.03.2022
In dem Finanzrechtsstreit
Kl
- Kläger -
prozessbevollmächtigt:
gegen
Finanzamt
- Beklagter -
wegen Umsatzsteuer (August und September 2020)
hat der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2022 durchVorsitzenden Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Ehrenamtliche Richterin
Ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger betreibt als selbständiger Unternehmer eine Apotheke, die den (gesetzlichen) Krankenkassen die Arznei- oder Heilmittel liefert, die die Versicherten gemäß § 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) als Sachleistungen erhalten. Er berechnet die entstandene Umsatzsteuer nach vereinbarten Entgelten. Die Voranmeldungen gibt der Kläger monatlich ab.
Mit einem "Vertrag zur Übernahme der Abrechnungstätigkeit und des Einzugs von Rezeptforderungen" beauftragte der Kläger gemäß § 300 Abs. 2 SGB V ein Rechenzentrum -- R-Z GmbH -- mit der Abrechnung mit den Krankenkassen. Der Vertrag bestimmte die "Höhe der Vorschusszahlung" mit 80 % und die Fälligkeit der "Vorschusszahlung" und der "Restzahlung" mit dem 7. bzw. 18. Tag des auf die Lieferung folgenden Kalendermonats. Nach § 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der R-Z GmbH sollte die Einziehung der Forderungen zwar im Namen der R-Z GmbH, jedoch für Rechnung des Klägers erfolgen. Nach § 6 der AGB der R-Z GmbH sollte außerdem im Einzelnen Folgendes gelten:
"Die ... (R-Z GmbH) unterhält bei Geldinstituten zum Ausgleich der Forderungen der Apotheke ein eindeutig durch das Institutionskennzeichen (IK) der Apotheke bestimmtes, für die Kunden des jeweiligen Abrechnungskreises einheitliches Konto. Die ... (R-Z GmbH) verfügt über dieses Konto nur zu Gunsten ... (der) Apotheken, ... nach Maßgabe der den Abrechnungskunden bereits gezahlten Abschlagszahlungen ... und zu eigenen Gunsten in Höhe der ihr für ihre Tätigkeit zustehenden Vergütung. Die Apotheke tritt ihre gegenwertigen und zukünftigen Forderungen gegenüber den Kostenträgern an die ... (R-Z GmbH) ab. Wenn die ... (R-Z GmbH) auch mit dem Einzug weiterer Forderungen beauftragt ist, tritt die Apotheke auch diese Forderungen an die ... (R-Z GmbH) ab. Die ... (R-Z GmbH) nimmt die Abtretung an. Die ... (R-Z GmbH) hat das Recht, die Forderungen an die kreditgewährende und die jeweilige Zahlung vorfinanzierende Bank abzutreten, welche die Zahlung bzw. Überweisung an die Apotheke vornimmt.
Im Falle einer Übersicherung kann der Apotheker insoweit von der ... (R-Z GmbH) Rückabtretung verlangen. Die ... (R-Z GmbH) ist ihrerseits berechtigt, jederzeit Forderungen wieder an den Apotheker zurückabzutreten; der Apotheker nimmt eine solche Rückabtretung hiermit an.
Die Apotheke wird bei der Beantragung des IK die von der ... (R-Z GmbH) jeweils benannte Bankverbindung angeben und für die Dauer des Vertragsverhältnisses nur auf Anweisung der ... (R-Z GmbH) eine Änderung dieser Bankverbindung vornehmen. Dies gilt auch für einen Wechsel der Abrechnungsstelle oder wenn eine Selbstabrechnung nicht fortgeführt wird. Die Apotheke ist verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass das von ihr angegebene IK richtig ist und die von der ... (R-Z GmbH) genannte Bankverbindung für dieses IK eingetragen ist."
Die R-Z GmbH wurde später mit einer [ ___ ] (nachfolgend: Re-GmbH) verschmolzen. Die Verschmelzung wurde am [ ___ ] in das Handelsregister des Sitzes der Re-GmbH als übernehmenden Rechtsträgers eingetragen. Die R-Z GmbH und die Re-GmbH traten im Abrechnungsverfahren auch für die Krankenkassen erkennbar für Rechnung des Klägers auf. Sie vereinnahmten --ebenfalls für Rechnung des Klägers-- diejenigen Geldbeträge, die die Krankenkassen für die Arzneimittellieferungen des Klägers schuldeten und bezahlten.
Die Re-GmbH beantragte am xx.xx. 2020 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Das Amtsgericht X (Insolvenzgericht) bestellte mit Beschluss vom xx.xx. 2020 einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Außerdem ordnete es an, dass Verfügungen der Re-GmbH nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Mit Beschluss vom xx.xx.2020 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren (Az. xxx).
Die Re-GmbH hatte dem Kläger zuvor --mit Schreiben vom 14.09. bzw. 14.10.2020-- Kontoauszüge erteilt, nach denen er --einschließlich der anteiligen Umsatzsteuer-- die folgenden "Restzahlung(en)" zu beanspruchen hatte:
Kontoauszug für vom
August 2020 14.09.2020 20.233,28 €
September 2020 14.10.2020 24.318,15 €
Der Kläger errechnete die Umsatzsteuer mit seinen Voranmeldungen für diese Monate vom 02.11.2020 bzw. vom 03.11.2020 mit 10.262,49 € (August 2020) und mit 10.952,47 € (September 2020) --ausgehend von dem für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2020 geltenden Steuersatz für die Lieferung von Arzneimitteln von 16 % (vgl. § 28 Abs. 1 UStG) und abgesehen von Rundungsunterschieden von weniger als 1,00 €-- im Einzelnen wie folgt:
für in Kz. zu Bemessungsgrundlage Steuer Steuer
August
#xxx 5% 6.165,40 € 308,27 €
#xxx 16% 137.250,60 € 21.960,10 €
22.268,37 € 22.268,37 €
#yyy 5% 19.045,80 € 952,29 €
#yyy 16% 217.660,20 € 34.825,63 €
? 35.777,92 € 35.777,92 €
35 380.122,00 €
36 58.046,29 €
81 19% 491,00 € 93,29 €
95 16% 506,00 € 80,96 €
? 58.220,54 €
abziehbare Vorsteuerbeträge
66 47.877,34 €
61 80,96 €
? 47.958,30 € 47.958,30 €
? 10.262,24 €
September
#xxx 5% 6.864,00 € 343,20 €
#xxx 16% 154.760,00 € 24.761,60 €
25.104,80 € 25.104,80 €
#yyy 5% 21.029,00 € 1.051,45 €
#yyy 16% 190.258,00 € 30.441,28 €
? 31.492,73 € 31.492,73 €
35 372.911,00 €
36 56.597,53 €
81 19% 726,00 € 137,94 €
95 16% 227,00 € 36,32 €
? 56.771,79 €
abziehbare Vorsteuerbeträge
66 45.783,23 €
61 36,32 €
? 45.819,55 € 45.819,55 €
? 10.952,24 €
Dabei berücksichtigte der Kläger auch die noch offenen "Restzahlung(en)" abzüglich der hierauf entfallenden Umsatzsteuer.
Mit Schreiben vom 03.11.2020 legte der Kläger gegen die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für die Monate August und September 2020 Einspruch ein, mit dem er auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Re-GmbH hinwies, sodann vortrug, dass er seine Ansprüche gegen die Krankenkassen an die Re-GmbH abgetreten habe, und schließlich vorbrachte, die Restzahlungen für August und September 2020 seien i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich geworden. Die Vorschrift sei im Streitfall über ihren Wortlaut hinaus jedenfalls sinngemäß anzuwenden. Zugleich führte er näher aus, "der Begriff der Uneinbringlichkeit ... (sei) umsatzsteuerlich mithin im Sinne der Vermeidung einer Vorfinanzierungswirkung autonom (europarechtskonform) auszulegen". Mit seinem Einspruch beantragte der Kläger "hilfsweise (auch) eine abweichende Steuerfestsetzung ... aus sachlichen Billigkeitsgründen".
Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Mit seiner Einspruchsentscheidung vom 28.07.2021 führte er hierzu aus, dass die Krankenkassen das dem Kläger zustehende Entgelt an die "inkassoberechtigte" Re-GmbH geleistet hätten. An diese habe der Kläger --wie er selbst vorgetragen habe-- seine Ansprüche gegen die Krankenkassen abgetreten. Damit sei das Entgelt an den Kläger bezahlt und somit auch von ihm vereinnahmt worden. Das Entgelt würde sich danach richten, was der Leistungsempfänger an den Abtretungsempfänger bezahlt habe. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 06.05.2010 V R 15/09 (BStBl II 2011,142) entschieden habe, bestimme sich das Entgelt nach den Zahlungen der Kunden des Unternehmers an den Forderungserwerber. Die Störung der Rechtsbeziehung zwischen dem Kläger und der Re-GmbH hätte deshalb keinerlei Auswirkung auf die Höhe des Entgelts und damit der festzusetzenden Umsatzsteuer.
Weiter wies der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 28.07.2021 (S. 7) darauf hin, dass "über den Antrag auf Billigkeitserlass ... bislang noch nicht entschieden" sei. Sollte der Kläger den Antrag aufrechterhalten, werde hiermit um eine entsprechende Mitteilung gebeten.
Mit der vorliegenden Klage hält der Kläger an seiner Ansicht, auf den Streitfall sei § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG entsprechend anzuwenden, fest. Er führt hierzu insbesondere aus, die angefochtenen Bescheide würden gegen den Neutralitätsgrundsatz der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 (Mehrwertsteuersystemrichtlinie --MwStSystRL--) verstoßen. Nach dem Neutralitätsgrundsatz dürfte der Bemessungsgrundlage auch im Streitfall nur das Entgelt zugrunde gelegt werden, das er, der Kläger, als leistender Unternehmer von den Krankenkassen i.S. von § 4 SGB V als den Leistungsempfängern für seine Leistung --im Streitfall: für die Lieferung von Arzneimitteln-- erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen, jedoch abzüglich der für diese Leistung gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer (Art. 73 MwStSystRL, § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Entscheidend sei mithin, dass "das Entgelt nicht bei ... (ihm, dem Kläger) eingegangen" sei.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide über die Umsatzsteuer (Steuervoranmeldungen) für August 2020 vom 02.11.2020 und für September 2020 vom 03.11.2020 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.07.2021 zu ändern und den Betrag der bislang festgesetzten Umsatzsteuer zu mindern
für August 2020 um 2.789,56 Euro und
für September 2020 um 3.354,24 Euro.
Der Beklagte beantragt im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 26.07.2021,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 26.01.2021 weiter mitgeteilt, dass das vorliegende Verfahren "als Musterverfahren anzusehen ... (sei), auf das sich Apotheken im gesamten Bundesgebiet in deren Einspruchsverfahren beziehen" würden.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist unbegründet.
Nach § 100 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hebt das Gericht den angefochtenen Steuerbescheid nur auf oder ändert ihn, soweit dieser rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Die angefochtenen Bescheide sind allerdings nicht rechtswidrig.
a) Die Lieferung von Arznei-, Verband-, Heil- oder Hilfsmitteln, die der Kläger an die Krankenkassen i.S. des § 4 SGB V ausgeführt hat, unterliegen gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG der Umsatzsteuer.
Leistungsempfänger sind i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG die Krankenkassen, die damit i.S. des Art. 90 MwStSystRL als Endverbraucher der Lieferungen anzusehen sind, nicht jedoch die Re-GmbH oder die gesetzlich Versicherten selbst (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- Boehringer Ingelheim vom 06.10.2021 - C-717/19, MwStR 2021, 930, zuvor --zu staatlichen Krankenversicherungsträgern-- EuGH-Urteil Boehringer Ingelheim Pharma vom 20.12.2017 - C-462/16, DStR 2018, 75 [FG Berlin-Brandenburg 13.09.2017 - 2 K 2164/15], ebenso BFH-Urteil vom 18.11.2021 V R 4/21 [V R 41/17], DStR 2022, 420 [BFH 20.10.2021 - XI R 2/21] und bereits BFH-Beschluss vom 24.02.2015 V B 147/14, DStR 2015, 756).
Dies folgt insbesondere aus § 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V. Nach diesen Vorschriften stellen die Krankenkassen den Versicherten etwa --wie im Streitfall-- Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln zur Verfügung. Die Versicherten erhalten diese Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Mithin geben die Apotheken Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkassen ab (vgl. § 130a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SGB V, zu dieser Vorschrift vgl. auch BFH-Urteil vom 10.12.2020 V R 34/18, BStBl II 2021, 576).
b) Die Umsatzsteuer ist im Streitfall auch entstanden, soweit die Re-GmbH dem Kläger noch die Weiterleitung des Kaufpreises (vgl. § 433 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--) schuldet, den der Kläger für seine Lieferungen an die Krankenkassen zu beanspruchen hat.
Zum einen berechnet der Kläger die Umsatzsteuer gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 UStG nach vereinbarten Entgelten. Zum anderen hat der Kläger die entsprechenden Lieferungen an die Krankenkassen bereits ausgeführt. Gegenteilige Anhaltspunkte tatsächlicher Art sind jedenfalls weder von dem Kläger vorgetragen noch sonst nach Aktenlage ersichtlich.
Damit ist die Umsatzsteuer auch insoweit bereits mit Ablauf des jeweiligen Voranmeldungszeitraums entstanden (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG).
c) Damit sind auch die Beträge zu Recht in der Bemessungsgrundlage der streitigen Umsatzsteuer berücksichtigt, die die Re-GmbH dem Kläger noch schuldet.
Nach Art. 73 MwStSystRL umfasst die Steuerbemessungsgrundlage bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen dabei mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll (Art. 78 Satz 1 Buchst. a MwStSystRL). Dementsprechend ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG der Umsatz bei Lieferungen nach dem Entgelt zu bemessen. Folgerichtig rechnet zum Entgelt alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der leistende Unternehmer vom Leistungsempfänger oder von einem anderen als dem Leistungsempfänger für die Leistung erhält oder erhalten soll, jedoch abzüglich der für diese Leistung gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG). Die Höhe des Entgelts richtet sich also nach dem zwischen Leistendem --hier: dem Kläger-- und Leistungsempfänger --hier: den Krankenkassen-- bestehenden Rechtsverhältnis, aus dem sich der für die Steuerbarkeit der Leistung maßgebliche unmittelbare Zusammenhang zwischen der Leistung und dem erhaltenen Gegenwert ergibt (so bereits BFH-Urteil vom 06.05.2010 V R 15/09, BStBl II 2011, 142, Rn. 11 f., m.w.N.). Besteuerungsgrundlage i.S. von § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG, aber auch i.S. von Art. 73 MwStSystRL ist mithin die tatsächlich erhaltene Gegenleistung für die erbrachte Leistung (vgl. BFH-Urteil vom 18.09.2008 V R 56/06, BStBl II 2009, 250, Rn. 41, m.w.N.).
Damit geht der Beklagte zu Recht davon aus, dass im Streitfall der Kaufpreis abzüglich der in diesem enthaltenen Umsatzsteuer der Bemessungsgrundlage hinzuzuschlagen ist. Ohne Einfluss hierauf ist der Umstand, dass der Kläger seine Forderungen an die Re-GmbH abgetreten hat, denn die Re-GmbH ist an dem Austauschverhältnis zwischen dem Kläger und den Krankenkassen (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 UStG) weder als Leistende noch als Leistungsempfängerin beteiligt, insbesondere ist im Streitfall gerade nicht vereinbart, dass die Re-GmbH für die Lieferung --(dann wohl) zu Lasten des Klägers-- ein Entgelt erhalten sollte. Vielmehr ist im Streitfall zwischen dem Kläger und der Re-GmbH ein eigenständiges Austauschverhältnis vereinbart, bei dem - die Re-GmbH die Abrechnung mit den Krankenkassen vornehmen und die Forderungen folgerichtig für Rechnung des Klägers einziehen, mithin eine sog. Inkasso-Leistung erbringen und - der Kläger hierfür ein Entgelt entrichten sollte.
Mit Blick auf die Bemessungsgrundlage ist weiter festzustellen, dass --wie schon in Abschnitt a und b ausgeführt-- der Kläger die Lieferungen, die den Abrechnungen für August und September 2020 zugrunde liegen, tatsächlich ausgeführt hat und die Umsatzsteuer hierauf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG auch entstanden ist.
Ohne Einfluss auf das vorliegende Ergebnis ist, dass der Kläger seine Kaufpreisansprüche an die R-Z GmbH oder nachfolgend die Re-GmbH abgetreten hat (vgl. näher BFH-Urteil vom 06.05.2010 V R 15/09, BStBl II 2011, 142, Rn. 9, BFH-Beschluss vom 29.10.2010 V B 123/09, BFH/NV 2011, 663, Rn. 7; zum Fall der Abtretung vgl. auch § 13c Abs. 1 Satz 3 UStG, hierzu wiederum BFH-Urteil vom 16.12.2015 XI R 28/13, BStBl II 2018, 365).
d) Die Entgelte sind auch nicht als i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich anzusehen.
Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 UStG). Entsprechendes gilt, wenn das vereinbarte Entgelt etwa für eine steuerpflichtige Lieferung uneinbringlich geworden ist (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG). Uneinbringlich i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist ein Entgelt, wenn bei objektiver Betrachtung damit zu rechnen ist, dass der Leistende die Entgeltforderung (ganz oder teilweise) jedenfalls auf absehbare Zeit rechtlich oder tatsächlich nicht durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 20.05.2010 V R 5/09, BFH/NV 2011, 77, DStRE 2011, 758, und vom 13.02.2019 XI R 19/16, BFH/NV 2019, 928, MwStR 2019, 790, Rn. 21 f., je m.w.N.).
Im Streitfall ist das Entgelt, das der Kläger für August und September 2020 zu beanspruchen hatte, nicht i.S. von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich geworden, sondern mit den Zahlungen, die die Krankenkassen an die Re-GmbH bewirkten, von dem Kläger vereinnahmt worden, denn die Leistungsverhältnisse zwischen dem Kläger und den Krankenkassen einerseits und der Re-GmbH andererseits sind --wie in Abschnitt c ausgeführt-- getrennt zu betrachten. Die Krankenkassen haben --gegenteilige Anhaltspunkte tatsächlicher Art sind weder von dem Kläger vorgetragen noch sonst nach Aktenlage ersichtlich-- die von ihnen geschuldeten Zahlungen auf den Kaufpreis tatsächlich bewirkt, und zwar ganz offenkundig mit Einwilligung (vgl. § 182 Abs. 3 BGB) des Klägers. Mit diesen Zahlungen ist der Anspruch des Klägers auf den Kaufpreis jeweils erloschen (vgl. § 362 Abs. 1 BGB, aber auch § 362 Abs. 2 BGB). Mithin hat der Kläger sein Entgelt bereits in dem Augenblick vereinnahmt, in dem die Krankenkassen auf dessen Rechnung an die Re-GmbH zahlten (Korn, in: Bunjes, UStG, 20. Aufl., 2021, § 10 Rn. 14, § 17 Rn. 65).
e) Ob die Anforderungen, die die Apotheken im Abrechnungsverfahren gemäß § 300 Abs. 1 SGB V erfüllen müssen, eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 Abs. 1 Satz 1, § 227 der Abgabenordnung (AO) nahelegen oder gar erfordern (zur Unterschlagung durch Mitarbeiter des Steuerpflichtigen vgl. auch Stadie in: Rau/Dürrwächter, UStG, § 17, Rn. 414, m.w.N.), kann der Senat ebenfalls offenlassen, da ein Verwaltungsakt, der eine solche Maßnahme ganz oder teilweise ablehnt, nicht Gegenstand der vorliegenden Klage ist (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.2019 V R 29/19 [V R 44/16], BStBl II 2021, 646, Rn. 32 f., m.w.N., und BFH-Urteil vom 14.02.2019 V R 47/16, BStBl II 2020, 424, dem sowohl die Klage gegen eine Steuerfestsetzung als auch gegen die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme zugrunde lag).
2. Der Kläger trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (vgl. Schreiben des Beklagten vom 26.01.2021).
RechtsgebietUStGVorschriften§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UStG