· Fachbeitrag · Arzneimittelversorgung
Akutversorgung und Botendienst ‒ schließt sich das gegenseitig aus?
von RAin und Apothekerin Isabel Kuhlen, Vellmar, kanzlei-kuhlen.de
| Die grundsätzliche Verpflichtung des Apothekers zum Ersetzen von verordneten durch kostengünstigere wirkstoffgleiche Fertigarzneimittel besteht schon seit einigen Jahren aufgrund der Regelungen des § 129 Sozialgesetzbuch (SGB) V. Pandemiebedingt gibt es ‒ zeitlich begrenzt ‒ Erleichterungen für die Apotheker, um die Häufigkeit der Personenkontakte zu senken. Außerdem bestehen Ausnahmen von dieser Verpflichtung wie z. B. die sogenannte Akutversorgung. Was aber gilt, wenn zusätzlich zur Akutversorgung auch noch ein Botendienst erforderlich wird? |
Die Aut-idem-Regelung
Nach der sogenannten Aut-idem-Regelung sind Apotheken ‒ ungeachtet der zeitlich beschränkten Erleichterungen ‒ grundsätzlich zur Abgabe eines preisgünstigen Arzneimittels an Versicherte verpflichtet, wenn die Ersetzung durch ein wirkstoffgleiches Arzneimittel nicht vom Arzt ausgeschlossen wurde. Die Apotheken haben nach den Vorgaben des § 129 Abs. 1 SGB V ein Arzneimittel abzugeben, das mit dem verordneten in Wirkstärke und Packungsgröße ‒ nach den Vorgaben der Packungsgrößenverordnung ‒ identisch ist, für ein gleiches Anwendungsgebiet zugelassen ist und die gleiche oder eine austauschbare Darreichungsform besitzt. Soweit ein Rabattvertrag für ein austauschbares Fertigarzneimittel existiert, muss bevorzugt ein Rabattarzneimittel abgegeben werden. Von dieser Regelung gibt es jedoch Ausnahmen auf Basis des § 17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) i. V. m. § 14 des Rahmenvertrags nach § 129 SGB V.
Ausnahmen bestätigen die Regel
Apotheker können von der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel absehen, wenn dieser im konkreten Einzelfall ‒ nach Ansicht des Apothekers ‒ pharmazeutische Bedenken entgegenstehen, die trotz zusätzlicher Beratung des Patienten nicht zu beseitigen sind. In gleicher Weise können sie davon absehen, wenn ein Fall der sogenannten Akutversorgung vorliegt. Von Akutversorgung spricht man, wenn rabattierte oder preisgünstige Arzneimittel nicht in der Apotheke vorrätig sind, der Patient die verordnete Medikation jedoch dringend benötigt. Es ist Aufgabe der Apotheke, im Einzelfall bei der Versorgung zu entscheiden, ob die unverzügliche Abgabe des einzelnen Arzneimittels notwendig ist, wenn dadurch Rabattverträge bzw. andere vertragliche Regelungen zur Abgabe preisgünstiger Arzneimittel nicht berücksichtigt werden.
Ein Beispiel für einen eindeutigen Fall ist hier die sofort erforderliche Gabe von Antibiotika oder schmerzlindernden Arzneimitteln. Wenn die Beschaffung eines Rabattarzneimittels nur mit wesentlicher Verzögerung möglich wäre, die im konkreten Einzelfall nicht vertretbar ist, weil eine unverzügliche Abgabe des Arzneimittels erforderlich ist, darf der Apotheker nach den Vorgaben des Rahmenvertrags nach § 129 SGB V von der Abgabereihenfolge abweichen und ein nicht rabattiertes Arzneimittel abgeben.
Wie aber ist diese Sonderregelung vereinbar mit tatsächlichen Umständen, unter denen ein Botendienst erforderlich ist?
Zusammentreffen von Akutversorgung und Botendienst
Der Botendienst durch die Apotheke ist seit Herbst 2019 grundsätzlich erlaubt. § 17 Abs. 2 ApBetrO legt seitdem ausdrücklich fest, dass die Zustellung von Arzneimitteln durch Boten der Apotheke ohne Erlaubnis zum Versandhandel zulässig ist. Und tatsächlich gibt es auch Fallkonstellationen, in denen eine Kombination von Botendienst und Akutfall zulässig ist.
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Es kann sein, dass ein Rabattarzneimittel nur mit erheblicher weiterer Verzögerung beschafft werden kann. Wenn etwa die Lieferung durch den Großhandel nur unter Zuhilfenahme einer anderen Großhandelsfiliale möglich ist, verzögert sich die Lieferung häufig um mindestens einen halben Tag. Kommt noch ein Feiertag oder ein Wochenende hinzu, kann die effektive Verzögerung der Auslieferung eines Arzneimittels schnell auch bis zu 48 Stunden betragen. Hier darf der Apotheker ‒ z. B. bei dringend benötigten Antibiotika oder Schmerzmitteln ‒ eine Belieferung mit einem Nicht-Rabattarzneimittel veranlassen, wenn dies zeitlich mit deutlich geringerer Verzögerung möglich ist. In diesen Fällen kann es sein, dass der Patient aufgrund seines Gesundheitszustands nicht noch einmal in die Apotheke kommen kann. Dann ist es selbstverständlich zulässig, die Versorgung durch einen Botendienst sicherzustellen.
Ein weiterer Fall, in dem die Voraussetzungen von Botendienst und Akutfall zusammentreffen, liegt vor, wenn der Patient telefonisch die Belieferung einer Verordnung erbittet, weil er nicht die Möglichkeit hat, die Apotheke aufzusuchen. Wenn dann eine sofortige Belieferung notwendig, das entsprechende Rabattarzneimittel aber nicht in der Apotheke verfügbar ist, kann im Rahmen der Akutversorgung auf ein Nicht-Rabattarzneimittel zurückgegriffen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass spätestens bei der Aushändigung des Arzneimittels die Verordnung übergeben werden muss. Soweit eine telefonische Beratung des Kunden im Einzelfall nicht möglich ist, muss die Belieferung durch pharmazeutisches Personal als Bote veranlasst werden, um die Beratung vor Ort sicherzustellen. |
Beachten Sie | In beiden Fällen kann der geleistete Botendienst nach den Vorgaben des § 129 Abs. 5g SGB V abgerechnet werden, obwohl eine Akutversorgung vorliegt. Voraussetzung ist insoweit jedoch, dass die Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels im Wege des Botendiensts erfolgt ist. Über die Sonder-PZN 06461110 kann je Lieferort und Tag ein Zuschlag von 2,50 Euro zzgl. MwSt. abgerechnet werden.
FAZIT | Im Ergebnis entscheiden immer die Umstände des Einzelfalls, ob eine Kombination von Akutversorgung und Botendienst zulässig ist. |