Bilanzierung Die Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen von Dipl.-Kffr. Dr. Anke Nestler Die Bedeutung von immateriellen Vermögenswerten hat bei Unternehmen einen enormen Wandel erfahren. Während in der Vergangenheit den physischen Vermögensgegenständen, wie z. B. Grund und Boden oder Maschinen, der höchste Wertanteil innerhalb eines Unternehmens beigemessen wurde, wächst heute das Bewusstsein für den Wertbeitrag der immateriellen Vermögenswerte. Die Nichtbeachtung in der Vergangenheit mag unter anderem daran liegen, dass gerade die selbsterstellten immateriellen Vermögenswerte nach HGB einem Bilanzierungsverbot unterliegen. Folglich tauchen diese Vermögenswerte in der Bilanz eines Unternehmens gar nicht erst auf. Mit dem zunehmenden Einfluss internationaler Rechnungslegungsstandards (insbesondere der International Accounting Standards "IAS") auf deutsche Unternehmen rückt die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte aber immer stärker in den Vordergrund. 1. Das immaterielle Wirtschaftsgut Immaterielle Vermögenswerte sind beispielsweise Patente, Marken, Firmenbezeichnungen, Gebrauchs- und Geschmacksmuster, Urheberrechte und abgeleitete Verwertungsrechte, Internet-Domains und Software. Neben diesen "klassischen" immateriellen Vermögenswerten gibt es auch noch eine Vielzahl weiterer Faktoren in einem Unternehmen, die immateriell sind, aber gleichzeitig einen Vermögenswert darstellen können. Hierzu zählen insbesondere Know-how, Verfahren und Prozesse, Entwicklungen, Datenbanken, Kundenstamm und Kooperationsvereinbarungen. Allen diesen genannten Vermögensgegenständen kann häufig ein gesonderter Wert beigemessen werden. 2. Bewertungshintergründe und Bewertungszweck Die Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen kann aus unterschiedlichen Motiven heraus erforderlich sein. Werden z. B. Unternehmen oder ein Teil eines Unternehmens im Rahmen einer Transaktion veräußert, können gerade die immateriellen Vermögenswerte für die Quantifizierung eines angemessenen Kaufpreises eine wesentliche Rolle spielen. Teilweise werden sogar auch nur einzelne Vermögensgegenstände (z. B. Markenrechte) veräußert, für deren Preisfindung eine gesonderte Bewertung notwendig ist. Aber auch im Zuge von internen Umstrukturierungen kann die Ermittlung von Werten für einzelne Vermögensgegenstände erforderlich sein. Die fundierte Bewertung zur Vermeidung von Steuerrisiken spielt bei grenzüberschreitenden Übertragungen von immateriellen Vermögensgegenständen von einer Konzerngesellschaft auf eine andere eine wichtige Rolle. Durch die Veräußerung von Marken auf eine eigenständige Gesellschaft können stille Reserven aufgedeckt und Abschreibungspotenzial geschaffen werden. Die Nutzung der Markenrechte, z.B. durch die Vertriebsgesellschaft, kann durch einen Lizenzvertrag vereinbart werden. Die Bewertung dient dann als Grundlage für die Kaufpreisfindung und die Ableitung einer angemessenen Lizenzrate. Auch bei der Gestaltung konzerninterner Verrechnungspreise für die Überlassung von Rechten, z.B. bei der Nutzung von Patenten oder Markennamen, stellt sich regelmäßig die Frage nach der Angemessenheit der zu Grunde liegenden Lizenzgebühren. Eine fundierte und an Marktpreisen orientierte Bewertung der betroffenen Vermögenswerte ist eine wesentliche Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung der Verrechnungspreise. 3. Vorgehensweise bei der Bewertung und Bewertungsmethoden Bei der Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen steht - anders als beispielsweise bei der Bewertung von Unternehmen oder Unternehmensteilen - zunächst die Frage der Abgrenzung und Identifizierung der zu bewertenden Einheit im Vordergrund. Darüber hinaus ist der Wert des immateriellen Vermögensgegenstands unmittelbar mit dem Umfang der Verfügungsmacht verbunden. Bei der Bewertung von Marken stellt sich etwa die Frage nach einem Wertabschlag, wenn Verwertungsrechte bei verschiedenen Eigentümern liegen oder Prozesse für Schutzrechtsverletzungen anhängig sind. Eine Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen setzt somit immer eine gründliche Untersuchung der rechtlichen Situation der Eigentumsrechte voraus. Gesondert zu würdigen ist ferner die Lebensdauer der Vermögensgegenstände. Während bei der Unternehmensbewertung im Regelfall von der Fortführung des Unternehmens ausgegangen wird ("Going concern-Prämisse"), kann die Lebensdauer von immateriellen Vermögenswerten durch rechtliche, wirtschaftliche oder technische Umstände begrenzt sein. Als gängige Methoden für die finanzielle Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände kommen grundsätzlich drei Ansätze in Betracht:
4. Marktwertorientierte Verfahren Bei Anwendung eines marktwertorientierten Bewertungsverfahrens werden auf der Basis tatsächlicher, am Markt erzielbarer Preise Anhaltspunkte für den Wert des immateriellen Vermögensgegenstandes abgeleitet. Problematisch ist bei dieser Methode, dass Marktpreise vergleichbarer immaterieller Vermögensgegenstände häufig gar nicht bekannt sind. Gerade die Veräußerung von Rechten an bekannten Marken wird zwar teilweise der Öffentlichkeit kommuniziert. Allerdings findet sich selten ein Hinweis auf den vereinbarten Veräußerungspreis oder auf die zu Grunde liegenden, wertrelevanten Rahmenbedingungen (z.B. Unterlizenzen, Rückkaufrecht, regionale Reichweite). Noch unwahrscheinlicher ist es, brauchbare Informationen über Marktpreise für weniger marktgängige Produkte, wie etwa Kundenstämme, selbstentwickelte Software oder Datenbanken, zu erhalten. Vor diesem Hintergrund können marktwertorientierte Verfahren in ihrer reinen Form in der Praxis meistens gar nicht angewendet werden. Marktdaten fließen allerdings bei der Bewertung mit Hilfe der so genannten Lizenzpreisanalogie ein (siehe hierzu näher bei der Erläuterung der ertragsorientierten Verfahren). In der Praxis und in bestimmten Branchen ist es üblich, Verwertungsrechte (z.B. Nutzung von Patenten, Marken, Domains und Software) an Dritte gegen eine Lizenzgebühr zu überlassen. In diesen, auf dem Markt verhandelten Lizenzraten steckt im Grunde die Zahlungsbereitschaft einer Partei für die Nutzung z.B. einer Marke. 5. Kostenorientierte Verfahren Kostenorientierte Verfahren orientieren sich an den geschätzten Reproduktionskosten für den zu bewertenden immateriellen Vermögensgegenstand. Anhaltspunkte können einerseits die historischen Kosten, andererseits die Wiederbeschaffungskosten geben. Bei einer Bewertung anhand der historischen Kosten ist sorgfältig zu analysieren, welche Kosten tatsächlich für die Schaffung des immateriellen Vermögensgegenstands angefallen sind. Bei der Bewertung einer selbsterstellten Software wären beispielsweise die durch die Entwicklung verursachten Kosten (v.a. Personalkosten) zu ermitteln. Gegebenenfalls sind die Kosten um Effizienzverluste zu bereinigen bzw. um weitere Kostenkomponenten (z.B. Investitionen) zu ergänzen. Die historischen Kosten sind auf den Bewertungsstichtag mit einem geeigneten Faktor zu indexieren. Der Vorteil dieser Herangehensweise liegt darin, dass die Daten in der Regel bei dem Unternehmen vorliegen, dem der Vermögensgegenstand gehört. Andererseits können die auf den zu bewertenden Vermögensgegenstand entfallenden Kosten aus der Vergangenheit zum Bewertungszeitpunkt häufig nicht mehr so eindeutig identifiziert werden. Alternativ zu den indexierten historischen Kosten können die erwarteten, aktuellen Wiederbeschaffungskosten für den immateriellen Vermögenswert kalkuliert werden. Bei einer Marke könnten beispielsweise die Kosten geschätzt werden, die ein Unternehmen für eine Neueinführung einer vergleichbaren Marke zum Bewertungszeitpunkt aufwenden müsste. Festzuhalten ist, dass die kostenorientierten Verfahren keine Aussage über die Vorteilhaftigkeit der Investition in einen immateriellen Vermögensgegenstand treffen. Folglich ist den kostenorientierten Verfahren für die finanzielle Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen ein begrenzter Aussagewert zuzusprechen. Die ermittelten Werte bieten zwar wichtige Anhaltspunkte für mögliche Wertgrenzen, sie sind jedoch durch weitere Überlegungen und Analysen zu ergänzen.
6. Ertragsorientierte Verfahren Bei den ertragsorientierten Verfahren wird der Wert aus den zukünftigen finanziellen Überschüssen berechnet, die dem zu bewertenden immateriellen Gegenstand zugeordnet werden können. Bei den ertragsorientierten Verfahren gibt es unterschiedliche Herangehensweisen, wie die relevanten finanziellen Überschüsse abgeleitet werden. Ein in der Praxis häufig angewandtes Verfahren ist die bereits erwähnte Lizenzpreisanalogie. Bei der Lizenzpreisanalogie wird kalkuliert, welche Lizenzentgelte ein Unternehmen aufwenden müsste, wenn es den betreffenden immateriellen Vermögensgegenstand nicht besäße, sondern lizenzieren müsste. Der Wert berechnet sich dann als Barwert der ersparten zukünftigen Lizenzgebühren. Im Einzelnen sind bei der Anwendung der Lizenzpreisanalogie verschiedene Prüfungsschritte erforderlich, die hier nur kurz angesprochen werden können. Zunächst müssen die in der Praxis vereinbarten Lizenzraten für ein passendes Produkt ermittelt werden. Diese sind daraufhin zu untersuchen, ob sie für den konkreten Bewertungsfall geeignet sind. Weitere wichtige Bewertungsschritte sind die Bestimmung der geeigneten Bezugsbasis (z.B. den Nettoerlös), die Ableitung zukünftiger Ergebnisse, die Frage nach der Berücksichtigung von Steuern und die Ermittlung eines geeigneten Kapitalisierungszinssatzes.
Festzuhalten bleibt, dass die Bewertung anhand eines ertragsorientierten Bewertungsverfahrens die Investorensicht am konsequentesten widerspiegelt. Die ertragsorientierten Bewertungsverfahren sind somit heute in Theorie und Praxis die am meisten anerkannten Methoden zur Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen. 7. Auswahl der Methoden in der Bewertungspraxis Wesentliche Kriterien für die Auswahl der richtigen Bewertungsmethode sind die Nachvollziehbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Vorgehensweise sowie die Objektivität der Wertmaßstäbe. Für die Bewertung von immateriellen Vermögensgegenständen gibt es grundsätzlich keinen zur Unternehmensbewertung vergleichbaren Bewertungsstandard, wie z.B. den Standard für die Bewertung von Unternehmen des Instituts der Wirtschaftsprüfer (sog. IDW S1). Grundsätzlich lehnt sich die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten in der Regel an bestehende Bewertungsstandards für die Bewertung von Unternehmen an. Im Einzelfall ist jedoch immer wieder eine genaue Überlegung für die jeweilige Herangehensweise erforderlich. Vor diesem Hintergrund sind in Bewertungsgutachten das Vorgehen, die Methoden und die Bewertungsprämissen bei der Bewertung immaterieller Werte detailliert darzulegen. 8. Fazit Die Bewertung von immateriellen Vermögenswerten ist eine Disziplin, die noch relativ jung ist und im Vergleich zur Bewertung ganzer Unternehmen gesonderten Schwierigkeiten unterliegt und damit entsprechend komplexer ist. Sehr hilfreich für die praktische Bewertungsarbeit ist daher der aus verschiedenen Bewertungsprojekten gewonnene Erfahrungsschatz. Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, dass die aktuellen Entwicklungen in der Bewertungstheorie und -praxis hinsichtlich der Bewertung immaterieller Vermögensgegenstände aktiv verfolgt werden. Wesentliche Impulse gehen dabei von den USA aus, die durch ihre Rechnungslegungsstandards schon wesentlich länger mit der Bewertungsproblematik von immateriellen Gegenständen konfrontiert sind. | ||||||||||
Quelle: Betriebswirtschaftliche Mandantenbetreuung - Ausgabe 03/2003, Seite 71 |
Quelle: Ausgabe 03 / 2003 | Seite 71 | ID 109422