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  • · Fachbeitrag · Bilanzierung

    BMF äußert sich zur AfA von Gebäuden nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer

    von Dipl.-Finanzwirt (FH) Matthias Ulbrich, Visselhövede

    | Das EStG lässt bei Gebäuden eine kürzere Nutzungsdauer zu als sich nach den festen Prozentsätzen ergeben würde. Der BFH hat hierzu entschieden, dass sich Steuerpflichtige jeder Darlegungsmethode bedienen können, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Das Urteil wurde nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht und wird von der Finanzverwaltung grundsätzlich nicht über den Einzelfall hinaus angewendet. Nun hat sich das BMF (22.2.23, IV C 3 - S 2196/22/10006 :005) zur AfA von Gebäuden nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer geäußert. |

    1. Rechtliche Grundlagen

    Für die lineare AfA von Gebäuden gelten gem. § 7 Abs. 4 S. 1 EStG typisierte feste AfA-Sätze, die in Abhängigkeit von der Nutzungsart und dem Zeitpunkt der Fertigstellung bzw. der Stellung des Bauantrags 2,0, 2,5, 3,0 oder sogar 4,0 % (bei Gebäuden i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG, mit deren Herstellung vor dem 1.1.01 begonnen wurde oder die aufgrund eines vor dem 1.1.01 rechtswirksam abgeschlossenen Vertrags angeschafft wurden [§ 52 Abs. 15 EStG]) betragen. Die typisierten AfA-Sätze sind politisches Steuermittel und haben weniger mit der tatsächlichen Nutzungsdauer zu tun. So heißt es auch in der Gesetzesbegründung zur Erhöhung der linearen AfA auf 3,0 % p. a. für nach dem 31.12.22 fertiggestellte Wohngebäude, dass es sich um „eine politisch motivierte Förderung zur Unterstützung einer klimagerechten Neubauoffensive“ handele. „Die aus dem Ansatz [...] resultierende kürzere Abschreibungsdauer von 33 Jahren hat keinen Einfluss auf die Beurteilung der tatsächlichen Nutzungsdauer [...]. Diese wird regelmäßig auch mehr als 50 Jahre betragen.“ (Entwurf JStG 2022 der BReg, BT-Drs. 20/3879, 88).

     

    Bei Einführung der gesetzlichen Neuregelung nahm der Gesetzgeber 1964 eine technische Nutzungsdauer bei Wohngebäuden von im Regelfall etwa 100 Jahren an (BT-Drs. IV/2008, 5). Die AfA-Sätze gelten auch bei Erwerb einer Bestandsimmobilie. Der Gesetzgeber wies bei Einführung der Neuregelung vor fast sechzig Jahren darauf hin, dass die Nutzungsdauer auf den jeweiligen Eigentümer zu beziehen ist (BT-Drs. IV/2008, 10) und es fortan nicht mehr auf die Gesamtnutzungsdauer des Gebäudes ankomme. Da im Allgemeinen angenommen werden könne, dass ein Gebäude im Laufe von 50 Jahren mindestens einmal den Eigentümer wechselt, werde dies nach früherer BFH-Rechtsprechung vielfach zu einer AfA über einen längeren Zeitraum als 50 Jahre führen. Bei mehrfacher Veräußerung kann die Gesamtnutzungsdauer somit auch auf über 100 Jahre ansteigen (BFH 28.9.71, VIII R 73/68, BStBl II 72, 176 m. w. N.).

     

    Nach § 7 Abs. 4 S. 2 EStG kann die AfA allerdings stattdessen anhand einer tatsächlich kürzeren Nutzungsdauer vorgenommen werden als sich nach diesen Prozentsätzen rechnerisch ergäbe. Die Nutzungsdauer eines Gebäudes in diesem Sinne ist der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann (§ 11c Abs. 1 S. 1 EStDV). Ob eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen des Einzelfalls. Entscheidend ist, ob das Gebäude vor Ablauf des sich rechnerisch ergebenden AfA-Zeitraums objektiv betrachtet technisch oder wirtschaftlich verbraucht ist.

    2. Rechtsprechung des BFH

    Wie der Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer zu erbringen ist, ist im Gesetz nicht definiert. Der BFH (28.7.21, IX R 25/19, BFH/NV 22, 108 m. w. N., Abruf-Nr. 226170) entschied kürzlich, dass der Steuerpflichtige sich hierfür jeder Darlegungsmethode bedienen könne, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich sei insoweit, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann.

     

    Da im Rahmen der Schätzung nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, sei sie nur dann zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. Ein sog. Bausubstanzgutachten, wie es das FA im Streitfall forderte, sei jedenfalls keine Voraussetzung für die Anerkennung.

    3. Auffassung der Finanzverwaltung

    Jetzt hat das BMF (22.2.23, IV C 3 - S 2196/22/10006 :005, BStBl I 23, 332, Abruf-Nr. 235602) dazu Stellung genommen, welche Grundsätze nach seiner Auffassung für die Inanspruchnahme der AfA nach der kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer gelten sollen. Das Schreiben ist von der Finanzverwaltung auf alle offenen Fälle anzuwenden.

     

    3.1 Gebäude mit Abbruchabsicht

    Das BMF-Schreiben nimmt in Rz. 9 u. a. auch Stellung zum Ansatz einer kürzeren Nutzungsdauer eines zunächst noch genutzten Gebäudes, dessen Abbruch oder Veräußerung beabsichtigt ist. Insofern wiederholt es die Ausführungen in H 7.4 „Nutzungsdauer“ EStH.

     

    3.2 Besondere Betriebsgebäude und bestimmte Gebäudeteile, die selbstständige unbewegliche Wirtschaftsgüter sind

    Auch besondere Betriebsgebäude und Gebäudeteile unterliegen grundsätzlich der AfA nach typisierten festen AfA-Sätzen. Allerdings könne für diese auch eine kürzere Nutzungsdauer angenommen werden, ohne dass hierfür eine gesonderte Nachweispflicht besteht (Rz. 10). So kann sich für bestimmte betrieblich genutzte Gebäude (z. B. Hallen in Leichtbauweise oder bei Ställen und Schuppen) in Abhängigkeit von der Bauart, der Bauweise und der Nutzung eine kürzere Nutzungsdauer aus den amtlichen AfA-Tabellen ergeben (Rz. 11).

     

    Das gilt auch bei bestimmten Gebäudeteilen, die selbstständige unbewegliche Wirtschaftsgüter sind, wie z. B. Ladeneinbauten, Schaufensteranlagen und Gaststätteneinbauten, soweit sie keine Betriebsvorrichtungen oder Scheinbestandteile sind, sowie sonstige selbstständige unbewegliche Gebäudeteile (R 4.2 Abs. 3 S. 3 Nr. 5 EStR; Rz. 12).

     

    Die in den AfA-Tabellen enthaltenen Richtwerte sind anzusetzen, wenn sich Steuerpflichtige darauf berufen. Wer allerdings eine von den amtlichen AfA-Tabellen abweichende Nutzungsdauer geltend macht, hat entsprechende Gründe substantiiert vorzutragen (Rz. 13 m. w. N.).

     

    Bei Mietereinbauten und -umbauten könne sich eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer aufgrund einer ggf. kürzeren Mietdauer ergeben (Rz. 14).

     

    3.3 Gebäude, bei denen die objektiven Umstände im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer vermuten lassen

    In begründeten Ausnahmefällen kann bei Gebäuden, bei denen im Einzelfall die objektiven Umstände eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer vermuten lassen, die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden AfA vorgenommen werden. Steuerpflichtigen steht insoweit unter Erbringung eines Einzelnachweises ein Wahlrecht zu.

    4. Maßgebliche Kriterien für die Schätzung einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer

    Die zu schätzende kürzere tatsächliche Nutzungsdauer sei nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung durch gewisse Einflussfaktoren bestimmt (sog. maßgebliche Determinanten). Hierzu gehören

    • der technische Verschleiß,
    • die wirtschaftliche Entwertung sowie
    • rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können (Rz. 17).

     

    Regelmäßig sei von der technischen Nutzungsdauer auszugehen. Das ist der Zeitraum, in dem sich das Gebäude substanztechnisch abnutzt (Rz. 18).

     

    Für die Beurteilung des technischen Verschleißes sei die Nutzungsdauer der Tragstruktur des Bauwerks (Dachkonstruktion, tragende Innen- und Außenwände, Geschossdecken und Fundament) als Hauptbestandteil des Gebäudes maßgeblich. Erforderlich sei, dass durch technischen Verschleiß der tragenden Teile, d. h. insbesondere der Tragstruktur, das Gebäude in seiner Gesamtheit in seiner Nutzungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Dagegen genüge es nicht, dass lediglich einzelne unselbstständige Teile des Gebäudes zur Erneuerung oder Ersetzung anstehen (Rz. 19, 20).

     

    I. d. R. fielen die technische und die wirtschaftliche Nutzungsdauer zusammen. Steuerpflichtige könnten sich allerdings auch auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer berufen, falls diese kürzer als die technische Nutzungsdauer ist (Rz. 18). Sie könne der AfA aber nur dann zugrunde gelegt werden, wenn das Gebäude vor Ablauf der technischen Nutzungsdauer objektiv wirtschaftlich verbraucht ist, d. h., wenn die Möglichkeit einer wirtschaftlich sinnvollen (anderweitigen) Nutzung oder Verwertung endgültig entfallen ist (BFH 4.3.08, IX R 16/07, BFH/NV 08, 1310; Rz. 21).

    5. Nachweismethoden

    Als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer verlangt die Finanzverwaltung die Vorlage eines Gutachtens

    • eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder
    • von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind.

     

    Beachten Sie | Nach Meinung des Autors ist analog der Regelung zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts i. S. d. § 198 BewG bei der Bewertung von Grundbesitz für die ErbSt auch ein Gutachten des örtlich zuständigen Gutachterausschusses (R B 198 Abs. 3 S. 1 ErbStR) zulässig, auch wenn das BMF diesen nicht ausdrücklich in Rz. 22 des Schreibens erwähnt.

     

    Nach Auffassung der Finanzverwaltung (Rz. 23) muss das Gutachten Folgendes enthalten:

     

    • Darstellung des Gebäudezustands in seinen die Nutzungsdauer bestimmenden Elementen (Tragstruktur des Bauwerks, vgl. 4.)
    • Begründete Darlegung, weshalb am Ende der geltend gemachten (kürzeren) Nutzungsdauer voraussichtlich keine wirtschaftlich sinnvolle (anderweitige) Nachfolgenutzung mehr möglich und kein Restwert mehr vorhanden ist

     

    Wie der BFH (28.7.21, IX R 25/19, BFH/NV 22, 108) entschieden hat, ist ein Bausubstanzgutachten i. S. d. sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), wie es das FA im Streitfall forderte, nicht erforderlich. Die Finanzverwaltung gibt sich aber nicht völlig geschlagen und weist in Rz. 23 darauf hin, dass ein solches Gutachten hilfreiche Anhaltspunkte zur Beurteilung des Einzelfalls enthalten könnte.

     

    Das BMF fordert, dass sich der Gutachtenzweck ausdrücklich auf den Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer richten und zwingend die maßgeblichen Determinanten (s. unter 4.) berücksichtigen muss (Rz. 24). Hierbei sei auch eine mögliche Nachfolgenutzung des Gebäudes und deren Auswirkung auf die Nutzungsdauer einzubeziehen.

     

    Nach Auffassung des BMF entsprechen Rest- und Gesamtnutzungsdauer i. S. d. Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) nicht der tatsächlichen Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer eines einzelnen Gebäudes, sondern seien Modellansätze, die nur im Gesamtkontext einer Verkehrswertermittlung zu sachgerechten Ergebnissen führen. Eine isolierte Verwendung der Modelle bzw. Modellansätze der ImmoWertV bzw. von deren Anlagen für Zwecke des Nachweises einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG sei dagegen nicht sachgerecht. Daher sei die bloße Übernahme einer Restnutzungsdauer aus einem Verkehrswertgutachten nicht als Nachweis einer kürzeren tatsächlichen Nutzungsdauer i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG geeignet (s. aber 6.!).

     

    Auch der alleinige Verweis auf die Modellansätze für die Gesamtnutzungsdauer in Verbindung mit dem Modell zur Ermittlung der Restnutzungsdauer bei Modernisierungen nach der Anlage 1 und 2 der ImmoWertV sei nicht ausreichend. Dies ist indessen nachvollziehbar, da sich die Frage, ob der AfA eine die gesetzlich typisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, nach den Verhältnissen des Einzelfalls beurteilt (BFH 4.3.08, IX R 16/07, BFH/NV 08, 1310).

     

    Beachten Sie | Nach der seit dem 1.1.22 anzuwendenden ImmoWertV 2021 beträgt die Gesamtnutzungsdauer bei Wohngebäuden einheitlich 80 Jahre. Dadurch käme es z. B. bei solchen Objekten, die älter als 30 Jahre sind, grundsätzlich zu einer kürzeren Nutzungsdauer als sie sich für Gebäude, die nach dem 31.12.1924 fertiggestellt worden sind, rechnerisch nach § 7 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ergeben würde.

    6. Aktuelle Rechtsprechung

    Im Nachgang zu der o. g. BFH-Rechtsprechung, aber vor Veröffentlichung des BMF-Schreibens ergingen bereits mehrere FG-Urteile, die Bezug auf die Entscheidung des BFH nehmen. Auffällig ist, dass die Finanzgerichte sehr viel großzügiger hinsichtlich des Nachweises waren als es die Finanzverwaltung ist und Verkehrswertgutachten anerkannten.

     

    6.1 FG Münster 14.2.23 (1 K 3840/19 F, 1 K 3841/19 F)

    So hat das FG Münster in zwei Urteilen vom 14.2.23 (1 K 3840/19 F, 1 K 3841/19 F, Abruf-Nrn. 234248, 234247) ein Gutachten berücksichtigt, das hinsichtlich der Ermittlung der Restnutzungsdauer auf den Regelungen der ImmoWertV 2010 basierte, wonach die Restnutzungsdauer grundsätzlich durch Abzug des Alters von der Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlagen ermittelt wird. Sofern in der Vergangenheit Um- und Ausbau- oder Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen durchgeführt wurden, durch die sich die Gesamt- bzw. Restnutzungsdauer verlängert hatte, schätzte die Gutachterin die Restnutzungsdauer unter Berücksichtigung dieser Modernisierungsmaßnahmen. Das FG Münster vertritt die vom BMF abweichende Auffassung, dass Wertgutachten auch dann anzuerkennen sind, wenn der Ersteller des Gutachtens lediglich eine modellhafte Ermittlung der Restnutzungsdauer durchgeführt hat. Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist dem keine entscheidende Bedeutung beizumessen. Der erkennende Senat betonte aber die Inaugenscheinnahme der bewerteten Gebäude durch die Gutachterin, um die Bauweise und etwaige ausstehende Modernisierungs- bzw. Sanierungsarbeiten beurteilen zu können.

     

    6.2 FG Köln 23.3.22 (6 K 923/20)

    Auch das FG Köln (23.3.22, 6 K 923/20, Abruf-Nr. 230980) entschied, dass sich im Einzelfall eine sachverständige Schätzung der verbleibenden Nutzungsdauer auch aus einem Gutachten ergeben könne, in dem der Gutachter die modellhafte Ermittlung anwendet. Aus dem Umstand, dass die Ermittlung der Restnutzungsdauer im Rahmen einer Verkehrswertermittlung nach der ImmoWertV lediglich ein notwendiger Zwischenschritt zur Feststellung des Gebäudewerts ist, während sie im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG den Hauptzweck darstellt, lasse sich kein Unterschied zwischen der Restnutzungsdauer i. S. d. ImmoWertV und der (Rest-)Nutzungsdauer i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG konstruieren.

     

    6.3 FG Münster 27.1.22 (1 K 1741/18 E)

    In einem anderen Fall erkannte das FG Münster (27.1.22, 1 K 1741/18 E, Abruf-Nr. 228044) ein Verkehrswertgutachten an, das anlässlich eines Zwangsversteigerungsverfahrens von einem Amtsgericht in Auftrag gegeben wurde. Der Gutachter führte hierfür eine Ertrags- und eine Vergleichswertermittlung durch. Der Vorteil eines solchen Gutachtens ist zum einen, dass es beim Steuerpflichtigen keine Kosten verursacht, da diese vom Amtsgericht getragen werden. Demgegenüber hätten Steuerpflichtige, die ein Gutachten rein für Zwecke des Nachweises einer kürzeren Nutzungsdauer in Auftrag geben, die Kosten zu übernehmen. Zum anderen könnte das FG ein vom Steuerpflichtigen bestelltes Gutachten als sog. Parteigutachten einordnen, welches das Gericht nicht anerkennen muss. Das ist bei einem von einem Dritten (z. B. dem Amtsgericht) in Auftrag gegebenen Gutachten nicht der Fall, wie das FG zutreffend anmerkt.

     

    Beachten Sie | Zwar erging die Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte zu der alten Fassung der ImmoWertV, die bis zum 31.12.21 gültig war, sie dürfte allerdings gleichermaßen für die neue Regelung gelten. Die Restnutzungsdauer wird nach § 4 Abs. 3 S. 2 ImmoWertV 2021 i. d. R. auf der Grundlage des Unterschiedsbetrags zwischen der Gesamtnutzungsdauer und dem Alter der baulichen Anlage am maßgeblichen Stichtag ermittelt. Individuelle Gegebenheiten des Wertermittlungsobjekts wie beispielsweise durchgeführte Instandsetzungen oder Modernisierungen oder unterlassene Instandhaltungen können die Restnutzungsdauer verlängern oder verkürzen (§ 4 Abs. 3 S. 3 ImmoWertV 2021).

     

    FAZIT | Während die Finanzgerichte das BFH-Urteil vom 28.7.21 großzügig auslegen, erscheint die Interpretation des BMF überzogen streng. Die FA werden aufgrund des BMF-Schreibens voraussichtlich Verkehrswertgutachten ablehnen, sodass der gerichtliche Weg notwendig wäre. Die Chancen, dort erfolgreich zu sein, stehen offenbar gut.

     

    Die Bundesregierung, die von ihrem Vorhaben im letzten Jahr, die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 4 S. 2 EStG u. a. zur Vermeidung einer Vielzahl erwarteter Streitfälle zu streichen, wieder abgerückt ist, wird daher vermutlich einen zweiten Anlauf nehmen. Möglicherweise wird der Gesetzgeber auch die Anforderungen an den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer konkretisieren und in das Gesetz aufnehmen.

     

    Sicher ist wohl nur eines: In jedem Fall ist weiterer Streit abzusehen.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2023 | Seite 184 | ID 49490843