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  • · Fachbeitrag · Handels- und Steuerbilanz

    Gängigkeitsabschläge beim Vorratsvermögen

    von WP StB Dipl.-Kfm. Lukas Graf, Heidelberg

    | Bei der Bewertung des Vorratsvermögens kommen Abschläge insbesondere auch wegen mangelnder Gängigkeit der Wirtschaftsgüter in Betracht. Inwieweit Gängigkeitsabschläge in der Handels- und Steuerbilanz geboten bzw. zulässig sind, wird nachfolgend näher betrachtet. |

    1. Feststellung und Dokumentation der Ungängigkeit

    Jeder Kaufmann ist verpflichtet, jährlich eine Inventur zu machen und ein Inventar aufzustellen (§ 240 HGB). In diesem Inventar sind die Bestände zunächst mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bewerten, wobei die Anschaffungskosten oftmals durch vereinfachte Bewertungsverfahren (z.B. Gruppenbewertung oder Verbrauchsfolgeverfahren) und die Herstellungskosten durch Kalkulation ermittelt werden. Bei einer Wertminderung (z.B. durch Ungängigkeit) kommt eine Abwertung auf den niedrigeren beizulegenden Wert in Betracht.

     

    Als ungängig werden Artikel bezeichnet, die sich nicht, nur sehr schwer, nur mit erheblichen Abschlägen oder nur sehr langsam verkaufen lassen. Ungängige Bestände im Vorratsvermögen können viele Ursachen haben (z.B. Fehleinkäufe, Überbestände, technische oder modische Überholung, Nachfrageänderungen, bessere Konkurrenzprodukte oder Vertriebsprobleme).

     

    Die Ungängigkeit lässt sich u.a. bei der körperlichen Bestandsaufnahme feststellen (z.B. alte Inventuraufkleber aus Vorjahren, Staub, Aussonderung in Lager mit ungängigen Beständen etc.).

     

    PRAXISHINWEIS |  Werden solche Anzeichen nicht erfasst, kann die Ungängigkeit ggf. unentdeckt bleiben. In der Inventuranweisung ist somit darauf hinzuweisen, dass entsprechende Artikel in den Aufnahmelisten kenntlich zu machen sind.

     

     

    Darüber hinaus kann die Ungängigkeit mithilfe von Warenwirtschaftssystemen festgestellt werden, die z.B. die Lagerreichweite, die Lagerumschlagshäufigkeit oder die durchschnittliche Lagerdauer berechnen können.

     

    • Beispiel

    A ermittelt für die „Leder-Damenhandtaschen XY“, die erfahrungsgemäß nur noch in den nächsten vier bis sieben Jahren verkauft werden können, die Lagerreichweite:

     

    933 Stück (vorhandener Lagerbestand)

    Lagerreichweite =

    ________________________________________

    = 12

    77 Stück (durchschnittlicher Periodenverbrauch)

     

    Da der Warenbestand bei gleichbleibendem Jahresabsatz für ca. zwölf Jahre ausreichen würde, ist der Artikel (teilweise) als ungängig zu bezeichnen.

     

     

    Beachten Sie | Zu anderen Verfahren wie beispielsweise der Abwertung nach dem Zeitpunkt der letzten Zugangs- oder Abgangs-Lagerbewegung vgl. Christiansen, StBp 83, 18.

     

    PRAXISHINWEIS |  Für eine Gängigkeitsabwertung ist die Feststellung und Dokumentation von großer Bedeutung. Demzufolge sind die Anzeichen für eine Ungängigkeit festzuhalten. Darüber hinaus ist die Wertminderung auf Grundlage von Erfahrungswerten bzw. einer anderen zwingenden Darlegung zu begründen.

     

    2. Handelsrechtliche Sichtweise

    Nachfolgend wird zunächst der Niederstwerttest nach dem Beschaffungs- und/oder Absatzmarkt erläutert. Im Anschluss wird näher auf eine mögliche Abwertung wegen Ungängigkeit der Artikel eingegangen.

     

    2.1 Allgemeine Bewertungsvorschriften

    Vorräte sind nach § 253 Abs. 4 HGB zwingend auf einen im Vergleich zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten niedrigeren Börsen- oder Marktpreis abzuschreiben. Fehlen diese Preise, hat die Bewertung zum beizulegenden Wert zu erfolgen.

     

    Bei der Durchführung des Niederstwerttests orientiert sich die Bewertung entweder am Beschaffungsmarkt, am Absatzmarkt oder an beiden Märkten. Nach überwiegender Meinung (vgl. z.B. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, Kommentar, § 253 HGB, Rz. 386) gilt Folgendes:

     

    • Absatzmarkt: fertige und unfertige Erzeugnisse sowie unfertige Leistungen (sofern kein Fremdbezug möglich), Überbestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen

     

    • Beschaffungsmarkt: Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe, fertige und unfertige Erzeugnisse (sofern Fremdbezug möglich)

     

    • niedrigerer Wert aus einer absatzmarkt- und beschaffungsmarktorientierten Bewertung: Handelswaren, Überbestände an unfertigen und fertigen Erzeugnissen

     

    • Beispiel

    Durch die Modewelle der Vorhängeschlösser-Handtaschen können die Hersteller von klassischen Damen-Lederhandtaschen ihre Ware nicht mehr zum üblichen Preis absetzen. Aus Sicht des Einzelhändlers A sinkt der Beschaffungspreis von 100 EUR/Stück auf 80 EUR/Stück. A kann die Damen-Lederhandtaschen noch für 120 EUR an Endkunden verkaufen. Der Lagerbestand am 31.12. beträgt 933 Stück.

     

    Lösung: Einzelhändler A muss seinen Warenbestand i.H. von 93.300 EUR (933 Stück x 100 EUR) um 18.660 EUR (933 Stück x 20 EUR) auf 74.640 EUR abwerten.

     

     

    MERKE |  Ungängigkeit, die sich in gesunkenen Anschaffungskosten niederschlägt, muss infolge von § 253 Abs. 4 HGB berücksichtigt werden, ohne dass dafür ein besonderer Nachweis erforderlich ist.

     

     

    2.2 Gründe für eine Ungängigkeit

    In der Praxis werden Bestände oft nach Gängigkeitsklassen oder Reichweitenklassen ausgewertet. In Abhängigkeit der jeweiligen Klasse wird dann ein bestimmter Abschreibungssatz angewandt. Grundsätzlich sind Gängigkeitsabschreibungen als pauschales Verfahren handelsrechtlich anzuerkennen (Kozikowski/Roscher in Beck’scher Bilanzkommentar, 2012, § 253 HGB, 
Rz. 529). Das folgende Schema zeigt mögliche Abschläge nach Reichweitenklassen:

     

    • Abschläge nach Reichweitenklassen
    Reichweitenklasse
    Lagerreichweite
    Abwertungssatz

    I

    bis 1,00

    5 %

    II

    1,01 bis 2,00

    20 %

    III

    2,01 bis 3,00

    40 %

    IV

    3,01 bis 4,00

    60 %

     

    Wichtig | Diese Abschreibungssätze sind Vorschläge und müssen ggf. anhand der betrieblichen Umstände angepasst werden.

     

     

    Eine Auswertung nach Lagerreichweiten hat auch betriebswirtschaftliche Gründe. Hohe Lagerreichweiten beinhalten nicht nur ein bilanzielles Verlustrisiko, sie binden betriebswirtschaftlich auch Kapital. Lagerhaltung ist deshalb nur insoweit wirtschaftlich, als dies die laufende Produktion bzw. die Liefertreue erfordert. Anderenfalls ist eine Lagerhaltung wegen der damit verbundenen Lagerkosten sowie der Zinsverluste betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll.

     

    Künftige Lagerkosten (einschließlich Zinsverluste) dürfen handelsrechtlich berücksichtigt werden. Somit sind Gängigkeitsabschreibungen für diese Kosten zulässig (Kozikowski/Roscher a.a.O., Rz. 531).

     

    Verluste durch Ungängigkeit können z.B. durch Erfahrungen der Vergangenheit nachgewiesen werden, soweit keine Anzeichen vorliegen, dass die Verhältnisse in der Zukunft nicht mehr maßgeblich sind.

     

    • Beispiel

    Das Handtaschengeschäft des Kaufmanns A befindet sich in einer erstklassigen Einkaufsstraße in Düsseldorf, in der er der gehobenen Kundschaft Ware aus dem oberen Preissegment anbietet. A gewährt aus Prinzip keine Rabatte und nimmt zur Pflege des Preisniveaus auch nicht am Schlussverkauf teil. Wie die dokumentierten Erfahrungswerte eindeutig belegen, beträgt der Verkaufszeitraum fünf bis

    acht Jahre. Etwa alle fünf Jahre bereinigt A sein Lager von ungängigen Beständen. Sein Abnehmer ist ein Händler in einer ostfriesischen Kleinstadt, in der Modetrends verspätet ankommen. Der Händler nimmt die ungängige Ware zum Pauschalpreis von 50 % des ursprünglichen Anschaffungspreises ab.

     

    Sofern sich die Verhältnisse nicht ändern, kann A nachweisen, dass Bestände mit überlanger Lagerreichweite auf 50 % der Anschaffungskosten abzuschreiben sind.

     

    Für die Anerkennung einer Ungängigkeitsabwertung kommt es maßgeblich darauf an, dass der Kaufmann bei der Festlegung der Berechnungsmethode und der Abschlagssätze die Gründe für eine Ungängigkeit zutreffend abgebildet hat. Anzuerkennen sind z.B. Gängigkeitsklassen, die sich am Verderb im Zeitablauf oder an der technischen Überholung der Artikel orientieren.

     

    Abzulehnen sind Gängigkeitsabschreibungen hingegen, wenn die Ungängigkeit kein Anzeichen für eine Wertminderung ist. Dies kann tatsächliche Gründe haben (z.B. Ungängigkeit als Geschäftsgrundlage), es kann sich aber auch um einen „handwerklichen Fehler“ bei der Wahl der Bewertungsmethode handeln.

     

    • Beispiel

    Ein Kaufmann betreibt den Handel mit Oldtimer-Teilen. Er erwirbt von einem Automobilhersteller bei der Produktionseinstellung eines „Kultautos“ sämtliche noch vorhandenen Ersatzteile. Die Teile erwirbt er sehr günstig und verkauft sie mit hoher Marge. Nach einem Jahr Ersatzteilhandel ermittelt er eine durchschnittliche Lagerreichweite von ca. 20 Jahren.

     

    Die hohe Lagerreichweite stellt hier kein wirtschaftliches Problem dar, sondern ist vielmehr Garant für langfristige Gewinne.

     

    Zu berücksichtigen ist schließlich auch, dass die üblichen Messgrößen für die Ungängigkeit - wie die Lagerreichweite - verzerrt und deshalb aussagelos sein können. Dies ist z.B. bei Neubeständen der Fall, die noch nicht richtig in den Verkauf gelangt sind. Obwohl die Lagerreichweite hier zumindest mathematisch sehr groß ist, liegt eine Ungängigkeit regelmäßig nicht vor.

    3. Steuerrechtliche Sichtweise

    Nach einem kurzen Überblick über die Grundsätze der Teilwertabschreibung wird anschließend thematisiert, inwieweit Gängigkeitsabschläge auch steuerrechtlich anzuerkennen sind.

     

    3.1 Allgemeine Grundsätze zur Teilwertabschreibung

    Nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStG kann eine Teilwertabschreibung in der Steuerbilanz vorgenommen werden, wenn eine voraussichtlich dauernde Wertminderung vorliegt. Infolge der Neuregelungen des BilMoG handelt es sich um ein autonomes steuerliches Wahlrecht, d.h., eine Teilwertabschreibung kann, muss aber nicht vorgenommen werden.

     

    Eine Teilwertabschreibung kann insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Einkaufspreise gesunken sind oder der voraussichtliche Veräußerungserlös nicht mehr die Selbstkosten (zuzüglich eines durchschnittlichen Unternehmergewinns) abdeckt.

     

    Hinweis | Da bei der Subtraktionsmethode vom Veräußerungserlös noch der durchschnittliche Unternehmergewinn abzuziehen ist (R 6.8 Abs. 2 S. 3 EStR), ist der handelsrechtliche Wert bei dieser Ermittlungsweise regelmäßig höher als der Teilwert. Infolge der abgeschafften umgekehrten Maßgeblichkeit kann grundsätzlich kein Gleichklang mehr erzielt werden. Minninger (BBP 11, 257) wirft hier indes die Frage auf, ob die steuerlichen Grundsätze mittlerweile als Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) anzuerkennen sind.

     

    3.2 Gängigkeitsabschläge im Steuerrecht

    Die Zulässigkeit von Gängigkeitsabschlägen im Steuerrecht ist insbesondere vor dem Hintergrund eines Urteils des BFH (24.2.94, IV R 18/92) zu Ersatzteilen im Kfz-Handel zu thematisieren, da dieser Entscheidung nach der Literaturmeinung (vgl. u.a. Seethaler, BB 97, 2575) Grundsatzcharakter zukommt. Vor allem die folgenden BFH-Aussagen sind beachtenswert:

     

    • 1. Die Einteilung in Gängigkeitsklassen kann im Einzelfall durchaus geeignet sein, Folgerungen für den Teilwert der Waren zu ziehen. Eine lange Lagerungsdauer kann nämlich Rückschlüsse auf Veralterung, Qualitätsminderung, eine zu erwartende Preisminderung oder die Unverkäuflichkeit zulassen. Auch die Finanzverwaltung hat Teilwertabschreibungen in Anknüpfung an die lange Lagerdauer von Waren zugelassen, so etwa im Sortimentsbuchhandel und im Musikalienhandel.

     

    • 2. Eine lange Lagerdauer rechtfertigt für sich allein eine Teilwertabschreibung regelmäßig jedoch nicht, solange die Waren zu den ursprünglichen oder gar zu erhöhten Preisen angeboten und verkauft werden.

     

    • 3. Teilwertabschläge auf Warengruppen mit geringer Gängigkeit sind nur zulässig, wenn dargelegt oder sonst erkennbar ist, dass die Selbstkosten einschließlich der noch zu erwartenden Lagerkosten und eines durchschnittlichen Unternehmergewinns durch den zu erwartenden Erlös nicht mehr gedeckt sind. Im Streitfall war jedoch nicht erkennbar, wie sich die Lagerkosten in den einzelnen Gängigkeitsklassen auswirkten. In der Praxis ist somit eine schlüssige und nachvollziehbare Zuordnung unerlässlich.

     

    In Übereinstimmung mit dem BMF und den obersten Finanzbehörden der Länder vertritt die OFD Frankfurt (17.7.97, S 2173) die Auffassung, dass Lagervorräte einer Wertberichtigung allein unter dem Gesichtspunkt der geringen Umschlagshäufigkeit nicht zugänglich sind. Eine Wertberichtigung kann danach grundsätzlich nur auf andere, den Teilwert mindernde Umstände wie z.B. technische Überalterung, Beschädigungen u.Ä. gestützt werden.

     

    Hinweis | Seethaler (a.a.O.) kritisiert, dass offenkundig diejenigen Entscheidungsgründe des BFH isoliert Einklang in die Verfügung gefunden haben, die Teilwertabschreibungen allein wegen langer Lagerdauern nicht zulassen. Eine weitere Differenzierung wäre hier wünschenswert gewesen.

    Quelle: Ausgabe 04 / 2013 | Seite 98 | ID 37114350