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  • · Fachbeitrag · Kassenführung

    Zuschätzung bei offener Ladenkasse aufgrund einer Quantilsschätzung

    von Rechtsassessor Dr. Matthias H. Gehm, Limburgerhof und Speyer

    | Der BFH (12.7.17, X B 16/17, Abruf-Nr. 195635 ) hat in einem AdV-Verfahren ausführlich Stellung zur Zuschätzung bei Verwendung von offenen Ladenkassen im Zusammenhang mit der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG genommen. Im Weiteren hat der BFH Zweifel geäußert, ob im Zuge eines Zeitreihenvergleichs mit Quantilsschätzung die von der Finanzverwaltung verwendete Schätzungs-Software zu brauchbaren Ergebnissen gelangt. Der Beschluss ist von erheblicher Relevanz für die Praxis. |

    1. Sachverhalt

    Der Antragsteller hat einen gastronomischen Betrieb. Seinen Gewinn ermittelt er nach § 4 Abs. 3 EStG. Nahezu sämtliche Betriebseinnahmen fielen dabei in Bargeld an. Bei der Abrechnung kam eine offene Ladenkasse zum Einsatz. Im Zuge seiner betrieblichen Tätigkeit richtet der Antragsteller auch Familienfeiern (Buffets) aus und beteiligt sich einmal im Jahr an einem dreitägigen Volksfest.

     

    Die Einnahmen aus dem laufenden Gaststättenbetrieb notierte der Antragsteller getrennt nach Kassiervorgang auf einem Zettel. Er bildete hinsichtlich der Tageseinnahmen eine Summe, die er mit seinem Namenszeichen abschloss. Die Einnahmen aus dem Volksfest notierte er lediglich als Tagessumme, bei den Familienfeiern notierte er ebenfalls nur pro Feier die Summe.

     

    Die Betriebsprüfung sah in den Aufzeichnungen keine ordnungsgemäße Kassenbuchführung. Über § 22 UStG und § 63 UStDV ergäbe sich eine solche Verpflichtung auch bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG. Die Betriebsprüfung nahm daraufhin eine Quantilsschätzung vor. Hierfür wurde ein Zeitreihenvergleich durchgeführt. Der monatliche Rohgewinnaufschlagsatz wurde aufgrund des monatlichen Wareneinsatzes geschätzt. Der Prüfer ging für den gesamten dreijährigen Prüfungszeitraum von einem konstanten Rohgewinnaufschlagsatz aus. Während des Betriebsprüfungszeitraums fand allerdings eine Preiserhöhung von 26 % statt.

     

    MERKE | Bei der Quantilsschätzung, die zum inneren Betriebsvergleich gehört, wird aus betriebseigenen Daten des Steuerpflichtigen eine Spannbreite der Normalwerte herausgebildet. Dies geschieht über Prozentstränge ‒ sog. Quantile ‒ welche zur Einteilung der Datenmenge in den Standardbereich unter Eliminierung von statistischen Standardausreißern Verwendung finden. „Überträgt man die Verhältnisse der Standardnormalverteilung, definiert sich der Bereich Mittelwert plus/minus mittlerer Abweichung - die sog. Standardabweichung - mit dem 16 %- und dem 84 %-Quantil. Die 68 % der dazwischenliegenden Daten umfassen die Normalfälle“.

    Diese Erkenntnisse werden sodann im Zuge der Quantilsschätzung dazu genutzt, um noch einmal vorsichtiger zwischen dem 20 %- und dem 80 %-Quantil der betriebseigenen Werte zum monatlichen Aufschlagssatz oder Wareneinsatz den Regelgeschäftsbereich festzustellen, also den normalen Betriebsverlauf ohne relevante Ausreißer. „Mit der vorsichtigen Wahl des obersten Wertes aus dem 80 %-Quantil soll die Schätzungsmethode die objektivierte Leistungsfähigkeit unabhängig von Extremwerten oder der Länge des Prüfungszeitraums berücksichtigen und alle betriebliche Besonderheiten umfassen.“ (FG Hamburg 31.10.16, 2 V 202/16)

     

    2. Grundaussagen der Entscheidung des BFH

    2.1 Schätzungsbefugnis Gaststättenbereich

    Der BFH vertritt in seinem Beschluss die Auffassung, dass hinsichtlich der ausgestatteten Familienfeiern und des Volksfestes eine Schätzungsbefugnis des Finanzamts bestand. Bei dem Gaststättenbereich sind die Aufzeichnungen ordnungsgemäß, sodass eine Schätzung ausscheidet.

     

    Zwar können Mängel in der Kassenführung dazu führen, dass die gesamten Aufzeichnungen nicht der Ordnungsgemäßheit i. S. v. § 158 AO genügen (BFH 14.12.11, XI R 5/10, BFH/NV 12, 192). Jedoch ergibt sich auch unter Berücksichtigung der Aufzeichnungspflichten nach § 22 UStG und § 63 UStDV bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG keine Verpflichtung, ein Kassenbuch zu führen. Insbesondere sind keine buchmäßigen durchnummerierten Aufzeichnungen zu führen. Zu einer Einzelaufzeichnung der Erlöse besteht nach alter Rechtslage gem. § 146 Abs. 1 S. 1 AO ‒ also vor dem Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen (22.12.16, BGBl I 16, 3152) ‒ keine Verpflichtung. Zudem wären unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten hier Erleichterungen bei Verwendung offener Ladenkassen zu gewähren.

     

    Diese Erleichterungen gelten nicht nur für kleinere Warenlieferanten, sondern auch für Klein-Dienstleister (BFH 12.5.66, IV 472/60, BStBl III 66, 371). Insbesondere sind keine Kassenzettel aufzubewahren, wenn diese technisch von einer offenen Ladenkasse gar nicht erstellt werden können. Es sind somit keine Anhaltspunkte vorhanden, dass Ursprungsaufzeichnungen angefallen wären, die der Steuerpflichtige nicht vorlegt.

     

    Daher lässt der BFH im summarischen Verfahren die Tages-Einnahmenzettel als „geordnete Belegablage mit Einzelaufzeichnung der Erlöse“ (vgl. Niedersächsisches FG 8.12.11, 12 K 389/09) unbeanstandet.

     

    Der BFH stellt weiterhin klar, dass bei einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG keine Verpflichtung besteht, den Warenbestand aufzuzeichnen. Zudem sei die von der Finanzbehörde im Zuge eines Zeitreihenvergleichs erfolgte Schätzung des Warenbestands nicht nachvollziehbar, da ihr Ergebnis eines über drei Jahre konstanten Rohgewinnaufschlagssatzes von der betrieblichen Realität entfernt ist.

     

    2.2 Schätzungsbefugnis Volksfest und Veranstaltung Familienfeiern

    Bei den Einnahmen aus Volksfest und Familienfesten ist eine Schätzungsbefugnis wegen erheblicher Aufzeichnungsmängeln gegeben. Bei den Volksfesten wurden die Tageseinnahmen-Summen nicht durch tägliches tatsächliches Auszählen mit fortlaufendem Kassenbericht ermittelt. Insofern sind diese Aufzeichnungen formell nicht ordnungsgemäß.

     

    Bei den Familienfeiern waren dem Antragsteller die Namen seiner Geschäftspartner bekannt, sodass auch unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten eine Einzelaufzeichnung hätte erfolgen müssen.

    3. Keine sachgerechte Schätzung

    Der BFH betont nochmals, dass seine bisherigen Anforderungen an einen Zeitreihenvergleich auch bei der Vornahme von Quantilsschätzungen zu beachten sind (BFH 25.3.15, X R 20/13). Danach ist der Zeitreihenvergleich, wenn keine materiellen Fehler der Aufzeichnung feststellbar sind, nachrangig zu anderen Schätzungsmethoden. Das Finanzamt hat im Streitfall nicht dargelegt, dass andere Schätzungsmethoden ‒ insbesondere eine Geldverkehrsrechnung ‒ nicht geeignet sind. Zudem hat der BFH erhebliche Zweifel, dass die Quantilsschätzungs-Software des Finanzamtes tatsächlich zu Schätzungswerten gelangt, die „am wahrscheinlichsten“ sind.

     

    Dabei hebt der BFH hervor, dass es sich bei der Quantilsschätzung lediglich um eine geänderte Interpretation der Ergebnisse der Variante des Zeitreihenvergleichs handelt, die der Entscheidung vom 25.3.15 zugrunde lag. Es wird immer ein überhöhter Wert durch diese Schätzungsmethode ermittelt. Auch bei Ausscheiden von 20 % der höchster Einzelwerte liegt nämlich das Ergebnis immer noch höher als der mathematische Mittelwert.

     

    Des Weiteren ist überhaupt nicht sicher, ob der Betriebsprüfer anhand seiner sehr groben Ermittlung des monatlichen Rohgewinnaufschlagssatzes geeignete Ausgangswerte für eine Gauß‘sche Normalverteilung im Bereich von etwa 68 % der Datensätze unterbreitet hat. Auch bezweifelt der BFH, ob der Rohgewinnaufschlagssatz überhaupt der Gauß‘schen Normalverteilung folgt und ob die 36 Monatswerte überhaupt einen solchen Umfang von Daten darstellen, dass die Gauß‘sche Normalverteilung sinnvoll angewandt werden kann.

     

    Zudem hat das Finanzamt nicht berücksichtigt, dass während des Prüfungszeitraums eine Preiserhöhung um 26 % stattfand, somit liegt kein weitgehend konstanter Wareneinsatz mehr vor, was gegen die Anwendung des Zeitreihenvergleichs spricht (BFH 25.3.15, X R 20/13, BStBl II 15, 743, Rn. 56).

    4. Zusammenfassung

    Die Finanzverwaltung hat im Hinblick auf den Zeitreihenvergleich eine weitere Niederlage erlitten. Der BFH hat derart grundlegende Zweifel an der Methode geäußert, dass die begründete Hoffnung für die Steuerpflichtigen besteht, dass auch in der Hauptsache entsprechend nachteilig für die Finanzverwaltung entschieden wird.

    Quelle: Ausgabe 09 / 2017 | Seite 228 | ID 44843691