· Fachbeitrag · Unternehmen in der Krise
Steuerberatung vor, in und nach der Krise - BGH entwickelt neue verschärfte Kriterien
von Prof. Dr. Peter Knief, Köln
| Unternehmen können durch strategische Fehler schleichend in eine Krise geraten. Dies kann durch externe Einflüsse plötzlich, durch Marktveränderungen ohnehin, durch interne Anlässe, Krankheit oder plötzlichen Tod passieren. Der Steuerberater als permanenter Begleiter der KMU muss sein Beratungsangebot und sein Wissen ständig an diese Situationen anpassen. Versäumt der Berater, seinen Mandanten in der Krise entsprechend zu beraten, gerät er nach der neuesten BGH-Rechtsprechung ( 26.1.17, IX ZR 285/14 ) schneller in die Haftung als bisher. |
1. Was galt bislang?
Bisher galt nach Auffassung des BGH (7.3.13, IX ZR 64/12; 6.6.13, IX ZR 204/12), dass in einem allgemeinen steuerlichen Beratungsmandat keine generelle Hinweispflicht des Beraters auf eine Überschuldung besteht. Nur in dem Fall, dass der Berater dennoch eine Auskunft dahingehend erteilt, dass keine Überschuldung vorliegt, handele es sich um keine reine Gefälligkeit, sondern um eine vertragliche Leistung, für deren Richtigkeit der Steuerberater haftet. An dieser Rechtsauffassung hält der BGH nun nicht mehr fest.
2. Neue Haftungs- und Hinweispflicht des Steuerberaters
Nach dem aktuellen Urteil des BFH (26.1.17, IX ZR 285/14) ist der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater verpflichtet, zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können.
Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln (Ergänzung zu BGH WM 2013, 802 und BGH WM 2013, 1323).
Dabei setzt eine Haftung des Steuerberaters voraus, dass der Jahresabschluss angesichts einer bestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft objektiv zu Unrecht von Fortführungswerten ausgeht.
Beachten Sie | Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat den Mandanten auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht des Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife dem Mandanten nicht bewusst ist (teilweise Aufgabe von BGH WM 2013, 802).
3. Pflichten des Steuerberaters
Mit seinem aktuellen Urteil (BGH 26.01.17, IX ZR 285/14) vollzieht der BGH eine beachtliche Wende seiner Auffassung. Aus der Sicht des Verfassers ist diese neue Sicht die einzig richtige.
Nickert sieht darin eine Haftungsfalle bei Krisen-Mandanten (Nickert, C., in Kanzlei Nickert, Berater Blog, 23.2.17, 09.34 Uhr: Haftungsfalle Krisenmandant - BGH verlangt vom Steuerberater Hinweise auf Insolvenzgründe). Es ist aber mehr! Es kann auch ein Beratungsdefizit bedeuten: Wer die Kenntnisse nicht hat, muss das Mandat aufgeben.
- Der Steuerberater muss sich zu einem Krisenberater entwickeln. Diese Aktivität darf er aber nicht erst entwickeln, wenn eine Krise eingetreten ist. Die Aktivitäten müssen permanent vorhanden sein.
- Es liegt für den Steuerberater nahe, dass er auf bei der Prüfung der Unterlagen bei der Bilanzerstellung offenkundige Umstände hinweist, die für den Mandanten Pflichten nach §§ 17 ff. InsO (Rn. 46) begründen können.
- Eine bloße Warnung des Steuerberaters reicht nicht aus, wenn diese nur auf mögliche allgemeine Insolvenzgründe hinweist (Rn. 49).
- Der Steuerberater muss alle entsprechenden betriebswirtschaftlichen Indizien gegenüber seinen Mandanten einzeln bezeichnen und konkret darauf hinweisen, dass diese Indizien ausreichend für eine Prüfung der Insolvenzreife sind. Das entsprechende Insolvenzgutachten darf der Steuerberater nicht fertigen.
- Der BGH geht nicht auf die Pflichten des Steuerberaters bei der laufenden Beratung ein: Es liegt aber aus dem Verständnis des Urteils heraus nahe, dass der Steuerberater sein Beratungsverhältnis auch als dauerhafte betriebswirtschaftliche Beratung verstehen soll.
- Der BHG geht von einem Prognosezeitraum von 12 Monaten aus.
- Gerät das Unternehmen nach betriebswirtschaftlichen Indizien und Hinweisen in eine Überschuldung oder geht einer solchen entgegen, so wird eine Bilanz mit den möglichen Insolvenzgründen „Überschuldung“ oder „Illiquidität“ falsch.
- Für die Zukunft wird jeweils zu klären sein, inwieweit eine mögliche Pflichtverletzung ursächlich geworden ist für zum Beispiel eine unterlassene oder verspätete Insolvenzanmeldung. Hier werden die Insolvenzverwalter versuchen, ihren „Blutzoll“ rechtlich beim die Beratung unterlassenden Steuerberater einzutreiben.
- Der steuerberatende Beruf hat nun neue Handlungspflichten nach den §§ 17 ff. InsO aus § 252 Abs. 1 S. 2 HGB.
3. Was sind betriebswirtschaftliche Indizien
Der BGH fordert ernsthafte betriebswirtschaftliche Kenntnisse des steuerberatenden Berufs bis hin zur Beweiserhebung in Haftungsprozessen: Solche Indizien ergeben sich nicht nur bei der Bilanzerstellung und der entsprechenden Bewertung der Wirtschaftsgüter, sie ergeben sich bereits unterjährig im Laufe des Geschäftsjahrs: Der Begriff wirtschaftliche Lage ist ein dynamischer Begriff. Er zeugt von einem Prozess, bei dem nicht immer erst der Bilanztermin abgewartet werden kann und darf; so werden hier nur beispielsweise entsprechende Begriffe aufgezählt:
Permanente Verluste mindern das Eigenkapital bereits im Laufe des Jahres. Zu irgendeinem Stichtag der Vergangenheit ist dann unterjährig Überschuldung eingetreten. Es gilt diesen Zeitpunkt zu ermitteln, mindestens durch einen permanenten unterjährigen Vergleich der GuV-Zahlen.
Solche unterjährigen Indizien sind: Fehlentwicklungen beim Cashflow, beim Working Capital, in der Eigenkapitalrentabilität, der Fremdkapitalverzinsung und des sich daraus ergebenden positiven oder negativen Leverage-Effekts, die Beobachtung von faulen Forderungen, die Darstellung stiller Reserven, das Unterlassen notwendiger auch unterjähriger Rückstellungen, bestimmte Kostenrelationen, fehlerhafte oder unterlassene Berücksichtigung von Unternehmerlöhnen bei Personengesellschaften, die Darstellung der Wertschöpfung, des EBITDA, des EBT sowie des EBT, die exakte Berechnung der Steuern, des nicht entnommenen Gewinns. Die ca. 30 Kennzahlen müssen unterjährig analysiert und betrachtet werden, sie verändern sich in der Krise häufig rasant in sich verschlechternde Richtungen. Diese Kennzahlen sind ohne Diskussion offenkundige Umstände, auf die in Zukunft auch der Steuerberater hinweisen muss.
Es sind also auch Bewegungs-Zahlen von Bilanzwerten, welche permanent beobachtet werden müssen. Der BGH spricht von einer „regelmäßigen“ Überprüfung der Zahlungsfähigkeit (S. 4 des Urteils).
Es leuchtet ein, dass eine solche Krisenberatung nicht mit der Standard-BWA Nr. 1 vollzogen werden kann. Hier gewinnen die individuellen unterjährigen betriebswirtschaftlichen Auswertungen an Gewicht - sie sind das einzige Instrument.
4. Notwendige betriebswirtschaftliche Auswertungen
Die Kritik an der über 50 Jahre alten, fachlich überholten Standard BWA Nr. 1 muss nicht mehr gebetsmühlenartig wiederholt werden: Sie berücksichtigt nicht den § 238 HGB, sie eignet sich nicht für die betriebswirtschaftliche Beratung, auch nicht für eine Beratung mit der Kreditwirtschaft - hier gibt es keine öffentlich vorgetragenen Gegenauffassungen mehr, weder vom Steuerberaterberuf, den öffentlich-rechtlichen Kammern, Unternehmen oder anderen Dritten: Selbst die BWA-Erzeuger wie die Rechenzentren sind mittlerweile still.
Der anspruchsvolle Steuerberater muss seinen Mandanten entsprechende individuelle BWA anbieten, die diese verstehen und deren Geschäftspartner (Banken) fachlich überzeugen. Krisenberater können mit der Standard-BWA nichts anfangen. Alle individuellen BWA sind auf der Homepage des Verfassers anzusehen (vgl. www.peter-knief.de).
- Für kleine KMU mag die erheblich entdichtete „BWA SLY“ reichen: Sie gibt dem Laien ein lesbares Bild der wirtschaftlichen Lage, die vom Dreijahresvergleich bis zur Dreizehnmonatsgrafik sehr verständlich eine beratungswürdige Entwicklung darstellt (vgl. Knief, P., Der dringende Ersatz der DATEV-Standard-BWA durch eine „BWA SLY“, in DStR 2015, S. 86 ff.).
- Die „BWA MINDESTANALYSE“ sagt vom Namen her genug (vgl. BBP 16, 278 „ Seit 50 Jahren regiert die Standard-BWA - Die Zeit ist reif für mehr“ sowie Knief, P., Anspruchsvolle Ratingverfahren bedürfen einer neuen „BWA Mindestanalyse“, in Kredit, Rating & und Praxis, St. Gallen 2017, Heft 1 S. 2 ff.): Ebenfalls auf nur 2 Blättern wird einerseits eine befriedigende Darstellung der GuV bis zum CASHFLOW und zur Wertschöpfung geboten. Auf Blatt 2 wird eine Kurzbilanz abgerufen, die Eigenkapitalrendite, das Working Capital und sein Umschlag. Hier finden sich erste Ansätze einer Digitalisierung.
- Eine sog. „BWA TRANSPARENZ“ über 10 Blätter mag auf den ersten Blick etwas zu umfänglich erscheinen, aber die Ermittlung der oben zitierten ca. 30 Kennzahlen ist zurzeit qualitativ nicht zu übertreffen (vgl. Knief, P., BWA Transparenz, Der Beginn einer intelligenten Digitalisierung des Rechnungswesens für KMU und ERP-Anwender, in DER BETRIEB 2017, voraussichtlich April 2017). Die Grafiken wie auch der 2- und 3-Jahresvergleich demonstrieren: Es gilt, Qualität geht vor einfacher statistischer Auswertung.
Für die Beratung und die Analyse einer sich abzeichnenden Unternehmenskrise sind die Installationen von individuellen BWA (z. B. BWA Finanzinformation, BWA Kapitaldienstgrenze, BWA Wertschöpfung, BWA Status wie die schon erwähnten BWA) auch schon vor der Krise Pflicht. Mit ihnen kann der Steuerberater eine sich entwickelnde Überschuldung erkennen. Diese BWA und die enthaltenen Kennzahlen sind Indizien genug, eine Überschuldungsprüfung in Auftrag zu geben (BGH 7.3.13, IX ZR 64/12 und WM 2013, 802 Rn. 21).
5. Haftungsfragen
Die entstehenden Haftungsprobleme bei fehlerhafter Indizienanalyse will ich den Juristen überlassen - ohne Zweifel existieren diese. Spätestens in 2019, wenn über XBRL auch die BWA an die Kreditwirtschaft übertragen werden, und damit auch die „Fehler“, steigt noch einmal das Haftungsvolumen. Der Steuerberater selbst muss durch Fortbildung „oder Auslassen des Themas“ versuchen, dass keine Haftungsfallen entstehen.