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  • 01.09.2004 | Aktuelle Rechtsprechung

    Vorsicht bei der Verordnung von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln!

    von Rechtsanwälte Dr. Marion Wille und Sören Kleinke, Kanzlei Kleinke, Osnabrück

    In Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel werden auch dann nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet, wenn diese in einem anderen EU-Staat zugelassen sind. Zu diesem Ergebnis kam das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 18. Mai 2004 (Az: B 1 KR 21/02 R - Abruf-Nr.  042333 - schriftliche Urteilsbegründung liegt zur Zeit noch nicht vor; wird nach Erscheinen online gestellt). In diesem Zusammenhang stellt sich für Chefärzte die Frage, worauf man achten muss, wenn trotzdem ein in Deutschland nicht zugelassenes Arzneimittel verordnet werden soll. Bedenken Sie aber: Die folgenden Ausführungen gelten nicht für die Erprobung neuer Arzneimittel in klinischen Studien.

    In welchen Fällen finden diese Arzneimittel Anwendung?

    Gerade im Bereich der Onkologie, der Aids- oder Krebstherapie, aber auch in anderen Teilbereichen der Medizin, kommt es zum Einsatz nicht in Deutschland zugelassener Arzneimittel, da die Patienten nach den Grundsätzen der Schulmedizin "austherapiert" sind. Die Verschreibung erfolgt aus einer Notsituation heraus, da diese Arzneimittel oft die letzte Hoffnung der sterbenskranken Menschen auf eine Heilung oder Linderung der Krankheit sind. Diese Fallgruppe wird als "compassionate-use" bezeichnet. Sie ist von dem wohl besser bekannten "off-label-use" dadurch abzugrenzen, dass bei letzterem nur ein indikationsübergreifender Einsatz eines an sich für den deutschen Markt zugelassenen Arzneimittels erfolgt.

    Das BSG-Urteil im Einzelnen

    Während der "off-label-use" eines Arzneimittels unter bestimmten Grundsätzen einer Erstattungsfähigkeit des Arzneimittels nach dem SGB V nicht entgegensteht, werden in Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel auch dann nicht von den gesetzlichen Krankenversicherungen erstattet, wenn diese in einem anderen EU-Staat zugelassen sind - so das BSG-Urteil.

    Die Richter betonten in ihrer Urteilsbegründung dabei, dass zwar eine Einfuhr eines in einem anderen EU-Staat zugelassenen Arzneimittels zum Eigengebrauch arzneimittelrechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Zulassung in einem EU-Mitgliedstaat sei aber arzneimittelrechtlich nicht ohne weiteres für alle anderen Mitgliedsstaaten maßgebend. Wolle der an einem europaweiten Absatz interessierte Händler eine solche Wirkung erreichen, sei er auf eine zentrale Zulassung bei der Europäischen Zulassungsbehörde sowie auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung angewiesen. Da die Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienten, gebiete auch die europarechtliche Waren- und Dienstleistungsfreiheit keine andere Bewertung. Die Grundsätze zum "off-label-use" seien nicht heranzuziehen, da diese Arzneimittel das Zulassungsverfahren durchlaufen hätten und somit von der zuständigen Behörde bereits auf Unbedenklichkeit und Qualität - wenn auch für eine andere Indikation - geprüft worden seien.

    Fazit

    Dieses Urteil gilt wohl erst Recht für gar nicht oder zumindest nicht in den EU-Mitgliedstaaten zugelassene Arzneimittel. Zwar ist verständlich, dass die Richter an dem grundsätzlichen Erfordernis einer arzneimittelrechtlichen Zulassung festhalten und eine Umgehung durch die Hersteller vermeiden wollten. Es ist jedoch fraglich, ob Gründe der Arzneimittelsicherheit eine so ausnahmelose Regelungen erfordert hätten. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Arzneimittelhersteller auf Grund eines daraus möglichen Umsatzrückgangs ermutigt fühlen, die Kosten für eine Zulassung im deutschen Raum aufzubringen.

    Auch die gesetzlichen Krankenkassen werden zukünftig unter Berufung auf das Urteil eine Erstattung der Kosten für die Anwendung eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels ablehnen.

    Wichtige Hinweise für den Chefarzt:

    Die Anwendung des nicht zugelassenen Arzneimittels ist weiterhin rechtlich nicht verboten und kann aus ärztlicher Sicht im Einzelfall sogar geboten sein. Letzteres ist der Fall, wenn die strafrechtlichen Regelungen über den Notstand dies zulassen. Regelmäßige Voraussetzung ist daher die Bedürftigkeit des Empfängers auf der einen Seite, und die nichtexistierende oder relativ geringe Gefahr für die Regelungen des Arzneimittelsmarkts auf der anderen Seite.

    Soweit die Anwendung des Arzneimittels auf Grund bereits durchgeführter klinischer Prüfungen im In- oder Ausland einen Heilungs- oder einen Linderungserfolg verspricht und der Patient mit den üblicherweise zu Verfügung stehenden Mittel austherapiert ist, kann daher im Einzelfall auch die Anwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittel geboten sein. In einem solchen Fall sind aber auch an die therapeutische Aufklärung erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Patient muss zwingend über die spezifischen Arzneimittelrisiken informiert werden.