· Fachbeitrag · Arbeitszeitmodelle
„Wenn Gleichstellung erreicht wird, leben Männer länger!“
| Einer Studie der PricewaterhouseCoopers AG zufolge fehlen im Jahr 2020 in Deutschland 56.000 Ärztinnen und Ärzte, 2030 sogar 165.000 Vollzeitkräfte. Ein Lösungsansatz wäre, die Arbeitswelt im Krankenhaus stärker an den Bedürfnissen von Frauen auszurichten, so Prof. Dr. med. Sylvia Stracke, Leiterin Nephrologie, Dialyse und Hochdruckkrankheiten an der Klinik für Innere Medizin A der Universitätsmedizin Greifswald. Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) fragte sie zu Arbeitszeitmodellen in der Nephrologie. |
Frage: Seit Jahren studieren mehr Frauen als Männer Medizin. Wo ist das Problem?
Antwort: Der Arbeitsmarkt orientiert sich noch zu sehr an den Bedürfnissen der Männer. Er bietet im Wesentlichen das Ein-Mann-Verdiener-Modell oder das Zuverdiener-Modell an. Diese Rollenmodelle passen heute nicht mehr. Der medizinische Fachkräftenachwuchs ist weiblich. Frauen wünschen Arbeitszeitmodelle, mit denen sie Familie und Beruf vereinbaren können.
Frage: Ginge es auch umgekehrt. Sie ist Ärztin, er Hausmann?
Antwort: Wir wissen aus Studien, dass das nicht gut klappt. In diesen Partnerschaften kümmert die Frau sich oftmals weiterhin um Küche und soziale Kontakte. Sie hat also eine doppelte Belastung. Es bringt nichts, nur die Rollen zu tauschen. Das System muss sich ändern.
Frage: Was wäre die Alternative fürs Krankenhaus?
Antwort: Das Erwerbs- und Sorgearbeits-Modell beschreibt Partnerschaften, in denen beide PartnerInnen etwa zu 80 Prozent arbeiten und Dienstleistungen, z. B. zur Kinderbetreuung oder im Haushalt, in Anspruch nehmen. Die Politik hat längst erkannt, dass Rahmenbedingungen entstehen müssen, damit Arbeit für Männer und Frauen gleichermaßen attraktiv ist. Dies wurde so auch im Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung formuliert. (Anm. d. Red.: online unter iww.de/s7025 )
Frage: Lässt sich das im Krankenhaus realisieren?
Antwort: Wir haben bei uns in der Nephrologie beispielsweise ein Ehepaar, das sich Beruf und Familie teilt. Sie war für ein Jahr in Elternzeit, nun ist er für neun Monate zu Hause. Anschließend möchten beide etwa 30 Stunden pro Woche arbeiten. Eine andere Oberärztin in unserer Abteilung arbeitet zu 95 Prozent Teilzeit. Sie möchte mit ihrer Stundenzahl ein Zeichen setzen: Sie geht wirklich nach Hause, wenn die Zeit gekommen ist. Ein Modell wäre auch das Topsharing, bei dem sich zwei Führungskräfte eine Position teilen. Häufig sind dies zwei Frauen, es gibt aber auch Beispiele von Topsharing mit Beteiligung eines Mannes. (Anm. d. Red.: Interview mit zwei Chefärztinnen im CB 03/2019, Seite 14 )
Frage: Sind flexible Arbeitszeiten der Schlüssel gegen den Fachkräftemangel?
Antwort: Nur wenn man jungen MedizinerInnen Perspektiven bietet, Familie und Beruf zu vereinbaren, lässt sich der Fachkräftemangel abfangen. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat dazu ein Papier veröffentlicht, in dem es z. B. um Jokerdienste geht, bei denen Personen flexibel eingesetzt werden (online unter iww.de/s7026 ). Es gibt individuelle Jahresarbeitszeitkontingente. Seit Januar 2019 haben wir die neue Brückenteilzeit, die bis zu fünf Jahre gelten kann, wenn MitarbeiterInnen z. B. Angehörige pflegen. Hilfreich ist auch, wenn die MitarbeiterInnen ihren Dienstplan in einem Modulsystem selbst mitgestalten können.
Frage: Bei allen neuen Arbeitszeitmodellen müssten die Männer mitziehen. Wollen Ärzte das?
Antwort: Es ist essenziell, dass die Männer sich beteiligen. An der jungen Generation von Medizinern sehen wir, dass das Interesse da ist. Nur 15 Prozent der Männer würden Teilzeit gar nicht akzeptieren. Die Männer hätten auch etwas davon: Sie leben länger, wenn Gleichstellung erreicht wird. Dies geht aus einer aktuellen Studie hervor, die im Bundesgesundheitsblatt veröffentlicht wurde (online unter iww.de/s7029 ). Die Lebenserwartung der Frauen bleibt übrigens wie sie ist.
Frage: Die Politik arbeitet schon lange an der Gleichstellung der Geschlechter. Warum kommt sie in Krankenhäusern so langsam an?
Antwort: Die Medizin ist sehr hierarchisch organisiert und männlich dominiert. Es kann sein, dass die Innere Medizin und insbesondere die Nephrologie konservativer als andere Fachrichtungen sind. In der Inneren Medizin liegt der Frauenanteil bei 35 Prozent. Wir sehen in der akademischen Laufbahn ein starkes Gefälle. Zunächst beginnen mit mittlerweile fast 70 Prozent deutlich mehr Frauen als Männer mit dem Studium der Humanmedizin. Bei den Promotionen ist das Verhältnis zueinander noch etwa ausgeglichen. Bei den Habilitierten sind dann nur noch 32 Prozent weiblich, und nur 12 Prozent der Professuren sind mit Frauen besetzt. In der Nephrologie haben wir keine einzige Ordinaria mit einer W3-Professur.
Frage: Schauen wir noch auf die Pflegekräfte. Wie ist der Frauenanteil dort?
Antwort: Der Frauenanteil in der stationären Pflege liegt bei 84 Prozent, in Leitungsfunktionen jedoch nur bei 47 Prozent. Interessant finde ich Ihre Frage nach den „Pflegekräften“. Früher haben wir nur von Krankenschwestern gesprochen. Schon wenige Männer haben gereicht, um das Wort „Pflegekräfte“ zu etablieren. Umgekehrt funktioniert das nicht. Frauen werden in der deutschen Sprache immer noch zu selten berücksichtigt. In der DGfN wird dieses Thema derzeit diskutiert. Die AWMF hat für ihre 180 Fachgesellschaften bereits die Verwendung des Gendersterns empfohlen.