· Fachbeitrag · Grenzverletzungen
Sexuelle Belästigung im Krankenhaus: Wege aus der Tabuzone zur Prävention
von Alexandra Buba M. A., Wirtschaftsjournalistin, Fuchsmühl
| Sexuelle Belästigung und übergriffiges Verhalten können in Krankenhäusern und Kliniken besonders häufig stattfinden, weil der enge körperliche Kontakt und starke Hierarchien dies erleichtern. Wie es gelingt, dem tabuisierten Konfliktfeld strukturiert in der Klinik zu begegnen, zeigt das Beispiel der Berliner Charité, die sich schon seit 2015 des Themas annimmt und einen Null-Toleranz-Ansatz verfolgt. |
Grenzverletzungen weit verbreitet
Die Frage ist nicht, inwieweit sexuelle Belästigung stattfindet, sondern ob und in welcher Form sie offenkundig wird. Letzteres bestimmt darüber, wie sich die Kultur im Umgang mit Grenzverletzungen entwickelt ‒ und wie oft diese in Zukunft stattfinden werden. Diese Schlüsse lassen sich aus dem Umgang ziehen, den sich die Berliner Charité zum Thema „sexuelle Belästigung“ vorgegeben hat: Nach einer anonymen Befragung von rund 750 Ärztinnen und Ärzten im Jahr 2015 war zu Tage getreten, dass 70 Prozent der Befragten im Laufe ihres Arbeitslebens bereits eine Form der Belästigung erfahren hatten.
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Als die Charité 2015 ihre Umfrage durchführen ließ, tat sie dies, weil internationale Studien auf ein erhöhtes Risiko im medizinischen Bereich hindeuteten. Bei den Ergebnissen im eigenen Haus fiel dann Folgendes auf:
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Die Konsequenz war ein Null-Toleranz-Ansatz mit klarer Ansage: „Wir als Vorstand der Charité tolerieren keine Form von sexueller Belästigung und vergleichbaren Grenzverletzungen ‒ ob in der Klinik, im Institut, im Seminarraum oder im Verwaltungsbereich“, erklärte der Vorstandsvorsitzende damals.
Stufenweises Vorgehen im Null-Toleranz-Ansatz
Die Charité hat daraufhin seit 2016 zahlreiche Präventionsmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ergriffen und 2017 eine Richtlinie zur Vorbeugung von Grenzverletzungen verabschiedet. Mehrere Jahre später verfügt die Charité heute über ein standardisiertes Ablaufschema im Umgang mit Übergriffen, um in jedem Fall angemessen reagieren zu können. „Das ist wesentlich, da die Betroffenen oftmals zweierlei grundlegende Dinge nicht wissen: Das ist zum einen die Frage, ob das, was ihnen passiert ist, nun wirklich so schlimm war oder nur ihre eigene Empfindlichkeit und zweitens, an wen sie sich damit überhaupt wenden könnten“, erklärt die zentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité, Dr. Christine Kurmeyer.
Tatsächlich bewegt sich sexuelle Belästigung in einem Graubereich, „auch wenn wir immer nur das Bild des ‚Busengrapschers‘ im Kopf haben“, erklärt Dr. Kurmeyer. Die als peinlich empfundene Schlüpfrigkeit bei der Beschäftigung mit den Problemen führe ins Tabu und habe in vielen Krankenhäusern und Abteilungen eine Tradition der Vertuschung und Abwiegelung etabliert.
Betroffene bestätigen, Unrechtsbewusstsein wecken
Dieser entgegenzutreten, ist Chef- und Chefinnenaufgabe. So gelte zunächst, Sensibilität dafür zu schaffen, dass bereits Anstarren, Hinterherpfeifen und anzügliche Bemerkungen zur falschen Zeit Grenzverletzungen darstellen können. Damit die Betroffenen für sich klären können, dass das, was ihnen passiert ist, nicht in Ordnung war, benötigen sie eine feste Anlaufstelle im Haus.
In der Charité werden in einem strukturierten Verfahren nach diesem ersten Gespräch, in dem die betroffene Person die entsprechende Bestätigung erhält, Maßnahmen besprochen. Will die Person die Dinge selbst regeln? „Das ist häufig sinnvoll, weil die Betroffenen dadurch das Gefühl bekommen, aus der Opferrolle herauszutreten“, erklärt Dr. Kurmeyer. Manchmal, insbesondere wenn die Vorfälle schwerwiegender sind, kann es aber auch sinnvoll sein, wenn die dafür benannte Stelle mit dem Verursacher spricht oder in einer weiteren Eskalationsstufe andere Vorgesetzte zu einem Disziplinargespräch hinzugezogen werden. „Es geht darum, deutlich zu machen, was so schlimm war, denn das Unrechtsbewusstsein ist nicht weit verbreitet“, sagt Dr. Kurmeyer.
Letzte Eskalationsstufe für gravierende Fälle
In besonders gravierenden Fällen folgt in einer letzten Eskalationsstufe die Weiterleitung an die Personalverantwortlichen. Gegenüber Patienten und Patientinnen, die übergriffig werden, kann im Zweifel Hausverbot ausgesprochen werden. Um den Eigenschutz der Mitarbeitenden zu stärken, hilft es, in heiklen Situationen unmittelbar einen Kollegen oder eine Kollegin hinzuzuholen.
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