· Fachbeitrag · Interview
„Der Chefarzt sollte sich als Projektverantwortlicher ein eindeutiges Spielfeld abstecken“
| Worauf müssen Chefärzte konkret achten, wenn sie für ein Veränderungsprojekt verantwortlich sind und es im Klinikalltag erfolgreich umsetzen möchten? Im Gespräch erläutert Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, was es zu beachten gilt und wo die meisten Fallstricke lauern. Das Interview führt CB-Redakteur Dr. Lars Blady. |
Dr. Lars Blady (Redakteur): Was muss ein Chefarzt tun, um seine Rolle als Projektverantwortlicher aktiv auszufüllen?
Dipl.-Päd. Werner Fleischer: Als erste Maßnahme sollte er gemeinsam mit seinem Geschäftsführer ein eindeutiges Spielfeld abstecken, auf dem er agieren kann. Dazu müssen alle Eckpunkte geklärt und Ziele, Zeitplan, Personalbedarf und Budget des Projekts definiert sein. In der Praxis werden hier sehr viele Fehler gemacht, wie folgendes Beispiel zeigt:
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Die Geschäftsführung fordert von einem Chefarzt, ein Konzept zur Optimierung der Verweildauersteuerung zu entwickeln. Der Chefarzt übernimmt das Projekt nur sehr widerwillig, denn er hat mit der Zertifizierung noch ein weiteres wichtiges Projekt, für das er zuständig ist und das er neben seiner Verantwortung als Chefarzt betreuen muss. Hinzu kommt, dass seine Oberärzte an der Kapazitätsgrenze arbeiten und er keines der Projekte delegieren kann. Daher identifiziert er sich nicht wirklich mit dem Verweildauer-Projekt und füllt seine Rolle als Projektverantwortlicher so gut wie gar nicht aus. Das Projekt dümpelt vor sich hin. |
Will ein Chefarzt seiner Projektleiterrolle gerecht werden, sucht er in dieser Situation das Gespräch mit der Geschäftsleitung, klärt mit ihr die Prioritäten der laufenden Projekte und verhandelt den realistischen Start des neuen.
Redakteur: Ein gut funktionierender Informationsfluss ist ein wichtiger Erfolgsfaktor in allen Phasen eines Change-Management-Prozesses. Wie sieht in der Praxis eines Klinikprojekts eine wirksame Informationsstrategie aus?
Werner Fleischer: In Projekten wird häufig verkannt, wie wichtig eine wirksame Informationsstrategie ist - z. B. bei der Fortsetzung des Beispielsfalls. Von vornherein werden zu wenig Informationen beim Geschäftsführer abgefragt - z. B. über die Hintergründe, warum das Projekt gerade jetzt ins Leben gerufen wird und wie es innerhalb des Krankenhauses verankert und verzahnt werden soll. Im weiteren Verlauf werden beteiligte Mitarbeiter zu spärlich informiert. Das erzeugt Unruhe und Sorgen bei jedem Einzelnen. In Gesprächen im Kollegenkreis multiplizieren sich diese Stimmungen, was wiederum den Klinikalltag massiv belastet. Diese grundlegenden Fehler beobachte ich in der Praxis sehr häufig. Eine wirksame Informationsstrategie setzt hingegen voraus, dass der Chefarzt im ersten Schritt alle erforderlichen Hintergrundinformationen mit der Geschäftsführung abstimmt. Dann stellt er ein Projektteam zusammen, das alle beteiligten Mitarbeiter und den Kompetenzbedarf berücksichtigt. In einem Kick-off-Meeting stellt er die Ziele und den Rahmen des Projekts vor und legt mit dem Team die Projektschritte entlang der Zeitachse fest. Wichtig: Alle Mitarbeiter verstehen den Sinn des Projekts, sonst entfremden sie sich davon. Ihnen muss im Beispielsfall vermittelt werden, dass die Optimierung der Verweildauer die wirtschaftliche Situation ihrer Klinik maßgeblich mitbestimmt.
Redakteur: Ziele sind sehr wichtig, damit ein Veränderungsprozess gelingt. Im Klinikalltag erscheint es aber abstrakt, Ziele festzulegen. Welche Beispiele zeigen, dass konkrete Ziele trotzdem eine Wirkung entfalten?
Werner Fleischer: Wenn wir bei dem Beispielsfall bleiben, kann das übergeordnete Ziel lauten: „Je Indikation wird die Einhaltung der durchschnittlichen Verweildauer angestrebt. Diese muss einen Tag unter der mittleren Grenzverweildauer liegen.“ Ausgeschlossen sind hierbei notwendige medizinische oder soziale Indikationen, die bewusst abgestimmt werden und zu einer Verlängerung der Verweildauer führen.
Am Anfang des Veränderungsprozesses wird zunächst die Ist-Situation analysiert. Dabei werden folgende Fragen beantwortet: Wo lagen die durchschnittlichen Verweildauern der Top-20-Indikationen in den vergangenen drei Quartalen? Bei welchen Indikationen besteht ein besonderer Handlungsbedarf? Bei welchen Indikationen gab es MDK-Anfragen? Anschließend werden konkrete Meilensteine anhand einer Zeitleiste definiert, die für das Erreichen des Projektziels wichtig sind. Die Meilensteine könnten so aussehen:
- In den nächsten vier Wochen wird schon bei Aufnahme eines Patienten mit einer Top-20-Indikation die geplante Verweildauer in die Akte eingetragen. Bei jeder Visite wird geprüft, ob sie eingehalten werden kann. Am Vortag der geplanten Entlassung wird festgestellt, ob die Verweildauer verlängert werden muss. Dann wird eine genaue Begründung dokumentiert.
- Die Top-20-Indikationen werden ausgewertet und nachgesteuert: Wie oft musste die Verweildauer verlängert werden und aus welchen Gründen? Welche Maßnahmen zur Nachsteuerung können getroffen werden?
- Start einer dreimonatigen Pilotphase: Dabei werden alle Indikationen einbezogen und sämtliche Maßnahmen zur Nachsteuerung berücksichtigt.
- Evaluation der dreimonatigen Pilotphase: Was haben wir gelernt? Wie müssen wir nachsteuern?
- Umsetzung des Projekts und regelmäßige Überprüfung.
Redakteur: Werden alle Beteiligten in den Veränderungsprozess mit einbezogen, erhöht dies die Identifikation mit dem neuen Projekt und verringert Widerstände. Wie kann ein Chefarzt seine Mitarbeiter beteiligen, ohne dass der Eindruck entsteht, es handele sich um eine rein kosmetische Maßnahme?
Werner Fleischer: Damit ein Veränderungsprojekt gelingt, müssen die Beteiligten umfassend informiert und ihnen die einzelnen Projektschritte dargelegt werden. Dabei sollten Bedenken immer ernst genommen und positiv in den Prozess eingebaut werden. Für Mitarbeiter ist es häufig schwer, sich die konkrete Umsetzung vorzustellen. Sie fürchten zusätzliche Arbeit oder Unordnung in ihren Arbeitsabläufen.
Um diese Sorgen abzufedern, sollten Chefärzte mit ihren Mitarbeitern über ihre Zweifel reden und mit ihnen gemeinsam überlegen, welche Gegenmaßnahmen sinnvoll sind. Wichtig: Chefärzte müssen verstehen, dass sie ihre Mitarbeiter brauchen, um das Projekt erfolgreich umzusetzen. Hören Sie Ihren Mitarbeitern aktiv zu und gehen Sie auf deren Bedenken ein! Wer auf Konfrontationskurs geht oder gegen Widerstände der Mitarbeiter anarbeitet, gefährdet den Projekterfolg akut.
Redakteur: Zu guter Letzt trägt die Entwicklung der Mitarbeiter zum Erfolg eines Veränderungsprozesses bei. Gibt es aus Ihrem Beratungsalltag ein Beispiel für umsichtige Personalentwicklung, die auf Bedürfnisse der Klinik ebenso eingeht wie auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter?
Werner Fleischer: Unter „Personalentwicklung“ versteht man ja die Entwicklung aller Mitarbeiter, um sie auf anstehende Herausforderungen vorzubereiten. Zudem fällt unter diesen Begriff die Förderung von Mitarbeitern mit Potenzial, damit sie höherwertige Aufgaben oder gar Führungstätigkeiten übernehmen können. Eine gezielte Personalentwicklung ist für viele Kliniken allerdings Neuland, bislang standen lediglich Facharztausbildungen und Fortbildungen im Fokus. Inzwischen haben die meisten Kliniken gelernt, dass sie ihre Mitarbeiter gezielt entwickeln müssen, wenn sie von ihnen z. B. Flexibilität bei der Übernahme von berufsgruppenübergreifenden Aufgaben oder von Führungsverantwortung verlangen.
Wenn eine Klinik von ihren OP-Pflegekräften erwartet, dass sie künftig fachübergreifend alle Operationen begleiten, kommt sie nicht umhin, einen Rotationsplan zu erstellen. Damit wird sichergestellt, dass die benötigten Qualifikationen erlangt werden. Nur wenn das notwendige Know-how vermittelt wird, kann die Sorge des Teams zerstreut werden, der erweiterten Aufgabe nicht gewachsen zu sein. Bei solchen Projekten ist es wichtig, die Oberärzte einzubinden, denn sie können zwischen dem Chefarzt, dem Ärzteteam und den Pflegebereichs- und Stationsleitungen kommunizieren und vermitteln.
Wichtig für die Personalentwicklung ist es zudem, regelmäßig Mitarbeiterjahresgespräche durchzuführen. Sie verdeutlichen Stärken und Entwicklungsfelder der Mitarbeiter, sodass ganz gezielt individuelle und gruppenspezifische Fortbildungen initiiert werden können. So können Veränderungen langfristig vorbereitet werden, und Chefärzte erhalten sich die Hoheit des Handelns, anstatt vom bevorstehenden Wandel und später von ihren Mitarbeitern „gejagt“ zu werden.
Redakteur: Herr Fleischer, vielen Dank für dieses Gespräch!