· Fachbeitrag · Klinikmanagement?
Klinikverbund-Chef Sontheimer im Interview: So gewinnen wir Chefärzte für ländliche Kliniken!?
| Ärztemangel in deutschen Kliniken: Mobile OP-Teams, eine steigende Anzahl von Honorarärzten und die Anstellung von Ärzten mit begrenztem deutschen Sprachschatz sind Ausdruck der prekären Lage. Wie gelingt es ländlichen Krankenhäusern trotzdem, Chefärzte für eine Tätigkeit zu gewinnen? Hierüber sprach der „Chefärzte Brief“ mit Dr. Gerhard M. Sontheimer, Vorstandsvorsitzender der Gesundheit Nordhessen Holding (GNH) AG. Das Interview führte unser Redakteur Dr. Lars Schäfer. |?
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REDAKTION: Herr Dr. Sontheimer, Sie sind Chef des Klinikums Kassel, aber Ihr Verbund umfasst auch ländliche Krankenhäuser wie die in Hofgeismar, Helmarshausen oder Wolfhagen. Wie schaffen Sie es, Chefärzte für diese eher kleinen Häuser zu gewinnen??
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DR. MED. GERHARD M. SONTHEIMER: Für die kleinen Häuser unseres Verbundes besteht bei der Suche von Chefärzten ein separater Markt. Bei Maximalversorgern wie dem Klinikum Kassel befinden wir uns hingegen im Wettbewerb mit großen umliegenden Häusern wie etwa den Universitätskliniken in Gießen-Marburg oder in Göttingen. ?
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REDAKTION: Wenn es also um unterschiedliche Bewerber-Märkte geht, haben Sie dann auch unterschiedliche Strategien für die Rekrutierung von Chefärzten, je nachdem, ob Sie für Kassel oder für die Provinz suchen??
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DR. SONTHEIMER: Chefärzte für Kassel rekrutieren wir überwiegend aus den leitenden sowie geschäftsführenden Oberärzten der Unikliniken. Früher haben wir hierfür Annoncen geschaltet, heute sprechen wir die Ärzte zumeist direkt an, da es schwer ist, sich bei der Flut der Anzeigen von anderen Krankenhäusern zu unterscheiden. Vor allem bei Maximalversorgern ist da inzwischen ein ziemlicher Druck entstanden.?
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REDAKTION: Und wie gehen Sie bei Ihren kleineren Kliniken vor??
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DR. SONTHEIMER: Für die kleinen Häuser ist die Direktansprache oft der einzig sinnvolle Weg. Hier sprechen wir entweder Chefärzte von anderen Kliniken oder altgediente Oberärzte mit entsprechender Erfahrung an. Häufig gelingt die Rekrutierung eines Chefarztes nur, wenn wir zusätzlich einen Job für den Partner vermitteln und bei der Wohnungssuche helfen. Inzwischen ist es schon ein ziemlicher Aufwand für uns, einen Chefarzt für eine unserer ländlichen Kliniken zu gewinnen.?
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REDAKTION: Zunehmend werden auch ausländische Ärzte beschäftigt ...?
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DR. SONTHEIMER: Wir haben im Krankenhaus Wolfhagen vor kurzem einen Anästhesisten aus einem arabischen Land eingestellt, der mit starkem Dialekt deutsch spricht und für Patienten etwas schwierig zu verstehen ist. Im Bereich der Anästhesie ist ein solches Sprachproblem vielleicht noch eher hinnehmbar als in der Inneren Medizin oder gar der Psychiatrie oder Psychosomatik. Beschränkte sich früher der Bereich von Ärzten, die deutsch nicht als Muttersprache sprechen, auf den Assistenzbereich, werden heute auch Chef- und Oberärzte aus dem Ausland eingestellt.?
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REDAKTION: ... und wie stellen Sie bei ausländischen Ärzten sicher, dass sie die erforderliche medizinische Qualifikation tatsächlich besitzen??
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DR. SONTHEIMER: Das ist ja etwas, was nicht nur wir überprüfen, sondern auch gesetzlich geregelt ist: Nach § 3 der Bundesärzteordnung erhält unter anderem nur der die Approbation, der über solche Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt, die für die Ausübung der Berufstätigkeit erforderlich sind. Zum Nachweis dieses Sprachniveaus ist die Vorlage eines Zertifikats erforderlich. Unsere Arbeitsverträge erhalten neuerdings einen Passus, dass sich die Ärzte bei Bedarf zu einem Sprachkurs verpflichten. Über unsere Personalentwicklung bieten wir im Unternehmen entsprechende Kurse an.?
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REDAKTION: Was ist Ihre Meinung? Erfüllen die ausländischen Ärzte das wünschenswerte Sprachniveau??
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DR. SONTHEIMER: Hier muss man unterscheiden, ob der Arzt als Chirurg oder Internist arbeitet oder in der sprechenden Medizin. Womit wir große Probleme haben sind Arztbriefe: Viele ausländische Ärzte können zwar mit den Patienten kommunizieren, haben aber Probleme, das in einem vernünftigen Deutsch verständlich niederzuschreiben. Solche Defizite müssen dann häufig von chef- oder oberärztlichen Kollegen und durch Qualifizierungsmaßnahmen kompensiert werden.?
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REDAKTION: Wie beurteilen Sie, ob zum Beispiel ein Facharzt aus Nowosibirsk tatsächlich „deutsches“ Facharzt-Niveau hat??
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DR. SONTHEIMER: Für die Facharzt-Anerkennung ist die jeweilige Landesärztekammer zuständig - ebenso wie für die Prüfung der Gleichwertigkeit der Standards. Wir als Klinikum schätzen also die formalen fachlichen Kenntnisse der Bewerber nicht ein. Diese kommen mit entsprechenden Urkunden, und es ist dann in der Verantwortung der entsprechenden Chefärzte bzw. bei Assistenzärzten der Oberärzte, im Rahmen des Vorstellungsgesprächs und - nach erfolgter Einstellung - in der Probezeit zu prüfen, ob die praktischen medizinischen Kenntnisse dem erforderlichen Stand entsprechen. Diese Pflicht haben Chef- und Oberärzte übrigens auch bei deutschen nachgeordneten Ärzten.?
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REDAKTION: Chefärzte sind heute auch Manager. Wie sichern Sie, dass die Chefärzte in Ihren Häusern diese Aufgaben bewältigen können??
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DR. SONTHEIMER: In der ersten Stufe verlangen wir bei den Chefärzten, die wir einstellen, einen bestimmten Erfahrungshorizont und dass sie bestimmte Kompetenzen besitzen. Dazu gehörigen neben fachlichen Kompetenzen auch Management- und Führungsfähigkeiten.?
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REDAKTION: Und in der zweiten Stufe??
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DR. SONTHEIMER: In der zweiten Stufe haben wir für alle Führungskräfte, also nicht nur für die Chefärzte, ein Weiterbildungsprogramm, in dem wir in den letzten Jahren 300 Führungskräfte der Gesundheit Nordhessen systematisch weitergebildet haben. Speziell für die Oberärzte haben wir in diesem Jahr ein aus mehreren Modulen bestehendes Programm aufgelegt, um sie für ihre spezielle Führungsverantwortung zu qualifizieren.?
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REDAKTION: Welche Themen standen hierbei auf dem Programm??
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DR. SONTHEIMER: Themen waren sowohl ökonomische Fragen - etwa: Was ist eine Gewinn- und Verlustrechnung? Wie liest man eine Bilanz? -, Führungstechniken und -modelle, Präsentationstechniken als auch rechtliche Aspekte. Alle unsere Chef- und Oberärzte nehmen an Programmen zur Führungskräftequalifizierung teil. Ähnliche Programme haben wir übrigens auch für die Pflege.?
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REDAKTION: Sprechen Sie als Vorstandsvorsitzender der GNH eigentlich auch einmal persönlich mit den Chefärzten Ihrer Häuser??
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DR. SONTHEIMER: Ja, mindestens einmal jährlich führe ich mit unseren Chefärzten ein Gespräch zur Zielvereinbarung. Dabei erörtern wir auch, welche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen jeweils ergriffen werden sollten. Im Übrigen gibt es zahlreichen Anlässe für einen fachbezogenen Dialog, den ich mit unseren Chefärzten pflege.?
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REDAKTION: Anderes Thema: Die Medizin wird immer weiblicher, ein Großteil der Studenten sind inzwischen Frauen. Entsprechend zugeschnittene, vor allem von Frauen nachgefragte Angebote - Stichwort: Work-Life-Balance - wären für ländliche Häuser sicher ein gutes Angebot an Bewerberinnen. Gibt es in Ihren Kliniken für Chefärzte zum Beispiel die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten??
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DR. SONTHEIMER: Wir haben einen einzigen Chefarzt, der auf eine 80-Prozent-Stelle reduziert hat, ich möchte aber nicht verhehlen, dass so etwas richtig schwierig ist. Die deutsche Medizin ist strikt hierarchisch strukturiert, da gilt: Jeder Tag, an dem der Chef nicht da ist, ist für die Abteilung ein verlorener Tag! Wenn der Chefarzt keine richtig starke zweite Ebene hat - sie ist oft nur bei großen Abteilungen vorhanden - ist eine Teilzeitbeschäftigung kaum machbar. In unseren kleinen Häusern würde eine reduzierte Beschäftigung wahrscheinlich überhaupt nicht funktionieren: Fehlt der Chef, sind zum Beispiel manche Behandlungsverfahren überhaupt nicht mehr durchführbar. ?
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REDAKTION: Und wie sieht es bei Ärztinnen unterhalb der Chefarzt-Ebene aus: Gibt es dort die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten??
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DR. SONTHEIMER: Teilzeitmodelle sind bei den Ärztinnen, die dem Chefarzt nachgeordnet sind, verbreiteter und werden immer mehr nachgefragt. Sie werden von uns gefördert.?
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REDAKTION: In der Diskussion sind ja nicht nur die ärztlichen Arbeitszeiten, sondern auch - insbesondere bei Chefärzten - Bonusvereinbarungen in den Anstellungsverträgen. Wie hält es hier ein kommunaler Verbund wie die GNH??
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DR. SONTHEIMER: Die GNH hat seit etwa einem Jahrzehnt in allen neu abgeschlossenen Verträgen folgendes Schema: Es gibt einen festen und einen variablen Gehaltsanteil. Letzterer liegt üblicherweise bei 15 bis 25 Prozent. In den sehr gut bezahlten Mangelfächern heben wir eher das variable als das Fixgehalt überproportional an. Da kann das variable Gehalt dann auch schon mal 30 bis 35 Prozent der Gesamtvergütung umfassen. ?
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REDAKTION: Von welchen Kennziffern ist die Erreichung des vollen variablen Einkommensanteils abhängig??
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DR. SONTHEIMER: 30 Prozent der variablen Vergütung sind abhängig von der Rendite der Gesellschaft, 40 Prozent von der Rendite der eigenen Abteilung bzw. des eigenen Zentrums. Wir machen die Bonusvergütung also nicht abhängig von der Erbringung bestimmter DRGs oder der Erreichung eines bestimmten Case Mix. Denn selbst eine Ausweitung der Fallmenge ist dann nicht wünschenswert, wenn sie mit überproportionalen Steigerungen der Kosten verbunden ist.?
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REDAKTION: Und wie wird der Bonus eines Chefarztes gestaltet, wenn seine Abteilung rote Zahlen schreibt??
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DR. SONTHEIMER: In einem solchen Fall ist die Messlatte, dass die Abteilung nicht noch tiefer in die roten Zahlen rutscht. ?
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REDAKTION: Wir hatten im Chefärzte Brief zuletzt eine intensive Diskussion über das Recht zur Privatliquidation des Chefarztes: Wie ist das in Ihren Häusern geregelt? Haben die Chefärzte dort das Recht, privat zu liquidieren??
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DR. SONTHEIMER: Nein, der Chefarzt hat das Recht zur Privatliquidation in unseren Häusern nicht - dieser Anteil ist in seiner variablen Vergütung mit enthalten. Es gibt allerdings noch wenige ältere Verträge, die das Liquidationsrecht enthalten; diese laufen in den nächsten Jahren jedoch aus.?
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REDAKTION: Kommunale Kliniken schreiben nicht selten rote Zahlen und seien, so heißt es, schwieriger zu führen. Als Grund wird genannt, dass sie zum Beispiel politisch besetzten Aufsichtsgremien folgen müssen. Sie führen mit der GNH einen kommunalen Verbund: Kennen Sie diese Probleme??
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DR. SONTHEIMER: Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun: Die Trägerschaft sagt, glaube ich, nicht unmittelbar etwas aus über die Rentabilität, sondern allenfalls über die Qualität des Managements - dabei meine ich nicht nur die Person an der Spitze, sondern die Qualität des gesamten Systems. Wir in der GNH sind von der Struktur her als Aktiengesellschaft privatrechtlich organisiert. Natürlich sind die Aufsichtsräte - aufgrund der kommunalrechtlichen Trägerschaft - mit Politikern und paritätisch mit Vertretern der Arbeitnehmer besetzt, aber innerhalb der AG haben wir eine Struktur, die Durchgriffsrechte der Führungspersonen erlaubt.?
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REDAKTION: Bei der GNH ist die Entscheidungsfindung somit nicht verlangsamt, wie das in anderen kommunalen Häusern beklagt wird??
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DR. SONTHEIMER: Ich bin in unserem Verbund in den Tochtergesellschaften - mit Ausnahme eines Klinikums - in Personalunion alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer und kann somit eine einheitliche Führung durch den Vorstand sicherstellen. Die operative Geschäftsführung liegt aber bei dem für die jeweilige Tochtergesellschaft verantwortlichen Geschäftsführer. Die Entscheidungswege sind also kurz.?
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REDAKTION: Kleinere kommunale Kliniken haben es schwer, sich wirtschaftlich über Wasser zu halten. Setzen Sie hierfür auf eine Schwerpunktbildung Ihrer kleineren Kliniken, oder haben Sie eine andere Strategie??
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DR. SONTHEIMER: Wir haben mit dem Klinikum in Kassel zum einen unseren Maximalversorger, der durchaus den Anspruch hat, sämtliche medizinischen Fachgebiete abzudecken. Aber selbst dort müssen medizinische Schwerpunkte gebildet werden - in Kassel sind es fünf. Bei den kleinen Häusern halten wir die Kerngebiete Chirurgie, Innere Medizin und Anästhesie sowie entsprechende Belegabteilungen vor, um die Notfallversorgung der Bevölkerung sicherzustellen.?
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REDAKTION: Sie setzen in Ihren kleineren Krankenhäusern also keine medizinischen Schwerpunkte??
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DR. SONTHEIMER: Doch, auf die genannten Kerngebiete setzen wir jeweils einen Schwerpunktbereich. Aber auch in den Kerngebieten machen nicht alle kleinen Häuser alles. So kann das bedeuten, dass die eine Klinik Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie betreibt, die andere sich bei der Inneren Medizin auf die Bereiche Gastroenterologie und Pulmologie konzentriert. Die Schwerpunkte führen dazu, dass die kleinen Häuser Patienten aus einem relativ großen Einzugsgebiet rekrutieren. Als Vernetzung über diese Struktur hinweg haben wir medizinische Fachgruppen gebildet. Diese Fachgruppen stimmen ihre Behandlungspfade und -methoden miteinander ab und setzen dieselben Materialien ein.?
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REDAKTION: Hätten kleine Krankenhäuser wie Helmarshausen überlebt, wenn sie nicht unter die Holding der Gesundheit Nordhessen gekommen wären??
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DR. SONTHEIMER: Ich denke schon, dass deren Überleben an dieser Holdingstruktur hängt. Sie garantiert aber nicht, dass jedes einzelne Krankenhaus unseres Verbundes mittel- und langfristig schwarze Zahlen schreibt, sprich: überleben kann. Es kann schon sein, dass irgendwann eine Quersubventionierung erforderlich ist. Wir können mit dem Verbund jedenfalls die Wirtschaftlichkeit von kleinen Häusern besser darstellen als ohne ihn.?
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REDAKTION: Bedeutet das also, dass die wirtschaftliche Lage in den Krankenhäusern der GNH rosig ist??
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DR. SONTHEIMER: In der heutigen Zeit ist es bei der derzeitigen Finanzierungsstruktur ja nicht mehr die Frage, welches Haus am profitabelsten geführt wird, sondern welche Klinik als erste und welche als letzte pleite geht. Dass unsere Krankenhausfinanzierung aber so, wie sie derzeit strukturiert ist, nicht mehr ausreicht, hat inzwischen selbst unser Gesundheitsminister Bahr eingeräumt.?
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REDAKTION: Stellen Sie sich vor, sie würden als Arzt arbeiten. Würden Sie sich auf eine Arztstelle in einem Haus der GNH bewerben??
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DR. SONTHEIMER: Ich würde mir ein Krankenhaus suchen, das gut geführt ist. Ob es dann in kommunaler oder in privater Trägerschaft steht, wäre für mich nicht das entscheidende Auswahlkriterium. Deshalb würde ich mich bei der GNH bewerben.?
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REDAKTION: Herr Dr. Sontheimer, vielen Dank für das Gespräch.