· Fachbeitrag · Krankenhausmanagement
Prof. Dr. Da-Cruz im Interview: „Kliniken sollten sich mit dem Thema Honorarärzte befassen!“
| „Arzt zum Ausleihen“, „Hire a Doctor“, Arztagenturen - derzeit ist in aller Munde, was vor Jahren noch undenkbar schien. Teams von Honorarärzten kommen für manche Klinikchefs wie gerufen, um Lücken in der ärztlichen Versorgung zu stopfen. Während manche Honorarärzte langfristig in einem Haus arbeiten und sich in die Prozesse einfügen, sind andere nach einigen Tagen weitergezogen. Über diesen neuen Arzttypus haben wir mit Prof. Dr. Patrick Da-Cruz von der Hochschule Neu-Ulm gesprochen. Das Interview führte unser Redakteur Dr. Lars Schäfer. |
Redaktion: Herr Professor Da-Cruz, haben wir in deutschen Kliniken einen Ärztemangel, der nur durch Honorarärzte abgefedert werden kann?
Prof. Dr. Patrick Da-Cruz: In der aktuellen Situation haben wir zu viele Krankenhäuser im Markt, das ist kein Geheimnis. Wenn wir diese erhalten wollen, das heißt auch viele kleinere Kliniken weiterführen möchten, dann haben wir schon jetzt einen nicht unerheblichen Mangel an Ärzten. Je nach Organisation wird von 5.000 bis 12.000 fehlenden Stellen gesprochen. Auch die Anzahl der offenen Stellen zeigt: Ärztemangel ist derzeit ein Thema.
Redaktion: Und was bedeutet dieser Ärztemangel im Hinblick auf den Einsatz von Honorarärzten?
Prof. Da-Cruz: Honorarärzte sind in jedem Fall ein Bereich, zu dem sich Kliniken eine klare Meinung bilden sollten. Viele Häuser werden letztlich mit Honorarärzten zusammenarbeiten müssen. Zudem gibt es Ärzte, die gern als selbstständiger Honorararzt arbeiten möchten. Das bedeutet: Die Nachfrage der Kliniken trifft inzwischen in gewissem Umfang auf ein entsprechendes Angebot von Seiten der Ärzte. Nach Schätzungen gibt es derzeit schon rund 4.000 frei- und nebenberuflich tätige Honorarärzte.
Redaktion: Was macht die Tätigkeit des Honorararztes für manche Ärzte denn so attraktiv?
Prof. Da-Cruz: Sie können zum einen entscheiden, wann, wo und für wen sie arbeiten. Zum anderen möchten sie sich teilweise ungern in eine Hierarchie einbinden lassen. Manch einer ist auch zufrieden, nur drei Monate im Jahr zu arbeiten, ein anderer, wenn er rasch die Klinik wechseln kann.
Redaktion: Die mit der Beschäftigung von Honorarärzten auftretenden rechtlichen Probleme haben wir im „Chefärzte Brief“ bereits ausführlich erläutert: Gibt es daneben auch Herausforderungen im Management-Bereich bei der Arbeit mit Honorarärzten? Schließlich ist der freiberufliche Honorararzt in der Regel nicht in die Klinikhierarchie eingegliedert und damit auch vom Chefarzt schwer zu führen ...
Prof. Da-Cruz: In der Tat gibt es da große Herausforderungen. Denn klar ist: Der Klinikerfolg hängt in allererster Linie von den leitenden und somit vor allem den Chefärzten ab. Sie sind es ja auch, die die Verantwortung tragen für die Qualität der medizinischen Leistung und den wirtschaftlichen Erfolg in ihrer Abteilung. Zudem sind Chefärzte auch entscheidend für das Vertrauen, das der Patient der Klinik entgegenbringt ...
Redaktion: ... und jetzt wollen Sie den Chefarzt für die große Verantwortung, die er trägt, mit schwer zu führenden Honorarärzten „belohnen“?
Prof. Da-Cruz: Na ja, oft wird ja aus der Not heraus gehandelt. Ein Beispiel: Es stehen Operationen auf dem Plan, es fehlt aber der Anästhesist. Bevor die OPs jetzt ausfallen und der Klinik dadurch Umsatz entgeht, kauft sie diese Leistung lieber von außen ein - sie „kauft“ honorarärztliche Leistungen. Ich bin gleichwohl der Auffassung, dass eine Klinikleitung in vielen Bereichen sehr ernsthaft prüfen kann, ob man sämtliche Leistungen mit festangestellten Mitarbeitern erbringen muss.
Redaktion: Sie plädieren also für den Einsatz von freiberuflichen Honorarärzten im Krankenhaus?
Prof. Da-Cruz: Je mehr wir an die Kernkompetenz herankommen, also insbesondere die Tätigkeiten, die am Patienten erfolgen - das ist neben der patientennahen Medizin auch die Pflege -, desto sinnloser wäre es, die entsprechenden Personen im Extremfall täglich durchzuwechseln. Dies hätte Konsequenzen für das sensible Arzt-Patienten-Verhältnis und - mindestens genauso wichtig - für die Beziehung zu den Zuweisern.
Redaktion: Was würde ein solcher stetiger Wechsel für die Zuweiserbeziehung nach Ihrer Meinung bedeuten?
Prof. Da-Cruz: Die ärztlichen Zuweiser möchten verlässliche Partner im Krankenhaus haben. Es muss also in der Medizin und zum Teil auch in der Pflege einen festangestellten Kern geben. Außerdem bestünde bei zu großer Auslagerung die Gefahr, dass die Krankenhäuser die medizinische Steuerungskompetenz verlieren - ohne sie kann die Klinik aber kein ärztliches Netzwerk leiten. Also: Ein nicht unerheblicher Umfang an ärztlichen und pflegerischen Tätigkeiten muss zwingend in der Klinik verbleiben.
Redaktion: Zurück zu den Honorarärzten: Sie haben gesagt, dass hierbei für den Chefarzt große Herausforderungen bei der Führung selbstständiger Honorarärzte auftreten können. Kann der Chefarzt diese allein meistern?
Prof. Da-Cruz: Der Umgang mit Honorarärzten ist eine strategische Frage. Hierbei sollte das Klinikmanagement gemeinsam mit den leitenden Ärzten einen Rahmen festlegen, um zu bestimmen, wie man mit dem Thema umgeht. Das heißt, hier sollte die Gesamt-Policy des Hauses dargelegt und besprochen werden - das betrifft zum Beispiel auch die Zielvereinbarungen.
Redaktion: Wie weit sollte diese Transparenz gehen?
Prof. Da-Cruz: Derartige Themen sollten transparent gegenüber den Honorarärzten und transparent gegenüber der Belegschaft sein. Wir haben ja das Problem, dass der Honorararzt unter Umständen dieselbe Arbeit macht wie ein festangestellter Arzt - aber deutlich mehr verdient. Hier kann es zu Frust, einer höheren Gehaltsforderung oder sogar zur Kündigung kommen, weil sich der festangestellte Arzt ungerecht behandelt fühlt.
Redaktion: Transparenz allein löst die Probleme sicherlich nicht ...
Prof. Da-Cruz: Es sollte auch Anreize für die Stammbelegschaft geben. Das kann die Möglichkeit zum Erwerb der Facharztqualifikation in einer angemessenen Zeit sein. Wichtig ist eine klare Strategie zur Personalentwicklung. Zudem sollte die Klinikleitung - wenn Personalengpässe absehbar sind und die Rekrutierung festangestellter Ärzte nicht möglich ist - einen möglichst klaren Prozess der Zusammenarbeit mit Honorarärzten einhalten.
Redaktion: Wie sollte dieser Prozess aussehen?
Prof. Da-Cruz: Man sollte längerfristige kooperative Beziehungen aufbauen. Der Honorararzt, der umfassende Dienstleistungen in der Klinik anbietet, sollte auch in das Kliniksystem eingebunden werden, also auch in die klinischen Prozesse. Dieser Honorararzt sollte dann auch ein „Gesicht“ sein für die internen Arbeitskräfte der Klinik. Der Honorararzt selbst sollte sich auf die jeweilige Klinik einlassen und sich entsprechend einbringen.
Redaktion: Das wäre der Idealfall. Wo sehen Sie aber die Risiken, wenn eine Klinik nicht grundsätzlich, sondern von Fall zu Fall und aus der Not heraus Honorarärzte kurzfristig beschäftigt?
Prof. Da-Cruz: Es gibt für mich drei Risikobereiche: Aus Patientensicht besteht ein Qualitätsrisiko, wenn zum Beispiel der Honorararzt mit den Strukturen und den Gerätschaften in der Klinik nicht vertraut ist. Aus Personalsicht gibt es ein Motivationsrisiko im Hinblick auf die Stammbelegschaft. Und schließlich werden die Klinikprozesse sehr anfällig, wenn ein Honorararzt weder ins Team passt noch vorher zum Beispiel durch eine Probearbeit sein Können gezeigt hat.
Redaktion: Kliniken wird von modernen Beratern derzeit empfohlen, eine Marke zu bilden und so Vertrauen aufzubauen. Würde dieser Prozess durch den Einsatz von Honorarärzten konterkariert?
Prof. Da-Cruz: Auf jeden Fall. Die Marke „Chefarzt“ ist im Krankenhaus ganz wichtig. Bei Dienstleistern wie bei Krankenhäusern, bei denen der Kunde nichts anfassen kann, wird der Mensch bzw. werden die Dienstleistungen zur Grundlage der Marke. Aber damit Ärzte zur Marke werden, ist Kontinuität erforderlich. Ein munteres Durchwechseln von Honorarärzten erzeugt kein Vertrauen in die Marke Krankenhaus.
Redaktion: Das Beispiel der privatisierten Uniklinik Gießen-Marburg zeigt, dass der alleinige Blick auf ökonomische Kennziffern kein Königsweg sein kann und nicht, wie der damalige Ministerpräsident Roland Koch frohlockte, direkt in eine „Spitzenmedizin“ mündet. Bleibt beim alleinigen Blick auf die Ökonomie nicht der Patient am Ende auf der Strecke?
Prof. Da-Cruz: Naja, gehen wir doch mal in die 1970er- und 80er-Jahre zurück: Für Kliniken gab es damals kaum Anreize, wirtschaftlich zu handeln. Wir haben jedoch eine allgemeine Ressourcenknappheit - auch im Gesundheitswesen. Die Regierung muss also entscheiden: Baue ich neue Straßen, investiere ich in Kindergärten oder gebe ich Geld in die Gesundheitsversorgung? Höhere Krankenkassenbeiträge oder Steuerzuschüsse wären eine Basis für höhere Mittelzuflüsse in das Gesundheitswesen und könnten auch weitere Arbeitsplätze entstehen lassen. Die Frage ist dann aber, ob die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen im globalen Wettbewerb noch gewährleistet wäre. Das darf man nicht vergessen.
Redaktion: Herr Professor Da-Cruz, stellen Sie sich zum Abschluss vor, Sie sind Chefarzt. Jetzt kommt eine gute Fee vorbei, und Sie haben drei Wünsche frei: einen an die Klinikleitung, einen an die Politik und einen an die Patienten.
Prof. Da-Cruz: Von den Patienten wünsche ich mir, dass sie mir und meinem Haus Vertrauen entgegenbringen. Das ist heute nicht selbstverständlich, da Patienten sehr gut informiert sind und zum Teil konkrete Vorstellungen von ihrer ärztlichen Behandlung haben. Trotzdem würde ich mir einen kooperierenden Patienten wünschen, der auch bei einer Nachfolgebehandlung entsprechend „mitmacht“ - etwa in einer Rehaklinik. Auch sollte er sich zum Beispiel nicht von ungeprüften Informationen im Internet verunsichern lassen.
Redaktion: Und was wünschen Sie sich von der Politik?
Prof. Da-Cruz: Für viele Ärzte bietet die Krankenhausmedizin keine Karriereoption mehr - die Ambition, später mal Oberarzt oder Chefarzt zu werden, reizt gerade junge Ärzte nicht mehr. Wenn ich sehe, dass deutsche Ärzte in die Schweiz gehen, dass sie Unternehmensberater werden oder in der Pharmaindustrie ihre berufliche Heimat finden, ist das eine tragische Entwicklung. Hier müsste die Politik Rahmenbedingungen schaffen, damit eine Kliniktätigkeit wieder attraktiver wird.
Redaktion: Schließlich Ihr chefärztlicher Wunsch an die Klinikleitung ...
Prof. Da-Cruz: Bei allem Kostendruck wäre es wichtig, dass sie für eine offene Diskussion auf Augenhöhe zwischen ihr und den leitenden Ärzten sorgt. Es müsste also eine kooperative Führung geben, bei der der Chefarzt nicht Erfüllungsgehilfe des Geschäftsführers ist. Die Klinikleitung sollte ihre Verantwortung wahrnehmen und Rahmenbedingungen etwa für Personalentwicklung, Weiterbildung, Facharztqualifikation oder Work-Life-Balance setzen, die nicht nur den Chefarzt, sondern alle Ärzte motiviert und es ihnen ermöglicht, weiterhin engagiert für das Krankenhaus zu arbeiten.
Redaktion: Herr Professor Da-Cruz, vielen Dank für das Gespräch.