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  • · Fachbeitrag · Krisenmanagement

    Fehlerkommunikation: So vermeiden Sie Gerichtsverfahren und Reputationsverluste

    von Jens Hollmann, Berater und Coach, www.medplus-kompetenz.de und RAin, FA MedR Dr. Birgit Schröder, Hamburg, www.dr-schroeder.com

    | Neben Aufklärungs- und Behandlungsfehlern ist die Ursache vieler Arzthaftungsverfahren der Umgang mit solchen Fehlern: Unerfüllte Erwartungen, enttäuschte Hoffnungen oder mangelnde Wertschätzung führen zu Unzufriedenheit und Frust aufseiten der Patienten. Viele von ihnen suchen die Auseinandersetzung vor Gericht und/oder die Information der Medien, um ihren Emotionen Luft zu machen. Ein professioneller, lösungsorientierter Umgang mit Fehlern verhindert, dass es überhaupt so weit kommt. |

    Worum es geht ‒ wo Menschen arbeiten, passieren Fehler

    Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Fehler sind keine absichtlichen oder vorsätzlichen Handlungen, sondern „Abweichungen vom Richtigen“ oder „irrtümliche Entscheidungen bzw. Maßnahmen“. Dennoch bleibt der Umgang mit Fehlern bzw. Fehlervorwürfen eine Herausforderung ‒ auch für Chefärzte.

     

    • Beispiele für den missglückten Umgang mit Behandlungsfehlern bzw. Fehlervorwürfen
    • Ein junger Patient wird bei einer Routineoperation (Kniearthroskopie) mit MRSA infiziert. Es folgen diverse Nachoperationen. Der Patient wird berufsunfähig ‒ mit erheblichen (auch wirtschaftlichen) Folgen. Auf seine Nachfrage, wie es dazu kommen konnte, wird ihm kurz mitgeteilt, er könne ja klagen, man sei schließlich versichert. Eine solche Reaktion ist geradezu dafür prädestiniert, den Betroffenen zu einer Gegenreaktion zu ermuntern. Wer dann noch eine ähnliche Formulierung durch den Sachbearbeiter einer Haftpflichtversicherung erfährt, wird vermutlich fast reflexartig mit einer Klage reagieren.

     

    • Ein Ehemann bittet nach dem plötzlichen Tod seiner stationär behandelten schwer kranken Ehefrau um eine Erklärung. Im Vorbeigehen auf dem Flur erhält er die Antwort, irgendwann sei jeder dran. Der Witwer ist über diese Kaltschnäuzigkeit empört. Er vermutet einen tödlichen Behandlungsfehler und informiert die Staatsanwaltschaft.

     

    • Eine Patientin wird versehentlich am rechten anstatt am linken Knie operiert. Als sie beim behandelnden Arzt nachfragt, wird ihr kurzerhand ein Befund am operierten Knie angedichtet. Die Patientin wendet sich an die Presse, die „Seitenverwechslungen“ gern aufgreift.
     

    Eskalationsketten vermeiden

    Vielfach entstehen Eskalationsketten und weitere Fehler, indem diese verheimlicht, verschwiegen oder vertuscht werden. Keiner erwartet, dass alles immer fehlerfrei läuft. Aber ein professioneller Umgang mit Fehlern wird zu Recht erwartet. Das fängt schon bei der Aufklärung an: Vermitteln Sie dem Patienten eine realistische Vorstellung davon, was er im Rahmen einer Therapie erwarten kann und was nicht. Kommunizieren Sie mit der gebotenen Sensibilität. Seien Sie sich darüber im Klaren, dass das Arztgespräch für den Patienten weit mehr ist als reiner Informationsaustausch: Der Patient erwartet von Ihnen Verständnis für sein Leiden und sucht Ihre Hilfe als Arzt.

     

    Eine Reaktion auf eine „Beschwerde“ bestimmt maßgeblich, wohin die Reise geht und ob die Angelegenheit für beide Seiten zu einem guten oder schlechten Ergebnis führt. Auch wenn derartige Gespräche nicht angenehm sind und gerne vermieden werden: Bereits zu Beginn ist die Weichenstellung wichtig.

     

     

    Wichtig | Wer die Chance ungenutzt lässt, die Kritik oder den Unmut nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, bekommt diese später nicht mehr.

    Die richtige Einstellung entscheidet

    Selbst wer keine rationale Grundlage für eine Beschwerde hat, sollte ruhig angehört werden. Auch in einem solchen Fall sind emotionale Reaktionen, Schuldzuweisungen oder die gänzliche Konfliktvermeidung fehl am Platz.

     

    • Alternative Grundhaltungen im Konflikt
    Sein oder Nichtsein (Konkurrenz)
    Gleichgewicht der Kräfte (Kooperation)
    • Es gibt nur einen Sieger.
    • Wir haben gemeinsam ein Problem.
    • Ich kenne meine Ziele und setze alles daran, dass der andere mich nicht durchschaut.
    • Ich lege meine Worte und Ziele offen dar.
    • Ich betone meine Unabhängigkeit.
    • Ich betone, dass wir voneinander abhängig sind.
    • Ich locke mein Gegenüber mit Versprechungen.
    • Ich gebe keine Versprechungen.
    • Ich zögere nicht, zu drohen.
    • Ich drohe nicht.
    • Ich spiegele Kooperationsbereitschaft vor, um mein Gegenüber zu täuschen und zu schwächen.
    • Ich möchte unsere Beziehung stabilisieren.
    • Heftige und spontane Gefühle halte ich bewusst zurück, um mich später zu rächen (kalter Konflikt).
    • Heftige und spontane Gefühle halte ich nicht zurück, sondern äußere sie angemessen, um die Dinge sofort zu klären (heißer Konflikt).
     

    Quelle: Jens Hollmann, Führungskompetenz für Leitende Ärzte, Seite 141.

     

    Eine gute (Kontroll-)Frage an sich selbst ist die, wie Sie selber behandelt werden möchten, wenn Sie unzufrieden, enttäuscht oder verletzt sind. Die meisten Menschen erwarten in einer solchen Situation wenigstens, dass man ihnen in Ruhe zuhört und sie die Gelegenheit bekommen, sich ausführlich mitzuteilen. I. d. R. möchten sie wenigstens mögliche Ursachen eines Fehlers (z. B. Übertragungswege einer Infektion) erklärt bekommen. Das kostet Zeit ‒ u. U. auch viel Zeit, die im Klinikalltag oftmals fehlt. Diese Zeit indes nicht zu investieren heißt aber auch, zu riskieren, dass der Patient vor Gericht zieht, sich an die Presse wendet oder die Staatsanwaltschaft informiert.

    Der „richtige“ Konfliktstil

    Als formalisierte Verfahren eignen sich Gerichtsverfahren vermutlich am wenigsten, alle Beteiligten zufriedenzustellen. Ein Gerichtsurteil lässt immer Unzufriedene zurück ‒ häufig auf beiden Seiten. Der ideale Konfliktstil arbeitet auf eine Konsenslösung hin.

     

    • „Konfliktstile ‒ vom Reflex zur klugen Lösung“ (vereinfachte Darstellung)
    Patient

    win

    lose

    Arzt

    win

    Konsens

    („Wir machen das Beste draus.“)

     

    Beide Seiten setzen sich aktiv mit dem Vorgefallenen auseinander und arbeiten gemeinsam auf eine Lösung hin, die beide zufriedenstellt.

    Konkurrenz

    („Es gibt nur einen Sieger.“)

     

    Die Arztseite setzt ihre Interessen konsequent durch (siehe Tabelle „alternative Grundhaltungen im Konflikt“).

    lose

    Unterwerfung

    („Ich füge mich.“)

     

    Die Arztseite gibt dem Patienten in allen Belangen nach und nimmt zur Wahrung des Friedens schwerwiegende Nachteile in Kauf (z. B. vollumfängliches Haftungseingeständnis).

    Flucht

    („Bloß weg hier!“)

     

    Die Parteien vermeiden die aktive Auseinandersetzung und verdrängen das Thema bzw. warten eine externe Entscheidung (z. B. Gerichtsurteil) ab.

     

    Quelle: Jens Hollmann, Führungskompetenz für Leitende Ärzte, Seite 143.

     

    Wichtig | Der Konsens ist zu unterscheiden vom („faulen“) Kompromiss. Der Konsens will eine Lösung herbeiführen, die für beide Seiten zufriedenstellend ist, und sucht keine rasche Einigung „um des lieben Friedens willen“.

    Vermeidungsverhalten ist nicht zielführend

    Oft wird argumentiert, man dürfte dem Patienten gegenüber „nichts zugeben“, ansonsten laufe man Gefahr, den Versicherungsschutz zu gefährden (siehe CB 02/2016, Seite 4). Dabei wird verkannt, dass nicht in jedem Gespräch über den Behandlungsverlauf oder das Behandlungsergebnis ein Haftungsanerkenntnis zu sehen ist. Die sachliche Information über einen Sachverhalt ist kein Anerkenntnis. Ein solches liegt nur vor, wenn sich jemand persönlich zu Schadenersatzzahlungen verpflichtet. Nur dann kann es Probleme mit dem Versicherer geben. Ein Gespräch sollte also keinesfalls aus Sorge vor Fehlern unterbleiben ‒ das wäre vermutlich der größte Fehler.

    So beugen Sie Kommunikationskrisen vor

    In heißen Phasen einer Auseinandersetzung einen kühlen Kopf zu bewahren, ist sehr schwer. Je stärker Ihnen dies gelingt, desto weniger Folgeschäden werden Sie nach der Bewältigung des Konflikts verzeichnen.

     

    Die eigene Erregung kontrollieren und vertrauensbildende Maßnahmen schaffen

    In dem Moment, in dem Sie sich angegriffen fühlen, mobilisieren Sie bewusst oder unbewusst Ihre inneren Kräfte, um diese Situation zu überwinden. Versuchen Sie ruhig zu bleiben, damit Sie den Überblick behalten.

     

    Eine offene Kommunikation kultivieren

    Hören Sie genau zu, was Ihr Gegenüber sagt. Wenn Sie unsicher sind, fragen Sie nach, ob Sie den anderen richtig verstanden haben.

     

    Die Vorteile der Einigung betonen

    Erst jetzt ist es sinnvoll, den eigentlichen Konfliktgegenstand zum Thema zu machen und Ihrem Gegenüber die gemeinsame Bewältigung des Konflikts anzubieten. Versuchen Sie, die Vorteile und nicht die Risiken der Einigung herauszustreichen und für beide Beteiligten die jeweils besten Optionen zu erarbeiten.

     

    Regeln festlegen

    Honorieren Sie auch kleine Schritte einer Einigung. Lassen Sie sich nicht auf vorschnelle Entscheidungen ein („fauler Kompromiss“). Wenn Sie sich geeinigt haben, halten Sie die Punkte schriftlich fest, damit Sie beide sich in Zukunft darauf berufen können („pacta sunt servanda“).

     

    FAZIT | Selbstverständlich kann ein offenes Gespräch nicht jedes Gerichtsverfahren vermeiden. Aber ein Gespräch kann viel dazu beitragen, dass die Patientenseite rechtliche Schritte gar nicht erst in Betracht zieht. Wer trennen kann zwischen allgemeinen Unmutsäußerungen und dem Vorhalten „echter Fehler“ hat zunächst die Chance, den unzufriedenen Patienten zurückzugewinnen. Außerdem bringt er dem Geschädigten die benötigte Aufmerksamkeit entgegen. Dadurch kann eine Konflikteskalation vermieden werden. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was Menschen dann brauchen, wenn sich Therapieerwartungen nicht erfüllt haben, wenn Entscheidungen nicht verstanden werden, oder wenn ein Todesfall eingetreten ist, führt zwar nicht immer zur gewünschten „Win-win-Situation“ oder zu mehr Patientenzufriedenheit (z. B. bei Todesfällen). Es ist aber zum einen die Voraussetzung für einen respektvollen Umgang aller Beteiligten miteinander. Zum anderen profitiert auch das Krankenhaus (weniger Gerichtsverfahren, weniger Kosten, Erhalt der eigenen Reputation). Diese Chance leichtfertig dadurch zu vergeben, dass man sie nicht einmal erkennt, wäre fatal.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Hollmann, Jens: Führungskompetenz für Leitende Ärzte. Motivation, Teamführung, Konfliktmanagement im Krankenhaus. Reihe: Erfolgskonzepte Praxis- & Krankenhausmanagement. Heidelberg: Springer, 2. Auflage 2013, ISBN 978-3-642-29341-2, 199 Seiten, 49,95 Euro.
    Quelle: Ausgabe 06 / 2018 | Seite 12 | ID 45172094