24.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121285
Landessozialgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 19.01.2012 – L 5 KR 97/11
Die Voraussetzungen für die Kodierung nach 8-980 OPS Version 2008 (intensivmedizinische Komplexbehandlung), bei der eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet sein muss, sind nicht erfüllt, wenn der anwesende Arzt gleichzeitig Aufgaben auf der internistischen Hauptstation wahrnehmen muss.
L 5 KR 97/11
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 30.03.2011 wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Vergütung einer Krankenhausbehandlung in Höhe von 26.859,15 €.
Der bei der Beklagten versicherte F S (Versicherter) wurde in der Zeit vom 05.01. bis 07.05.2008 stationär in dem von der Klägerin betriebenen zugelassenen Krankenhaus "Z L behandelt. Die Behandlung erfolgte auf der Intensivstation, auf der montags bis freitags in der Zeit von 8.00 Uhr bis 16.30 Uhr ein Arzt ständig anwesend ist. In der übrigen Zeit, d.h. wochentags vor 8.00 Uhr und nach 16.30 Uhr sowie am Wochenende, ist ein Bereitschaftsdienst der Stufe D für die gesamte Abteilung für Innere Medizin einschließlich der Intensivstation zuständig. Die Klägerin stellte der Beklagten einen Betrag von 131.629,89 € in Rechnung. Dabei legte sie den Operationen- und Prozedurenschlüssel Version 2008 (OPS 2008) 8-980.08 - Intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur) zu Grunde und rechnete für die Zeit vom 05.01. bis 31.03.2008 nach der DRG (Diagnosis Related Groups) Version 2007 A07C ab (Beatmung > 999 und < 1.800 Stunden mit komplexer OR-Prozedur, ohne Polytrauma, ohne komplizierende Prozeduren, Alter > 15 Jahre oder ohne komplexe OR-Prozedur oder Polytrauma, Alter > 15 Jahre, mit intensivmedizinischer Komplexbehandlung > 2.288 Punkte). Die Beklagte wies die Rechnung am 15.05.2008 im Wege des Datenaustausches ab und führte zur Begründung aus, die strukturellen Voraussetzungen zur Abrechnung der Prozedur 8-980.08 OPS 2008 seien nicht gegeben. Sie verwies auf ein am 26.07.2007 erstelltes Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), in dem ausgeführt wird, auf der Intensivstation des Krankenhauses Z in L gebe es nach Aussagen des Krankenhauses keinen Schichtdienst und keinen Bereitschaftsdienst der Stufe D ausschließlich für die Intensivstation. Der anwesende Bereitschaftsdienst der Stufe D sei auch für die Patientenversorgung im übrigen Haus nachts zuständig.
Am 21.08.2008 hat die Klägerin beim Sozialgericht Speyer Klage erhoben und zunächst die Zahlung des Betrages von 131.629,89 € beantragt. Sie hat vorgetragen, die Intensivstation sei der Hauptfachabteilung Innere Medizin eingegliedert, so dass alle diensthabenden Ärzte der Hauptfachabteilung Innere Medizin, die die Intensivstation mitversorgten, die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen würden und im Übrigen auch in der Intensivmedizin erfahren seien. Bei den Mindestmerkmalen des OPS-Kodes 8-980 handele es sich nicht um allgemein gültige Voraussetzungen, die krankenhausbezogen anzuwenden seien, sondern um Abrechnungsvoraussetzungen für den jeweiligen Behandlungsfall. Bei der Behandlung des Versicherten seien diese Anforderungen erfüllt worden. Schließlich sei die Beklagte gemäß § 275 Abs. 1 c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit sämtlichen Einwendungen ausgeschlossen, da sie bisher eine Einzelfallprüfung nicht eingeleitet habe. Die Beklagte hat ein Gutachten des Arztes im MDK K vom 25.05.2009 vorgelegt, in dem ausgeführt wird, laut Gutachten des MDK vom 26.07.2007 könne die OPS 8-980.8 nicht kodiert werden, da die strukturellen Voraussetzungen zur Abrechnung der intensivmedizinischen Komplexbehandlung nicht erfüllt seien. Die Klägerin hat auf eine Stellungnahme des Dr. D, Stabstelle Medizin-Controlling vom 04.09.2008, hingewiesen, der ausgeführt hat, die Ablehnung der OPS 8-980.8 seitens des MDK sei ausschließlich auf Grund des Gutachtens vom 26.07.2007 erfolgt. Die Beklagte hat die Forderung der Klägerin in Höhe von 104.770,74 € anerkannt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis mit Schriftsatz vom 12.12.2008 angenommen. Am 17.06.2010 hat die Beklagte 103.735.56 € an die Klägerin gezahlt, die Klägerin hat "das hierin liegende Anerkenntnis angenommen" und neben der Zahlung von 27.894,33 € nebst Zinsen hieraus die Zahlung von Zinsen in Höhe von 7.232,52 € aus 103.735,56 € begehrt. Am 09.12.2010 hat die Beklagte diese Zinsforderung durch Zahlung beglichen; die Klägerin hat auch dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Durch Urteil vom 30.03.2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs sei § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (KHEntgG) der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2008 (FPV 2008) und dem am 01.01.2000 in Kraft getretenen Krankenhausbehandlungsvertrag (KBV) nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Rheinland-Pfalz. Nach dem Wortlaut des Kodes 8-980 OPS 2008 falle unter die intensivmedizinische Komplexbehandlung (Basisprozedur) die Intensivüberwachung ohne akute Behandlung lebenswichtiger Organsysteme oder kurzfristige (< 24 Stunden) Intensivbehandlung sowie die kurzfristige (< 24 Stunden) Stabilisierung von Patienten nach operativen Eingriffen. Unter den Hinweisen fänden sich die Mindestmerkmale zur Kodierung der genannten Prozedur. Danach müssten kumulativ vorliegen zum einen eine kontinuierliche, 24-stündige Überwachung und akute Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten, die in der Intensivmedizin erfahren seien und die aktuellen Probleme ihrer Patienten kennen und zum anderen die Gewährleistung einer ständigen ärztlichen Anwesenheit auf der Intensivstation. Letzteres Merkmal sei auf der Intensivstation im Krankenhaus der Klägerin nicht erfüllt. Sichergestellt seien außerhalb der Zeiten von 8.00 Uhr bis 16.30 Uhr wochentags nur die ständige akute ärztliche Behandlungsbereitschaft, nicht aber die ständige ärztliche Anwesenheit. Der Bereitschaftsarzt habe nämlich nach der Dienststruktur auch die Patienten der Normalstation der Inneren Abteilung zu betreuen und müsse die dort anfallenden ärztlichen Aufgaben übernehmen. Soweit die Klägerin auf die Auslegungshinweise des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) hinweise, übersehe sie die Erläuterung, dass eine ständige Anwesenheit dann nicht anzunehmen sei, wenn der Arzt neben dem Dienst auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle weitere Aufgaben übernehmen müsse. Dieser Auslegungshinweis entspreche dem Wortlaut des Kodes, der auf die "Gewährleistung" der ständigen Anwesenheit und damit auf eine Planungs- und Strukturkomponente abstelle. Daher komme es nicht darauf an, ob im Einzelfall einer bestimmten Behandlung ein Arzt tatsächlich ständig auf der Intensivstation anwesend gewesen sei. Die Beklagte sei mit ihren Einwendungen auch nicht gemäß § 275 Abs. 1 c SGB V ausgeschlossen, da das Vorliegen der strukturellen Abrechnungsvoraussetzungen unabhängig von einzelnen Behandlungsfall auf Grund der allgemeinen Organisationen des Krankenhauses zu beurteilen sei.
Hiergegen hat die Klägerin am 28.04.2011 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und macht insbesondere geltend, der OPS-Kode 8-980 stelle auf eine Behandlungsbereitschaft durch ein Team von Pflegepersonal und Ärzten ab. Das weitere Merkmal, wonach eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet sein müsse, schließe einen Bereitschaftsdienst nicht aus und fordere auch nicht, dass die ständige ärztliche Anwesenheit ausschließlich durch Ärzte, die für die Intensivstation verantwortlich seien, gewährleistet werden müsse. Es reiche auch ein Anwesenheitsbereitschaftsdienst der Stufe D für Ärzte aus, die für die Patientenversorgung in der in die Hauptfachabteilung Innere Medizin integrierten Intensivstationen zuständig seien. Demgegenüber werde beim OPS-Kode-8-981 (neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls) gefordert, dass sich der jeweilige Arzt auf der Spezialeinheit für Schlaganfallpatienten ausschließlich um diese Patienten kümmere. Nach dem OPS-Kode-8-980 werde die ausschließlich Zuständigkeit des verantwortlichen Arztes für die Intensivstation gerade nicht gefordert. Außerdem sei aus der Zusammenschau mit den anderen behandlungsbezogenen Kriterien zu schließen, dass die Mindestmerkmale des OPS-Kodes 8-980 patientenbezogen erfüllt werden müssten. Der Bezug auf den einzelnen Behandlungsfall ergebe sich auch daraus, dass der Kode nur für Patienten ab dem vollendeten 14. Lebensjahr anzuwenden sei und auf so genannte Aufwandspunkte, die von Patient zu Patient unterschiedlich seien, abgestellt werde. Wie sich aus der vorgelegten graphischen Auswertung über die gesamte Belegung der Intensivstation in der Zeit der Behandlung des Versicherten ergebe (Bl. 157 ff. PA), seien die Voraussetzungen des Kodes im konkreten Einzelfall erfüllt gewesen. Nahezu zeitgleich sei ein weiterer Patient auf der Intensivstation langzeitbeatmet worden, daneben seien weitere Patienten behandelt worden. Aus der Belegung der Intensivstation ergebe sich immanent eine hohe Inanspruchnahme der Ärzte sowohl im Tag- als auch im Bereitschaftsdienst während der Nacht. Dies sei ein Beleg dafür, dass auch im konkreten Behandlungsfall die ständige Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet gewesen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 30.03.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 26.859,15 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 26.05.2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Klägerin übersehe bei Ihrer Argumentation, dass auf jeder Intensivstation Ärzte ständig anwesend seien. Der OPS-Kode 8-980 stehe für eine sich durch ihre Komplexität von der normalen Behandlung abhebende Behandlung. Der Vergleich mit dem Wortlaut des OPS-Kodes 8-981 greife nicht, da die unterschiedliche Wortwahl den verschiedenen Aufgaben der Ärzte auf der Intensivstation und der Spezialeinheit für Schlaganfallpatienten Rechnung trage.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Krankenakte des Versicherten Bezug genommen. Der Inhalt der Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer höheren Vergütung für die stationäre Behandlung des Versicherten der Beklagten vom 13.08.2008 bis 11.09.2008. Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug.
Neue Gesichtspunkte haben sich im Berufungsverfahren nicht ergeben. Wie schon das SG dargelegt hat, setzt der Kode 8-980 OPS 2008 nach seinem Wortlaut sowie dem Hinweistext voraus, dass eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet sein muss. Damit ist nicht vereinbar, dass der Arzt neben dem Dienst auf der Intensivstation gleichzeitig an anderer Stelle des Krankenhauses weitere Aufgaben erfüllen muss. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Vergleich des OPS-Kodes 8-980 mit dem Kode 8-981.1, bei dem eine mindestens zwölfstündige ärztliche Anwesenheit von Montag bis Freitag tagsüber gefordert wird, bei der sich der jeweilige Arzt auf der Spezialeinheit für Schlaganfallpatienten ausschließlich um diese Patienten kümmert und keine zusätzlichen Aufgaben zu erfüllen hat. Beide Formulierungen sind jeweils strikt nach ihrem jeweiligen Wortlaut auszulegen. Bereits aus dem Erfordernis der "ständigen ärztlichen Anwesenheit auf der Intensivstation" ergibt sich, dass der Arzt nicht zur Erfüllung von Aufgaben außerhalb der Intensivstation abwesend sein darf. Dagegen mag diese Formulierung - im Unterschied zu Kode 8-981.1 - eine Befassung mit anderen Aufgaben - zB Dokumentationen o. Ä. - während der Anwesenheit auf der Intensivstation nicht ausschließen. Bei der ständigen Anwesenheit auf der Intensivstation handelt es sich um eine Strukturvoraussetzung, die die erhöhte Vergütung rechtfertigt. Auf die tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall kommt es mithin nicht an, zumal sich diese im Nachhinein auch kaum klären ließen. Allein die von der Klägerin hervorgehobene hohe Belegung der Intensivstation mit Notfallpatienten während der Behandlungsdauer des Versicherten der Beklagten schließt jedenfalls nicht aus, dass der diensthabende Arzt der Klägerin zeitweise auch zu Patienten der Normalstation gerufen worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs 2 SGG sind nicht gegeben.