Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 14.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123832

    Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 06.06.2012 – 5 U 28/10

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Köln

    5 U 28/10

    Tenor:

    Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. Februar 2010 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 425/08 – wird zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    G r ü n d e

    I.

    Der am 00.00.1982 geborene Kläger leidet an einer Noncompaction Kardiomyopathie, einer angeborenen Herzerkrankung, die eine Herzmuskelschwäche und schwere Herzrhythmusstörungen zur Folge hat. Seit Anfang 2004 befand er sich deswegen wiederholt in stationärer und ambulanter Behandlung, insbesondere in dem in der Nähe seiner Wohnung gelegenen Krankenhaus der Beklagten. Am 23.4.2004 erfolgte die Implantation eines Defibrillators (ICD) im Klinikum links der Weser in C., dessen Aggregat dort am 4.3.2005 nach einem Rückruf des Herstellers gewechselt wurde. Der Kläger nahm den Betablocker Bisoprolol, zeitweise zusammen mit weiteren Medikamenten, ein.

    Am 1.4.2005 kam es zu einer Herzrhythmusstörung, der Kläger verlor das Bewusstsein und stürzte, worauf er mit einer Platzwunde im Krankenhaus der Beklagten aufgenommen wurde. Die behandelnden Ärzte setzten den Betablocker Bisoprolol sofort vollständig ab und verabreichten das Antiarhythmikum Amiodaron. Am 2.4.2005 verließ der Kläger gegen Mittag das Krankenhaus, wobei die Einzelheiten hierzu zwischen den Parteien streitig sind. In den Behandlungsunterlagen hat der Oberarzt A. Folgendes eingetragen: „11.30 Visite Entlassung auf eigenen Wunsch mit der dringenden Ermahnung, sich bei Zunahme der Rhythmusstörungen sofort wieder vorzustellen.“

    Am 4.4.2005 traten um 0.11 Uhr vom Kläger bemerkte Herzrhythmusstörungen auf. Zwischen 18.40 Uhr und 19.13 Uhr kam es zu sechs Episoden mit schweren Herzrhythmusstörungen. Die Angehörigen des Klägers riefen deshalb den Notarzt herbei. Bei dessen Eintreffen war der Kläger bei Herz-Kreislaufstillstand bewusstlos. Ausweislich der Behandlungsunterlagen wurde der Kläger gegen 20.10/20.15 Uhr im Krankenhaus der Beklagten aufgenommen, wo die Ärzte die vom Notarzt begonnenen Reanimationsmaßnahmen weitere 15 Minuten fortführten. Während die Herz-Kreislauffunktionen wieder hergestellt werden konnten, blieb beim Kläger eine hypoxische Hirnschädigung mit Tetraparese zurück. Er befindet sich im Wachkoma.

    Der Kläger hat der Beklagten vorgeworfen, dass das Absetzen, jedenfalls das sofortige vollständige Absetzen von Bisoprolol bei unzureichender vorheriger Befunderhebung genauso behandlungsfehlerhaft gewesen sei wie seine verfrühte Entlassung aus dem Krankenhaus. Vor einer – bestrittenen – Entlassung auf eigenen Wunsch habe er über deren Risiken aufgeklärt werden müssen, was nicht geschehen sei. Über die Risiken der Ummedikation von Bisoprolol auf Amiodaron sei er ebenfalls nicht aufgeklärt worden.

    Der Kläger hat beantragt,

    1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 10.000 €, zu zahlen,

    2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren, vergangenen, zukünftigen, materiellen und immateriellen Schäden, welche aus der fehlerhaften Behandlung vom April 2005 resultieren, zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden,

    Die Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie hat Behandlungsfehler in Abrede gestellt. Der Kläger habe das Krankenhaus auf eigenen Wunsch gegen ärztlichen Rat verlassen. Über die hiermit verbundenen Risiken habe ihn der Oberarzt A. ausführliche aufgeklärt.

    Das Landgericht hat das Gutachten von T. (Bl. 179 ff. d.A.) eingeholt und den Sachverständigen angehört (Bl. 210 ff. d.A.). Ferner hat es A. als Zeugen vernommen (Bl. 214 ff. d.A.).

    Daraufhin hat es die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 200.000 € verurteilt und dem Feststellungsantrag, soweit er sich auf materielle und zukünftige, nicht vorhersehbare immaterielle Schäden bezieht, stattgegeben. Der Beklagten falle ein ihr zurechenbarer Behandlungsfehler zur Last. Die Einstellung der neuen Medikation habe mindestens eine Woche stationär überwacht und kontrolliert werden müssen, weil das Antiarhythmikum auch zu vermehrten und verstärkten Herzrhythmusstörungen führen könne. Ob der Kläger das Krankenhaus auf eigenen Wunsch und gegen ärztlichen Rat verlassen habe, könne dahinstehen, weil die Ablehnung einer stationären Überwachung mangels ausreichender Sicherheitsaufklärung unbeachtlich wäre. Dass die medikamentöse Neueinstellung mit erheblichen Gefahren, sogar vermehrten Herzrhythmusstörungen und einem Versterben, einhergehe könne, habe der Zeuge A. dem Kläger nach seiner Aussage nicht vor Augen geführt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte bei stationärer Überwachung auf den eingetretenen „elektrischen Sturm“, also die unmittelbar aufeinander folgenden Phasen lebensgefährlicher Herzrhythmusstörungen, schneller reagiert und dieser terminiert werden können. Hierdurch hätte der Kreislauf sehr wahrscheinlich prompter wieder hergestellt und letztlich auch die eingetretene Hirnschädigung verhindert werden können.

    Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Entgegen den getroffenen Feststellungen habe der Zeuge A. nach seinen Bekundungen dem Kläger unter Hinweis auf das Risiko weiterer Herzrhythmusstörungen das Risiko eines Versterbens offen gelegt. Ausreichende Erwägungen zur Kausalität des Behandlungsfehlers für den Schaden des Klägers enthalte das angefochtene Urteil nicht.

    Die Beklagte beantragt,

    das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

    hilfsweise den Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung und erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

    Der Kläger beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Er verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

    Der Senat hat die Mutter und Betreuerin des Klägers angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen I., L. und A. (Bl. 282 ff. d.A.). Ferner hat er das internistisch-kardiologische Gutachten von F. vom 28.11.2011 (Bl. 383 ff. d.A.) eingeholt und den Sachverständigen angehört (Bl. 439 ff. d.A.).

    II.

    Die Berufung ist unbegründet.

    Der Kläger kann von der Beklagten aus §§ 280 Abs. 1, 831, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB die Zahlung eines Schmerzensgeldes von 200.000 € verlangen. Ferner hat das Landgericht die Ersatzpflicht der Beklagten zu Recht festgestellt. Ein der Beklagten zurechenbarer Behandlungsfehler hat zu der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers, das heißt der Hirnschädigung mit Tetraparese bei Wachkoma, geführt.

    1. Das Unterbleiben der erforderlichen stationären Behandlung ab dem 2.4.2005 stellte einen der Beklagten zurechenbaren Behandlungsfehler dar, weil der Kläger vor dem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde zu legenden Verlassen der Klinik gegen ärztlichen Rat nicht ausreichend therapeutisch aufgeklärt worden ist.

    a) Der Kläger hat allerdings nicht beweisen können, dass er am 2.4.2005 aufgrund ärztlicher Entscheidung (also nicht auf eigenen Wunsch gegen ärztlichen Rat) aus dem Krankenhaus der Beklagten entlassen worden ist. Die Aussagen der Zeuginnen I. und L., die von dem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen A. nur vom Hörensagen wissen, reichen nicht aus, um eine entsprechende, dem Inhalt der Behandlungsunterlagen und der Aussage des Zeugen A. widersprechende Feststellung zu treffen.

    b) Nach den Ausführungen des Sachverständigen F., die sich mit denen des erstinstanzlichen Sachverständigen T. decken (vgl. Bl. 193, 211 f. d.A.), bedurfte es nach der Umstellung der Medikation von dem Betablocker Bisoprolol auf das Antiarhythmikum Amiodaron einer stationären Überwachung des Klägers von mindestens einer Woche. Ausschlaggebend hierfür waren die sehr seltene Grunderkrankung einer Noncompaction Kardiomyopathie, für deren Behandlung keine Leitlinien vorlagen und nur geringe Erfahrungswerte bestanden, die Ohnmacht des Klägers am 1.4.2004, das erneute Auftreten einer Tachykardie am Morgen des 2.4.2004 und vor allem die vollständige Änderung der Medikation mit der Entscheidung, den Betablocker zu pausieren und allein das Antiarhythmikum Amiodaron zu verabreichen (Bl. 397, 399, 441 d.A.). Wie F. im Senatstermin bestätigt und bereits T. ausgeführt hat, kann Amiodaron Herzrhythmusstörungen entgegen der beabsichtigten Wirkung vermehren und verstärken. Von diesem medizinischen Ausgangspunkt, das heißt der Notwendigkeit einer stationären Überwachung des Klägers von einer Woche, geht im vorliegenden Verfahren auch die Beklagte aus.

    c) Wie F. und T. übereinstimmend dargelegt haben, war ein Patient in der Lage des Klägers, der einen Entlassungswunsch äußerte, darüber aufzuklären, dass die gesundheitliche Entwicklung zur Zeit nicht abgeschätzt werden könne, dass es erneut zu erheblichen Rhythmusstörungen mit Konsequenzen bis hin zum Tode kommen könne, dass die Wirkweise der neu verordneten Medikation ungewiss und dass es unsicher sei, ob die Rhythmusstörungen dadurch weniger oder sogar mehr würden (Bl. 212, 441, 442 d.A.).

    d) Diesen Anforderungen hat die vom Zeugen A. vor dem Landgericht und dem Senat geschilderte Sicherungsaufklärung des Klägers nicht entsprochen. Die ihm günstige Aussage des Zeugen A. hat sich der Kläger konkludent zu eigen gemacht.

    Vor dem Landgericht hat der Zeuge A. bekundet, dass er dem Kläger den Therapiewechsel erläutert und ihm klargemacht habe, dass er im Hinblick auf die Umstellung sieben Tage stationär verbleiben solle. Der Kläger habe erwidert, dass es ihm gut gehe, er gleich in der Nähe wohne und nicht so lange stationär verbleiben wolle. In dem etwa 20 Minuten dauernden Gespräch habe er, der Zeuge A., den Kläger ermahnt und darüber aufgeklärt, dass der Defibrillator keine Gewähr dafür geben würde, dass es nicht doch zu Herzrhythmusstörungen mit schweren Organschäden und einem Versterben des Patienten kommen könne.

    Vor dem Senat hat A. ausgesagt, dass er dem Kläger erklärt habe, dass die Neueinstellung des Medikaments etwa sieben bis zehn Tage brauchen werde. Der Kläger habe erwidert, dass er solange nicht in der Klinik bleiben wolle. Er, der Zeuge A., habe dem Kläger darauf geantwortet, dass sie, die Ärzte, ihm nicht sagen könnten, was bei der Umstellung des Medikaments passieren könne. Er habe dem Kläger erklärt, dass sein Defibrillator ihn nicht hunderprotzentig schützen könne, das Gerät sei keine Garantie. Im Rahmen einer Tachykardie könne er versterben. Er, der Zeuge A., habe dem Kläger auch erklärt, dass es zu bleibenden Organschäden kommen könne. Der Kläger habe aber unbedingt nach Hause gewollt.

    Danach hat der Zeuge A. sowohl nach seiner erstinstanzlichen Aussage als auch nach seinen Bekundungen vor dem Senat auf das mit der Umstellung der Medikation einhergehende und für die Notwendigkeit einer stationären Überwachung mitentscheidende Risiko, dass Amiodaron Herzrhythmusstörungen entgegen der beabsichtigten Wirkung vermehren oder verstärken kann, gerade nicht hingewiesen.

    Der vom Zeugen A. in beiden Instanzen bekundete Hinweis an den Kläger, dass auftretende Herzrhythmusstörungen vom Defibrillator nicht aufgefangen werden und zu einem Versterben führen könnten, entsprach dem allgemeinen, stets bestehenden Risiko des Klägers, schloss aber die besondere, durch ein gesteigertes Risiko des Auftretens von Herzrhythmusstörungen gekennzeichnete Gefahrenlage nach der Ummedikation nicht ein. Die vom Zeugen A. vor dem Senat, anders als vor dem Landgericht, geschilderte zusätzliche Erläuterung gegenüber dem Kläger, dass die Ärzte ihm nicht sagen könnten, was bei der Umstellung der Medikation passieren könne, war auf der Grundlage der Ausführungen von F. und T. für sich genommen richtig, brachte aber das gesteigerte – und damit aufklärungsbedürftige – Risiko des Auftretens von Herzrhythmusstörungen durch die Aufdosierung von Amadioron ebenfalls nicht in der gebotenen Klarheit zum Ausdruck. Die Erläuterung konnte und durfte vom Patienten dahin verstanden werden, dass eine Besserung der Situation nicht sicher sei, ohne dass er deshalb die ernsthafte Möglichkeit einer Verschlechterung seiner Gefährdungslage in Betracht hätte ziehen müssen. Gerade der zuletzt genannte Gesichtspunkt war aber für die Entscheidung zwischen einem Verlassen des Krankenhauses und der empfohlenen Fortführung der stationären Überwachung von wesentlicher Bedeutung.

    e) Im Übrigen hat der Zeuge A. die dem Kläger erteilten Hinweise in sachlich nicht zutreffender Weise abgeschwächt, indem er – wie er vor dem Landgericht bekundet hat – dem Kläger sinngemäß erklärte, dass, wenn der Kläger nicht so weit weg wohne, das Hindernis sich wieder vorzustellen ja nicht so groß sei. Zu der von A. seinerzeit angenommenen Beherrschbarkeit der Situation führte die geringe Entfernung zwischen Wohnsitz und Krankenhaus, wie F. bestätigt hat (Bl. 442 d.A.), nicht. Es liegt auf der Hand, dass eine geringe Entfernung zwischen Wohnsitz und Krankenhaus dem Patienten bei lebensbedrohlichen Komplikationen vielfach nicht helfen wird, vor allem dann, wenn der Notarzt nicht rechtzeitig alarmiert wird oder eintrifft und deshalb Reanimationsmaßnahmen bei Herz-Kreislauf-Stillstand über einen gewissen Zeitraum unterbleiben.

    2. Die nicht ausreichende therapeutische Aufklärung des Klägers hat zu dessen gesundheitlicher Beeinträchtigung, das heißt zu der Hirnschädigung mit Tetraparese bei Wachkoma, geführt.

    a) Es ist anzunehmen, dass der Kläger bei ausreichender therapeutischer Aufklärung im Krankenhaus der Beklagten zur stationären Überwachung geblieben wäre.

    Auch in Fällen der Verletzung der ärztlichen Pflicht zur Sicherungsaufklärung spricht, wenn es um einen auf eine bestimmte Verhaltensweise ausgerichteten Rat oder Hinweis geht, eine Vermutung für ein aufklärungsrichtiges Verhalten (BGH VersR 1989, 700 f.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht 11. Aufl. Rdn. 707). Die Vermutung ist im Streitfall nicht erschüttert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger das Krankenhaus der Beklagten zu 1) auch im Fall eines Hinweises auf das gesteigerte Risiko des Auftretens von Herzrhythmusstörungen nach der Ummedikation verlassen hätte. Insbesondere kann ein solches Verhalten weder daraus abgeleitet werden, dass der Kläger Anfang April 2005 die stationäre Behandlung nach unzureichender Sicherungsaufklärung gegen ärztlichen Rat beendete noch dass er die Implantation eines Defibrillators im Jahr 2004 zunächst entgegen der ärztlichen Empfehlung abgelehnt hat. Die letztgenannte Situation, bei der es um einen operativen Eingriff, nicht aber um eine bloße stationäre Überwachung ging, ist nicht vergleichbar. Für ein aufklärungsrichtiges Verhalten des Klägers nach ausreichender therapeutischer Aufklärung spricht insbesondere die glaubhafte Angabe der Mutter und Betreuerin des Klägers vor dem Senat, dass der Kläger seine Krankheit immer sehr ernst genommen habe.

    b) Der Senat ist ferner mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass es bei Auftreten der Herzrhythmusstörungen am 4.4.2005 ab 18.40 Uhr unter stationärer Überwachung nicht zu einer Hirnschädigung des Klägers mit Tetraparese bei Wachkoma gekommen wäre.

    Der Sachverständige F. hat ausgeführt, dass es die ganz große Ausnahme sei, wenn eine Situation, wie sie hier vorgelegen habe, im Krankenhaus nicht beherrscht werden könne. Dass es zu einem hypoxischen Hirnschaden als Folge einer minutenlangen Unterversorgung mit Sauerstoff komme, sei etwas, was im Krankenhaus praktisch nicht eintreten könne (Bl. 443 d.A.). Demnach bleiben nur für die Beweiswürdigung unerhebliche theoretische Zweifel, dass der Schaden bei stationärer Überwachung des Klägers abgewendet worden wäre. Die Beurteilung von F. überzeugt. Er hat dargelegt, dass die behandelnden Ärzte infolge der gebotenen Monitorüberwachung bereits durch das erste der sechs Schockereignisse auf die Situation aufmerksam geworden wären. Auf einen Blutdruckabfall und einen Herzkreislaufstillstand, der für die Sauerstoffunterversorgung des Gehirns und die daraus resultierende Hirnschädigung entscheidend ist, hätte daher sofort durch die Gabe von Medikamenten und eine Stimulation des Herzkreislaufs reagiert werden können.

    c) Der der Beklagten zurechenbare Behandlungsfehler stellt allerdings bei der gebotenen Gesamtbetrachtung auch einen in Bezug auf die Kausalität zur Beweislastumkehr führenden groben Behandlungsfehler dar.

    Ein grober Behandlungsfehler setzt neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (BGH VersR 2007, 541 ff. m.w.Nachw.). Für die Beurteilung kommt es auf eine Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens an.

    Der Sachverständige F. hat das Unterlassen einer stationären Überwachung infolge unzureichender therapeutischer Aufklärung bei gleichzeitig fehlerhaft unterlassener Abfrage und Umprogrammierung des Defibrillators nach der Tachykardie am Morgen des 2.4.2005 als groben Behandlungsfehler bewertet (Bl. 399, 442 d.A.). Er hat hierzu schlüssig darauf hingewiesen, dass der weitere Verlauf wegen der seltenen Herzerkrankung des Klägers, zu deren Behandlung kaum gesicherte Erkenntnisse vorlagen, wegen der Ummedikation bei nicht absehbarer Wirkweise des verordneten Amadiaron und wegen der Tachykardie am Morgen des 2.4.2004 sehr ungewiss war. Es sei eine regelrecht experimentelle Situation mit vielen Fragezeichen gegeben gewesen. Bei dieser besonderen und gefährlichen Sachlage ist es unverständlich, wenn über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer stationären Überwachung nicht vollständig unterrichtet, insbesondere auf das mit der Gabe von Amadiaron einhergehende gesteigerte Risiko des Auftretens von Herzrhythmusstörungen nicht hingewiesen wird.

    Auch wenn F. bei sicher indizierter Gabe von Amadiaron eine Kombinationstherapie von Amadiaron und einem Betablocker wegen der fehlenden Erfahrungen mit der seltenen Erkrankung des Klägers nicht für zwingend erforderlich gehalten und das abrupte Absetzen des Betablocker Bisoprolol nicht für unvertretbar gehalten hat (Bl. 398, 440 d.A.), kommt trotz eines insoweit nicht anzunehmenden Behandlungsfehlers hinzu, dass die Kombinationstherapie die sicherere Vorgehensweise gewesen wäre (vgl. die Ausführungen von F. Bl. 440 d.A.) und so von den für die Beklagte handelnden Ärzten noch ein zusätzliches Risiko zu Lasten des Klägers begründet wurde.

    Schließlich ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ein weiterer Behandlungsfehler in die Bewertung des Verhaltens der behandelnden Ärzte als grob fehlerhaft einzubeziehen. Der Sachverständige F. hat dargelegt, dass nach der Tachykardie am Morgen des 2.4.2005 eine Kontrolle und Umprogrammierung des Defibrillators hätte erfolgen müssen (Bl. 397, 399, 440 d.A.). Dass eine zwei Stunden andauernde, vom Gerät nicht beherrschte Tachykardie zwingend überprüft werden muss, leuchtet im Ausgangspunkt ein. Soweit die Beklagte demgegenüber geltend gemacht hat, dass auf eine Umprogrammierung seinerzeit bei bekannten, klinisch tolerierten und selbstlimitierenden Tachykardien verzichtet worden sei, um die Anzahl schmerzhafter Schocks auf kreislaufrelevante Episoden zu beschränken, hat F. schlüssig darauf verwiesen, dass es Ziel einer möglichst optimalen Einstellung des Geräts sei, schnelle Rhythmusstörungen bereits durch Stimulation, das heißt ohne Schockgabe, zu beenden (Bl. 440 d.A.).

    Es lässt sich nicht annehmen, dass ein Kausalzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist und eine Beweiserleichterung zu Gunsten des Klägers deshalb nicht eintritt. Hierzu wird auf die Ausführungen unter II 2 a und b verwiesen.

    3. Es kann dem Kläger nicht als Mitverschulden angelastet werden, dass er sich am 4.4.2005 im Anschluss an die um 0.11 Uhr von ihm bemerkten Herzrhythmusstörungen nicht im Krankenhaus der Beklagten vorgestellt hat.

    Mit Rücksicht auf den Wissens- und Informationsvorsprung des Arztes kommt ein Mitverschulden des Patienten nur dann in Betracht, wenn der Arzt ihn über die Sachlage vollständig und für ihn verständlich unterrichtet hat (Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht 11. Aufl. Rdn. 222 m.w.Nachw.). Daran fehlt es hier. Der Zeuge A. hat den Kläger nicht in ausreichender Weise therapeutisch aufgeklärt, ihn insbesondere nicht auf das mit der Gabe und Aufsättigung von Amadiaron verbundene gesteigerte Risiko des Auftretens von Herzrhythmusstörungen hingewiesen. Hierzu wird auf die Ausführungen unter II 1 b bis e Bezug genommen.

    4. Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld von 200.000 € ist angesichts der unstreitigen Folgen angemessen. Der Kläger leidet an einem Hirnschaden mit Tetraparese bei Wachkoma. Die Angemessenheit des Schmerzensgeldes wird, was seine Höhe angeht, von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.

    5. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls.

    6. Der Berufungsstreitwert beträgt 761.496 €. Dabei hat der Senat das Schmerzensgeld von 200.000 € und für den Feststellungsantrag 80 % der im Schriftsatz vom 29.7.2010 bezifferten materiellen Schäden für die Vergangenheit (302.720 €) und des Mehrbedarfs- und Verdienstausfallschadens für die Zukunft (3.652,50 € Mehrbedarf bzw. 3.000 € Verdienstausfall monatlich) zugrunde gelegt. Es ergibt sich folgende Berechnung:

    Schmerzensgeld 200.000 €

    Materieller Schaden Vergangenheit 302.720 € x 0,8 242.176 €

    Künftiger Mehrbedarfsschaden 3.652,50 € x 60 Monate x 0,8 175.320 €

    Künftiger Verdienstausfall 3.000,00 € x 60 Monate x 0,8 144.000 €

    Summe 761.496 €

    RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 823 Abs. 1