25.02.2016 · IWW-Abrufnummer 146460
Landessozialgericht Thüringen: Beschluss vom 09.11.2015 – L 6 JVEG 570/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landessozialgericht Thüringen
Beschl. v. 09.11.2015
Az.: L 6 JVEG 570/15
In dem Rechtsstreit
..., ..., ...,
- Erinnerungsführer -
gegen
..., ...,.
- Erinnerungsgegner -
hat der 6. Senat des Thüringer Landessozialgerichts durch den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Keller, Richter am Landessozialgericht Schmid und Richterin am Landessozialgericht Comtesse ohne mündliche Verhandlung am 9. November 2015 beschlossen:
Tenor:
Die Vergütung des Erinnerungsgegners für das Gutachten vom 22. Januar 2015 wird auf 3.330,89 Euro festgesetzt. Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Vergütung für das neurologisch-psychiatrisch-psychosomatische Sachverständigengutachten des Erinnerungsgegners vom 22. Januar 2015 streitig.
In dem Berufungsverfahren W. B .../. D. R. M. (L 6 R 1202/13) beauftragte die Berichterstatterin des 6. Senats des Thüringer Landessozialgerichts den Erinnerungsgegner, Inhaber eines Gutachtensinstituts, mit Beweisanordnung vom 31. Juli 2014 mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung. Das beigefügte "Merkblatt für die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen (Stand: 1. August 2013)" enthält u.a. folgende Passagen: "Die Höhe der Vergütung für die von dem Sachverständigen persönlich erbrachten Leistungen richtet sich nach: 1. der objektiv erforderlichen Zeit, 2. dem für die erbrachte Leistung angemessenen Stundensatz (§ 10 Abs. 1 JVEG9; 3. dem Umfang und der Anzahl der erbrachten besonderen Leistungen (§ 10 JVEG), Zu 1. Zu den Leistungen, die nach der erforderlichen Zeit zu entschädigen sind gehören: c) notwendige Untersuchungen, soweit diese nicht nach der GOÄ abgerechnet werden (vergl. Zu 3.) Zu 3. Soweit Sachverständige bei ambulanter Begutachtung notwendige besondere Leistungen i.S. des § 10 Abs. 1 JVEG oder der Anlage zu § 10 JVEG erbringen, regelt das Gesetz die Entschädigung wie folgt:
- Für Leistungen der in Abschnitt 0 des Gebührenverzeichnisses für ärztliche Leistungen (Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte - GOÄ -) bezeichneten Art bemisst sich das Honorar in entsprechender Anwendung dieses Gebührenverzeichnisses nach dem 1,3-fachen Gebührensatz.
- ...
- Für weitere Leistungen die in der GOÄ bezeichnet sind, wird der 1,0fache Gebührensatz entschädigt. Die nach der GOÄ berechnete Entschädigung für die besonderen Leistungen umfasst sowohl den Zeitaufwand des Arztes für die Untersuchung, die Auswertung des Untersuchungsergebnisses einschließlich einer kurzen gutachterlichen Stellungnahme sowie die Sachkosten Für die nach § 10 JVEG entschädigten besonderen Leistungen kann ein Zeitaufwand nicht entschädigt werden; die für die besonderen Leistungen (für Durchführung, Auswertung und kurze gutachterliche Stellungnahme) erforderliche Zeit ist folglich beim Zeitansatz nach § 9 JVEG (vgl. 1. Abschnitt des Merkblattes) nicht noch einmal zu berechnen"
Der Erinnerungsgegner fertigte sein Gutachten unter dem 22. Januar 2015 aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 16. Dezember 2014 auf insgesamt 53 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom gleichen Tage machte er insgesamt 3.330,89 Euro geltend (30 Stunden zu einem Stundensatz von 75,00 Euro, Zusatzdiagnostik (GOÄ) 457,18 Euro, Schreibgebühren 84,09 Euro, Umsatzsteuer). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 18 bis 19 des Kostenhefts verwiesen. Unter dem 10. Februar 2015 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) diesen Betrag zur Zahlung an.
Am 11. Mai 2015 hat der Erinnerungsführer die richterliche Festsetzung der Vergütung auf 2.787,58 Euro beantragt und ausgeführt, der Erinnerungsgegner habe keinen Anspruch auf doppelte Vergütung seiner Untersuchungen und der sonographischen Leistungen. Letztere seien weder in der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) noch in Anlage O der Anlage zur GOÄ aufgeführt und damit ausschließlich nach § 9 JVEG zu honorieren. Im JVEG sei eine Entschädigung für einen zusätzlichen Zeitaufwand nicht vorgesehen. Auch nach dem letzten Absatz zu Ziffer 3 des Merkblatts für die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen komme eine doppelte Abrechnung des Zeitaufwands nicht in Betracht.
Der Erinnerungsgegner hat vorgetragen, eine doppelte Abrechnung des Zeitaufwands sei nicht erfolgt. Fachangestellte seines Instituts hätten während der Anwesenheit des Klägers die neurophysiologische und Ultraschalldiagnostik durchgeführt. Währenddessen sei eine umfassende Verhaltensbeobachtung durchgeführt worden. Er selbst werte die physiologischen und testpsychologischen Befunde immer erst dann aus, wenn die Kläger die Praxisklinik verlassen hätten. Dann kontrolliere er auch die elektrophysiologischen Aufzeichnungen und die Ultraschalldiagnostik. Dies entspreche den Empfehlungen der GOÄ.
Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren mit Beschluss vom 5. November 2015 dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II.
Die Vergütung des Erinnerungsgegners war antragsgemäß auf 3.330,89 Euro festzusetzen.
Nach § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder - wie hier - die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Bei der Erinnerungsentscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen werden (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 2. Juni 2014 - L 6 SF 1726/13 E m.w.N.; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH), Beschluss vom 10. Oktober 2005 - 1 B 97.1352, nach juris). Der Senat ist nicht an die Höhe der Einzelansätze, Stundenansätze oder die Gesamthöhe der Vergütung oder die Anträge der Beteiligten gebunden; er kann die Vergütung nur nicht höher festsetzen als vom Erinnerungsführer beantragt. Nachdem die Erinnerung kein Rechtsbehelf ist, gilt das Verschlechterungsverbot (sog. "reformatio in peius") bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 2. Juni 2014 - L 6 SF 1726/13 E und 8. September 2009 - L 6 SF 49/08; Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen Richtern nach dem JVEG, 26. Auflage 2014, § 4 Rdnr. 3; Gies in Schneider/Volpert/Fölsch (Hrsg.), Gesamtes Kostenrecht, 1. Auflage 2014, § 4 JVEG, Rdnr. 8).
Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG).
Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn sie zu mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war, anderenfalls beträgt das Honorar die Hälfte des sich für eine volle Stunde ergebenden Betrags (Satz 2). Die erforderliche Zeit wird nach einem abstrakten Maßstab ermittelt, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität orientiert (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07; BGH; Beschluss vom 16. Dezember 2003 - X ZR 206/98, beide nach juris; Senatsbeschluss vom 5. März 2012 - L 6 SF 1854/11 B; Hartmann in Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 8 JVEG Rdnr. 35). Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeiten der zu beantworteten Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 - X ZR 206/98; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 841). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.); werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15 v.H. überschritten (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.), ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen erforderlich.
Hinsichtlich der für die Gutachtenserstellung insgesamt erforderlichen Zeit hat der Erinnerungsführer keine Bedenken erhoben. Sie sind auch für den Senat nicht ersichtlich.
Eine Erstattung der besonderen Leistungen ist in § 10 JVEG geregelt. Erbringt nach dessen Absatz 1 ein Sachverständiger Leistungen, die in Anlage 2 bezeichnet sind, bemisst sich das Honorar nach dieser Anlage. Nach Absatz 2 erhält er für Leistungen der in Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses für ärztliche Leistungen (Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte) bezeichneten Art das Honorar in entsprechender Anwendung dieses Gebührenverzeichnisses nach dem 1,3fachen Gebührensatz (Satz 1). Die hier vom Erinnerungsgegner geltend gemachten GOÄ-Nummern 827, 573, 829 - 839, 424, 406, 649, 410, 420, 644, 401, 404 und 828 sind weder in der Anlage 2 noch in Abschnitt O der Anlage zur GOÄ enthalten, was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Die GOÄ findet nur in den im JVEG ausdrücklich normierten Fällen Anwendung (vgl. Senatsbeschluss vom 16. März 2015 - L 6 JVEG 140/14; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Juli 2010 - L 3 RJ 154/05). Eine entsprechende oder analoge Anwendung kommt nicht in Betracht, denn sie widerspricht dem Wortlaut ("soweit") und dem Charakter als eng auszulegende Sondervorschrift (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF; im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. September 2013 - L 15 U 589/12 B; zur Vorgängerregelung § 5 ZuSEG OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Februar 1993 - Az.: 15 W 484/92 in FamRZ 1993; Meyer/Höver/Bach/Oberlack, 26. Auflage 2014, § 10 Rdnr. 3; Giers in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 1. Auflage 2014, § 10 JVEG Rdnr. 3; Binz in Binz/Dörndörfer/Petzold/Zimmermann, 2. Auflage 2009, § 10JVEG, Rdnr. 1).
Dem Erinnerungsgegner sind die beantragten besonderen Leistungen allerdings angesichts der Ausführungen in dem übersandten Merkblatt über die Entschädigung von medizinischen Sachverständigen (Stand 1. August 2013) aus Gründen des Vertrauensschutzes zu erstatten (vgl. Senatsbeschluss vom 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF). Dort wird ausdrücklich ausgeführt, dass für weitere Leistungen, die in der GOÄ bezeichnet sind, der 1,0fache Gebührensatz entschädigt werde. Es handelt sich auch hinsichtlich der Höhe (GOÄ, 1,0facher Gebührensatz) vom Empfängerhorizont um eine klare Zusage. Sie kann nicht durch die späteren Erläuterungen unter "Zu 3." im letzten Absatz weiter eingeschränkt werden. Die unterschiedlichen Regelungen widersprechen sich und führen für die Empfänger der Merkblätter zu einer inhaltlich unklaren Rechtslage. Im Übrigen wurden die GOÄ-Gebühren in der Vergangenheit auch unter Geltung dieses Merkblattes erstattet. Diese Selbstbindung der Verwaltung erhärtet den Anspruch auf Kostenerstattung aus Gründen des Vertrauensschutzes. Er entfällt erst mit der Neufassung des Merkblatts am 12. Februar 2015.
Beabsichtigt war mit der Einschränkung nach "Zu 3." im letzten Absatz wohl, Zeitansätze nicht doppelt zu honorieren. Die beabsichtigte Verfahrensweise ist allerdings unklar und ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis, die erforderliche Zeit sei "folglich beim Zeitansatz nach § 9 JVEG" nicht noch einmal zu berechnen. Zu Unrecht wird damit unterstellt, dass die besonderen Leistungen immer vom Sachverständigen selbst mit eigenem Zeitaufwand durchgeführt werden und deshalb bei seinen Untersuchungen zu berücksichtigen sind. Dies kommt jedenfalls hinsichtlich der in Rechnung gestellten neurophysiologischen Diagnostik (EEG, SEP, NLG) nicht in Betracht. Sie wird nach Bestätigung des Erinnerungsgegners von den medizinischen Hilfskräften durchgeführt, gehört damit nicht zu den "Untersuchungen" oder der Abfassung der Beurteilung und wird nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG ersetzt. Nach dieser Vorschrift werden bestimmte für die Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens notwendige besondere Kosten gesondert ersetzt, u.a. die (notwendigen) Aufwendungen für eigene Hilfskräfte (soweit ihre Tätigkeit nicht von Anlage 2 oder Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ erfasst sind; vgl. Binz in Binz/Dörndörfer/Petzold/Zimmermann, 2. Auflage 2009, § 10JVEG, Rdnr. 1), die Aufwendungen für die bei der Untersuchung verbrauchten Stoffe und Werkzeuge sowie die Kosten für notwendige Fremduntersuchungen (vgl. Meyer/Höver/Bach/Oberlack, JVEG, 26. Auflage 2014, § 12 JVEG Rdnr. 5). § 10 Abs. 1 JVEG enthält keine spezielle oder abschließende Regelung zum Ersatz der besonderen Aufwendungen (vgl. Giers in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 1. Auflage 2014, § 10 JVEG Rdnr. 3).
Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die elektrophysiologischen und neuroangiologischen Untersuchungen in Anwesenheit eines Facharztes durchgeführt werden. Ihre Auswertung erfolgt, wie der Erinnerungsgegner nachvollziehbar erläutert hat, erst nachdem der Proband die Praxis verlassen hat. Eine Berücksichtigung dieses Zeitansatzes kommt dann bei der Untersuchung nicht in Betracht. Tatsächlich gehört er zur "Abfassung der Beurteilung". Sie umfasst die Beantwortung der vom Gericht gestellten Beweisfragen und die nähere Begründung, also die eigentlichen Ergebnisse des Gutachtens einschließlich ihrer argumentativen Begründung (vgl. Senatsbeschluss vom 13. März 2012 - L 6 SF 197/12 B). Gleiches gilt auch für die Auswertung der testpsychologischen Zusatzuntersuchungen.
Zusätzlich zu erstatten sind die Schreibauslagen (§ 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG) und die Umsatzsteuer (§ 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 JVEG). Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG). Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).