18.12.2013 · IWW-Abrufnummer 134000
Landgericht Hanau: Urteil vom 21.11.2003 – 2 S 71/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LG Hanau
21.11.2003 - 2 S 71/03
Das Landgericht Hanau - 2. Zivilkammer
- hat durch
den Präsidenten des Landgerichts Dr. Mößinger,
Richterin am Landgericht Hauffen und
Richterin am Landgericht Dr. Buxbaum
auf Grund der mündlichen Verhandlung
vom 17. Oktober 2003
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 06.02.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hanau unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 597,45 EURO nebst 4 % Zinsen seit dem 10.12.1999 sowie 7,67 EURO vorgerichtliche Mahnauslagen zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz haben die Klägerin zu 55 %, der Beklagte zu 45 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1
Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Zahlung restlicher Vergütung für die durch den Zedenten - Prof. Dr. med. xxx - im Zusammenhang mit der Implantation eines künstlichen Hüftgelenks erbrachten ärztlichen Leistungen. Der Streit der Parteien geht darum, ob neben einer Abrechnung des Endoprothetischen Totalersatzes von Hüftpfanne und Hüftkopf nach der Gebührenziffer 2151 GOÄ zusätzlich die Leistungen der Nummern 2103 (Muskelentspannungsoperation am Hüftgelenk), 2113 (Synovektomie am Hüftgelenk), 2148 (Pfannendachplastik), 2255 bzw. 2254 (freie Verpflanzung eines Knochens/Implantation von Knochen) und 2258 (Knochenaufmeißelung) abgerechnet werden können und Leistungen nach den Ziffern 60 (konsiliarische Erörterung) und 530 (Kalt- oder Heißpackungen) erbracht worden sind. Diese Positionen hat der Krankenversicherer des Beklagten nicht anerkannt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
2
Das Amtsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass die Leistungen der Ziffern 2103, 2113, 2148, 2254 und 2258 als selbstständige Leistungen anzusehen seien und entsprechend abgerechnet werden könnten, da es sich nicht um routinemäßigen Bestandteile handele. Den Nachweis, dass die nach den Ziffern 60 und 530 berechneten Leistungen erbracht worden seien, hat es mit den Angaben des Zeugen Prof. Dr. med. xxx als erbracht angesehen und der Klägerin die Hauptforderung in dem zuletzt noch geltend gemachten Umfang zuerkannt.
3
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
4
Mit der Berufung rügt der Beklagte, das Amtsgericht habe die Vorschrift des § 4 Abs. 2 a GOÄ fehlerhaft angewandt und vertritt die Ansicht, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Leistungen der Ziffern 60 und 530 erbracht worden seien.
5
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Amtsgericht Hanau vom 06.02.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.
6
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
7
Die Kammer hat den Sachverständigen Prof. Dr. med. xxx zur Erläuterung seines Gutachtens angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.10.2003 (Bl. 360 ff. d.A.) verwiesen.
8
Die zulässige Berufung des Beklagten hat teilweise Erfolg. Zu Unrecht hat das Amtsgericht die geltend gemachten Leistungen nach den Gebührenziffern 2148 (Pfannendachplastik), 2254 (Implantation von Knochen) und 2258 (Knochenaufmeißelung) als gebührenrechtlich selbstständige Leistungen angesehen, die neben der Leistung der Ziffer 2151 (Endoprothetischer Totalersatz von Hüftpfanne und Hüftkopf - Alloarthroplastik -) abrechnungsfähig sind. Insoweit ist das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
9
Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen ist das in § 4 Abs. 2 i.V.m. Abs. 2 a der Gebührenverordnung für Ärzte (GOÄ) in der Fassung der am 01.01.1996 in Kraft getretenen Vierten Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für Ärzte vom 18.12.1995 (BGBII, S. 1861) verankerte Zielleistungsprinzip. Gemäß § 4 Abs. 2 a, der Abs. 2 der Vorschrift ergänzt, dürfen Leistungsbestandteile oder besondere Ausführungen einer anderen Leistung nicht gesondert berechnet werden. Dies gilt auch für die zur Erbringung der im Gebührenverzeichnis aufgeführten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte. Die Allgemeinen Bestimmungen zum Abschnitt "L Chirurgie, Orthopädie" des Gebührenverzeichnisses für ärztliche Leistungen enthalten die klarstellenden Hinweise, dass zur Erbringung der in Abschnitt L aufgeführten typischen Leistungen in der Regel mehrere Einzelschritte erforderlich sind, die nicht gesondert berechnet werden können, wenn sie methodisch notwendige Bestandteile der in der jeweiligen Leistungsbeschreibung genannten Zielleistung sind.
10
Dieses Zielleistungsprinzip als Grundregel der GOÄ bedeutet, dass diejenigen Leistungen, die methodisch notwendige Maßnahmen zur Erbringung des Leistungsziels darstellen und ohne dieses nicht erbracht worden wären, als unselbstständige Teilleistungen anzusehen sind und neben dieser Zielleistung nicht berechnet werden können (vgl. auch Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 2. Auflage 2000, S. 33).
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Dabei kann sich die Zuordnung einer Leistung als Bestandteil einer anderen zum einen aus dem Umstand ergeben, dass es sich um einen Standard- und routinemäßigen Teilschritt auf dem Weg zur Erreichung des Leistungsziels handelt. Zum anderen kann sich eine derartige Zuordnung aber auch daraus ergeben, dass sich eine Maßnahme aufgrund einer anatomischen Besonderheit als methodisch notwendiger Teilschritt darstellt, denn es ist auf den konkreten Krankheitsfall und nicht auf den Regelfall abzustellen. Dass eine abstrakte Betrachtungsweise auszuscheiden hat, ergibt sich aus dem Umstand, dass der Verordnungsgeber mit der Regelung des § 5 GOÄ gerade die Möglichkeit vorgesehen hat, Schwierigkeiten oder Umstände bei der Ausführung im einzelnen Krankheitsfall dann bei der Gebührenbemessung zu berücksichtigen.
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Bezogen auf die im Streitfall durchgeführte Implantation eines neuen Hüftgelenks bedeutet dies, dass die Gebührenziffern 2148, 2254 und 2258 als methodisch notwendige Einzelschritte der operativen Zielleistung des endoprothetischen Totalersatzes des Hüftgelenkes anzusehen sind und nicht neben der Gebührenziffer 2151 abgerechnet werden können.
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Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob aufgrund der im Pfannenbereich durchgeführten Maßnahmen überhaupt die Leistungslegende der Ziffer 2148 (Neubildung eines Hüftpfannendaches durch Beckenosteotomie - auch Pfannendachplastik -) als erfüllt anzusehen ist. Diese Leistung kann jedenfalls neben der Ziffer 2151 ebenso wenig abgerechnet werden wie die Ziffern 2255 bzw. 2254 und 2258, denn die operativen Maßnahmen (Ausräumen von Defekten im Pfannengrund und Pfannendach, Auffüllen mit autologer Spongiosa und einem spongiösen Span, entnommen aus dem Hüftkopf) dienten dem Gutachten und den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. Ulrich xxx zufolge dazu, die dysplastische Pfanne, die bei dem Beklagten flach anstatt halbrund ausgebildet war, so vorzubereiten, dass anschließend das Implantat zementfrei eingebracht werden konnte. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung im Kammertermin ergänzend erläutert, dass es sich bei der nicht voll ausgebildeten Pfanne um eine anatomische Besonderheit dieses - älteren - Patienten gehandelt habe, die es erforderlich gemacht habe, ein "Widerlager" aufzubauen. Dies sei durch das Auffüllen der Pfanne (nach Ansicht des Sachverständigen ist damit Ziffer 2148 erfüllt) und zusätzlich durch Einsetzen eines spongiösen Spanes (Ziffer 2258 - Knochenaufmeißelung -), der aus dem Oberschenkelkopf entnommen wurde (Ziffer 2255 - freie Verpflanzung eines Knochens -), erfolgt.
14
Zwar hat der Sachverständige ausgeführt, dass diesen Leistungen seiner Ansicht nach eigenständiger Charakter beizumessen sei, da sie nicht zwingend bei jeder Hüft-Totalendoprothesen-Implantation erforderlich seien.
15
Für die rechtliche Einordnung einer Leistung als selbstständig kommt es jedoch - wie ausgeführt - nicht darauf an, ob sie im Regelfall anfällt oder nicht. Da aus den Ausführungen des Sachverständigen zu folgern ist, dass diese Leistungen vorliegend aufgrund einer anatomischen Besonderheit erforderlich waren, um die Pfanne so vorzubereiten, dass ein Implantat zementfrei eingebracht werden konnte, stellen sich diese Leistungen im Streitfall als methodisch unverzichtbar dar. Diese Maßnahmen dienten der Vorbereitung der operativen Zielleistung des endoprothetischen Totalersatzes des Hüftgelenkes und sind als methodisch notwendige Einzelschritte anzusehen, die ohne diese Zielleistung nicht erbracht worden wären. Damit haben diese Leistungen gebührenrechtlich keinen selbstständigen Charakter und können nicht neben der Gebühr für die Zielleistung (Ziffer 2151) berechnet werden.
16
Den erhöhten Schwierigkeiten kann mithin - nur - mit dem Steigerungsfaktor Rechnung getragen werden. Da vorliegend jedoch der Gebührenrahmen des § 5 Abs. 1 GOÄ bereits voll ausgeschöpft worden ist, kommt eine weitere Erhöhung nicht in Betracht.
17
Im Übrigen ist die Berufung jedoch unbegründet.
18
Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von 597,45 EURO zu (§§ 611, 612, 398 BGB). Um diesen Betrag hat der Beklagte die Rechnung des Zedenten vom 22.10.1999 zu Unrecht gekürzt.
19
Die Gebührenziffern 2103 (Muskelentspannungsoperation am Hüftgelenk) und 2113 (Synovektomie am Hüftgelenk) können neben der Gebührenziffer 2151 abgerechnet werden können.
20
Diese Leistungen stellen sich nicht als methodisch unverzichtbar für die Erbringung der operativen Zielleistung des endoprothetischen Totalersatzes des Hüftgelenkes dar. Beide Leistungen wurden zwar bei dieser Operation durchgeführt und waren medizinisch indiziert, um den Erfolg der Operation zu gewährleisten, jedoch mit eigenständigen Behandlungszielen.
21
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten nachvollziehbar dargelegt, dass die Muskelentspannungsoperation - bei bereits vor der Operation weit fortgeschrittener Kontraktur - der Beseitigung funktionsbehindernder Spannungen diente. Es handelt sich damit nicht um eine bloße Vorbereitungs-, Hilfs- oder Begleitleistung zur Erbringung der Zielleistung, sondern um eine solche, die eigenständigen Charakter hat und - wie der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung erläutert hat - auch völlig selbstständig und alleine zur Beseitigung von Muskelkontrakturen durchgeführt werden kann.
22
Auch die Ziffer 2113 hat vorliegend gebührenrechtlich eigenständigen Charakter. Das Entfernen der entzündlich veränderten Gelenkkapsel zusammen mit der Gelenkinnenhaut ist nicht als ein methodisch unverzichtbarer Bestandteil der Zielleistung anzusehen. Eine derartige Maßnahme ist zur standardmäßigen Durchführung einer Hüftgelenk-Totalendoprothese nicht erforderlich, wie der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt hat.
23
Sie war den Ausführungen des Sachverständigen zufolge zwar medizinisch indiziert und zum Erreichen des Operationserfolges notwendig, denn bei Belassen einer chronisch entzündlichen Synovalis wäre trotz des endoprothetischen Totalersatzes des Hüftgelenkes postoperativ keine nennenswerte Schmerzreduktion zu erzielen gewesen und eventuell zurückbleibende Kapselreste hätten zu einer gelenkumschreitenden Verkalkung führen können. Die medizinische Indikation einer Maßnahme führt jedoch nicht dazu, sie den methodisch notwendigen Bestandteilen der Zielleistung zuzuordnen, auf die die Bestimmungen der GOÄ abstellen.
24
Ohne Erfolg wendet sich der Beklagte auch gegen den Ansatz der Gebührenziffern 60 und 530. Soweit der Beklagte rügt, die Klägerin habe den Nachweis, dass diese Leistungen tatsächlich erbracht worden sind, nicht geführt und auf fehlende Dokumentationen verweist, verkennt er, dass es das Amtsgericht aufgrund der Aussage des Zeugen Prof. Dr. med. xxx als erwiesen angesehen hat, dass Kalt- und Heißpackungen ärztlich angeordnet und überwacht und nicht nur - wie der Beklagte nach wie vor behauptet - Eisbeutel gereicht wurden. Aus welchem Grund :hier eine zusätzliche Dokumentation erforderlich sein sollte, aus der ein solches Vorgehen "zweifelsfrei" hervorgeht, ist nicht ersichtlich, zumal der Beklagte noch nicht einmal dargetan hat, warum Anlass bestehen könnte, die Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen in Frage zu stellen.
25
Auch die Kosten für die konsiliarische Erörterung hat das Amtsgericht unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen zu Recht zuerkannt, weil diese aufgrund der Herzerkrankung des Beklagten nicht nur als routinemäßige Besprechung anzusehen ist. Auch in diesem Zusammenhang hat der Beklagte nicht dargetan, warum er zum Nachweis zusätzlich die Vorlage eines Protokolls für erforderlich erachtet.
26
Da mithin die Gebührenziffern 60, 530, 2103 und 2113 berechnungsfähig sind und der Beklagte keine Einwände gegen den in Ansatz gebrachten Steigerungsfaktor vorgebracht hat, steht der Klägerin unter Berücksichtigung der nach § 6 a GOÄ [vorzunehmenden Minderung des Vergütungsanspruchs des Zedenten um 25 % noch ein Zahlungsanspruch in Höhe von 597,45 EURO (Summe dieser- in der Rechnung des Zedenten vom 22.10.1999 (Bl. 16 ff. d.A.) aufgeführten - Leistungen:
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1.558,02 DM abzüglich 389,51 DM = 1.168,51 DM ) aus abgetretenem Recht zu.
28
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10 ZPO analog, 711 ZPO.
29
(Die Revision war zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO n.F. vorliegen. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts, denn die Rechtsprechung der Instanzgerichte zur Anwendung und Reichweite des Zielleistungsprinzips ist uneinheitlich.