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  • 29.04.2015 · IWW-Abrufnummer 144358

    Sozialgericht Marburg: Urteil vom 25.02.2015 – S 11 KA 11/15

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    S 11 KA 11/15

    Die Klage wird abgewiesen.

    Der Kläger hat die notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

    Tatbestand:

    Zwischen den Beteiligten ist die die grundsätzliche Teilnahmepflicht eines ermächtigten Krankenhausarztes am ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) streitig.

    Der Kläger ist leitender Oberarzt der Klinik für Urologie am Klinikum A-Stadt. Seit mehreren Jahren ist er als angestellter Krankenhausarzt tätig und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt.

    Die Vertreterversammlung der Beklagten beschloss am 25.05.2013 eine neue Bereitschaftsdienstordnung (BDO) als Grundlage für die Reform des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Hessen. Die neue Bereitschaftsdienstordnung enthält im Gegensatz zu der bisherigen Notdienstregelung eine Teilnahmepflicht aller ermächtigten Krankenhausärzte. § 3 Absatz 1 der am 01.10.2013 in Kraft getretenen BDO lautet:

    "Am ÄBD nehmen grundsätzlich, im Umfang ihres Versorgungsauftrages, alle Arztsitze in einer ÄBD- Gemeinschaft sowie alle ermächtigten Krankenhausärzte teil. Die Inhaber der Arztsitze nehmen mit der Anzahl ihrer Arztsitze teil. Medizinische Versorgungszentren (MVZ) nehmen mit der Anzahl der jeweiligen Vertragsarztsitze am ÄBD teil, die Verantwortung für die Teilnahme liegt beim ärztlichen Leiter des MVZ. Ermächtigte Krankenhausärzte nehmen im Umfang von 0,25 eines Versorgungsauftrags am ÄBD teil. Die KVH kann den Teilnahmeumfang höher festlegen, wenn im konkreten Einzelfall (auch unter Berücksichtigung der Abrechnung des ermächtigten Krankenhausarztes) ein höherer Teilnahmeumfang des ermächtigten Krankenhausarztes an der vertragsärztlichen Versorgung vorliegt."

    Nachdem der Kläger darüber informiert worden war, dass er am kassenärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen müsse und von dem Obmann des ÄBD A-Stadt einen Dienstplan für den Zeitraum Oktober 2014 bis Januar 2015 erhalten hatte, legte er mit Schreiben vom 27.03.2014 Widerspruch gegen die grundsätzliche Heranziehung zum ÄBD und der Einteilung zum Bereitschaftsdienst ein. Hilfsweise beantragte er die Befreiung vom ÄBD. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass die generelle Heranziehung der ermächtigten Krankenhausärzte zum ÄBD rechtswidrig sei, da Ermächtigungen nur für genau bestimmte Leistungen erteilt würden und dies auf einem qualitativ- speziellen Versorgungsbedarf beruhe. Mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2014 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach der neuen Verordnung auch ermächtigte Krankenhausärzte verpflichtet seien, am ÄBD teilzunehmen. Der Besonderheit der Ermächtigung werde dadurch Rechnung getragen, dass die Teilnahme auf den Umfang von 0,25 eines Versorgungsauftrages begrenzt sei. Diese Regelung sei auch rechtmäßig, da nach § 95 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 1 SGB V auch ermächtigte Ärzte verpflichtet seien, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Dazu gehöre auch die Sicherstellung der Versorgung für Notfälle zu den sprechstundenfreien Zeiten, § 75 Abs. 1 S. 2 SGB V. Als ermächtigter Krankenhausarzt sei der Kläger Mitglied der Beklagten und damit nach § 81 Abs. 1 S. 1 Nr. 10 SGB V i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 3 der Satzung der KV Hessen verpflichtet, am ÄBD teilzunehmen.

    Dagegen hat der Kläger unter dem 08.08.2014 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, dass die Regelung des § 3 der BDO unwirksam sei, soweit ermächtigte Krankenhausärzte verpflichtet werden würden, am ÄBD teilzunehmen. Insoweit habe das BSG zuletzt mit Urteil vom 11.12.2013 (B 6 KA 39/12 R) entschieden, dass die Pflicht zur Teilnahme am ÄBD aus dem Zulassungsstatus des niedergelassenen Arztes folge. Insoweit habe das BSG klargestellt, dass der Gesetzgeber die Teilnahme am Bereitschaftsdienst als Annex zur Niederlassung in freier Praxis ausgestaltet habe. Zwischen Zulassung und Ermächtigung gebe es aber gravierende Unterschiede, da die Ermächtigung einen besonderen Versorgungsbedarf voraussetze. Die Arbeitskraft der Krankenhausärzte diene darüber hinaus auch in erster Linie der stationären Behandlung, so dass die Heranziehung rechtswidrig sei.

    Er beantragt,
    festzustellen, dass der Bescheid über die Einteilung zum ärztlichen Bereitschaftsdienst des Obmanns für den Bezirk A-Stadt für den Zeitraum Oktober 2014 bis Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2014 rechtswidrig war.

    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.

    Sie ist der Ansicht, dass ihr ein weiter Gestaltungspielraum bei der Organisation des ÄBD obliege. Insoweit obliege es allein der Beklagte, einzuschätzen und zu entscheiden, ob eine Einbeziehung weiterer Leistungserbringer neben den niedergelassenen Vertragsärzten in den organisierten ambulanten Notfalldienst notwendig sei, um die Notfallversorgung sicherzustellen. Als Mitglieder der Beklagten seien ermächtigte Krankenhausärzte per Gesetz verpflichtet, an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Dazu gehöre auch der Notfalldienst. Das vom Kläger zitierte Urteil habe einen anderen Fall zum Inhalt gehabt, so dass sich das BSG nicht zu der Frage der ermächtigten Krankenhausärzte hätte äußern müssen, sondern sich auf den Regelfall beschränkt habe. Daraus resultiere aber nicht, dass das BSG die Teilnahmepflicht von ermächtigten Krankenhausärzten generell verneine. Vielmehr habe das BSG bereits mit Urteil vom 28.01.2009 (B 6 KA 61/07 R) die grundsätzliche Teilnahmepflicht der ermächtigten Krankenhausärzte bejaht.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

    Entscheidungsgründe:

    Die Kammer hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richterinnen aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

    Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG zulässig. Die Einteilung zum Notfalldienst stellt nach der Rechtsprechung des BSG einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X dar, der mit der Anfechtungsklage angegriffen werden kann [vgl. BSG, Urteil vom 11.05.2011- B 6 KA 23/10 R]. Auch das Schreiben des Obmanns, mit welchem dem Kläger der Organisationsplan übersandt wurde, ist als Verwaltungsakt zu qualifizieren, weil damit die Modalitäten des Notdienstes für den Zeitraum von Oktober 2014 bis Januar 2015 verbindlich geregelt wurden. Nach Ablauf dieses Zeitraums haben sich die Verwaltungsakte durch Zeitablauf erledigt, § 39 Abs. 2 SGB X. Das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG neben dem Erledigungseintritt zusätzlich erforderliche Feststellungsinteresse ist im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr gegeben.

    Darunter ist die hinreichend bestimmte Gefahr für den Kläger zu verstehen, dass der Beklagte unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen einen gleichartigen Verwaltungsakt wie den erledigten erlassen wird. Wiederholungsgefahr ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Rechtsstreit bei im Wesentlichen gleichen bedarfsrelevanten Tatsachen maßgeblich von Rechtsfragen abhängt, die künftig voraussichtlich wieder bedeutsam werden, oder wenn er die rechtlichen Kriterien für die Bedarfsbeurteilung betrifft [BSG, Urteil vom 12.09.2001 B 6 KA 86/00 R], wenn also die Klärung einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage weiterhin für das Verhältnis der Beteiligten relevant ist, weil sie sich mit einiger Wahrscheinlichkeit künftig erneut stellen wird [BSG, Urteil vom 19.07.2006 - B 6 KA 14/05 R; Urteil vom 28.09.2005 - B 6 KA 60/03 R; Urteil vom 30.01.2002 - B 6 KA 12/01 R; Urteil vom 14.03.2001 - B 6 KA 49/00 R]. So verhält es sich hier. Der Kläger wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder zum Notdienst herangezogen, so dass die hinreichend konkrete Gefahr einer Wiederholung offensichtlich ist.

    Die Klage ist jedoch unbegründet.

    Der Bescheid über die Einteilung zum ärztlichen Bereitschaftsdienst des Obmanns für den Bezirk A-Stadt für den Zeitraum Oktober 2014 bis Januar 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2014 ist nicht rechtswidrig. Denn die Beklagte war berechtigt, den Kläger zur Teilnahme am ÄBD heranzuziehen. Nach § 3 Absatz 1 BDO ist der Kläger als ermächtigter Krankenhausarzt verpflichtet, am ÄBD teilzunehmen. Diese Regelung ist rechtmäßig und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der BDO durch die Beklagte im Rahmen ihrer Satzungsautonomie ist § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 SGB V. Danach umfasst die der Kassenärztlichen Vereinigung obliegende Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung auch die Versorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten, den so genannten Bereitschaftsdienst [BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R; Urteil vom 28.09.2005 - B 6 KA 73/04 R; Urteil vom 05.02.2003 - B 6 KA 11/02 R].

    Das BSG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung den tragenden Grund für die Heranziehung zum kassenärztlichen Bereitschaftsdienst dabei in dem durch Zulassung verliehenen Status erblickt, der dem Vertragsarzt abverlangt, nicht nur in bestimmten Zeiträumen (z.B. Sprechstunden, Werktage), sondern zeitlich umfassend ("rund um die Uhr") für die Sicherstellung vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung zu stehen [BSG, Urteil vom 11.06.1986 - 6 RKa 5/85; Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R; Urteil vom 06.02.2008 - B 6 KA 13/06 R; Urteil vom 11.05.2011 - B 6 KA 23/10 R; Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 39/12 R]. Dabei gebietet es der Grundsatz der gleichmäßigen Belastung bei der Heranziehung zum vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst, dass – abgesehen von den geregelten Ausnahmetatbeständen - möglichst alle vertragsärztlich tätigen Ärzte Berücksichtigung finden.

    Zwar handelt es sich bei der Ermächtigung um eine besondere und begrenzte Form der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung, allerdings wird dieser Besonderheit dadurch Rechnung getragen, dass die Teilnahme am ÄBD mit einem geringeren Umfang erfolgt.

    Das Vertragsarztrecht kennt mit der Zulassung und der Ermächtigung zwei Formen der Teilnahme an der Versorgung (§ 95 Abs. 1 S. 1). Die Zulassung ist die Regelteilnahmeform. Sie löst die Mitgliedschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen aus und berechtigt und verpflichtet die zugelassenen Ärzte zur umfassenden Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (§ 95 Abs. 3). Ermächtigungen werden demgegenüber nur in besonderen Versorgungssituationen erteilt und haben zur Folge, dass die ermächtigten Ärzte nach § 77 Abs. 3 SGB V ebenfalls Mitglied in der KÄV werden und nach § 95 Abs. 4 SGB V dieselben Rechte und Pflichten haben, wie die niedergelassenen Ärzte.

    Das BSG hat insoweit bereits mit Urteil vom 28.01.2009 [Az.: B 6 KA 61/07 R] entschieden, dass nach § 95 Abs. 3 und 4 SGB V grundsätzlich auch derjenige, der ermächtigt ist, zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet ist, die Berechtigung und Verpflichtung zur Teilnahme am Notfalldienst aber in gewissen Grenzen durch die BDO eingegrenzt werden kann. Der Beklagten kommt bei der Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes im Rahmen ihrer Satzungsautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu [vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2006 – B 6 KA 43/05 R; Urteil vom 11.05.2011 – B 6 KA 23/10 R]. Angesichts dieses weiten Gestaltungsspielraums und der immer zu berücksichtigenden Verantwortung für eine angemessene Versorgung der Versicherten auch zu den sprechstundenfreien Zeiten, kann der einzelne Arzt durch die Ausgestaltung des Bereitschaftsdienstes nur dann in seinen Rechten verletzt sein, wenn diese nicht mehr von sachbezogenen Erwägungen getragen wird und einzelne Ärzte oder Arztgruppen willkürlich benachteiligt werden [BSG, Urteil vom 06.09.2006 – B 6 KA 43/05 R].

    Dies ist hier nicht der Fall.

    Als ermächtigter Krankenhausarzt ist der Kläger berechtigt, neben seiner eigentlichen Tätigkeit (als Krankenhausarzt) kassenärztliche Leistungen zu erbringen und diese direkt mit der KÄV abzurechnen. In diesem Umfang wird er daher wie ein Vertragsarzt tätig und hat damit auch die entsprechenden Rechte und Pflichten aus § 95 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 SGB V. Insoweit ist die Beklagte wegen des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatzes der gleichmäßigen Heranziehung zu den Belastungen des Bereitschaftsdienstes auch nicht verpflichtet, ermächtigte Krankenhausärzte grundsätzlich vom Bereitschaftsdienst freizustellen. Denn der Bereitschaftsdienst muss so organisiert werden, dass durch ihn alle dafür in Betracht kommenden Ärzte möglichst gleichmäßig belastet werden. Eine Bevorzugung oder Benachteiligung einzelner Personen oder Gruppen ist zu vermeiden. Der einzelne Arzt hat einen Anspruch darauf, dass er nicht in stärkerem Maße als andere Ärzte in gleicher Lage herangezogen wird [BSG, Urteil vom 15.04.1980 - 6 RKa 8/78; Urteil vom 06.02.2008 - B 6 KA 13/06 R; Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R]. Die Sicherstellung des Bereitschaftsdienstes ist eine gemeinsame Aufgabe aller zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichteten Ärzte, die nur erfüllt werden kann, wenn grundsätzlich alle teilnehmenden Ärzte unabhängig von der Fachgruppenzugehörigkeit und sonstigen individuellen Besonderheiten – vorbehaltlich der in der Bereitschaftsdienstordnung geregelten Ausnahmetatbestände – herangezogen werden [BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R; Urteil vom 18.10.1995 - 6 RKa 66/94]. Aus der grundsätzlichen Unbeachtlichkeit individueller Besonderheiten folgt aber nicht, dass der Umfang der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung keinerlei Bedeutung besäße. Vielmehr heißt es in der Rechtsprechung des BSG bezeichnenderweise, dass der einzelne Arzt den Bereitschaftsdienst gleichwertig mittragen muss, solange er in vollem Umfang vertragsärztlich tätig ist [BSG, Urteil vom 06.09.2006 - B 6 KA 43/05 R].

    Dem eingeschränkten Umfang der Ermächtigung trägt die Regelung dadurch Rechnung, dass der Kläger nicht in vollem Umfang an dem ÄBD teilnimmt, sondern nur anteilig mit 0,25 eines Versorgungsauftrages. Dies ist nicht zu beanstanden. Eine willkürliche Benachteiligung ergibt sich insoweit nicht.

    Die Klage war daher abzuweisen.

    Die Kostenentscheidung beruht auf 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

    RechtsgebietSGB 5Vorschriften§ 95 Abs 3 SGB 5, § 95 Abs 4 SGB 5