17.06.2016 · IWW-Abrufnummer 186671
Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 22.07.2015 – 5 U 758/14
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Aktenzeichen: 5 U 758/14
10 O 84/12 LG Koblenz
Oberlandesgericht Koblenz
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
xxx
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Walter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2015 für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 18.06.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages stellt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Beklagte ist als Neurochirurg belegärztlich tätig. Am 20.11.2009 stellte sich der Kläger mit Gangstörungen und Kribbelparestesien in seiner Ambulanz vor und überreichte ein CT der Halswirbelsäule. Daraus ergab sich der Befund einer zervikalen Spinalkanalstenose mit Zeichen einer Myelopathie. Der Beklagte riet nachdrücklich zu einem operativen Eingriff.
Die Operation fand am 30.11.2009 im Rahmen eines stationären Aufenthalts statt. Der Beklagte nahm zur Entlastung des Spinalkanals ventral eine Vertebrektomie bei C 5 unter Einbringung eines Wirbelkörperersatzes aus Kunststoff vor. Anschließend kam es zu einer kurzzeitigen Besserung des Beschwerdebilds, ehe sich die Dinge chronisch verschlechterten.
Der Kläger ist heute fundamental behindert. Eine anhaltende Hemiparese mit Kraft- und Koordinationsminderungen sowie sensorischen Ausfällen verweist ihn durchweg auf den Rollstuhl. Daneben liegen Blasen- und Darmentleerungsstörungen vor.
Diese Situation hat der Kläger auf den Eingriff vom 30.11.2009 zurückgeführt. Er hat dem Beklagten vorgeworfen, ihn ohne Not vorgenommen zu haben. Konservative Behandlungsmethoden seien ebenso außer Betracht geblieben wie ein weniger belastendes operatives Vorgehen. Im Vorfeld habe es keinerlei Aufklärung über die Art, Chancen und Risiken der Operation gegeben. Im Hinblick darauf hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 175.000 € zu beziffernden Schmerzensgeldes und die Feststellung der weitergehenden Haftung beantragt.
Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Parteien mit Blick auf die präoperative Aufklärung des Klägers angehört. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach war der Eingriff vom 30.11.2009 dringlich indiziert. Fehler in seiner Ausführung seien nicht ersichtlich. Freilich lasse sich eine ordnungsgemäße Eingriffs- und Risikoaufklärung des Klägers nicht feststellen. Aber man müsse angesichts der Notwendigkeit der Operation von dessen hypothetischer Einwilligung ausgehen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger in Erneuerung seines erstinstanzlichen Begehrens mit der Berufung. Er wirft dem Beklagten weiterhin Aufklärungsversäumnisse vor und bestreitet die vom Landgericht bejahte hypothetische Einwilligung auf seiner Seite. Außerdem habe der Beklagte intraoperativ den Spinalkanal geschädigt. Die einschlägigen Unterlagen habe er vernichtet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und den Inhalt der Gerichtsakten im Übrigen Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg. Es verbleibt bei dem klageabweisenden Urteil des Landgerichts. Der Beklagte haftet dem Kläger weder vertraglich noch deliktisch.
Fehler in der Durchführung des Eingriffs vom 30.11.2009 sind nicht zu erkennen. Dahingehend hatte sich bereits der Sachverständige Dr. ...[A] geäußert, der in dem vom Kläger iniziierten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren herangezogen worden war. Dem hat sich Prof. Dr. ...[B] als vom Landgericht beauftragter Gutachter dann angeschlossen: Die Operation sei nach fachärztlichem Standard erfolgt. Auf den anschließend gefertigten Bildern zeige sich eine regelgerechte Lage des eingebrachten Fremdmaterials und eine suffiziente Erweiterung des Spinalkanals. Die Operationszeit habe der Norm entsprochen und deute nicht auf Komplikationen hin. Des Weiteren habe sich augenscheinlich postoperativ zunächst eine Besserung ergeben; das spreche gegen eine Schädigung des Rückenmarks durch den Beklagten.
Die neuerliche Behauptung des Klägers, der Beklagte habe die über die Operation vorhandene Dokumentation im Nachhinein vernichtet, ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu tragen. Der bloße Umstand, dass einschlägige Aufzeichnungen nicht vorhanden sind, erlaubt grundsätzlich nur die Schlussfolgerung, bestimmte Umstände, die hätten dokumentiert werden müssen, hätten sich nicht ereignet (Sprau in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 823 Rn. 165; Weidenkaff in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 630 h Rn. 7); auf dieser Ebene hat der Kläger nichts vorgebracht. Allerdings ist, wenn zunächst existente Unterlagen später infolge ärztlichen Verschuldens nicht mehr zur Verfügung stehen, darüber hinaus die Annahme gestattet, dass Behauptungen des Patienten zu ihrem Inhalt zutreffen, wenn sie wahrscheinlich gemacht worden sind (BGHZ 132, 47).
Auch das hilft dem Kläger jedoch nicht. Denn er hat in diesem Punkt keinen substantiellen Sachvortrag unterbreitet und erst recht keine Wahrscheinlichkeit für dessen Richtigkeit aufgezeigt. Seine Darstellung beschränkt sich auf die - nach den gutachterlichen Erkenntnissen völlig fernliegende - spekulative These, der Beklagte habe den Spinalkanal beschädigt.
Im Ansatz zielführend ist das Vorbringen des Klägers freilich insofern, als er den Vorwurf einer mangelhaften präoperativen Aufklärung erhebt. Das Landgericht ist in Würdigung der Parteianhörungen zu dem Ergebnis gelangt, der Beklagte habe die gebotene Information des Klägers zum Umfang und zu den Risiken des Eingriffs vom 30.11.2009 vermissen lassen, indem er sich im Wesentlichen darauf beschränkt habe, dessen Notwendigkeit hervorzuheben. Die darin liegende tatsächliche Feststellung zum Ausmaß der Unterrichtung des Klägers begegnet keinen rechtserheblichen Zweifeln und bindet daher für die Berufungsinstanz (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Daraus ergibt sich aber nicht die Schlussfolgerung, dass der Kläger ohne seinen Willen und damit in rechtswidriger Weise operiert wurde. Unzulänglich war seine Aufklärung nämlich nur insoweit, als ihm die mit dem Eingriff verbundenen Risiken von Gefäßverletzungen und einer Rückenmarksschädigung nicht mitgeteilt wurden, die der vom Senat ergänzend konsultierte Sachverständige Prof. Dr. ...[C] in den Raum gestellt hat. Das Angebot einer konservativen Versorgung seiner Beschwerden, dass der Kläger für erforderlich erachtet, oder alternativer Operationsmethoden brauchte der Beklagte nicht zu unterbreiten.
Ein Arzt muss dem Patienten im Allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche verschiedenen Behandlungsmaßnahmen in Betracht kommen, solange er zu einer Therapie greift, die dem Standard genügt (BGHZ 102, 17). Anders ist es lediglich dann, wenn mehrere Wege zur Verfügung stehen, die sich in ihren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen wesentlich unterscheiden; dann ist der Patient davon in Kenntnis zu setzen, damit er selbst prüfen kann, was in seiner persönlichen Situation sinnvoll ist und worauf er sich einlassen will (BGH VersR 1988, 190; BGH GesR 2015, 160; OLGR Hamburg 2000, 250; OLG Naumburg VersR 2004, 1460).
Von daher war das von dem Kläger reklamierte Angebot einer konservativen Therapie entbehrlich. Denn eine derartige Therapie kam unter den gegebenen Umständen in keiner Weise ernsthaft in Betracht. Prof. Dr. ...[B] hat dazu bemerkt, eine operative Versorgung des Klägers sei absolut indiziert und dringlich gewesen, weil andernfalls die Gefahr einer vollständigen Querschnittslähmung bestanden hätte. Die vorangegangenen Ausführungen Dr. ...[A]s hatten in dieselbe Richtung gewiesen: Zur Entlastung des Spinalkanals habe es einer zügigen Operation bedurft. Der dortige hochgradige Engpass habe keinen Raum für konservative Maßnahmen gelassen.
Genauso wenig war der Beklagte verpflichtet, die von ihm geplante und dann umgesetzte ventrale Vertebrektomie, mit der die Einbringung eines Ersatzwirbels einherging, zur Diskussion zu stellen. Zwar bestand stattdessen auch die Möglichkeit, über einen dorsalen Ansatz eine Laminoplastie oder eine Laminektomie vorzunehmen, wie der Sachverständige Prof. Dr. ...[C] herausgestellt hat. Aber Prof. Dr. ...[C] hat gleichzeitig dargelegt, dass es sich dabei nicht um nach ihren Risiken, Chancen und Beeinträchtigungen sowie ihrer Effizienz markant verschiedene Operationsmethoden gehandelt habe. Letztlich habe es kein objektiv vorzugswürdiges Verfahren gegeben und es sei auf die Erfahrung des Beklagten angekommen, der autonom habe entscheiden müssen, welchen Weg er gehe. Damit fehlte es an den für eine Aufklärungspflicht vorauszusetzenden wesentlichen (BGH VI ZR 185/08, Beschluss vom 18.11.2008) Unterschieden.
Einer ergänzenden Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. ...[C] bedarf es in diesem Zusammenhang nicht. Allerdings hat der Kläger im Schriftsatz vom 21.04.2015 dessen Anhörung beantragt. Der Antrag zielt jedoch auf die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme dazu ab, ob unter den gegebenen Umständen von einem Einverständnis seiner Person mit dem Eingriff ausgegangen werden kann. Insofern wird eine bloße Rechtsfrage aufgeworfen, die keiner Antwort durch den Sachverständigen bedarf. Eine Anhörung des Sachverständigen würde sich im Übrigen auch dann erübrigen, wenn man den Antrag des Klägers dahin verstünde, dass sich der Sachverständige zu dem im vorliegenden Fall verfügbaren Operationstechniken und deren Vergleichbarkeit äußern möge. Auch dem bräuchte nicht nachgegangen zu werden, weil eine entsprechende Äußerung bereits in eindeutiger Form erfolgt ist (vgl. zu alledem Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 411 Rn. 5 a m. w. N.).
Das verbleibende Versäumnis des Beklagten, den Kläger auf die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und die Möglichkeit hinzuweisen, dass ein umfassender Erfolg nicht gesichert sei, sondern es auch - wie tatsächlich geschehen - schicksalhaft mittelfristig zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen könne, wird, wie das Landgericht richtig gesehen hat, durch eine hypothetische Einwilligung des Klägers überwunden. Es ist anerkannt, dass ein Aufklärungsdefizit ausgeräumt wird, wenn der Patient im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung seine Zustimmung zu dem streitigen Eingriff erteilt hätte (BGH NJW 1980, 1333; BGH NJW 1994, 2414). Dazu muss freilich von Seiten des Arztes dargelegt werden, dass es wichtige Gründe für eine solche Entschließung gab (BGH NJW 1991, 2342). Entsprechende Gründe waren indessen im vorliegenden Fall angesichts der dringenden Operationsindikation zweifelsfrei vorhanden; eine Verweigerung des Eingriffs wäre mit ungleich viel höheren und einschneidenderen Gefahren verbunden gewesen als dessen Akzeptanz. Im Hinblick darauf entfiele eine hypothetische Einwilligung des Klägers nur dann, wenn er deutlich gemacht hätte, dass er sich bei der gebotenen Unterrichtung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, aus dem heraus die Ablehnung der Operation verständlich erscheinen würde (BGH NJW 1991, 1543; Weidenkaff in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 630 h Rn. 5).
Ein derartiger Entscheidungskonflikt ist nicht plausibel dargetan. Dazu hat das Landgericht überzeugende tatsächliche Feststellungen getroffen. Auf die dortige Frage, wie er sich in voller Kenntnis der Situation und dabei namentlich der Risiken, die ohne die Operation drohten, entschieden hätte, hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung erklärt, dass er sich dann „eventuell hätte operieren lassen“. Das gibt nicht zu erkennen, dass es für ihn ernsthafte Gründe gegeben hätte, von der Operation Abstand zu nehmen. Auch das, was der Kläger vor dem Senat geäußert hat, zeichnet kein anderes Bild. Seine nunmehrige Mitteilung, der Beklagte habe ihm, statt ihn regelgerecht zu unterrichten, nur Angst gemacht, beschreibt lediglich eine Befindlichkeit, wie sie auch ein umfassend aufgeklärter Patient in seiner Situation haben musste. Dass zusätzliche Informationen an seiner Willensbildung etwas geändert hätten, geht daraus nicht hervor - zumal nicht zu ersehen ist, dass eine ärztliche Zweitmeinung angesichts der absoluten Operationsindikation anders als die Beurteilung durch den Beklagten hätte ausfallen können.
Nachvollziehbar ist freilich das Bekunden des Klägers, auf der Grundlage der Kenntnisse, die er im Nachhinein erlangt habe, und dabei namentlich in Anbetracht seiner schweren heutigen Schädigung hätte er seinerzeit seine Zustimmung verweigert. Das ist aber ohne Belang, weil es auf eine Vorausschau (Sicht ex ante) ankommt, und nicht danach gehen kann, Entscheidungen, die in der Vergangenheit zu treffen waren, nach heutigen, damals eher fernliegenden Einsichten zu beurteilen.
Der erstmals in der zweiten Instanz gehaltene Vortrag des Klägers, er sei nach dem Eingriff vom 30.11.2009 im Krankenhaus gestürzt, weil ihm eine Krankenschwester im Wege gestanden habe, ist nicht geeignet, Ersatzansprüche gegen den Beklagten auszulösen. Darin kommt nicht einmal zum Ausdruck, dass es ein Fremdverschulden gab. Außerdem ist nicht zu ersehen, wie ein etwaiges Verschulden der Schwester dem Beklagten als bloßem Belegarzt zuzurechnen sein sollte. Darüber hinaus sind auch keine Schadensfolgen des Sturzes aufgezeigt. Der Kläger spekuliert lediglich, es habe zu einer Belastung der frisch operierten Wirbelkörper kommen können.
Schließlich vermag auch das ergänzende neuerliche Vorbringen, der Beklagte habe versäumt, das postoperative Tragen einer Halskrause zu verordnen, das Klageverlangen nicht zu stützen. Der Kläger gibt dazu an, eine entsprechende Maßnahme sei während seines Reha-Aufenthalts vom 16.12.2009 bis zum 27.01.2010 „angedacht“ worden, weil sich der vorerwähnte Sturz ereignet hatte und es in diesem Zusammenhang den Verdacht auf einen Abszess im Bereich der Operationsnarbe gegeben habe. Daraus erschließt sich lediglich, dass das Anlegen einer Halskrause nach dem geschilderten Unfallereignis erwogen werden musste. Wie weit es tatsächlich geboten war und welchen Einfluss der Beklagte in diesem Zusammenhang nahm, ist indessen nicht ersichtlich geworden. Zwar hat der Kläger mitgeteilt, mit dem Beklagten sei Rücksprache gehalten worden; aber es ist nicht zu erkennen, was das Ergebnis dieser Rücksprache war.
Das kann jedoch auf sich beruhen. Denn das Vorbringen des Klägers zu seinem Sturz und zum Tragen einer Halskrause ist bereits prozessual unbeachtlich. Damit soll nämlich ein neuer, postoperativ angesiedelter Lebenssachverhalt zum Anspruchsgrund gemacht werden; insofern liegt mangels Zustimmung des Beklagten eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung vor. Sähe man das anders, wäre jedenfalls ein Präklusionsfall der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO gegeben, da dem Kläger die Problematik bereits von vornherein bekannt war.
Nach alledem ist die Berufung mit den Nebenentscheidungen aus § 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision fehlen.
Rechtsmittelstreitwert: 205.000 €
10 O 84/12 LG Koblenz
Oberlandesgericht Koblenz
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
xxx
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Richter am Oberlandesgericht Goebel, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Walter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15.07.2015 für Recht erkannt:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 18.06.2014 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages stellt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Beklagte ist als Neurochirurg belegärztlich tätig. Am 20.11.2009 stellte sich der Kläger mit Gangstörungen und Kribbelparestesien in seiner Ambulanz vor und überreichte ein CT der Halswirbelsäule. Daraus ergab sich der Befund einer zervikalen Spinalkanalstenose mit Zeichen einer Myelopathie. Der Beklagte riet nachdrücklich zu einem operativen Eingriff.
Die Operation fand am 30.11.2009 im Rahmen eines stationären Aufenthalts statt. Der Beklagte nahm zur Entlastung des Spinalkanals ventral eine Vertebrektomie bei C 5 unter Einbringung eines Wirbelkörperersatzes aus Kunststoff vor. Anschließend kam es zu einer kurzzeitigen Besserung des Beschwerdebilds, ehe sich die Dinge chronisch verschlechterten.
Der Kläger ist heute fundamental behindert. Eine anhaltende Hemiparese mit Kraft- und Koordinationsminderungen sowie sensorischen Ausfällen verweist ihn durchweg auf den Rollstuhl. Daneben liegen Blasen- und Darmentleerungsstörungen vor.
Diese Situation hat der Kläger auf den Eingriff vom 30.11.2009 zurückgeführt. Er hat dem Beklagten vorgeworfen, ihn ohne Not vorgenommen zu haben. Konservative Behandlungsmethoden seien ebenso außer Betracht geblieben wie ein weniger belastendes operatives Vorgehen. Im Vorfeld habe es keinerlei Aufklärung über die Art, Chancen und Risiken der Operation gegeben. Im Hinblick darauf hat der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines mit mindestens 175.000 € zu beziffernden Schmerzensgeldes und die Feststellung der weitergehenden Haftung beantragt.
Das Landgericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und die Parteien mit Blick auf die präoperative Aufklärung des Klägers angehört. Sodann hat es die Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach war der Eingriff vom 30.11.2009 dringlich indiziert. Fehler in seiner Ausführung seien nicht ersichtlich. Freilich lasse sich eine ordnungsgemäße Eingriffs- und Risikoaufklärung des Klägers nicht feststellen. Aber man müsse angesichts der Notwendigkeit der Operation von dessen hypothetischer Einwilligung ausgehen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger in Erneuerung seines erstinstanzlichen Begehrens mit der Berufung. Er wirft dem Beklagten weiterhin Aufklärungsversäumnisse vor und bestreitet die vom Landgericht bejahte hypothetische Einwilligung auf seiner Seite. Außerdem habe der Beklagte intraoperativ den Spinalkanal geschädigt. Die einschlägigen Unterlagen habe er vernichtet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und den Inhalt der Gerichtsakten im Übrigen Bezug genommen.
II. Das Rechtsmittel ist ohne Erfolg. Es verbleibt bei dem klageabweisenden Urteil des Landgerichts. Der Beklagte haftet dem Kläger weder vertraglich noch deliktisch.
Fehler in der Durchführung des Eingriffs vom 30.11.2009 sind nicht zu erkennen. Dahingehend hatte sich bereits der Sachverständige Dr. ...[A] geäußert, der in dem vom Kläger iniziierten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren herangezogen worden war. Dem hat sich Prof. Dr. ...[B] als vom Landgericht beauftragter Gutachter dann angeschlossen: Die Operation sei nach fachärztlichem Standard erfolgt. Auf den anschließend gefertigten Bildern zeige sich eine regelgerechte Lage des eingebrachten Fremdmaterials und eine suffiziente Erweiterung des Spinalkanals. Die Operationszeit habe der Norm entsprochen und deute nicht auf Komplikationen hin. Des Weiteren habe sich augenscheinlich postoperativ zunächst eine Besserung ergeben; das spreche gegen eine Schädigung des Rückenmarks durch den Beklagten.
Die neuerliche Behauptung des Klägers, der Beklagte habe die über die Operation vorhandene Dokumentation im Nachhinein vernichtet, ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu tragen. Der bloße Umstand, dass einschlägige Aufzeichnungen nicht vorhanden sind, erlaubt grundsätzlich nur die Schlussfolgerung, bestimmte Umstände, die hätten dokumentiert werden müssen, hätten sich nicht ereignet (Sprau in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 823 Rn. 165; Weidenkaff in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 630 h Rn. 7); auf dieser Ebene hat der Kläger nichts vorgebracht. Allerdings ist, wenn zunächst existente Unterlagen später infolge ärztlichen Verschuldens nicht mehr zur Verfügung stehen, darüber hinaus die Annahme gestattet, dass Behauptungen des Patienten zu ihrem Inhalt zutreffen, wenn sie wahrscheinlich gemacht worden sind (BGHZ 132, 47).
Auch das hilft dem Kläger jedoch nicht. Denn er hat in diesem Punkt keinen substantiellen Sachvortrag unterbreitet und erst recht keine Wahrscheinlichkeit für dessen Richtigkeit aufgezeigt. Seine Darstellung beschränkt sich auf die - nach den gutachterlichen Erkenntnissen völlig fernliegende - spekulative These, der Beklagte habe den Spinalkanal beschädigt.
Im Ansatz zielführend ist das Vorbringen des Klägers freilich insofern, als er den Vorwurf einer mangelhaften präoperativen Aufklärung erhebt. Das Landgericht ist in Würdigung der Parteianhörungen zu dem Ergebnis gelangt, der Beklagte habe die gebotene Information des Klägers zum Umfang und zu den Risiken des Eingriffs vom 30.11.2009 vermissen lassen, indem er sich im Wesentlichen darauf beschränkt habe, dessen Notwendigkeit hervorzuheben. Die darin liegende tatsächliche Feststellung zum Ausmaß der Unterrichtung des Klägers begegnet keinen rechtserheblichen Zweifeln und bindet daher für die Berufungsinstanz (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Daraus ergibt sich aber nicht die Schlussfolgerung, dass der Kläger ohne seinen Willen und damit in rechtswidriger Weise operiert wurde. Unzulänglich war seine Aufklärung nämlich nur insoweit, als ihm die mit dem Eingriff verbundenen Risiken von Gefäßverletzungen und einer Rückenmarksschädigung nicht mitgeteilt wurden, die der vom Senat ergänzend konsultierte Sachverständige Prof. Dr. ...[C] in den Raum gestellt hat. Das Angebot einer konservativen Versorgung seiner Beschwerden, dass der Kläger für erforderlich erachtet, oder alternativer Operationsmethoden brauchte der Beklagte nicht zu unterbreiten.
Ein Arzt muss dem Patienten im Allgemeinen nicht ungefragt erläutern, welche verschiedenen Behandlungsmaßnahmen in Betracht kommen, solange er zu einer Therapie greift, die dem Standard genügt (BGHZ 102, 17). Anders ist es lediglich dann, wenn mehrere Wege zur Verfügung stehen, die sich in ihren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen wesentlich unterscheiden; dann ist der Patient davon in Kenntnis zu setzen, damit er selbst prüfen kann, was in seiner persönlichen Situation sinnvoll ist und worauf er sich einlassen will (BGH VersR 1988, 190; BGH GesR 2015, 160; OLGR Hamburg 2000, 250; OLG Naumburg VersR 2004, 1460).
Von daher war das von dem Kläger reklamierte Angebot einer konservativen Therapie entbehrlich. Denn eine derartige Therapie kam unter den gegebenen Umständen in keiner Weise ernsthaft in Betracht. Prof. Dr. ...[B] hat dazu bemerkt, eine operative Versorgung des Klägers sei absolut indiziert und dringlich gewesen, weil andernfalls die Gefahr einer vollständigen Querschnittslähmung bestanden hätte. Die vorangegangenen Ausführungen Dr. ...[A]s hatten in dieselbe Richtung gewiesen: Zur Entlastung des Spinalkanals habe es einer zügigen Operation bedurft. Der dortige hochgradige Engpass habe keinen Raum für konservative Maßnahmen gelassen.
Genauso wenig war der Beklagte verpflichtet, die von ihm geplante und dann umgesetzte ventrale Vertebrektomie, mit der die Einbringung eines Ersatzwirbels einherging, zur Diskussion zu stellen. Zwar bestand stattdessen auch die Möglichkeit, über einen dorsalen Ansatz eine Laminoplastie oder eine Laminektomie vorzunehmen, wie der Sachverständige Prof. Dr. ...[C] herausgestellt hat. Aber Prof. Dr. ...[C] hat gleichzeitig dargelegt, dass es sich dabei nicht um nach ihren Risiken, Chancen und Beeinträchtigungen sowie ihrer Effizienz markant verschiedene Operationsmethoden gehandelt habe. Letztlich habe es kein objektiv vorzugswürdiges Verfahren gegeben und es sei auf die Erfahrung des Beklagten angekommen, der autonom habe entscheiden müssen, welchen Weg er gehe. Damit fehlte es an den für eine Aufklärungspflicht vorauszusetzenden wesentlichen (BGH VI ZR 185/08, Beschluss vom 18.11.2008) Unterschieden.
Einer ergänzenden Befragung des Sachverständigen Prof. Dr. ...[C] bedarf es in diesem Zusammenhang nicht. Allerdings hat der Kläger im Schriftsatz vom 21.04.2015 dessen Anhörung beantragt. Der Antrag zielt jedoch auf die Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme dazu ab, ob unter den gegebenen Umständen von einem Einverständnis seiner Person mit dem Eingriff ausgegangen werden kann. Insofern wird eine bloße Rechtsfrage aufgeworfen, die keiner Antwort durch den Sachverständigen bedarf. Eine Anhörung des Sachverständigen würde sich im Übrigen auch dann erübrigen, wenn man den Antrag des Klägers dahin verstünde, dass sich der Sachverständige zu dem im vorliegenden Fall verfügbaren Operationstechniken und deren Vergleichbarkeit äußern möge. Auch dem bräuchte nicht nachgegangen zu werden, weil eine entsprechende Äußerung bereits in eindeutiger Form erfolgt ist (vgl. zu alledem Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 411 Rn. 5 a m. w. N.).
Das verbleibende Versäumnis des Beklagten, den Kläger auf die mit dem Eingriff verbundenen Risiken und die Möglichkeit hinzuweisen, dass ein umfassender Erfolg nicht gesichert sei, sondern es auch - wie tatsächlich geschehen - schicksalhaft mittelfristig zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen könne, wird, wie das Landgericht richtig gesehen hat, durch eine hypothetische Einwilligung des Klägers überwunden. Es ist anerkannt, dass ein Aufklärungsdefizit ausgeräumt wird, wenn der Patient im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung seine Zustimmung zu dem streitigen Eingriff erteilt hätte (BGH NJW 1980, 1333; BGH NJW 1994, 2414). Dazu muss freilich von Seiten des Arztes dargelegt werden, dass es wichtige Gründe für eine solche Entschließung gab (BGH NJW 1991, 2342). Entsprechende Gründe waren indessen im vorliegenden Fall angesichts der dringenden Operationsindikation zweifelsfrei vorhanden; eine Verweigerung des Eingriffs wäre mit ungleich viel höheren und einschneidenderen Gefahren verbunden gewesen als dessen Akzeptanz. Im Hinblick darauf entfiele eine hypothetische Einwilligung des Klägers nur dann, wenn er deutlich gemacht hätte, dass er sich bei der gebotenen Unterrichtung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte, aus dem heraus die Ablehnung der Operation verständlich erscheinen würde (BGH NJW 1991, 1543; Weidenkaff in Palandt, BGB, 74. Aufl., § 630 h Rn. 5).
Ein derartiger Entscheidungskonflikt ist nicht plausibel dargetan. Dazu hat das Landgericht überzeugende tatsächliche Feststellungen getroffen. Auf die dortige Frage, wie er sich in voller Kenntnis der Situation und dabei namentlich der Risiken, die ohne die Operation drohten, entschieden hätte, hat der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung erklärt, dass er sich dann „eventuell hätte operieren lassen“. Das gibt nicht zu erkennen, dass es für ihn ernsthafte Gründe gegeben hätte, von der Operation Abstand zu nehmen. Auch das, was der Kläger vor dem Senat geäußert hat, zeichnet kein anderes Bild. Seine nunmehrige Mitteilung, der Beklagte habe ihm, statt ihn regelgerecht zu unterrichten, nur Angst gemacht, beschreibt lediglich eine Befindlichkeit, wie sie auch ein umfassend aufgeklärter Patient in seiner Situation haben musste. Dass zusätzliche Informationen an seiner Willensbildung etwas geändert hätten, geht daraus nicht hervor - zumal nicht zu ersehen ist, dass eine ärztliche Zweitmeinung angesichts der absoluten Operationsindikation anders als die Beurteilung durch den Beklagten hätte ausfallen können.
Nachvollziehbar ist freilich das Bekunden des Klägers, auf der Grundlage der Kenntnisse, die er im Nachhinein erlangt habe, und dabei namentlich in Anbetracht seiner schweren heutigen Schädigung hätte er seinerzeit seine Zustimmung verweigert. Das ist aber ohne Belang, weil es auf eine Vorausschau (Sicht ex ante) ankommt, und nicht danach gehen kann, Entscheidungen, die in der Vergangenheit zu treffen waren, nach heutigen, damals eher fernliegenden Einsichten zu beurteilen.
Der erstmals in der zweiten Instanz gehaltene Vortrag des Klägers, er sei nach dem Eingriff vom 30.11.2009 im Krankenhaus gestürzt, weil ihm eine Krankenschwester im Wege gestanden habe, ist nicht geeignet, Ersatzansprüche gegen den Beklagten auszulösen. Darin kommt nicht einmal zum Ausdruck, dass es ein Fremdverschulden gab. Außerdem ist nicht zu ersehen, wie ein etwaiges Verschulden der Schwester dem Beklagten als bloßem Belegarzt zuzurechnen sein sollte. Darüber hinaus sind auch keine Schadensfolgen des Sturzes aufgezeigt. Der Kläger spekuliert lediglich, es habe zu einer Belastung der frisch operierten Wirbelkörper kommen können.
Schließlich vermag auch das ergänzende neuerliche Vorbringen, der Beklagte habe versäumt, das postoperative Tragen einer Halskrause zu verordnen, das Klageverlangen nicht zu stützen. Der Kläger gibt dazu an, eine entsprechende Maßnahme sei während seines Reha-Aufenthalts vom 16.12.2009 bis zum 27.01.2010 „angedacht“ worden, weil sich der vorerwähnte Sturz ereignet hatte und es in diesem Zusammenhang den Verdacht auf einen Abszess im Bereich der Operationsnarbe gegeben habe. Daraus erschließt sich lediglich, dass das Anlegen einer Halskrause nach dem geschilderten Unfallereignis erwogen werden musste. Wie weit es tatsächlich geboten war und welchen Einfluss der Beklagte in diesem Zusammenhang nahm, ist indessen nicht ersichtlich geworden. Zwar hat der Kläger mitgeteilt, mit dem Beklagten sei Rücksprache gehalten worden; aber es ist nicht zu erkennen, was das Ergebnis dieser Rücksprache war.
Das kann jedoch auf sich beruhen. Denn das Vorbringen des Klägers zu seinem Sturz und zum Tragen einer Halskrause ist bereits prozessual unbeachtlich. Damit soll nämlich ein neuer, postoperativ angesiedelter Lebenssachverhalt zum Anspruchsgrund gemacht werden; insofern liegt mangels Zustimmung des Beklagten eine nach § 533 ZPO unzulässige Klageänderung vor. Sähe man das anders, wäre jedenfalls ein Präklusionsfall der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO gegeben, da dem Kläger die Problematik bereits von vornherein bekannt war.
Nach alledem ist die Berufung mit den Nebenentscheidungen aus § 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision fehlen.
Rechtsmittelstreitwert: 205.000 €