29.03.2006 · IWW-Abrufnummer 060914
Bundesgerichtshof: Urteil vom 23.03.2006 – III ZR 223/05
Die Gebührenordnung für Ärzte ist auch auf die Abrechnung medizinisch nicht indizierter kosmetischer Operationen anzuwenden.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 223/05
Verkündet am:
23. März 2006
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 8. August 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der beklagte Facharzt für Chirurgie/plastische Chirurgie betreibt in G. eine Privatklinik, in der er kosmetische Operationen durchführt. Im Frühjahr 2000 konsultierte ihn die damals 53-jährige Klägerin wegen einer Brustverkleinerung oder Bruststraffung. Hierfür nannte ihr der Beklagte in einer nicht unterschriebenen "Kostenaufstellung", die außerdem die Kosten eines Face-Lift und einer Korrektur der Oberlider betraf, einen unaufgeschlüsselten Gesamtbetrag von 18.500 DM (= 9.458,90 ¤). Diese Summe wurde von der Klägerin bezahlt. Nach Durchführung des nicht medizinisch indizierten Eingriffs übersandte der Beklagte der Klägerin unter dem 2. Juni 2000 eine Rechnung, in der es auszugsweise heißt: "Für ärztliche Bemühungen erlaube ich mir, den Betrag von 18.500 DM zu berechnen."
In der Folgezeit kam es zwischen der Klägerin, die über eine Zusage der Kostenübernahme durch ihre private Krankenversicherung verfügte, und dem Beklagten zu Streitigkeiten über dessen Verpflichtung zur Abrechnung nach den Vorschriften der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Nachdem die Klägerin in einem bei dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen geführten Vorprozess eine dahingehende Verurteilung des Beklagten erreicht hatte (8 C 1110/01), erstellte dieser auf der Grundlage der Gebührenordnung eine neue Liquidation, die - ohne eine weitere Rechnung der Anästhesistin über 3.350,60 DM - mit einer Endsumme von 15.095,49 DM abschloss.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat die Klägerin den Beklagten auf Rückzahlung von 5.716,45 ¤ nebst Zinsen in Anspruch genommen. Der Beklagte hat während des erstinstanzlichen Verfahrens 4.000 ¤ an die Klägerin erstattet; insoweit haben die Parteien den Rechtstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Zwischen ihnen besteht weiter Einigkeit darüber, dass - sollte die Gebührenordnung für Ärzte anwendbar sein - noch ein Betrag von 1.716,45 ¤ zuviel gezahlt worden ist.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Rückzahlung auch dieser Summe nebst Zinsen verurteilt, das Oberlandesgericht hat dessen Berufung zurückgewiesen. Mit seiner - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hält die Gebührenordnung für Ärzte auch in F ällen medizinisch nicht notwendiger kosmetischer Operationen für anwendbar. Dabei handele es sich ebenfalls um berufliche Leistungen der Ärzte im Sinne des § 1 Abs. 1 GOÄ. Dasselbe ergebe sich im Rückschluss aus der Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 GOÄ über die eingeschränkte Möglichkeit zur Berechnung von Leistungen, die über das Maß einer medizinisch notwendigen ärztlichen Versorgung hinaus gingen; hierzu gehöre auch eine kosmetische Operation. Diese Beschränkungen der freien Honorarvereinbarung seien unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Abweichende Vereinbarungen seien gemäß § 2 GOÄ möglich. Die hier vorliegende Preisabsprache habe aber nicht den Vorgaben dieser Bestimmung entsprochen.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. Der Beklagte ist damit um den von der Klägerin gezahlten und nach den Regelungen der Gebührenordnung für Ärzte nicht gerechtfertigten Honoraranteil ungerechtfertigt bereichert (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB).
1. Die Gebührenordnung für Ärzte ist eine auf der Grundlage von § 11 der Bundesärzteordnung (BÄO) von der Bundesregierung erlassene Rechtsverordnung. § 1 und § 2 GOÄ in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Februar 1996 (BGBl. I S. 210) lauten:
"§ 1 Anwendungsbereich
(1) Die Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Ärzte bestimmen sich nach dieser Verordnung, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Vergütungen darf der Arzt nur für Leistungen berechnen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind. Leistungen, die über das Maß einer medizinisch notwendigen ärztlichen Versorgung hinausgehen, darf er nur berechnen, wenn sie auf Verlangen des Zahlungspflichtigen erbracht worden sind.
§ 2 Abweichende Vereinbarung
(1) Durch Vereinbarung kann eine von dieser Verordnung abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden. ... Die Vereinbarung einer abweichenden Punktzahl (§ 5 Abs. 1 Satz 2) oder eines abweichenden Punktwerts (§ 5 Abs. 1 Satz 3) ist nicht zulässig. ...
(2) Eine Vereinbarung nach Absatz 1 Satz 1 ist nach persönlicher Absprache im Einzelfall zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem vor Erbringung der Leistung des Arztes in einem Schriftstück zu treffen. Dieses muss neben der Nummer und der Bezeichnung der Leistung, dem Steigerungssatz und dem vereinbarten Betrag auch die Feststellung enthalten, dass eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist. Weitere Erklärungen darf die Vereinbarung nicht enthalten. ..."
In § 11 BÄO heißt es:
"Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Entgelte für ärztliche Tätigkeit in einer Gebührenordnung zu regeln. In dieser Gebührenordnung sind Mindest- und Höchstsätze für die ärztlichen Leistungen festzusetzen. Dabei ist den berechtigten Interessen der Ärzte und der zur Zahlung der Entgelte Verpflichteten Rechnung zu tragen."
Bei der ärztlichen Gebührenordnung handelt es sich um ein für alle Ärzte geltendes zwingenden Preisrecht. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich, verletzt insbesondere weder die Kompetenzordnung des Grundgesetzes noch die Berufsfreiheit der Ärzte (Art. 12 Abs. 1 GG; BVerfGE 68, 319, 327 ff. = NJW 1985, 2185 ff.; BVerfG NJW 1992, 737; 2005, 1036, 1037).
2. Die in der Gebührenordnung für Ärzte enthaltenen Vorschriften beziehen sich, wie das Berufungsgericht mit Recht entschieden hat (ebenso OLG Stuttgart NJW-RR 2002, 1604, 1605), nach Wortlaut und Systematik der Regelungen auch auf kosmetische Operationen unabhängig davon, ob diese medizinisch indiziert oder nicht zur Heilung einer Gesundheitsstörung erforderlich waren.
a) Nach ihrem § 1 Abs. 1 ist die Verordnung anwendbar auf alle "beruflichen Leistungen der Ärzte". Dieser weite Begriff geht, ebenso wie das in der Ermächtigungsnorm des § 11 BÄO verwendete gleichbedeutende Merkmal der "ärztlichen Tätigkeit", inhaltlich über den den Ärzten in erster Linie zugewiesenen Dienst an der Gesundheit (§ 1 Abs. 1 BÄO) und die "Ausübung der Heilkunde" (§ 2 Abs. 5 BÄO) hinaus. Es kommt deswegen nicht darauf an, ob sich die ärztliche Heilbehandlung entsprechend der Legaldifinition des § 1 Abs. 2 des Heilpraktikergesetzes begrifflich auf die Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen beschränkt (so die ältere Literatur; Nachweise in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 44 Rn. 1, § 52 Rn. 2) oder ob sie zumindest sinngemäß auch Maßnahmen am gesunden Menschen umfasst, wenn diese ihrer Methode nach der ärztlichen Krankenbehandlung gleichkommen und ärztliche Fachkenntnisse voraussetzen sowie gesundheitliche Schädigungen verursachen können (vgl. BVerwG NJW 1959, 833, 834; Haage in Rieger, Lexikon des Arztrechts, 2. Aufl. Stand August 2003, "Bundesärzteordnung" Nr. 1172 S. 10 f.); letzteres würde auch auf die hier in Rede stehenden Schönheitskorrekturen zutreffen. Dass "berufliche Leistungen der Ärzte" jedenfalls in einem umfassenderen Sinne zu verstehen sind, ergibt sich schon daraus, dass die Gebührenordnung für Ärzte in den Nummern 80 und 85 des ihr als Anlage beigefügten Gebührenverzeichnisses auch die Vergütung für schriftliche gutachtliche Äußerungen des Arztes regelt, die nur bei einer weiten Auslegung noch zur Ausübung der Heilkunde zu rechnen sind (dafür BVerwG NVwZ-RR 2001, 386, 387; anders Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, 2. Aufl. 2000, § 1 GOÄ Anm. 1.3). Gleiches gilt für Leistungen in den Fällen eines aus medizinischen Gründen nicht erforderlichen, jedoch straffreien Schwangerschaftsabbruchs (§ 5a GOÄ) oder im Zusammenhang mit künstlichen Befruchtungen.
b) Tätigkeiten in der plastischen Chirurgie lediglich zu ästhetischen Zwecken lassen sich ebenso zwanglos unter den Begriff der "beruflichen Leistungen der Ärzte" subsumieren. Dass die medizinische Notwendigkeit einer Behandlung kein zwingendes Erfordernis für den Anwendungsbereich der Gebührenordnung für Ärzte ist, ergibt sich darüber hinaus aus den Bestimmungen der § 1 Abs. 2 Satz 2 und § 12 Abs. 3 Satz 5 GOÄ, in denen die Möglichkeit zur Berechnung von Leistungen, die über das Maß einer medizinisch notwendigen Versorgung hinausgehen, vorausgesetzt und lediglich an ein Verlangen des Zahlungspflichtigen geknüpft wird. Das bezieht sich nicht allein auf Fälle der Unwirtschaftlichkeit (z.B. bereits vorliegende verwertbare Röntgen- und Laborbefunde), die in der Begründung zu der vorausgegangenen Regelung des § 1 Abs. 3 GOÄ 1982 als Beispiele genannt sind (BR-Drucks. 295/82 S. 12 f.), wie die Revision meint, sondern nach der zutreffenden ganz überwiegenden Auffassung in der Fachliteratur gerade auch auf ärztlich nicht indizierte kosmetische Eingriffe (Brück/Hess/Klakow-Frank/Warlo, GOÄ, 3. Aufl. Stand 1. Juli 2005, § 1 Rn. 8; Hoffmann, GOÄ, 3. Aufl. Stand Oktober 2003, § 1 C I S. 18/9 f.; Uleer/Miebach/Patt, aaO, § 1 GOÄ Anm. 2.3; wohl auch Lang/Schäfer/Stiel/Vogt, GOÄ, § 1 Rn. 15). Hiervon abgesehen würde eine Unterscheidung zwischen medizinisch notwendigen und nur kosmetisch veranlassten Operationen vermeidbare Unsicherheiten in das Behandlungsverhältnis hineintragen, da die Übergänge unter Berücksichtigung auch der psychischen Befindlichkeit der Patienten fließend sind (vgl. etwa Krieger/Küntzel in Rieger, Lexikon des Arztrechts, Stand September 2001, "Kosmetische Behandlung" Nr. 2990, Rn. 2 f.; Laufs/Uhlenbruck, aaO, § 39 Rn. 29 f.; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2005, § 13 Rn. 32) und eine Abgrenzung nicht stets mit vertretbarem Aufwand möglich sein wird. Dass gleichwohl steuerlich allein Leistungen zur Behandlung von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen von der Umsatzsteuer nach § 4 Nr. 14 UStG befreit sind, beruht auf europäischem Recht (EuGH Slg. 2000, I - 6795; BFHE 206, 471, 472 ff.) und ist für die zivilrechtliche Leistungsabrechnung nicht maßgebend. Eine ähnliche Diskrepanz zwischen Privatrecht und Steuerrecht tritt im Übrigen bei gutachtlichen Äußerungen auf, die unstreitig auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte zu vergüten sind, jedoch als nicht unmittelbar der Krankenbehandlung dienende Leistung der Umsatzsteuer unterliegen (BFHE 206, 471, 473 f.). Schließlich fällt auch der Umstand, dass nach der Darstellung des Beklagten für kosmetische Eingriffe im Gebührenverzeichnis Leistungstatbestände weitgehend fehlen (siehe aber Nummer 2414: Reduktionsplastik der Mamma), nicht entscheidend ins Gewicht. Insofern kann bei Lücken eine Analogbewertung gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ erfolgen, wie sie der Beklagte im Streitfall nachträglich auch vorgenommen hat.
3. Gegen höherrangiges Recht verstößt eine solche Auslegung der Gebührenordnung für Ärzte nicht. Die Ermächtigungsgrundlage des § 11 BÄO ist nach den obigen Erwägungen in derselben Richtung auszulegen. Auch die Berufsausübungsfreiheit des Arztes wird hierdurch nicht verletzt. Das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG umfasst zwar gleichfalls die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder es mit denen, die hieran interessiert sind, auszuhandeln. Die durch die Anwendung der Gebührenordnung für Ärzte bewirkte Einschränkung der freien Honorarvereinbarung ist daher nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt wird und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt ist (BVerfG NJW 2005, 1036 f.).
Diese Voraussetzungen sind indes auch bei kosmetischen Operationen gegeben. Die Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte erhöht im Interesse der zahlungspflichtigen Patienten die Transparenz privatärztlicher Liquidationen und zielt auf eine angemessene, leistungsgerechte Vergütung (BR-Drucks. 295/82 S. 9, 11). Sie leistet auf diese Weise einen Beitrag zum Verbraucherschutz und dient damit einem vernünftigen Gemeinwohlgrund in geeigneter Weise (BVerfG NJW 1992, 737). Erstattungsansprüche des Patienten gegen seine private Krankenversicherung oder - bei Beamten und anderen öffentlich Bediensteten - im Wege der Beihilfe gegen seinen Dienstherrn, auf die das Bundesverfassungsgericht (aaO) zusätzlich verweist, spielen bei kosmetischen Eingriffen zwar regelmäßig keine Rolle, weil derartige Leistungen durchweg auf das medizinisch notwendige Maß einer Behandlung begrenzt sind. Selbst in diesem Punkt kann es im Einzelfall jedoch anders liegen, wie der hier zu entscheidende Rechtsstreit belegt. Eine Anwendung der Gebührenordnung für Ärzte belastet den Arzt auch nicht unverhältnismäßig. Ihm steht es frei, im Rahmen des § 2 GOÄ eine abweichende Vereinbarung mit den an seinen Leistungen Interessierten über die Gebührenhöhe zu treffen. Das erlaubt zwar keinen Pauschalpreis, lässt aber Raum insbesondere für eine von § 5 GOÄ abweichende Vervielfachung des Gebührensatzes.
4. Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte in seiner Abrechnung der an der Klägerin durchgeführten Brustverkleinerung oder Bruststraffung ebenso an die zwingende Gebührenregelung der Gebührenordnung für Ärzte gebunden. Die Revision zweifelt nicht an, dass die von den Parteien getroffene Vereinbarung über die Zahlung eines pauschalen Honorars von 18.500 DM den Anforderungen des § 2 GOÄ nicht genügt. Die Höhe des hieraus folgenden Bereicherungsanspruchs ist zwischen den Parteien nicht streitig. Eine Rückforderung des überzahlten Honoraranteils ist endlich entgegen der Revision auch nicht etwa deswegen treuwidrig, weil die Klägerin sich nach der Operation zufrieden über deren Ergebnisse geäußert haben mag.