11.04.2006 · IWW-Abrufnummer 061082
Bundesgerichtshof: Urteil vom 31.01.2006 – VI ZR 66/05
Zur Frage der Abgrenzung zwischen privater ambulanter Chefarztbehandlung eines Kassenpatienten und einer stationären Krankenhausbehandlung mit privatem Arztzusatzvertrag und ihrer Bedeutung für eine vertragliche Haftung des Krankenhausträgers.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 66/05
Verkündet am:
31. Januar 2006
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2006 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen und die Richter Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. März 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 22. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Universitätsklinik wegen ärztlicher Fehldiagnosen aus den Jahren 1987 und 1988 auf Schadensersatz in Anspruch. Er befand sich seit 1983 als Kassenpatient wegen Beschwerden im rechten Mundbereich in zahnärztlicher Behandlung bei Frau Dr. K.. Diese überwies ihn schließlich an die Beklagte. Mit dem Leiter des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum), Prof. Dr. Dr. F., traf er eine privatärztliche Zusatzvereinbarung über die Entnahme von Gewebeblöcken. Prof. Dr. Dr. F. entnahm am 18. Mai 1987 Gewebeproben aus dem rechten Zungenkörper und veranlasste ihre Untersuchung im Zentrum der Pathologie der Universität. Leiter der dortigen Abteilung III war Prof. Dr. H.. Der bei diesem als Oberarzt tätige Prof. Dr. S. untersuchte die Gewebeproben des Klägers. Prof. Dr. H. teilte mit Schreiben vom 20. Mai 1987 an das Carolinum mit, dass kein Anhalt für Malignität bestehe. Am 2. Februar 1988 entnahm Prof. Dr. Dr. F. beim Kläger weiteres Gewebematerial zur Nachkontrolle, das er wiederum im Zentrum der Pathologie untersuchen ließ. In dem Bericht über die histologische Begutachtung, die ebenfalls von Prof. Dr. S. vorgenommen worden war, teilte Prof. Dr. H. am 4. Februar 1988 erneut mit, dass kein Anhalt für Malignität bestehe. Bei der Untersuchung einer am 18. August 1989 von Prof. Dr. Dr. F. entnommenen dritten Gewebeprobe wurde schließlich im Zentrum der Pathologie ein "mäßig differenziertes verhornendes Platten-Epithel-Karzinom" festgestellt, das zu - teilweise umfassenden - Operationen führte.
Der Kläger macht geltend, die malignen Symptome seien bereits bei den beiden ersten Gewebeproben erkennbar gewesen und er habe sich wegen der verspäteten Diagnose einer Radikaloperation unterziehen müssen, die zu schwersten Entstellungen und Behinderungen im Kopf-, Hals- und Schulterbereich geführt und seine vollständige Berufsunfähigkeit nach sich gezogen habe.
Seine in einem vorausgegangenen Verfahren zunächst gegen Prof. Dr. Dr. F. gerichtete Schadensersatzklage hat das Oberlandesgericht mit der Begründung abgewiesen, dass diesem ein Behandlungsfehler nicht unterlaufen sei und er auch nicht für Fehler des Pathologen hafte, da letzterer nicht sein Erfüllungsgehilfe gewesen sei. Die daraufhin vom Kläger gegen Prof. Dr. H. gerichtete Klage hatte Erfolg. Mit Urteil vom 13. April 1999 - 8 U 25/96 - hat das Oberlandesgericht dem Kläger 350.000 DM Schmerzensgeld zugesprochen und des weiteren die Feststellung getroffen, dass der Beklagte dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aufgrund von Fehldiagnosen im Mai 1987 und Februar 1988 zu ersetzen habe. Die Revision des Beklagten gegen dieses Urteil wurde nicht angenommen (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Dezember 1999 - VI ZR 174/99 -).
Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger das beklagte Universitätsklinikum als Trägerin des Zentrums der Pathologie wegen der Fehldiagnosen der dortigen Klinikärzte auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen und gegen sein Urteil die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger seinen in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materiellen Schäden aufgrund der Fehldiagnosen weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht erachtet deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte für verjährt, da dieser bereits im Verlaufe des Vorprozesses gegen Prof. Dr. Dr. F., in dem am 18. November 1993 ein klageabweisendes erstinstanzliches Urteil ergangen ist, erfahren habe, dass die histologische Begutachtung der Gewebeproben im Zentrum der Pathologie der Beklagten durchgeführt worden sei und der Kläger ab diesem Zeitpunkt gegen diese hätte vorgehen können. Noch nicht verjährte Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung verneint das Berufungsgericht mit der Begründung, bezüglich der Gewebeprobeuntersuchungen seien vertragliche Beziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten nicht begründet worden. Der Kläger habe mit Prof. Dr. Dr. F. einen privatärztlichen Vertrag abgeschlossen. Mit der Übersendung der Gewebeproben und der Beauftragung zur Begutachtung sei Prof. Dr. Dr. F. als Vertreter des Klägers tätig geworden und habe für diesen mit dem Pathologen einen Vertrag abgeschlossen, wozu er vom Kläger durch dessen Einverständnis zur Entnahme der Gewebeproben stillschweigend ermächtigt worden sei. Den Vortrag des Klägers, die Gewebeproben seien anlässlich geplanter stationärer Aufenthalte in der Hals-, Nasen-, Ohren- bzw. Kieferklinik erfolgt, hält das Berufungsgericht gemäß § 531 Abs. 2 ZPO für präkludiert. Es hat die Revision zugelassen, da bei der Inanspruchnahme von ambulanten Krankenhausleistungen durch Kassenpatienten auch die Auffassung vertreten werde, dass vertragliche Beziehungen mit dem Krankenhausträger in Betracht kämen.
II.
Das angefochtene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Die Revision nimmt die Beurteilung des Berufungsgerichts hin, dass deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte jedenfalls verjährt seien. Insoweit sind Rechtsfehler auch nicht erkennbar.
2. a) Hinsichtlich vertraglicher Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte ist das Berufungsgericht unter Anwendung der vom erkennenden Senat entwickelten Grundsätze (vgl. Senatsurteile BGHZ 100, 363, 367 f.; 105, 189, 194; 120, 376, 382 ff.; 124, 128, 131 ff.) zutreffend davon ausgegangen, dass die ambulante Versorgung von Kassenpatienten in erster Linie Aufgabe der zugelassenen Kassenärzte bzw. des zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen Chefarztes ist. Nach dieser Rechtsprechung tritt der Kassenpatient, der zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus überwiesen wird, in vertragliche Beziehungen nur zu dem die Ambulanz kraft kassenärztlicher Zulassung gemäß den geltenden Vorschriften (früher § 368a Abs. 8 RVO, nachfolgend §§ 95, 116 SGB V) betreibenden Chefarzt, nicht aber in eine solche zu dem Krankenhausträger und zwar selbst dann nicht, wenn die Überweisung des Hausarztes auf das Krankenhaus gelautet hat. An dieser Rechtsprechung hält der erkennende Senat jedenfalls für Fälle vor In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I 2266) fest. Sie gilt deshalb im Grundsatz auch für den Streitfall, während für die durch dieses Gesetz geänderte Rechtslage auf das Senatsurteil vom 2. Dezember 2005 - VI ZR 180/04 - (zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) verwiesen wird.
b) Auch der Privatpatient, der sich im Krankenhaus ambulant behandeln lässt, tritt nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich nur in vertragliche Beziehungen zu dem Chefarzt, der die Ambulanz betreibt und aufgrund der Abmachung mit dem Krankenhausträger liquidationsberechtigt ist und zwar auch dann, wenn in Vertretung oder in Abwesenheit des Chefarztes ein nachgeordneter Krankenhausarzt tätig wird (vgl. BGHZ 105, 189). Voraussetzung für die Anwendung dieser Grundsätze ist jedoch, dass tatsächlich eine ambulante Behandlung vorliegt.
c) Demgegenüber entspricht es ebenfalls ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. BGHZ 95, 63, 67 ff.; 121, 107, 110 ff.; Urteil vom 8. Februar 2000 - VI ZR 325/98 - VersR 2000, 1107), dass bei stationärer Behandlung in einem Krankenhaus, das kein Belegkrankenhaus ist, der Krankenhausträger grundsätzlich - soweit im Krankenhausaufnahmevertrag nicht klar das Gegenteil zum Ausdruck kommt - auch dann Vertragspartner des Patienten wird, wenn dieser sich durch einen (privaten) Arztzusatzvertrag mit einem liquidationsberechtigten Chefarzt einen zusätzlichen Schuldner für bestimmte ärztliche Leistungen verschafft. Ohne abweichende Klarstellung durch den Krankenhausträger entspricht es nämlich dem Erwartungshorizont des Patienten, dass die persönliche Betreuung durch liquidationsberechtigte Chefärzte des Krankenhauses ihm einen zusätzlichen Schuldner für bestimmte ärztliche Leistungen verschafft, ohne dass er dadurch den Krankenhausträger aus der Haftung für ärztliche Fehlleistungen der Chefärzte entlässt (vgl. Senat BGHZ 95, 68 f.).
3. Im Streitfall war der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von seiner Zahnärztin als Kassenpatient an die Beklagte überwiesen worden, wo er mit Prof. Dr. Dr. F. als Leiter des Carolinums eine privatärztliche Zusatzvereinbarung über die Entnahme von Gewebeproben traf. Die weitere Feststellung, die Eingriffe und die nachfolgenden Gewebeuntersuchungen seien lediglich ambulant erfolgt, hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die Revision rügt mit Recht, dass das Berufungsgericht entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers, die Entnahme und Untersuchung der Gewebeproben seien im Rahmen eines stationären Krankenhausaufnahmevertrages erfolgt, verfahrensfehlerhaft unter Verstoß gegen §§ 286, 531 Abs. 2 ZPO nicht berücksichtigt hat. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger entsprechenden Sachvortrag nicht erst im Berufungsverfahren gehalten.
a) Das Berufungsgericht meint insoweit, der Kläger habe einen Hinweisbeschluss (tatsächlich: einen abschlägigen Prozesskostenhilfebeschluss) des Landgerichts vom 11. Februar 2003, dass die Gewebeschnitte dem Kläger im Rahmen einer ambulanten Untersuchung ohne stationären Aufenthalt entnommen worden seien, nicht zum Anlass genommen, im Einzelnen vorzutragen, dass jeweils stationäre Aufenthalte vorgelegen hätten, sondern habe im nachfolgenden Schriftsatz vom 19. März 2003 lediglich ausgeführt: "Da ich, wie noch unter Beweis gestellt wird, stationär in die Kiefer- wie auch in die Zahnklinik aufgenommen worden war, ...". Dies habe, so das Berufungsgericht, mangels weiterer Ausführungen zur Behauptung eines totalen Krankenhausvertrages nicht genügt.
b) Dabei lässt das Berufungsgericht - was die Revision ausdrücklich rügt - unberücksichtigt, dass der Kläger im selben Schriftsatz umfassend zu einem stationären Krankenhausaufenthalt vorgetragen hat. Insbesondere habe ihm Prof. Dr. Dr. F. in einem Vorbereitungsgespräch erklärt, er solle sich bis Ende Mai 1987 bei der Aufnahme der Zahnklinik anmelden, er werde dann ein Zimmer bekommen, um für die Eingriffe vorbereitet zu werden, ein Arzt der Klinik werde ihn über den Ablauf der Ereignisse aufklären und sofern die Blutungen bis abends problemlos geblieben seien, könne er abgeholt werden; wenn nicht, müsse er noch zur weiteren Beobachtung und Versorgung auf der Station bleiben. Der Zeuge N. habe ihn mit einer Reisetasche in die Klinik gefahren, wo er sich in der Aufnahme gemeldet habe und wo er, nachdem er das Aufnahmeformular ausgefüllt habe, einen Röntgen-, einen Blutabnahme-, einen EKG-, einen Besprechungstermin auf der Station mit dem Stationsarzt sowie einen Fototermin bekommen habe. Es sei ihm auch erklärt worden, dass seine gesamte Mundhöhle zahn- und kieferchirurgisch in Vollnarkose im OP-Saal untersucht werden solle. Sofern den Ärzten irgendwelche klinisch verdächtigen Erscheinungen auffielen, sollten Gewebeblöcke herausoperiert und dann im pathologischen Institut der Beklagten untersucht werden. Das größte Problem seien mögliche starke Blutungen und Nachblutungen, weshalb er zur Sicherheit mindestens einen Tag in einem eigenen Zimmer untergebracht werden solle, wo er im Notfall umgehend fachmedizinisch versorgt werden könne. Nachdem sich tagsüber bis abends zwar einige Blutungen eingestellt hätten, die jedoch vom Stationsarzt unter Kontrolle gebracht worden seien, sei er abends entlassen worden. Auch 1988 sei die Gewebeentnahme in gleicher Weise stationär erfolgt.
c) Nach diesem Vorbringen lässt es sich - insbesondere in Ansehung der Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I 2266) - nicht ausschließen, dass wegen der nach dem Eingriff zu erwartenden Komplikationen vor Beginn der Behandlung ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten und lediglich ein privater Arztzusatzvertrag mit Prof. Dr. Dr. F. geschlossen und die stationäre Behandlung wegen des günstigen Verlaufs "abgebrochen" worden ist (vgl. BSGE 92, 223, 230 f.). Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die liquidationsmäßige Abwicklung der histologischen Untersuchungen mit einer Ausnahme, der Überweisung von 66,50 DM an Prof. Dr. H.; offenbar über die Krankenkasse erfolgt ist. Wichtiges Indiz für die Bestimmung des Vertragspartners ist - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgeht - regelmäßig die Art der Liquidation. Dass der Auftrag vom 2. Februar 1988 zur pathologischen Untersuchung der entnommenen Gewebeproben unter der Rubrik Krankenkasse das Wort "Privat" enthält und ein (Teil-)Betrag von 66,50 DM von Prof. Dr. H. privat liquidiert worden ist, müsste der Annahme einer stationären Aufnahme nicht entgegenstehen, sondern könnte auch darauf hindeuten, dass es sich - ebenso wie im Verhältnis mit Prof. Dr. Dr. F. - um eine privatärztliche Zusatzvereinbarung gehandelt hat und die übrigen Leistungen von der Beklagten mit der Krankenkasse des Klägers abgerechnet worden sind. Dies spräche im Gegensatz zu einer Abrechnung des Krankenhausträgers f ür den liquidationsberechtigten Chefarzt mit der kassenärztlichen Vereinigung (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2005 - VI ZR 180/04 - Umdruck S. 12) eher für eine Haftung der Beklagten. Dies gilt insbesondere auch für den Fall, dass die Beklagte stationäre Krankenhausleistungen mit der Krankenkasse abgerechnet haben sollte. Ob dies sozialversicherungsrechtlich zulässig gewesen wäre (vgl. zur neuen Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21. Dezember 1992: BSGE 92, 223 und BSG, Urteil vom 8. September 2004 - B 6 KA 14/03 R-MedR 2005, 609 = ArztR 2005, 151), spielt für die haftungsrechtliche Frage, ob ein totaler Krankenhausaufnahmevertrag mit Arztzusatzvertrag zustandegekommen ist, grundsätzlich keine Rolle.
Soweit die Beklagte erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, das "Carolinum" gehöre nicht zur Universitätsklinik, handelt es sich zum einen um revisionsrechtlich unbeachtlichen neuen Sachvortrag und zum anderen geht es im Streitfall um eine Haftung der Beklagten für das Fehlverhalten von Ärzten der Pathologie, die unstreitig zur Universitätsklinik gehört.
III.
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), damit das Berufungsgericht die noch zu treffenden Feststellungen nachholen kann.