Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Arzthaftung

    Das leidige Thema Behandlungsdokumentation - Teil 1: Worauf muss der Chefarzt achten?

    von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de 

    | In Arzthaftungsprozessen ist die ärztliche Dokumentation häufig entscheidend. Unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens kann der Chefarzt als medizinisch Gesamtverantwortlicher seiner Abteilung in die Schusslinie geraten. In vielen für Ärzte geschriebenen medizinrechtlichen Publikationen findet sich am Ende der Hinweis, dass umfassender und genauer dokumentiert werden sollte. In Teil 1 dieser Beitragsserie erläutern wir, worauf der Chefarzt hierbei achten sollte. |

    Konkrete Fragen des Chefarztes

    Für Chefärzte stellen sich im Umgang mit dem schwer fassbaren Begriff der Dokumentationspflicht konkret zum Beispiel folgende Fragen: Wie weit reicht der Umfang dieser Pflicht? Was genau muss der Chefarzt seinen Mitarbeitern mit auf den Weg geben? Welche Rechtsfolgen ergeben sich konkret, wenn nicht hinreichend dokumentiert worden ist?

     

    Inhalt der Behandlungsdokumentation

    Bei der Frage, was genau in der Behandlungsdokumentation aufgeschrieben werden muss, gilt zunächst der Grundsatz: Die Dokumentationspflicht richtet sich am therapeutischen Interesse des Patienten aus! Zugleich soll eine ordnungsgemäße Fortführung der Behandlung durch nachfolgende Behandler sichergestellt werden. Ob eine Maßnahme oder ein Befund dokumentationspflichtig ist oder nicht, ist somit primär an medizinischen Erfordernissen und nicht an rechtlichen Vorgaben zu messen. Eine Dokumentation, die medizinisch nicht notwendig ist, kann rechtlich nicht geboten sein. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sieht die nachfolgende Regelung vor.

     

    •  § 630f Abs. 2 Satz 1 BGB

    „Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen. Arztbriefe sind in die Patientenakte aufzunehmen.“

     

    Kurz gesagt: Die wesentlichen medizinischen Fakten müssen für einen fiktiven Nachbehandler nachvollziehbar festgehalten werden. Dabei muss die Dokumentation nicht für jeden beliebigen Dritten und auch nicht für den Patienten aus sich heraus verständlich sein. Vielmehr genügt es, wenn die Angaben in einer für den Fachmann hinreichend klaren Form erfolgen.

     

    PRAXISHINWEIS | Es ist dem Arzt grundsätzlich unbenommen, Stichworte und - auch individuell gewählte - Abkürzungen zu verwenden, wenn sich diese auf Nachfrage des Nachbehandlers erklären lassen. Wenn die Dokumentation in einem Prozess vorgelegt werden soll, fordern die Gerichte manchmal zusätzlich eine leserliche Abschrift, bei der aber nichts ergänzt werden darf.

     

    Dokumentation von Routinemaßnahmen

    Nicht dokumentationspflichtig sind grundsätzlich Routinemaßnahmen. Diese umfassen zum Beispiel technisch notwendige Zwischenschritte im Rahmen einer Operation oder medizinische Selbstverständlichkeiten im Rahmen bestimmter diagnostischer oder therapeutischer Maßnahmen. Nicht explizit aufgeschrieben werden müssen grundsätzlich zum Beispiel

     

    • die Vornahme von Desinfektionsmaßnahmen,
    • die Feststellung eines unveränderten Beschwerdebildes oder
    • die Art und Weise der Durchführung einer Routineuntersuchung.

     

    Nicht dokumentiert werden müssen alle Einzelbefunde einer Duplex-Ultraschalluntersuchung. Es genügt, die gewonnenen Erkenntnisse festzuhalten.

     

    PRAXISHINWEIS | Eine Ausnahme gilt für erst seit kurzem tätige Assistenzärzte und sonstige Berufsanfänger. Hier müssen auch bei Routinemaßnahmen die wesentlichen Punkte dokumentiert werden.

     

    Der richtige Zeitpunkt der Dokumentation

    Was es für den Beweiswert der ärztlichen Dokumentation bedeutet, wenn diese erst einige Zeit nach der Behandlung niedergeschrieben wird, haben die Gerichte nicht einheitlich entschieden. Wird ein OP-Bericht einen Monat nach der OP erstellt, wurde dies bisher von einigen Gerichten akzeptiert. Hingegen wird eine Dokumentation, die erst ein halbes Jahr nach einem Eingriff erfolgt ist, von verschiedenen Gerichten nicht mehr akzeptiert.

     

    Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes Anfang 2013 ist normiert, dass die Dokumentation „in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung“ vorzunehmen sei. Was dies konkret bedeutet, ist durch die Gerichte noch nicht abschließend geklärt: Betrifft es den Abschluss der gesamten Behandlung (Patient verlässt die Klinik) oder nur das Ende eines Teilschritts (Erstellung des OP-Berichts direkt nach der Operation). Man kann aber erwarten, dass die zeitliche Toleranzgrenze durch die Gerichte eher enger gesteckt werden wird.

     

    PRAXISHINWEIS | OP-Berichte sollten in jedem Fall zeitnah erstellt werden. Cave: Auch Arztbriefe gehören zur Dokumentation. Wenn etwa wegen Überlastung eines Assistenzarztes Entlassbriefe über einen längeren Zeitraum liegen bleiben, könnte unter dem Aspekt des Organisationsverschuldens der Chefarzt hierfür verantwortlich gemacht werden. Dieser sollte seine Mitarbeiter entsprechend überwachen, sodass die Überlastung des Assistenzarztes nicht unentdeckt bleibt.

     

    Negative Befunde: Vorsicht Haftungsfalle!

    In der ärztlichen Praxis taucht immer wieder die Frage auf, ob und wann negative Befunde explizit festgehalten werden müssen. Nicht dokumentiert werden muss eine Untersuchung ohne positiven Befund, wenn die Dokumentation aus medizinischen Gründen unüblich ist. Hingegen sind negative Befunde dann zu dokumentieren, wenn es sich um medizinisch besonders wichtige Befunde handelt oder ein konkreter Anlass zur Ausräumung eines bestimmten Verdachts bestand.

     

    Besteht etwa ein Verdacht auf eine bakterielle Infektion des Kniegelenks nach Durchführung einer Arthroskopie, muss der lokale Befund auch dann dokumentiert werden, wenn zum Beispiel eine Rötung, Überwärmung, Schwellung oder Schmerzempfindlichkeit nicht vorlagen.

    Wie lange müssen Patientenakten aufbewahrt werden?

    Was vorher schon berufsrechtlich galt, ist nunmehr explizit ins Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen: Die Patientenakte ist für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluss der Behandlung aufzubewahren. Teilweise bestehen nach anderen Vorschriften noch längere Fristen - zum Beispiel gelten für Röntgenbilder und die Aufzeichnungen über Röntgenbehandlungen Fristen von 10 bzw. 30 Jahren.

     

    Rechtsfolgen bei unzureichender Dokumentation

    Zunächst einmal gilt: Ein Verstoß gegen die Dokumentationspflicht ist für sich genommen kein Behandlungsfehler. Der Patient kann also allein auf die Tatsache, dass zu wenig oder zu ungenau dokumentiert wurde, keinen Haftungsanspruch stützen. Allerdings können sich für den Patienten im Arzthaftungsprozess gravierende Beweiserleichterungen ergeben, wenn von Seiten des Arztes mangelhaft dokumentiert wurde. So wird bei fehlender oder unvollständiger Dokumentation einer aus medizinischen Gründen aufzeichnungspflichtigen Maßnahme vom Gericht vermutet, dass die Maßnahme unterblieben ist. Gleiches gilt für die Erhebung eines Befundes.

     

    Ärzte und Krankenschwestern als Zeugen

    In solch einem Fall ist der Arzt gefordert - das heißt: Er hat die Beweislast, die Vornahme der Maßnahme zu belegen. Hierzu muss er die Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist, widerlegen. Als Beweismittel kommen Zeugen- oder Parteivernehmungen der beteiligten Ärzte und Krankenschwestern in Betracht. Deren Beweiswert ist aber häufig gering, wenn die gerichtliche Vernehmung erst Jahre nach dem Vorfall erfolgt.

     

    Weiterführende Hinweise

    • In welchem Fall der Arzt trotz einer unvollständigen Dokumentation vor Gericht „durchkam“, lesen Sie in CB 05/2014, Seite 9 („Unvollständig dokumentiertes Aufklärungsgespräch: Arzt bekam vor Gericht trotzdem Recht“.)
    • Teil 2 dieser Beitragsserie befasst sich mit der Umkehr der Beweislast bei der nicht dokumentierten Befunderhebung sowie mit der Frage, was bei Wahlleistungen beachtet werden muss.
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 6 | ID 42693303