· Fachbeitrag · Berufsrecht
Berufsrechtliche und strafrechtliche Risiken im Zusammenhang mit „geschönten“ Diagnosen
von RA, FA für MedR Prof. Dr. Martin Stellpflug, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin, db-law.de
| Die für Patienten kostenlosen Schnelltests (Bürgertestung gemäß § 2 Abs. 1 TestV) setzen voraus, dass der Patient asymptomatisch ist. Dies mag einen Anreiz begründen, dass Ärztinnen und Ärzte eine falsche Diagnose dokumentieren oder angeben, um diesen Schnelltest durchführen zu können. Indes kann eine solche Vorgehensweise weitreichende berufsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. In bestimmten Fällen können auch Chefärzte für die Verfehlungen ihrer nachgeordneten Ärzte haften. |
Berufsrechtliche Risiken
Die Berufspflichten der Ärzte sind in erster Linie in der Berufsordnung geregelt. Zu den allgemeinen Pflichten gehört es, den Beruf gewissenhaft auszuüben. Geben Ärzte eine Diagnose falsch an, damit beispielsweise ein kostenloser Schnelltest durchgeführt werden kann, liegt ganz offensichtlich bereits ein berufsrechtswidriges Verhalten vor.
Daneben ist aber auch eine „Sondervorschrift“ zur Erstellung von Gutachten und Zeugnissen im besonderen Teil der Berufsordnung zu beachten (§ 25 MBO-Ä). Danach haben Ärzte bei der Erstellung mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen. Damit wäre es unvereinbar, eine falsche/„geschönte“ Diagnose zu dokumentieren, um dem Patienten einen kostenlosen Schnelltest zu ermöglichen. Berufsrechtliche Folge kann unter anderem
- eine Rüge,
- ein Verweis (mit Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 100.000 Euro) oder gar
- die Feststellung sein, der Arzt sei unwürdig, den Beruf auszuüben.
Jede Maßnahme erfordert allerdings immer eine Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung aller individuellen Umstände. Unwürdig ist, wer durch sein Verhalten das zur Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen bei der Bevölkerung nicht (mehr) besitzt. Wenn ein Arzt die falsche Diagnose abgibt, dass der Patient nicht symptomatisch ist, nur damit für den Patienten ein kostenloser Schnelltest durchgeführt werden kann, kann dies durchaus das zur Ausübung des ärztlichen Berufs erforderliche Vertrauen bei der Bevölkerung berühren.
Approbationsrechtlich relevant ist darüber hinaus auch der Aspekt der Zuverlässigkeit. Unzuverlässig ist, wer nach seiner Gesamtpersönlichkeit keine ausreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Für die Unzuverlässigkeit wird ein schwerwiegendes Fehlverhalten des Arztes verlangt, das bei Würdigung aller Umstände seine weitere Berufsausübung im maßgeblichen Zeitpunkt untragbar erscheinen lässt. Wer eine Diagnose verändert, um die Kostenübernahme durch den Staat zu erreichen, bietet unter Umständen aus Sicht des dadurch belasteten Kostenschuldners nicht die Gewähr für die notwendige Zuverlässigkeit bei der Ausübung des Arztberufs.
Strafrechtliche Risiken
Geben Ärzte eine Diagnose falsch ab, um dem Patienten einen kostenlosen Schnelltest zu ermöglichen, machen sie sich eventuell nach § 278 Strafgesetzbuch (StGB) sowie nach § 263 StGB strafbar.
Unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand (§ 278 StGB)
Nach § 278 StGB werden Ärzte, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Unrichtig ist ein Gesundheitszeugnis, wenn eine in ihm enthaltene Aussage (über Befundtatsachen oder sachverständige Schlussfolgerungen) mindestens in einem wesentlichen Punkt nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Hier entspricht eine ,,geschönte“ Diagnose nicht der Wirklichkeit. Der Gesundheitszustand wird unrichtig wiedergegeben.
Gegen die Strafnorm wird aber nur verstoßen, wenn Adressaten der verschriftlichten Diagnose Behörden (auch Gerichte) sowie private oder öffentlich-rechtliche Versicherungsgesellschaften sind. Für den Fall der Abrechnung der Tests mit der KV gemäß § 7 TestV ist zwar deren Behördeneigenschaft eindeutig, allerdings wird in den Abrechnungsvorgaben der KBV nicht ausdrücklich der Gesundheitszustand (symptomatisch oder asymptomatisch?) als Pflichtangabe gefordert. Insoweit bleibt fraglich, ob der eng auszulegende Straftatbestand des § 278 StGB in dieser Konstellation überhaupt erfüllt wird.
Betrug (§ 263 StGB)
Ärzte, die eine falsche Diagnose abgeben, machen sich eventuell auch nach § 263 StGB strafbar (Betrug). Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 263 StGB muss der Arzt zunächst über Tatsachen getäuscht haben. Wenn der Arzt zur Vorlage bei Dritten die Diagnose abgibt, der Patient habe keine Symptome, obwohl dieser in Wirklichkeit Symptome zeigt und der Arzt dies auch erkennt, liegt eine Täuschungshandlung vor, wenn damit erreicht wird, dass der Dritte den Fall dadurch als Bürgertestung im Sinne der TestV bewertet.
Es bedarf zur Tatbestandsverwirklichung zudem einer Vermögensverfügung und Vermögensschädigung. Dadurch, dass der Schnelltest für den Patienten nur dadurch kostenlos durchgeführt wird, dass ein Dritter Test und Nebenleistungen bezahlt, entsteht beim Dritten eine Vermögensschädigung. Wenn der Arzt dann noch vorsätzlich und mit der Absicht rechtswidriger Bereicherung gehandelt hat, kann ein Betrug im Sinne des § 263 StGB anzunehmen sein.
Die Haftung des Chefarztes für Verfehlungen nachgeordneter Ärzte
Der Chefarzt ist leitender Arzt einer Fachabteilung. Ihm obliegt die ärztliche und rechtliche Gesamtverantwortung für eine ordnungsgemäße medizinische Versorgung der Patienten. Hierzu stehen ihm Weisungsrechte gegenüber den Mitarbeitern zu, außerdem Informations- und Kontrollrechte und korrespondierende Pflichten aus seinem Arbeitsvertrag. Wie verhält es sich, wenn nachgeordnete Ärzte einer Krankenhausabteilung „geschönte“ Diagnosen dokumentieren und/oder Gefälligkeitsbescheinigungen ausstellen? Für eine mögliche Haftung des Chefarztes kommt es darauf an, ob dies nach Weisung durch den Chefarzt oder ohne sein Wissen geschieht.
Nachgeordnete Ärzte handeln auf Weisung des Chefarztes: Der Chefarzt haftet
Weist ein Chefarzt seine nachgeordneten Ärzte an, Gefälligkeitsbescheinigungen auszustellen, so erstreckt sich die oben dargestellte Berufs- und strafrechtliche Haftung ohne Weiteres auch auf ihn. Im Einzelfall mag dann lediglich strittig sein, ob es sich um Täterschaft, Mittäterschaft oder eine Beihilfehandlung handelt.
Nachgeordnete Ärzte handeln ohne Kenntnis des Chefarztes: allenfalls Organisationsverschulden des Chefarztes
Handeln nachgeordnete Ärzte dagegen ohne Kenntnis des Chefarztes, so wird seine entsprechende Haftung im Ausgangspunkt regelmäßig ausgeschlossen sein. Fraglich bleibt dann allenfalls, ob der Chefarzt durch Organisationsfehler es erst ermöglichte, dass seine nachgeordneten Ärzte solche Gefälligkeitsbescheinigungen ausstellen. Denn im Zusammenhang mit seiner Gesamtverantwortung ist es regelmäßig erforderlich, dass der Chefarzt sich vergewissert, dass in seiner Abteilung pflichtgerecht gehandelt wird und die Ärzte für Ihre Tätigkeit ausreichend qualifiziert sind. Fachlich qualifiziert zur Feststellung, ob Patienten symptomatisch oder asymptomatisch sind, dürften die tätigen Ärzte jedoch regelmäßig sein. Und „kriminelle Energie“ lässt sich an dieser Stelle wohl kaum vom Chefarzt aufspüren oder verhindern.
FAZIT | Das bewusste Stellen einer falschen Diagnose kann im Allgemeinen aber auch im besonderen Fall der Coronavirus-Bürgertestungen weitreichende berufsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen mit sich bringen. Da Ärztekammern unter dem Druck der Rechtsaufsicht und Öffentlichkeit eine besondere Verfolgungsnotwendigkeit sehen könnten, sind die möglichen Folgen solcher Verfahren nicht zu gering einzuschätzen. Sorgfältig sind die Voraussetzungen der TestV beim einzelnen Patienten zu prüfen ‒ für Gefälligkeiten darf es hier keinen Raum geben. |
Weiterführende Hinweise
- „Corona-Blanko-Atteste zum Umgehen der Maskenpflicht? Vorsicht bei solchen Gefälligkeitsattesten!“, Beitrag online vom 27.08.2020, iww.de/cb, Abruf-Nr. 46831376
- „Die Pflicht des Chefarztes zur Überwachung der Mitarbeiter“ (CB 01/2020, Seite 18 ff.)
- „Organisationsverschulden als Haftungsgrund: Wie kann der Chefarzt vorbeugen?“ (CB 12/2011, Seite 1 ff.)