· Fachbeitrag · haftung
Unterlassene präoperative Abklärung einer Blutgerinnungsstörung als Haftungsfalle
von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Rainer Hellweg, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de
| Die Notwendigkeit präoperativer Befunderhebung und Abklärung einer Blutgerinnungsstörung betrifft alle operativen Fächer. Dass hier wegen der prozessrechtlichen Beweislastverteilung besondere Haftungsrisiken lauern, zeigt ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts ( OLG) Hamm vom 21. März 2014 (Az. 26 U 115/11, Abruf-Nr. 142189 ). In ähnlichen Fällen sollte der Chefarzt also genau wissen, wie er seine Mitarbeiter anweist! |
Der dem OLG-Urteil zugrunde liegende Fall
Vor Gericht ging es um eine Patientin, die an einer Gerinnungsstörung (erworbene Faktor-VIII-Hemmkörper-Hämophilie) und an einem systemischen Lupus erythematodes (SLE) litt. Bei ihr wurde im Rahmen einer Hüftgelenks-OP eine Totalendoprothese implantiert. Postoperativ kam es zu schweren Nachblutungen, da präoperativ die Gerinnungsstörung weder diagnostiziert noch therapiert worden war. Wegen der teuren Nachbehandlungen erhob die Krankenkasse der Patientin Klage auf Kostenerstattung.
Die Entscheidung
Das Gericht sprach einen Schadenersatz von knapp 600.000 Euro zu. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens wurde ein sogenannter Befunderhebungsfehler bejaht: Präoperativ sei die Blutgerinnungsstörung nicht abgeklärt worden, obwohl die anamnestischen Angaben und die pathologischen Blutwerte hierzu Veranlassung gegeben hätten. Die Hämophilie hätte vor der Operation behandelt werden müssen; es hätte eine immunsuppressive Gerinnungstherapie durchgeführt werden müssen.
Besonders nachteilig wirkte sich für den Arzt die Beweislastumkehr bei der Kausalität aus. Er hatte im Prozess vorgebracht, dass auch bei richtiger Befunderhebung und Durchführung der Gerinnungstherapie die Nachblutungen in gleicher Weise entstanden wären. Hierzu sagte der Sachverständige: Nachblutungen im Falle einer ordnungsgemäß durchgeführten Gerinnungstherapie wären mit einer Wahrscheinlichkeit von 54 Prozent aufgetreten. Eigentlich hätte dies nach dem Grundsatz der auf Patientenseite liegenden Beweislast dazu geführt, dass die Klage ohne Erfolg geblieben wäre.
Allerdings ging das OLG Hamm bei der unterlassenen Befunderhebung sogar von einem groben Behandlungsfehler aus. Die Folge: Die Beweislast kehrt sich um - und die Patientin gewinnt den Prozess.
PRAXISHINWEIS | Die Entscheidung des OLG zeigt, wie haftungsträchtig eine unterlassene Befunderhebung wegen der Beweislastumkehr im Gerichtsprozess sein kann. Gerade bei elektiven Eingriffen sollte die präoperative Abklärung durch den Arzt daher besonders sorgsam erfolgen. |