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  • · Fachbeitrag · Haftungsrecht

    Handlungsempfehlungen für die Triage: Wie Ärzte in der Coronakrise rechtssicher entscheiden

    von Prof. Dr. iur. Michael Tsambikakis*, Tsambikakis & Partner

    | Bei der Bewältigung der Coronapandemie kann auch das deutsche Gesundheitssystem an seine Kapazitätsgrenzen stoßen. Abhängig von der weiteren Entwicklung der Pandemie kann es ‒ wie etwa in Italien ‒ zu Situationen kommen, in denen nicht mehr alle Patienten einer lebenserhaltenden Intensivbehandlung zugeführt werden können. Entscheidungen über die Zuteilung knapper Ressourcen wären dann unausweichlich. Da es an rechtsverbindlichen Vorgaben für solche Entscheidungen fehlt, bewegen sich Mediziner derzeit auf ethisch wie rechtlich ungesichertem Terrain. |

    Mediziner brauchen im Coronanotstand Rechtssicherheit

    Im Ernstfall drohen Ärzten und Krankenhäusern erhebliche Haftungsrisiken, wenn einem Patienten die medizinisch erforderliche Behandlung verweigert wird. Es werden daher transparente Kriterien benötigt, die rechtssichere Entscheidungen darüber ermöglichen, wer behandelt wird. Aus rechtlicher Sicht ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, dafür die Vorgaben zu machen, denn die Kriterien für die Zuteilung von Lebenschancen bei zu geringen Ressourcen wirken tiefgreifend in die Grundrechte der betroffenen Bürger. Zu denken ist dabei u. a. an die Dringlichkeit oder die Erfolgsaussicht der Behandlung ‒ zwei Kriterien, die sich durchaus widersprechen und bei unterschiedlicher Gewichtung zu verschiedenen Entscheidungen führen können.

     

    Allerdings scheint sich die Politik und damit der Gesetzgeber dieser Verantwortung bislang nicht stellen zu wollen. Es ist nicht erkennbar, dass dieses Dilemma, dem die Ärzteschaft ausgeliefert sein kann, gesetzlich gelöst werden soll. Deshalb ist es unser* Anliegen, den betroffenen Ärztinnen und Ärzten zumindest den bestehenden rechtlichen Spielraum aufzuzeigen, um wenigstens das Risiko einer eigenen Strafverfolgung zu minimieren.

     

    Konstellation 1 ‒ Wer wird noch einer intensivmed. Behandlung zugeführt?

    Die erste Konstellation betrifft die Entscheidung, welcher von fortlaufend eingelieferten Notfallpatienten einer intensivmedizinischen Behandlung zugeführt wird, wenn bereits absehbar ist, dass die Kapazitäten nicht mehr für die Behandlung aller Patienten ausreichen. Die rechtswissenschaftlichen Thesen zu dieser Konstellation lauten:

     

    „In der unvermeidbaren Situation des potentiell über Leben und Tod entscheidenden Ressourcenmangels darf kein Unrechtsvorwurf erhoben werden, wenn es Ärzten nicht mehr möglich ist, alle Patienten optimal zu behandeln. Der Behandlungsanspruch des einzelnen Patienten richtet sich in der Mangellage der Triage auf eine gleiche Teilhabe an den Ressourcen des Gesundheitswesens. Werden Patienten trotz einer bestehenden medizinischen Indikation von vornherein nicht intensivmedizinisch behandelt, weil andere Patienten infolge einer gleichen oder besseren klinischen Erfolgsaussicht versorgt werden, handeln Ärztinnen und Ärzte rechtmäßig und nicht lediglich entschuldigt.“

     

    Diese Aussagen sind für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte von großer Bedeutung, was sich Nichtjuristen möglicherweise nicht sofort erschließt: Ein ärztliches Handeln nach klinischer Erfolgsaussicht ist rechtmäßig und nicht bloß entschuldigt. Die Ärztin bzw. der Arzt begeht kein Unrecht. Das ist bei den sogenannten Entschuldigungslösungen ‒ wie sie wohl beispielsweise der Deutsche Ethikrat propagiert ‒ anders. Dort wird das Nichtbehandeln der Patienten, für die keine Kapazitäten mehr vorhanden sind, als Unrecht stigmatisiert und gegebenenfalls in der Feststellung der Schuld als entschuldigt angesehen. Das öffnet zugleich zivilrechtliche Haftungsrisiken, die von vornherein vermieden werden, wenn das ärztliche Handeln oder Unterlassen bereits als gerechtfertigt angesehen werden kann.

     

    Konstellation 2 ‒ Neuverteilung von Rettungsressourcen

    Die zweite Konstellation betrifft Fälle, in denen bereits alle intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind und zu entscheiden bleibt, ob vorhandene Rettungsressourcen neu verteilt werden dürfen. Das kann dazu führen, dass etwa die Behandlung eines Patienten abgebrochen wird, um das Beatmungsgerät einem anderen Patienten zuzuführen, der bessere Überlebenschancen hat und ohne diese intensivmedizinische Hilfe sterben würde. Die Thesen zu dieser zweiten Konstellation lauten:

     

    „Werden intensivmedizinische Behandlungen bei einzelnen Patienten trotz einer grundsätzlich fortbestehenden medizinischen Indikation abgebrochen, indem ihnen etwa ein bereits eingesetztes Beatmungsgerät entzogen wird, weil andere Patienten mit einer evident besseren klinischen Erfolgsaussicht versorgt werden sollen, die andernfalls nicht behandelt werden könnten, handeln Ärztinnen und Ärzte ebenfalls rechtmäßig. Keinesfalls darf diese Erfolgsaussicht ausschließlich nach dem Lebensalter beurteilt werden. Für die Triage enthalten die klinisch-ethischen Empfehlungen der medizinischen Fachgesellschaften grundsätzlich valide Entscheidungskriterien und -prozeduren. Ihre Beachtung schließt straf- und zivilrechtliche Haftungsfolgen regelmäßig aus, wenn zusätzlich eine gegebenenfalls mögliche Verlegung in andere Einrichtungen erwogen wurde und das Erfordernis einer deutlich besseren klinischen Erfolgsaussicht für den Abbruch einer begonnenen Behandlung gewahrt wurde.“

     

    Auch hier ist die für Mediziner wichtige Erkenntnis, dass Entscheidungen nach Maßgabe der klinischen Erfolgsaussicht rechtlich zulässig sind. Dabei muss aber unbedingt die normative Basisgleichheit der Menschen berücksichtigt werden. Wer allein nach starren Kriterien ‒ wie etwa dem Alter der Patienten ‒ auswählt, haftet womöglich gegenüber zurückgesetzten Patienten oder deren Angehörigen.

     

    FAZIT | Mögliche Triage-Situationen bürden Ärzten eine große Verantwortung auf. Mit den schwerwiegenden Haftungsrisiken, die sich bei der Entscheidung zwischen zwei Patienten ergeben, dürfen sie nicht alleingelassen werden. Rechtssichere Entscheidungen darüber, wer behandelt wird, sind nach geltendem Recht möglich. Eine Triage nach Maßgabe der klinischen Erfolgsaussicht ist rechtlich zulässig.

     

    Weiterführende Hinweise

    • *Eine ausführliche Stellungnahme (inkl. Handlungsempfehlungen) zum Thema von Prof. Dr. Karsten Gaede (Bucerius Law School), Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Kubiciel (Universität Augsburg), Prof. Dr. Frank Saliger (LMU München) und Prof. Dr. Michael Tsambikakis (Universität Passau) findet sich in der Zeitschrift für Medizinstrafrecht 2020, Heft 3, S. 129 ff.
    Quelle: Ausgabe 05 / 2020 | Seite 2 | ID 46522783