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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Adressmängel in der Eingangsrechnung und der Vorsteuerabzug

    von StB Jürgen Derlath, Münster

    | Fehler in der Eingangsrechnung führen häufig dazu, dass der Vorsteuerabzug versagt wird. So forderte jüngst der BFH (22.7.15, V R 23/14 ), dass das Merkmal „vollständige Anschrift“ in § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG nur erfüllt werde, wenn der leistende Unternehmer dort auch seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet. Allerdings ist gegen diese Entscheidung eine Verfassungsbeschwerde (BVerfG 1 BvR 2419/15) anhängig. Und das ist noch nicht das einzige anhängige Verfahren zu dieser Thematik. |

    1. Grundsätzliches

    Mängel bei den Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs hat grundsätzlich der den Vorsteuerabzug beanspruchende Unternehmer zu vertreten. Der Vorsteuerabzug ist z. B. nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz einer GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich bestanden hat (BFH 27.6.96, V R 51/93, BStBl II 96, 620). Hierfür trägt der Leistungsempfänger die Feststellungslast. Er hat die in der Rechnung enthaltenen Angaben auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen (BFH 6.12.07, V R 61/05, BStBl II 08, 695). Dabei ist allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ( Abschn. 15.2a UStAE).

     

    Einige anhängige Verfahren gerade zu den Angaben zur Adresse erwecken den Anschein, als könne Bewegung in das Thema kommen.

     

    • Anhängige Verfahren
    • 1. Scheidet ein Vorsteuerabzug aus, wenn der leistende Unternehmer unter der in der Rechnung angeführten Anschrift zum Zeitpunkt der Rechnungsausstellung nicht mehr gemeldet ist bzw. unter der Anschrift im Leistungszeitraum weder eine Betriebsstätte noch eine Wohnung festgestellt werden kann?
    • 2. Ist es unerheblich, ob der Rechnungsempfänger die Unrichtigkeit kannte oder hätte kennen müssen? Kann ein Vorsteuerabzug aufgrund der Gewährung von Vertrauensschutz bereits im Festsetzungsverfahren erlangt werden oder lediglich im Billigkeitsverfahren nach § 163, § 227 AO?

     

    • 1. Ist der Vorsteuerabzug auch aus Rechnungen möglich, die eine Anschrift ausweisen, unter der keine geschäftlichen bzw. zumindest keine büromäßigen, Aktivitäten stattfinden?
    • 2. Ist das Kriterium der „geschäftlichen Aktivitäten“ zu unbestimmt?

     

    Kein Gutglaubensschutz an das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs im Festsetzungsverfahren

     

    2. BFH bleibt auf restriktiver Linie

    Der Spielraum ist allerdings eher gering. In der eingangs erwähnten Entscheidung des BFH (22.7.15, V R 23/14) hält der BFH fest: Wird ein Scheinsitz angegeben, entfällt die Berechtigung zum Vorsteuerabzug im Festsetzungsverfahren auch dann, wenn der Leistungsempfänger gutgläubig war. Daran, dass ein Briefkastensitz mit nur postalischer Erreichbarkeit ausreichen könne (BFH 19.4.07, V R 48/04) hält er nicht mehr fest (FG Köln 28.4.15, 10 K 3803/13, Rev. BFH V R 25/15).

     

    PRAXISHINWEIS | 2006 hatte der EuGH (6.7.06, C-439/04, C-440/04) entschieden, dass der Vorsteuerabzug nicht verloren geht, wenn der Steuerpflichtige weder wusste noch wissen konnte, dass der Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war. Steht dagegen aufgrund objektiver Umstände fest, dass der Steuerpflichtige wusste - oder hätte wissen müssen -, dass er sich mit dem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Umsatzsteuerhinterziehung einbezogen war, ist der Vorsteuerabzug zu versagen.

     

    Der BFH (8.10.08, V R 63/07) hat diese EuGH-Entscheidung aber restriktiv ausgelegt. Und die Feststellungslast bleibt selbst dann beim Unternehmer, soweit es um die Frage geht, ob er vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten wusste oder diesen zumindest kennen konnte (BFH 19.4.07, V R 48/04). Die Finanzverwaltung verlangte - obwohl die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG vorliegen - zusätzlich den Nachweis, dass der Unternehmer nicht von der Unehrlichkeit seines Vertragspartners wusste. Mehrere EuGH-Urteile später (u.a. EuGH 21.6.12, C-80/11) hat das BMF (7.2.14, IV D 2 - S 7100/12/10003) allerdings verfügt, dass wenn es um das Wissen oder Wissen können geht, zunächst aber die objektiven Umstände, welche für das Wissen oder Wissen können sprechen, durch das FA rechtlich hinreichend nachgewiesen bzw. substantiiert vorgetragen werden müssen.

    3. Verweis auf das Billigkeitsverfahren

    Vertrauensgesichtspunkte können im Billigkeitsmaßnahme gemäß §§ 163, 227 AO berücksichtigt werden. Um es mit der Steuerfestsetzung zu verbinden, müssen bereits im Festsetzungsverfahren Vertrauensgesichtspunkte geltend gemacht und der Vorsteuerabzug im Wege einer Billigkeitsmaßnahme beantragt werden (BFH 22.7.15, V R 23/14). Wird ein auf Vertrauensgesichtspunkte gestützter Billigkeitsantrag erst in der Einspruchsbegründung und damit nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung gestellt, kann das FA beide Verfahren nicht verbinden.

     

    PRAXISHINWEIS | Sollte das FA z. B. im Rahmen einer Prüfung zu erkennen geben, dass es den Vorsteuerabzug nicht gewähren wird, sollte deshalb umgehend ein Billigkeitsantrag gestellt werden. Dann wäre das FA verpflichtet, das Festsetzungs- mit dem Billigkeitsverfahren zu verbinden und müsste bei der Festsetzung bereits Vertrauensgesichtspunkte berücksichtigen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug: Der BFH bleibt streng (Meurer, MBP 16, 9)
    • Aktuelle Rechtsentwicklung zum Vorsteuerabzug (Peine, ESA 4.11.15)
    Quelle: ID 43821895