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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Generalanwalt beim EuGH bejaht Rückwirkung einer Rechnungsberichtigung

    von RiFG Dr. Axel Leonard, Wallenhorst

    | Nach deutscher Rechts- und Verwaltungsauffassung kann eine Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe, z. B. die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, nicht rückwirkend („ex tunc“) berichtigt werden. Das Recht auf Vorsteuerabzug kann damit in Deutschland nur für das Jahr ausgeübt werden, in dem die ursprüngliche Rechnung berichtigt wurde. Eine Berichtigung bereits für das Jahr, in dem die Rechnung ausgestellt wurde, ist danach nicht möglich. Nach Auffassung des Generalanwalts verstößt diese Regelung bzw. Praxis gegen Europarecht. |

    1. Bedeutung für die Nachzahlungszinsen nach § 233a AO

    Bedeutung hat die Frage der Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen vor allem für die Zinsen nach § 233a AO. Nachzahlungszinsen werden in den Fällen der Rechnungsberichtigung von der Finanzverwaltung als Ausgleich dafür erhoben, dass der Steuerpflichtige die Vorsteuer aus der nicht ordnungsgemäßen (Erst-)Rechnung zunächst erhalten hat.

     

    • Beispiel

    Im Rahmen einer Betriebsprüfung für die Jahre 2012 bis 2014 stellt der Prüfer im Mai 2016 formelle Mängel an Eingangsrechnungen fest (z. B. Fehler der Steuer- bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer). Der Unternehmer legt noch während der Außenprüfung im Juni 2016 entsprechend berichtigte Rechnungen vor.

     

    Nach bisheriger deutscher Rechts- und Verwaltungsauffassung kann der Unternehmer die Vorsteuerbeträge erst bei Vorliegen ordnungsgemäßer Rechnungen und damit im Juni 2016 geltend machen. Entsprechend entfällt der Vorsteuerabzug für die Jahre 2012 bis 2014 mit der Folge der Verzinsung nach § 233a AO. Die zu Unrecht gewährten Vorsteuern sind danach mit jährlich 6 %. zu verzinsen.

     

    2. Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen

    Der 5. Senat des FG Niedersachsen hat Zweifel, ob diese Praxis, den Vorsteuerabzug erst im Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung zuzulassen, mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der EuGH-Entscheidung „Pannon Gèp“ vereinbar ist. Er hat den EuGH um Klarstellung gebeten, ob - und unter welchen Voraussetzungen - einer Rechnungsberichtigung Rückwirkung zukommen kann (Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen 3.7.14, 5 K 40/14, EFG 15, 80 - EuGH Rs. C-518/14 - Senatex; vgl. Leonard, NWB 15, 18). Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass der Rechnungsberichtigung Rückwirkung zukommt, wäre für eine Verzinsung nach § 233a AO kein Raum mehr.

     

    3. Schlussanträge des Generalanwalts

    Inzwischen hat die mündliche Verhandlung in dem Verfahren C-518/14 stattgefunden. Das Urteil des EuGH steht noch aus. Die Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts Bot liegen bereits vor und lassen Rückschlüsse auf eine Tendenz des EuGH zu, da das Gericht i.d.R. den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 17.2.16, Rs. C-518/14, Senatex, MwStR 16, 297).

     

    Nach Auffassung des Generalanwalts Bot verstößt die deutsche Regelung bzw. Praxis, wonach der Berichtigung einer Rechnung keine Wirkung für die Vergangenheit zukommen soll, gegen Europarecht.

     

    Zur Begründung seiner Schlussanträge führt der Generalanwalt an:

     

    • Das Recht auf Vorsteuerabzug ist ein Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, das grundsätzlich nicht eingeschränkt werden kann und sofortige Wirkung haben muss, um den Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer zu entlasten. Mit dem sofortigen Abzug bezweckt die MwStSystRL, die Neutralität des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems zu wahren und zu verhindern, dass dem Steuerpflichtigen dadurch, dass er mit dieser Steuer belastet wird, ein finanzielles Risiko entsteht. Die Berichtigung einer Rechnung, die dazu führt, dass das Recht auf Vorsteuerabzug erst später ausgeübt werden kann und nicht schon für den Zeitraum der Rechnungsausstellung, würde gegen den Grundsatz auf sofortigen Abzug der Steuer verstoßen.

     

    • Darüber hinaus besteht für den Unternehmer ein weiteres nicht unerhebliches finanzielles Risiko, denn er kann zur Zahlung von Nachzahlungszinsen verpflichtet werden, obwohl der betreffende Mitgliedstaat keine Steuereinbuße erleidet, da das Umsatzsteueraufkommen im Ergebnis gleichbleibt.

     

    • Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen zur Ahndung unvollständiger Rechnungen ebenso vorsehen wie Maßnahmen, die die Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung zeitlich beschränken, falls diese die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz). Die Auferlegung von Nachzahlungszinsen ist nach Auffassung des Generalanwalts jedoch keine Maßnahme, die der gebotenen Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt.

     

    • Der Generalanwalt betont, dass im Einzelfall eine Korrektur auch nach Erlass des Änderungsbescheids möglich sein muss. Wäre jede Berichtigung nach einer behördlichen Entscheidung in einem Änderungsbescheid verboten, könnte dies dazu führen, dass im Ergebnis jede Berichtigung einer fehlerhaften oder unvollständigen Rechnung abgelehnt würde.

    4. Konsequenzen

    Es ist beliebte Praxis der Betriebsprüfung, selbst kleine formelle Fehler in der Rechnungsstellung (z. B. fehlende Angaben zum Leistungsort, Leistungszeitpunkt) zum Anlass zu nehmen, die Rechnung nicht zum Vorsteuerabzug zuzulassen und Nachforderungszinsen nach § 233a AO festzusetzen. Es spricht viel dafür, dass diese Praxis bald ein Ende haben dürfte. Das letzte Wort hat hier der EuGH. Mit einer Entscheidung dürfte in Kürze zu rechnen sein.

     

    Bis dahin kann sich der Steuerpflichtige dem Finanzamt gegenüber in vergleichbaren Fällen auf den Vorlagebeschluss des FG Niedersachsen und die Schlussanträge des Generalanwalts berufen.

     

    Betroffenen Unternehmen ist - vorsorglich und rechtsschutzwahrend im Sinne der anhängigen EuGH-Vorlage - anzuraten, sich möglichst rasch Korrekturrechnungen zu besorgen. Diese sollte möglichst noch während der Außenprüfung, spätestens aber im Einspruchsverfahren vorgelegt werden.

     

    Im Vorteil sind hierbei Leistungsempfänger, die mit Gutschrift abgerechnet haben und daher auch eine zeitnahe „Rechnungskorrektur mittels Gutschrift“ selbst in der Hand haben.

     

    Wurde die fehlerhafte Ursprungsrechnung dagegen vom Leistenden ausgestellt, sollte dieser - sofern ältere Jahre betroffen sind - zu einer kurzfristigen Rechnungskorrektur gedrängt werden. Große praktische Relevanz kommt hier der seit 1.7.11 ohne Signatur möglichen elektronischen Rechnung i. S. von § 14 Abs. 3 UStG zu. Diese ist „blitzschnellr“ per E-Mail zustellbar und kann auch eine fehlerhafte „Papier-Ursprungsrechnung“ mittels elektronischer Rechnung berichtigen.

     

    PRAXISHINWEIS | Noch nicht abschließend geklärt ist, was unter der Angabe des „leistenden Unternehmers“ (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) zu verstehen ist. Nach bisheriger Rechtsprechung des BFH reichte insoweit ein „Briefkastensitz“ mit postalischer Erreichbarkeit aus (BFH 19.4.07, V R 48/04, BStBl II 09, 315, ebenso Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE). Von dieser Rechtsprechung ist der BFH jüngst abgekehrt. Mit Urteil (BFH 22.7.15,V R 23/14, BStBl II 15) entschied er, dass ein Briefkastensitz nicht ausreicht, ebenso wenig die Angabe eines Postfachs.

     

    Der EuGH ist demgegenüber großzügiger. Er gewährt den Vorsteuerabzug, sofern der Leistungsempfänger hinsichtlich der Rechnungsangaben gutgläubig war. Dies gilt auch für den Fall, dass es sich bei der Adresse des leistenden Unternehmers um einen „Briefkastensitz“ handelt (EuGH 22.10.15, C-277/14, PPUH Stehcemp, MwStR 15, 964).

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2016 | Seite 204 | ID 44097070