· Fachbeitrag · Verbraucherdarlehen
„Widerrufsjoker“ und Verwirkung
| Seit vielen Jahren tobt ein Streit zwischen Verbrauchern und Banken bzw. deren Dienstleistern um das Widerrufsrecht bei Darlehensverträgen. Der handfeste wirtschaftliche Hintergrund: Mit dem sog. „Widerrufsjoker“ versuchen Darlehensnehmer, sich von hochverzinsten Verträgen zu lösen, um ihre Zinsbelastung auf das aktuell günstige Niveau zu senken. Der BGH vermeidet in zwei Entscheidungen vom 9.1.18 (XI ZR 402/18, Abruf-Nr. 199408 ) und vom 23.1.18 (XI ZR 298/17, Abruf-Nr. 200306 ) zwar ein verbindliches Votum und verweist die Sache an die Berufungsinstanzen zurück. Gleichwohl skizziert er die wesentlichen Abgrenzungskriterien, um Rechtssicherheit zu schaffen. Anwälte müssen diese Grundsätze kennen. |
1. Hierum geht es
Am 26.6.06 schlossen die Parteien einen Darlehensvertrag über 225.000 EUR mit einem bis zum 28.2.19 festgeschriebenen Sollzinssatz von 4,68 Prozent p.a. Das Darlehen war mit einer Grundschuld gesichert. Die Beklagte hat den Kläger über sein Widerrufsrecht schriftlich belehrt und dabei u.a. erklärt: „Sie können ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angaben von Gründen in Textform widerrufen. Der Lauf der Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung“. Am 26.6.14 erklärte der Kläger den Widerruf aller auf den Abschluss des Vertrags gerichteten Willenserklärungen und verlangt Rückabwicklung des Vertrags. Der Beklagte hält den Widerruf für verspätet und für verwirkt (BGH, 9.1.18, a. a. O.)
2. Rechtliche Grundlagen des „Widerrufsjokers“
Seit dem 1.11.02 können alle Verbraucherdarlehensverträge widerrufen werden. Dem Verbraucher wird so ermöglicht, nach Maßgabe des § 355 BGB den Darlehensvertrag innerhalb von 14 Tagen ohne konkreten Grund zu widerrufen (§ 355 Abs. 2 BGB). Die Frist beginnt regelmäßig mit Abschluss des Vertrags, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist. Für Verbraucherdarlehen findet sich eine anderweitige Bestimmung in § 356b BGB. Danach beginnt die Widerrufsfrist u. a. erst, wenn dem Verbraucher die Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB einschl. der Belehrung über sein Widerrufsrecht mitgeteilt worden sind (§ 356b Abs. 2 BGB). Die Mitteilung der Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB ist für den Beginn der Widerrufsfrist erst seit dem 11.6.10 entscheidend. Fehlen diese Pflichtangaben oder entsprechen sie nicht den gesetzlichen Anforderungen, läuft die Frist erst mit Nachholung dieser Angaben gemäß § 492 Abs. 6. In diesem Fall beträgt die Widerrufsfrist einen Monat.
Hier setzen die Diskussionen zwischen den Parteien regelmäßig ein. Sie streiten darüber, ob die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß war und ob den sonstigen Informationspflichten des Darlehensgebers (seit 11.6.10) nachgekommen wurde. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen und der Widerruf ist theoretisch für eine unbegrenzte Zeit möglich. Nach Einschätzung der Verbraucherschutzverbände waren von 2002 bis 2010 ca. 80‒90 Prozent der verwendeten Widerrufsbelehrungen für Immobiliardarlehensverträge nicht ordnungsgemäß. Seit 2010 hat sich das verbessert, da die vom Gesetzgeber begründeten Musterwiderrufsbelehrungen kraft Gesetzes wirksam sind. Gleichwohl tauchen auch heute immer wieder fehlerhafte Belehrungen in den Vertragstexten auf, sei es, weil die Mustertexte unzulässig modifiziert oder die Gestaltungshinweise falsch umgesetzt werden. Und schließlich kann für Verträge, die ab dem 11.6.10 geschlossen wurden, trotz ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung ein Widerrufsrecht bestehen, wenn die wesentlichen Pflichtinformationen nicht ordnungsgemäß erfolgt sind.
3. Fehler im Fall des BGH
Hier war die Belehrung nach dem BGH fehlerhaft, da die Beklagte die Kläger durch die Verwendung des Worts „frühestens“ nicht eindeutig über die Voraussetzungen des Fristbeginns belehrt hat. Damit setzt sie den Verbraucher nicht in der gebotenen Weise in die Lage, den Fristbeginn ohne Weiteres zu erkennen. Sie verstößt gegen das Deutlichkeitsgebot (BHGZ 194, 238).
MERKE | Das unbegrenzte Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehen aufgrund unzureichender Widerrufsbelehrung hat der Gesetzgeber zum 21.6.16 eingeschränkt. Danach erlischt das Widerrufsrecht gemäß § 356b Abs. 2 S. 4 BGB für solche Verträge spätestens nach 12 Monaten und 14 Tagen nach dem in § 356b Abs. 1 BGB genannten Zeitpunkt. Diese Einschränkung gilt aber nur für sog. Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge. Das sind Darlehensverträge, die durch ein Grundpfandrecht gesichert sind oder für den Erwerb oder die Erhaltung von Grundeigentum dienen (vgl. § 491 Abs. 3 BGB). Zudem wirkt diese gesetzliche Regelung nur für Verträge, die nach Inkrafttreten des Gesetzes also seit dem 21.3.16 abgeschlossen wurden. |
4. Was gilt bei Altfällen?
Für Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 21. 3. 2016 geschlossen wurden, hat der Gesetzgeber in Art. 229 EGBGB, § 38 folgende Regelung getroffen:
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Fazit: Das ewige Widerrufsrecht bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen hat der Gesetzgeber aufgehoben. Das Widerrufsrecht endet spätestens nach einem Jahr und 14 Tagen.
Für Altverträge, die zwischen dem 1.8.02 und dem 10.6.10 abgeschlossen wurden, ist das Widerrufsrecht mit Ablauf des 21.6.16 endgültig erloschen, nicht aber für allgemeine (sonstige) Verbraucherdarlehensverträge, die vor dem 21.3.16 abgeschlossen wurden. Hier bleibt es beim „ewigen“ Widerrufsrecht. Hier kann dann allenfalls Verwirkung geltend gemacht werden. Somit stellt sich das Problem des ewigen Widerrufsrechts nur noch für die Fälle eines Immobiliar-Verbraucherdarlehens, das vor dem 21.6.16 zulässig widerrufen wurde (wie hier), zudem für alle Fälle eines allgemeinen Verbraucherdarlehens.
5. Wie lange währt das „ewige“ Widerrufsrecht?
Die Banken und ihre Dienstleister wenden nun regelmäßig ein, ein solches ewiges Widerrufsrecht müsse aber nach einer bestimmten Zeit auch an seine Grenzen stoßen und könne wegen „Verwirkung“ nicht mehr geltend gemacht werden. Der Tatbestand der Verwirkung setzt allerdings Zweierlei voraus:
- einen bestimmten Zeitablauf (Verspätung) ‒ „Zeitmoment“ ‒ und
- ein zurechenbares vertrauensbildendes Verhalten des Berechtigten („Umstandsmoment“), das eine Rechtsausübung nun als illoyal erscheinen lässt.
Im Urteil vom 9.10.13 (XII ZR 59/12, Abruf-Nr. 133891) konkretisiert der BGH die Anforderungen. Demnach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Die OLG urteilen seit Jahren sehr kontrovers, ob und nach welcher Zeitdauer ein Widerrufsrecht verwirkt sein kann. Dazu nur einige Beispiele:
Rechtsprechungsübersicht / Zeitdauer beim Widerrufsrecht |
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In der Entscheidung vom 9.1.18 und der nachfolgenden Entscheidung vom 23.1.18 vermeidet der BGH eine klare Festlegung und überträgt dem jeweiligen Tatrichter die festzustellenden und zu würdigenden Umstände des Einzelfalls. Da die allgemeinen Voraussetzungen der Verwirkung hinlänglich bekannt seien, fehle es an der Grundsatzbedeutung der Rechtsfrage. Daher sei eine Entscheidung des höchsten Gerichts entbehrlich. Dem Praktiker hilft der BGH also nur bedingt. Gleichwohl fasst der BGH das zusammen, was als rechtlich geklärt anzusehen sei. Dazu gehörten folgende Aspekte, die im Zuge der Einzelfallbetrachtung von Bedeutung sein können:
Checkliste / Ihre Argumente zur Verwirkung |
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Mit den o. g. Aspekten hat der BGH die wesentlichen Kriterien für die Verwirkung des Widerrufs beim Verbraucherdarlehen festgelegt. Dabei gilt: Die Umstände, die für eine Verwirkung sprechen, müssen nachvollziehbar dargelegt werden. Die Beweislast trifft die Partei, die sich auf die Verwirkung beruft. Im Zweifel ist dem Darlehensgeber der Einwand der Verwirkung versagt.