· Fachbeitrag · Digitalisierung
Verjährungsauslösende Kenntnis bei vollautomatisiert ablaufenden Vorgängen
| Die Digitalisierung schreitet stetig voran. Auf die manuelle Bearbeitung folgt die Automatisierung, die dann auch komplexe Vorgänge erfasst ‒ wie beim Legal Tech ‒ und letztlich in Prozessen künstlicher Intelligenz enden soll. Das wirft die spannende Frage auf, wie in diesem Kontext § 199 BGB zu verstehen ist. Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt danach, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Wann aber hat der Gläubiger bei automatisierten Vorgängen Kenntnis? Damit hat sich aktuell das OLG Frankfurt auseinandergesetzt. |
Sachverhalt
Die Klägerin, das Kreditinstitut der Gläubigerin, nimmt die Beklagte, das Kreditinstitut der Schuldnerin, auf Zahlung nach Rückbuchung aufgrund von Lastschriftwidersprüchen im Jahr 2012 mit einer Klage aus dem Jahr 2017 in Anspruch.
Im vorliegenden Verfahren stritten die Parteien allein um die Frage, wann die Klägerin von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis hatte. Sie machte geltend, dass es sich in 2012 um vollautomatisierte Vorgänge gehandelt habe. Sie habe von den eigentlichen Tatsachen erst durch eine Klage der Gläubigerin im Jahr 2016 Kenntnis erlangt.
Entscheidungsgründe
Das OLG hat auf das Kriterium der Zurechenbarkeit abgestellt.
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Die verjährungsauslösende Kenntnis einer Bank von vollautomatisiert ablaufenden Vorgängen tritt bereits ein, wenn die entsprechenden Informationen aus dem eigenen Datenbestand abrufbar sind. Diese Informationen sind den Organen der Bank zurechenbar (Abruf-Nr. 209934). |
Die Kenntnis muss in der Person des Gläubigers vorliegen, also des organschaftlichen Vertreters bei einer juristischen Person. Bei Unternehmen kommt es dabei auf die Kenntnis des nach der innerbetrieblichen Organisation zuständigen Bediensteten an (BGHZ 134, 343). Dies können auch mehrere Angestellte aus verschiedenen Abteilungen sein, die als Wissensvertreter mit der Vorbereitung und Verfolgung von Ansprüchen betraut sind (BGH NJW 94, 1150; OLG Jena OLG-NL 99, 155). Eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 BGB ist bislang im Verjährungsrecht abgelehnt worden (BGHZ 133, 129). Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass mit der Aufspaltung von Unternehmen in verschiedene Abteilungen oder Filialen auch die organisatorische Aufspaltung der Zuständigkeiten der einzelnen Mitarbeiter bzw. im Fall einer juristischen Person der einzelnen Organe einhergeht. Das Wissen um bestimmte Zusammenhänge verteilt sich somit auf mehrere Köpfe. Der Vertragspartner einer Personengesellschaft oder juristischen Person würde in dieser Hinsicht schlechter gestellt als der Vertragspartner einer natürlichen Person. Um den Schutz des Rechtsverkehrs zu gewährleisten, wird dieser Nachteil dadurch ausgeglichen, dass der juristischen Person bzw. Personengesellschaft das Wissen auch der Organwalter oder Mitarbeiter zugerechnet wird, die am Abschluss eines Vertrags selbst nicht beteiligt sind (BGH NJW 12, 1789).
Eine Wissenszurechnung erfolgt hinsichtlich des Wissens, das typischerweise in Akten festgehalten wird (BGH NJW 96, 1205). Im digitalen Zeitalter tritt an die Stelle aktenmäßig festgehaltenen Wissens zunehmend der computergestützte Abruf von Informationen. Die jederzeitige unmittelbare Verfügbarkeit digitaler Daten für Organwalter und Mitarbeiter wird in vielen Fällen zu einem dem Unternehmensträger zuzurechnenden tatsächlichen biologisch-zerebralen Wissen der handelnden Personen führen (BeckOK BGB/Schäfer, 48. Ed. 1.11.18, BGB § 166 Rn. 23, 24).
Die Nichtanwendung der sog. Wissenszurechnung im Verjährungsrecht wird damit gerechtfertigt, dass unerlässliche Voraussetzung für eine Wissensvertretung ist, dass der betreffende Bedienstete eigenverantwortlich (zumindest) damit betraut ist, Regressansprüche vorzubereiten (BGH NJW 11, 682; NJW 00, 1277). Wenn aber keine Mitarbeiter mehr damit betraut ist, bestimmter automatisierte Vorgänge abzuwickeln, z. B. ein Lastschriftverfahren, und daher die maßgeblichen Tatsachen nur in Dateien festgehalten sind, kann nach Ansicht des OLG das maßgebliche Argument des BGH, mit dem die Zurechnung der Kenntnis anderer Abteilungen abgelehnt wird, nicht eingreifen. Denn dies liefe letztlich darauf hinaus, dass auch die Zurechnung sog. aktenkundigen Wissens, das bei der zuständigen Stelle vorhanden ist, ausgeschlossen ist. In einem solchen Fall müsse es dabei bleiben, dass die übermittelten Daten dann den organschaftlichen Vertretern bekannt sind. Denn diese haben schließlich den Einsatz automatisierter Verfahren autorisiert.
Letztlich müsse man wegen des technischen Fortschritts einen Vergleich vornehmen, wie es mit der Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen aussähe, wenn eine natürliche Person die Tätigkeit ausgeübt hätte. Kreditinstitute lassen ja auch den Handel mit Wertpapieren durch automatisierte Handelssysteme zu, ohne anzuzweifeln, dass hier wirksame Willenserklärungen abgegeben werden. Diese können letztlich auch nur ihren Organen bzw. weiteren rechtsgeschäftlichen Vertretern zugerechnet werden, weil sie den Einsatz solcher automatisierter Handelssysteme autorisiert haben.
Relevanz für die Praxis
Angesichts dieser Ausführungen überrascht es, dass das OLG nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss entschieden und die Revision nicht zugelassen hat. Das hat die Parteien nicht davon abgehalten, Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen (unter X ARZ 165/19 beim BGH anhängig). FMP wird über den Fortgang dieses Verfahrens berichten.