· Fachbeitrag · Elektronischer Rechtsverkehr
Ab wann gelten die Nutzungspflichten des beSt?
OStA a.D. Raimund Weyand, St. Ingbert
| Steuerberater müssen seit dem 1.1.23 prinzipiell elektronisch mit dem FG kommunizieren. Voraussetzung ist nach § 52d S. 2 FGO, dass ein sicherer Übermittlungsweg „zur Verfügung steht“. Über die Frage, ab wann das der Fall ist, wurde mittlerweile in Literatur und Rechtsprechung heftig gestritten. Der BFH (28.4.23, XI B 101/22) hat sich jetzt dazu geäußert. |
Rechtsgrundlagen ‒ ein kurzer Überblick
Das beSt beruht auf der Grundlage neuer Bestimmungen im StBerG. Die BStBK hat die Steuerberaterplattform eingerichtet (§ 86c StBerG), auf der sich alle Kammerangehörigen und Berufsausübungsgesellschaften registrieren müssen. Über diese Plattform wird für alle Registrierten ein beSt installiert (§ 86d StBerG). Die entsprechenden Vorschriften sind grundsätzlich ab dem 1.1.23 zu beachten (§ 157e StBerG). Grundlegende Voraussetzung hierfür ist aber, dass die BStBK die jeweiligen Registrierungsaufforderungen an die Berufsangehörigen versendet. Erst dann kann das Registrierungsverfahren in Gang kommen. Die Registrierungscodes wurden ab dem ersten Quartal 2023 verschickt, sodass faktisch noch nicht alle Verpflichteten elektronisch mit den Gerichten kommunizieren konnten. Die Konsequenzen dieses Dilemmas zwischen gesetzlicher Obliegenheit und faktischer Unmöglichkeit werden sehr unterschiedlich beurteilt.
Standpunkt 1: Strikte Nutzungspflicht ab dem 1.1.23
Teilweise wurde die Auffassung vertreten, angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung bestehe seit dem 1.1.23 für alle beSt-Postfachinhaber eine umfassende aktive Nutzungspflicht. Ein Formverstoß durch Übersendung von Schriftsätzen in Papierform oder als Telefax führt hiernach zur Unwirksamkeit bestimmender Schriftsätze und schließt damit insbesondere eine Fristwahrung aus, es sei denn, es liegt eine vorübergehende technische Störung i. S. d. § 52d S. 3 und 4 FGO vor. Ist dem Berufsangehörigen eine aktive Nutzung nicht möglich, weil er sich noch nicht registrieren konnte und ihm damit faktisch ein elektronischer Übermittlungsweg nicht zugänglich ist, liegt nach dieser Auffassung für den Nutzer zwar eine „strukturelle Unmöglichkeit“ vor. Angesichts der eindeutigen Regelung des § 157e StBerG müsse er dann aber auf alternative sichere Übermittlungsmöglichkeiten ausweichen, z. B. eine absenderbestätigte DE-Mail nutzen oder Dritte mit der Einreichung beauftragen (Pohl, KP 23, 25; H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, § 65a SGG Rz. 303 ff.).
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Das FG Niedersachsen führt i. d. S. aus: Würde man auf den tatsächlichen Registrierungszeitpunkt abstellen, müssten Gerichte letztendlich Listen mit gerichtsbekannten empfangsbereiten beSt führen und in allen anderen Fällen Berufsangehörige zu weiteren Erläuterungen auffordern, ob diese den Registrierungsbrief erhalten haben, oder darzulegen, weshalb die Registrierung noch nicht erfolgt ist. |
Standpunkt 2: Nutzungspflicht erst ab Registrierung
Die BStBK geht in ihrer Handreichung zum beSt (FAQ Steuerberaterplattform/besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach (beSt), Punkt 2.5 - Stand: 20.3.23) hingegen davon aus, dass die aktive Nutzungspflicht erst mit Erhalt des Registrierungsbriefs beginnt. Diese Ansicht wird in der Literatur gleichfalls vertreten (Mehnert/Kalina-Kerschbaum, DStR 22, 2573).
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Das FG Münster hat sich dieser Auffassung nunmehr angeschlossen. Die nach dieser Meinung für jeden einzelnen Betroffenen konkret zu bestimmende Nutzungspflicht greift erst dann ein, wenn die Steuerberaterkammer die Registrierungsaufforderung an den Berufsangehörigen tatsächlich übersandt hat. Erst ab diesem Zeitpunkt steht ein sicherer Übermittlungsweg tatsächlich „zur Verfügung“. Auf die Einrichtung des beSt kommt es demgegenüber nicht an, da sich die Berufsangehörigen dann dauerhaft ihrer Obliegenheit entziehen könnten.
Das Gericht verneint zudem die Pflicht, den Versand der Registrierungsaufforderung durch einen „Fast-Lane-Antrag“ zu beschleunigen, mit dem eine Einrichtung priorisiert werden könnte (so aber Pohl, KP 23, 25): Denn die BStBK ist allein zur Abwicklung des Versands der Registrierungsaufforderungen verpflichtet. Das Gesetz sieht insoweit keine Mitwirkungspflicht des einzelnen Berufsträgers zur Beschleunigung des Versands vor. Dass die insoweit als Hoheitsträgerin handelnde BStBK erst Anfang 2023 die Registrierungsaufforderungen sukzessive in mehreren Tranchen versandt hat bzw. noch versendet, kann nicht den einzelnen Berufsträgern angelastet werden.
Zudem verweisen die Richter auf die Gesetzesbegründung. Aus dieser ergibt sich nach Meinung des Gerichts gerade nicht, dass die Nutzungspflicht abstrakt ab dem 1.1.23 für sämtliche Berufsträger greift. Eine strengere abstrakte Auslegung würde zudem auch gegen das verfassungsrechtlich garantierte Recht auf effektiven Rechtsschutz verstoßen, da von den Beratern zumindest in Einzelfällen etwas faktisch Unmögliches gefordert würde. |
Neben dem FG Münster vertrat auch das FG Hessen (21.3.23, 10 V 67/23) und das FG Niedersachsen (12.5.23, 9 K 10/23) die Meinung, dass die Pflicht zur aktiven Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs für einen Steuerberater erst entsteht, sobald ihm der von der BStBK versandte Registrierungstoken für die Steuerberaterplattform zugegangen ist.
Und der BFH?
Der BFH hat sich in einer aktuellen Entscheidung erstmals grundlegend mit der Problematik befasst (28.4.23, XI B 101/22, Beschluss). Zuvor hat er nur in einem obiter dictum in einer einen gleichzeitig als Rechtsanwalt und Steuerberater betreffenden Sache diese Pflicht zur elektronischen Übermittlung eher beiläufig bejaht (BFH 27.4.22, XI B 8/22; zustimmend Peters jurisPR-SteuerR 45/2022 Anm. 2, Rauch HFR 22, 951).
In der jetzt entschiedenen Sache hatte der Steuerberater gegen eine nachteilige Entscheidung des FG rechtzeitig im November 22 eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, für deren Begründung aber antragsgemäß eine Fristverlängerung bis zum 20.1.23 erhalten. Genau an diesem Tag übermittelte er den Begründungsschriftsatz per Fax an den BFH. Erst am 23.2.23 reichte er seinen Sachvortrag durch einen unterbevollmächtigten Anwalt per beA ein ‒ nach Auffassung des Senats verspätet und daher unwirksam.
Einem Wiedereinsetzungsantrag gab der BFH nicht statt. Die Richter verweisen auf die aus ihrer Sicht eindeutige Gesetzeslage: Steuerberater sind seit dem 1.1.23 uneingeschränkt zur aktiven Nutzung des beSt verpflichtet. Die Begründung des Beraters, er habe den Registrierungsbrief für das beSt von der BStK erst am 18.1.23 erhalten, weshalb eine Registrierung und Implementierung der elektronischen Übermittlungsmöglichkeiten in die von ihm genutzte Kanzleisoftware nicht vor Fristablauf möglich war, ließ der Senat nicht gelten. Er verweist darauf, dass der Steuerberater schon bei Einlegung des Rechtsmittels und vor allem bei seinem erfolgreichen Fristverlängerungsantrag wusste, dass er ab dem 1.1.23 aktiv in die elektronische Kommunikation mit dem Gericht eingebunden sein würde. Konsequenzen hat er hieraus nicht gezogen. Begehrt ein Berufsangehöriger wegen verspäteter elektronischer Übermittlung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) mit der Begründung, dass er bei Ablauf der Frist für die Nutzung des beSt noch nicht freigeschaltet worden sei, muss er aber umfassend und nachvollziehbar darlegen, weshalb er von der ihm seit September 22 bekannten Möglichkeit der Priorisierung ihrer Registrierung („fast lane“) keinen Gebrauch gemacht habe. Denn jedes Verschulden ‒ also auch einfache Fahrlässigkeit ‒ schließt eine Wiedereinsetzung regelmäßig aus (BFH 13.9.12, XI R 48/10).
Der BFH setzt sich leider mit der gegenteiligen Auffassung des FG Münster nicht auseinander, dessen Beschluss nicht nur vorher ergangen, sondern auch zum Zeitpunkt des BFH-Beschlusses allgemein zugänglich war. Das Gericht geht auch weder auf die von der BStBK vertretene Auffassung noch auf die gegenteiligen Argumente von Teilen der Literatur ein. Es bleibt abzuwarten, ob dies noch Gegenstand einer weiteren Entscheidung sein wird.
Relevanz für die Praxis
Mit seinem Beschluss hat der BFH die Auffassung des FG Münster (14.4.23, 7 K 86/23 E ) bzw. des FG Hessen weitgehend verworfen und auch die Einschätzung der BStBK nicht geteilt. Die Berufsangehörigen müssen damit für technische Unzulänglichkeiten und die faktisch erheblich verspätete tatsächliche praktische Umsetzung durch die BStBK bzw. den Gesetzgeber, der die in § 157e StBerG aufgeführte Frist angesichts der erkennbaren Probleme ohne Weiteres hätte korrigieren können, gerade stehen. Die ausnahmsweise bestehende Möglichkeit für den Betroffenen, Tatsachen schlüssig vorzutragen, weshalb eine Anmeldung für die „fast lane“ nicht erfolgt ist, dürfte nur in den seltensten Fällen zu einer Wiedereinsetzung führen. Von den Berufskammern wurden Hinweise auf diese Priorisierungsmöglichkeit schon im Herbst 2022 explizit gegeben, sodass mehrere Monate für ihre Umsetzung zur Verfügung standen.
PRAXISTIPP | Möglicherweise nützt in diesem Zusammenhang ein Hinweis auf die oben angeführte Einschätzung der BStBK in ihren FAQ bzw. die in der Literatur vertretene gegenteilige Meinung. Wie Gerichte hierauf reagieren, lässt sich aber nicht abschätzen. |
Die Rechtsprechung hat bislang keine einhellige Linie zum Umgang mit dem elektronischen Rechtsverkehr gefunden. Ob sich dies künftig ändern wird, erscheint zweifelhaft, wenn man die aktuellen Entscheidungen zum beA untersucht. Die Anwaltschaft ist in Zivilsachen bekanntlich bereits seit dem 1.1.22 verpflichtet, das beA zu nutzen (§ 130d ZPO). Erwartungsgemäß gab es seitdem zahlreiche Streitigkeiten vor allem im Zusammenhang mit technischen Störungen des beA und hier insbesondere mit der Frage, inwieweit Versäumnisse im Zusammenhang mit der beA-Nutzung Anlass für eine Wiedereinsetzung geben können oder aber zu Regressfällen führen. Betrachtet man diese Rechtsprechung, lässt sich eine „rote Linie“ nicht feststellen. Es setzt sich fort, was in der Vergangenheit schon beobachtet werden konnte: Oft erledigen Gerichte Streitfälle vorzugsweise schon auf der Verfahrensebene und vermeiden so auf für sie einfache Weise die Auseinandersetzung mit regelmäßig komplizierten Rechtsfragen und verlagern Verantwortlichkeiten auf den Rechtsbeistand. So soll ein Anwalt z. B. zur Nutzung des beA einen Internet-Hotspot einrichten, falls sein „normaler“ Internet-Anschluss gestört ist (OVG Nordrhein-Westfalen 6.7.22, 16 B 413/22). Insolvenzverwalter müssen mit dem Insolvenzgericht elektronisch kommunizieren ‒ aber nur dann, wenn sie als Rechtsanwalt zugelassen sind (BGH 24.11.22, IX ZB 11/22).
Die Rechtsprechung der Obergerichte in Strafsachen geht demgegenüber mit Verstößen gegen §§ 32a, 32d StPO wesentlich großzügiger um (s. z. B. BGH 9.8.22, 6 StR 268/22): Trotz formunwirksamer Revisionseinlegung wird regelmäßig auf Antrag Wiedereinsetzung gewährt (s. bspw. auch BGH 2.11.22, 6 StR 413/22). Dies gilt selbst für den Fall, dass die im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags nachgeholte Revisionsbegründung erneut formunwirksam vorgelegt wurde, weshalb eine „Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist“ zu gewähren war (OLG Oldenburg 25.2.22, 1 Ss 28/22).
PRAXISTIPP | Wie sich die Rechtsprechung weiterentwickelt, kann man nicht verlässlich absehen. Einen Hinweis in die erwartbare Richtung hat der BGH allerdings schon gegeben: Ein Rechtsanwalt müsse die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH 15.12.22, III ZB 18/22). „Schonfristen“ im Zusammenhang mit dem elektronischen Rechtsverkehr lehnt er deswegen explizit ab. Auch der Steuerberater muss damit rechnen, dass die Gerichte diese Linie weiter beschreiten. Mit einem gerichtlichen Entgegenkommen kann der Berufsangehörige im Zusammenhang mit dem elektronischen Rechtsverkehr jedenfalls kaum rechnen. |