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  • · Fachbeitrag · Fremdbesitzverbot

    Können Gewerbetreibende künftig Gesellschafter von StB- und RA-BAG werden?

    von RA Oscar Radunski, Hamburg, roemermann.com

    | Die Schlussanträge des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona im Vorlageverfahren vor dem EuGH (4.7.24, C-295/23 ) könnten weitreichende Konsequenzen für die Zukunft des Fremdbesitzverbots bei rechtsberatenden Berufen haben. Die zentrale Frage, ob das Verbot der Kapitalbeteiligung von Gewerbetreibenden mit den Grundfreiheiten der EU vereinbar ist, wirft grundlegende Bedenken auf. Sollte der EuGH die in den Anträgen formulierten Zweifel an der Kohärenz der aktuellen Regelungen teilen, könnte dies den Weg für eine Liberalisierung des Beteiligungsrechts ebnen. |

    Das Fremdbesitzverbot

    Steuerberatungs- und Rechtsanwaltskanzleien sind Wirtschaftsunternehmen. Sie dienen der Schaffung und Ausübung der Existenzgrundlage der jeweiligen Berufsträger. Als Organe der Rechtspflege haben die rechtsberatenden Berufsträger die Verantwortung, ordentliche Verfahren zu gewährleisten und Mandanten sachgemäß und umfassend zu vertreten. Diese Tätigkeit soll allein auf die Interessen des Mandanten ausgerichtet und unabhängig von wirtschaftlichen Anreizen sein. Arbeitet ein Berufsträger aber unwirtschaftlich, dann bedeutet dies gleichwohl den Vermögensverfall und damit den Verlust der Zulassung/Anerkennung und der beruflichen Existenzgrundlage (§§ 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerg, 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Eine wirtschaftlich ausgerichtete Ausübung der Tätigkeit als Organ der Rechtspflege ist damit gerade eine Voraussetzung der rechtsberatenden Berufe. Das Dilemma der rechtsberatenden Berufe ist es, dass sie Wirtschaftsunternehmen sind, die nicht wie jeder andere Wirtschaftsteilnehmer agieren dürfen, aber denselben finanziellen Zwängen unterworfen sind.

     

    Ein Beispiel für die besonderen Beschränkungen, denen die rechtsberatenden Berufe unterworfen sind, ist das Verbot reiner Kapitalbeteiligungen ‒ das Fremdbesitzverbot (§ 55a StBerG).

     

    •  § 55a StBerG

    Anteile an der Berufsausübungsgesellschaft dürfen nicht für Rechnung Dritter gehalten werden. Dritte dürfen nicht am Gewinn der Berufsausübungsgesellschaft beteiligt werden.

     

    Das Berufsrecht der Rechtsanwälte und Steuerberater untersagt diese reinen Kapitalbeteiligungen. Zusätzlich ist der Zusammenschluss in Berufsausübungsgesellschaft nur mit Freiberuflern gestattet, die ihren Beruf auch in der gemeinsamen Gesellschaft ausüben. Dieses Tätigkeitsgebot soll die reine Kapitalbeteiligung in der praktischen Umsetzung vermeiden. Da das Gesetz aber weder ein quantitatives noch ein qualitatives Mindestmaß der beruflichen Betätigung fordert, ist dies ein stumpfes Schwert ‒ das weiß auch der Gesetzgeber, vgl. BT-Drs. 19/27670, S. 337. Das Fremdbesitzverbot ist vor diesem Hintergrund in der Realität durch den Gesetzgeber schon unterminiert, vgl. Radunski, GmbHR, 738, 743.

    Beschränkungen der Grundfreiheiten durch das nationale Berufsrecht

    In diese Gemengelage fällt das Verfahren vor dem EUGH - C‑295/23 (es wird im Text aus der Übersetzung zitiert, soweit kein anderer Quellenverweis gegeben wird). Inhalt des Verfahrens ist insbesondere die Frage, ob eine österreichische Gesellschaft, die nicht zur Rechtsberatung zugelassen ist, einen Teil des Gesellschaftskapitals einer in Deutschland tätigen Rechtsanwaltsgesellschaft erwerben darf. Diese Frage hatte der AGH Bayern (20.4.23, BayAGH III-4-20/21) mit Beschluss dem EUGH zur Entscheidung vorgelegt. Ein entscheidender Umstand, der bei der Beurteilung dieses Verfahrens beachtet werden muss, ist, dass es sich auf die Rechtslage vor August 2022 bezieht. Damals war die Beteiligung an einer Berufsausübungsgesellschaft noch nicht für alle Freiberufler zulässig!

     

    Die Schlussanträge des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona sind mit großer Spannung erwartet worden. Denn die Frage, ob das Fremdbesitzverbot mit den Grundfreiheiten der EU im Einklang steht, ist eine Frage, die ins Auge springt.

     

    Rechtfertigung der Beschränkung

    Zunächst stellt sich die Frage, ob überhaupt eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch nationales Recht vorliegt. Hier werden mehrere Punkte angeführt, die die Kapitalfreiheit oder Niederlassungsfreiheit beschränken könnten:

     

    • Der Inhaber einer Beteiligung muss Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Arzt oder Apotheker sein.
    • Die Mehrheit des Gesellschaftskapitals muss von Rechtsanwälten gehalten werden.
    • Der Inhaber der Beteiligung muss in der Gesellschaft beruflich tätig sein.
    • Rechtsanwälten muss die Mehrheit der Stimmrechte vorbehalten bleiben.

     

    Nach derzeit geltendem Recht bestehen diese Beschränkung größtenteils nicht mehr. Allein die berufliche Betätigung wird noch gefordert, §§ 49 Abs. 1 StBerG, § 59b Abs. 1 BRAO. Das bedeutet, die Schlussanträge bieten nur dann einen aktuellen Erkenntniswert, wenn das Beteiligungsgebot eine unzulässige Beschränkung ist oder erkennbar ist, dass schon die Begrenzung auf Freiberufler ‒ unter Ausschluss von Gewerbetreibenden ‒ unzulässig ist, vgl. dazu zusammenfassend: Dahns, NJW-Spezial 23, 318.

     

    Würdigung im Rahmen der Schlussanträge

    Dass eine Beschränkung vorliegt, wird ausdrücklich bestätigt („Meines Erachtens kann am Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im vorliegenden Fall kein Zweifel bestehen.“). Zur Rechtfertigung der Beschränkungen müssen zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorliegen.

     

    Dies soll der Fall sein, weil die Regelung

    • die Unabhängigkeit der anwaltlichen Tätigkeit,
    • die geordnete Rechtspflege,
    • die Wahrung des Transparenzgebots,
    • den Schutz des Berufsgeheimnisses und
    • den Schutz der Verbraucher bei Rechtsdienstleistungen gewährleiste.

     

    Für zukünftige Entwicklungen wäre es entscheidend, ob der EUGH die Beschränkung der Beteiligungsmöglichkeiten an rechtsberatenden Berufsausübungsgesellschaften auf bestimmte Berufsgruppen (nur Freiberufler) als unzulässig erachtet. Die Zulassung von Kapitalbeteiligung würde es voraussetzen, dass auch Gewerbetreibende Gesellschafter werden dürften.

     

    In den Schlussanträgen wird anerkannt, dass die verfolgten Ziele und Regelungen vor August 2022 grundsätzlich dazu geeignet sind, den Eingriff in die Grundfreiheiten zu rechtfertigen. Es wird aber auch ausgeführt, dass dieses Regelungsmodel nicht kohärent ist (Hervorhebung durch den Autor):

     

    • Auszug aus den Schlussanträgen

    […] Soweit jedoch der Verpflichtung, auf der Grundlage genauer Angaben die Gründe hinreichend nachzuweisen, die die geprüfte Maßnahme rechtfertigen, im vorliegenden Fall nicht nachgekommen wurde, lässt sich nicht erkennen, warum andere Berufe, deren Mitwirkung bei der Rechtsberatung ebenso relevant sein könnte, nicht zum Kreis der in der BRAO aufgeführten Berufe gehören. Die Beschränkung gewährleistet somit nicht in kohärenter Weise die Verwirklichung des verfolgten Ziels. Dies wäre nach der Rechtsprechung nur dann der Fall, wenn sie „tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“. Die Gleichstellung bestimmter in Kammern organisierter Berufe mit den Rechtsanwälten und der damit verbundene Ausschluss anderer Berufe, die dieselben (vermeintlichen) Rechtfertigungskriterien erfüllen, nimmt der restriktiven Maßnahme in ihrer Ausgestaltung zum für den Rechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt die zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderliche Kohärenz. Diese Beurteilung wird meines Erachtens dadurch bestätigt, dass der deutsche Gesetzgeber in der seit 2022 geltenden BRAO die Beschränkung nachträglich berichtigt hat. Der (neue) § 59c Abs. 1 Nr. 4 BRAO sieht vor, dass Rechtsanwälte sich zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in einer Berufsausübungsgesellschaft mit Personen zusammenschließen können, die in der Gesellschaft einen freien Beruf ausüben, es sei denn, dass ein solcher Zusammenschluss mit dem Rechtsanwaltsberuf unvereinbar ist. […]

     

    Die Frage, ob die Ungleichbehandlung von Gewerbetreibenden und Freiberuflern gerechtfertigt ist, wird nicht aufgegriffen. Wenn es aber zur Durchsetzung der Interessen der Allgemeinheit ausreicht, dass anderen Berufen die Sozietätsfähigkeit durch das Gesetz vermittelt wird, stellt sich die Frage, warum dies nicht auch für Gewerbetreibende möglich sein sollte. Der Gesetzgeber begründet dies mit dem Schutz der anwaltlichen Unabhängigkeit (BT-Drs. 19/27670, S. 137). Fraglich ist, welche Unabhängigkeit hier überhaupt beeinträchtigt sein könnte, die nicht in gleichem Maß durch Freiberufler gefährdet wäre (vgl. Römermann, NJW 19, 2986, 2990).

    Folgen einer Entscheidung i. S. d. Schlussanträge

    Zum Tätigkeitsgebot wird deutlich Stellung bezogen und klargestellt, dass es keinen Mehrwert bietet. Das Tätigkeitsgebot besagt, dass alle Gesellschafter einer Berufsausübungsgesellschaft von Steuerberatern bzw. Rechtsanwälten aktiv in der Gesellschaft beruflich tätig sein müssen.

     

    • Auszug aus den Schlussanträgen

    […] Wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt worden ist, schreibt diese Beschränkung allerdings weder ein Mindestmaß an tatsächlicher Betätigung in der Gesellschaft vor noch kann diese Vorgabe in der Praxis von der Kammer als dem für die Einhaltung der BRAO letztlich Verantwortlichen kontrolliert werden. Es bestehen daher berechtigte Zweifel, ob sie tatsächlich geeignet ist, die mit ihr (vermeintlich) verfolgten Ziele zu erreichen. […]

     

    Damit ist das Tätigkeitsgebot unter Druck geraten. Dass diese Beschränkung nicht zwangsläufig notwendig ist, bestätigt nach geltendem Recht auch die Ausnahmeregelung für die GbR, die nur zum Zweck des Haltens von Anteilen an Berufsausübungsgesellschaften geführt werden darf (§§ 55a Abs. 1 StBerG, 59i Abs. 1 BRAO). Die Schlussanträge stellen insgesamt klar:

     

    • Der Schutz der Unabhängigkeit der Rechtspflege und der Verbraucherschutz auf dem Rechtsmarkt sind im öffentlichen Interesse und rechtfertigen Beschränkungen der europarechtlichen Grundfreiheiten.

     

    • Die Reform des Berufsrechts der rechtsberatenden Berufe zum August 2022 hat das deutsche Recht derart modifiziert, dass es in den wesentlichen Punkten mit dem Europarecht im Einklang ist.

     

    • Das Tätigkeitsgebot erscheint nicht ein taugliches Mittel zur Umsetzung des Schutzes des Allgemeininteresses zu sein, weil es nicht kontrollierbar oder definierbar ist.

     

    Die Schlussanträge öffnen grundsätzlich die Tür für eine Entscheidung im Sinne reiner Kapitalbeteiligung ohne Tätigkeitsgebot für Freiberufler. Die bereits eingetretene Schwächung des Fremdbesitzverbots scheint damit voranzuschreiten.

     

    Noch offen bleibt, wann Gewerbetreibende den Freiberuflern derart gleichgestellt werden, dass auch Gewerbetreibende gesellschaftsrechtliche Verbindungen mit Berufsausübungsgesellschaften eingehen dürfen. Dass die Tendenz in den Schlussanträgen für eine Gleichstellung der Gewerbetreibenden spricht, lässt sich aus einem der zusammenfassenden Sätze herauslesen:

     

    • Auszug aus den Schlussanträgen

    […] sie schließen Angehörige anderer als der in der BRAO ausdrücklich aufgeführten Berufe von der Stellung als Gesellschafter aus, die die Kriterien erfüllen könnten, auf deren Grundlage die Beteiligung Angehöriger der aufgeführten Berufe gestattet wird. […]

     

    Die Kriterien, die den Zusammenschluss nach nun geltendem Recht ermöglichen, werden derzeit durch das Gesetz vermittelt (Verschwiegenheit, Achtung des Berufsrechts und Zeugnisverweigerungsrecht). Warum dies nicht für Gewerbetreibende möglich sein soll, wird die nächste große Frage sein.

    Kritik am Tätigkeitsgebot ‒ Forderung nach Öffnung der Beteiligungsmöglichkeiten

    In den konkreten Anträgen wird dem Tätigkeitsgebot eine Absage erteilt. Zu den Beschränkungen der Beteiligung nicht-rechtsberatender Berufe heißt es:

     

    • Auszug aus den Schlussanträgen

    Art. 15 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.06 über Dienstleistungen im Binnenmarkt ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, deren Bestimmungen […] den Angehörigen bestimmter Berufe gestatten, sich als Gesellschafter an einer Rechtsanwaltsgesellschaft zu beteiligen, während Angehörige anderer Berufe davon ausgeschlossen sind, die objektiv auch die Kriterien erfüllen könnten, auf deren Grundlage die Beteiligung Angehöriger der zuerst genannten Berufe gestattet wird; […]

     

    Folgt man den Anträgen, ist es auch zweifelhaft, ob ein Ausschluss Gewerbetreibender aufrechterhalten werden kann, wenn der wesentliche Unterschied zwischen Freiberuflern und Gewerbetreibenden und die Gefährdung der beruflichen Unabhängigkeit das „Gewinnstreben“ ist, welches jeder Berufsausübung ‒ im Sinne der Schaffung einer Existenzgrundlage ‒ inhärent ist.

     

    Die Schlussanträge sind in ihrem Mehrwert begrenzt. Die wesentlichen Aussagen beziehen sich auf nicht mehr geltendes Recht. Der Gesetzgeber hatte mit der Reform des Berufsrechts der rechtsberatenden Berufe („BRAO-Reform“) bereits die meisten Kritikpunkte beseitigt. Interessant sind die Schlussanträge dahin gehend, dass sie grundsätzlich die Frage stellen, welche Beschränkungen zur Wahrung der Unabhängigkeit rechtlicher Berater notwendig sind. Damit wird es insbesondere spannend sein, ob die im Moment bestehende Ungleichbehandlung von Freiberuflern und Gewerbetreibenden tatsächlich aufrechterhalten werden kann. Würde diese Abgrenzung fallen, wäre ein großer Schritt zur Ermöglichung gewerblicher Kapitalbeteiligungen erreicht, der es den rechtsberatenden Unternehmen erlauben würde, Gelder einzunehmen, die die anstehenden Investitionen in Legal-/Tax-Tech und künstliche Intelligenz ermöglichen. Es kann natürlich auch sein, dass entgegen den Erwartungen das zu sprechende Urteil diese Fragen nicht beeinflussen wird. Es wäre aber in jedem Fall zu begrüßen, wenn durch das Urteil die Frage beleuchtet werden würde, welchen echten Unterschied es zwischen Gewerbetreibenden und Freiberuflern geben soll.

     

    Die Entscheidung könnte aber ganz konkret dazu führen, dass das Tätigkeitsgebot endgültig an Bedeutung verliert, da es bereits jetzt schon nicht praktisch überprüft werden kann. Diesen Makel sprechen die Schlussanträge ausdrücklich an.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2024 | Seite 202 | ID 50131744