· Fachbeitrag · Gebührenordnung
Der EuGH hat die HOAI gekippt ‒ was geschieht mit der StBVV?
von Simon Beyme, StB/Syndikus-RA/FA f. StR, Geschäftsführer Steuerberaterverband Berlin-Brandenburg e.V., Berlin
| Der EuGH hat Mindesthonorare für Planungsleistungen für Architekten und Ingenieure in Deutschland gekippt. Die Luxemburger Richter befanden am 4.7.19 (C-377/17, Abruf-Nr. 209725 ), dass die entsprechenden Regelungen in der deutschen Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) gegen EU-Recht verstoßen. Einige Steuerberater stellen sich nun die Frage, ob die Entscheidung zur HOAI Auswirkungen auf die Steuerberatervergütungsverordnung (StBVV) hat. Schließlich schreibt die StBVV wie die HOAI einen gesetzlichen Vergütungs- bzw. Honorarrahmen vor. |
Was genau hat der EuGH entschieden?
Nach den EU-Vorgaben, v. a. der EU-Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/123/EG), dürfen Mindest- und Höchstpreise nur unter bestimmten Bedingungen vorgeschrieben werden, u. a. aus Gründen des Verbraucherschutzes und zur Qualitätssicherung. Die in der HOAI festgeschriebenen Sätze erfüllen laut EuGH allerdings nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Da die Mindestsätze nur für Architekten und Ingenieure gelten, die entsprechenden Leistungen aber auch von Anbietern, die keine entsprechende fachliche Eignung nachweisen müssen, erbracht werden können, seien die Mindestsätze nicht geeignet, um hohe Qualitätsstandards und den Verbraucherschutz zu sichern.
Die Bundesrepublik Deutschland hat nun etwa ein Jahr Zeit, auf die Entscheidung des EuGH zu reagieren. Dabei können große Teile der HOAI, z. B. die Beschreibung des Planungsprozesses in Leistungsphasen mit den einzelnen Leistungsbildern, beibehalten werden. Die Bundesarchitektenkammer forderte bereits, „die Leistungsbilder und Honorarsätze der HOAI zumindest als abgeprüften Referenzrahmen zu erhalten“ (PM der BAK vom 4.7.19). Nur die starren Vergütungsregelungen bedürfen einer Überarbeitung.
Und was geht das die Steuerberater an?
Nach derzeitigem Stand kann voraussichtlich Entwarnung gegeben werden. Hintergrund ist, dass die EU-Kommission ursprünglich gegen Mindestpreise für „Procuradores“ in Spanien, Patentanwälte in Polen, Tierärzte in Österreich sowie Architekten, Ingenieure und Steuerberater in Deutschland vorging (vgl. PM der Europäischen Kommission vom 18.6.15, www.iww.de/s2883). Daraufhin wurde die StBVV an einigen Stellen durch die „Dritte Verordnung zur Änderung steuerlicher Verordnungen“ mit Wirkung vom 23.7.16 angepasst, um die Vorbehalte der EU-Kommission zu entkräften:
- Zunächst erfolgte in § 1 Abs. 1 StBVV eine Beschränkung der StBVV auf inländische Fälle, um den Vorwurf der Behinderung des grenzüberschreitenden Wettbewerbs auszuräumen.
- Zudem wurde die Regelung zur Mindestgebühr § 3 Abs. 1 StBVV a. F. („Der Mindestbetrag einer Gebühr ist 10 EUR.“) gestrichen. Auch wenn u. a. diese Regelung Anlass für die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens war, kam ihr kaum praktische Bedeutung zu. Allenfalls im Bereich der Lohnbuchführung nach § 34 Abs. 4 StBVV bei kleinen Betrieben, für die es z. B. bei zwei Arbeitnehmern statt max. 8 EUR eine „Mindestgebühr“ von 10 EUR gab, oder bei USt-Voranmeldungen nach § 24 Abs. 1 Nr. 7 StBVV mit Mindestgegenstandswert und Mindestzehntelsatz, für die es statt 6,80 EUR die „Mindestgebühr“ von 10 EUR gab. Diese Fälle sind seither exakt, d. h. ggf. mit Gebühren unter 10 EUR abzurechnen.
- Bedeutender waren die Änderungen in § 4 StBVV, insbesondere in dessen Absatz 3 („In außergerichtlichen Angelegenheiten kann eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung unter den Formerfordernissen des Absatzes 1 vereinbart werden. Sie muss in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistung, der Verantwortung und dem Haftungsrisiko des Steuerberaters stehen.“). Damit wurde die Möglichkeit, in außergerichtlichen Verfahren ein von den gesetzlichen Gebühren „nach unten“ abweichendes Honorar zu vereinbaren, gesetzlich verankert. Vereinbarungen zu Gebührenunterschreitungen wurden zuvor berufsrechtlich kritisch gesehen, waren aber von der Rechtsprechung bereits grundsätzlich anerkannt. Nunmehr steht diese Möglichkeit ausdrücklich in der StBVV, wobei es sich eher um eine Klarstellung als um eine echte Neuerung handelt. Denn weiterhin gilt, dass eine niedrigere als die gesetzliche Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Steuerberaters stehen muss. Die unentgeltliche Erbringung von Steuerberatungsleistungen i. S. von § 33 StBerG bzw. ein darauf gerichtetes Angebot sind also weiterhin unzulässig.
- In Absatz 4 des § 4 StBVV wurde etwas Neues geregelt: Eine Informationspflicht gegenüber Mandanten („Der Steuerberater hat den Auftraggeber in Textform darauf hinzuweisen, dass eine höhere oder niedrigere als die gesetzliche Vergütung in Textform vereinbart werden kann.“). Die Informationspflicht, die inzwischen in die gängigen Vertragsmuster Eingang gefunden hat, hat im Markt zu keinen spürbaren Änderungen geführt. Da die EU-Kommission offenbar auf einer solchen Informationspflicht bestand, war dies die vom Berufsstand „zu schluckende Kröte“, um die StBVV zu erhalten.
Die StBVV bleibt also bis auf Weiteres erhalten?
Aufgrund dieser Änderungen ist von einem Erhalt der StBVV auszugehen. Denn während Architekten und Ingenieure weniger geschmeidig als Steuerberater agierten und es in Sachen HOAI auf eine Klage ankommen ließen, die dann am 23.6.17 von der EU-Kommission beim EuGH erhoben wurde, war dies bei der StBVV nicht der Fall. Da die EU-Kommission das Verfahren gegen die StBVV nach den o. g. Änderungen fallen ließ, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein erneutes Verfahren angestrengt wird.
Auch die Entscheidung des EuGH zur HOAI gibt keinen Anlass für ein erneutes Verfahren. Denn die vom EuGH kritisierten zwingenden Mindestsätze gibt es in der StBVV nicht mehr. Zudem gilt die StBVV im Bereich der Vorbehaltsaufgaben für alle Anbieter, die diese erbringen, und nicht wie die HOAI im Bereich der Planungsleistungen nur für Architekten und Ingenieure und keine anderen Dienstleister.
Und das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission?
Die StBVV könnte nur zusammen mit den Vorbehaltsaufgaben fallen (falls diese fallen), da diese laut § 1 Abs. 1 StBVV ihr Anwendungsbereich sind. Die EU-Kommission sieht diese skeptisch (vgl. „Ist das Steuerberatungsgesetz in fünf Jahren tot?“, Derlath, KP 18, 198) und leitete am 19.7.18 mit Blick auf das Steuerberatungsgesetz (StBerG) ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein.
Die EU-Kommission sieht in den im StBerG geregelten Vorbehaltsaufgaben einen Verstoß gegen EU-Recht. Die EU-Kommission kritisiert, dass das StBerG einerseits (zu) hohe Anforderungen für den Berufszugang aufstelle, andererseits aber zahlreiche Ausnahmen zu beschränkten Hilfeleistungen (§ 4 StBerG) regle. Für die EU-Kommission steht daher fest: die Vorbehaltsaufgaben der Steuerberater seien nicht derart komplex, als dass sie nur von Berufsangehörigen erledigt werden könnten. Durch die vielen Ausnahmen seien die deutschen Regelungen insgesamt unschlüssig, unverhältnismäßig und verstießen gegen EU-Recht, so die EU-Kommission.
FAZIT | Die Chancen, dass die Vorbehaltsaufgaben europarechtlich „halten“, stehen m. E. nicht schlecht. Die aus Brüssel kritisierten Ausnahmen regeln lediglich klar eingegrenzte Hilfeleistungen für bestimmte Konstellationen. Dem gegenüber bearbeiten Steuerberater Mandate „ganzheitlich“ aus steuerlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht. Das erfordert hohe Qualitätsansprüche. Zudem ist das StBerG gerade aufgrund der von der EU kritisierten Ausnahmeregelungen verhältnismäßig ‒ nicht umgekehrt. Ohnehin ist es möglich, dass die aktuell neu zu berufende EU-Kommission angesichts der echten Herausforderungen, die Europa zu meistern hat, das Interesse an ständigen Angriffen auf die (gut funktionierenden) Freien Berufe verliert. |
Weiterführende Hinweise
- Digitalisierung ‒ Die Zukunft des Steuerberaters in der Plattform-Ökonomie (Henke, 19, 114)
- EU-Deregulierung der Steuerberatertätigkeiten ‒ Nun ade, du mein lieb Vorbehalt? (Buba, KP 19, 100)
- Berufsrecht ‒ Ist das Steuerberatungsgesetz in fünf Jahren tot? (Derlath, 18, 198)