· Fachbeitrag · Kanzleiführung
Durchsuchung von Kanzleiräumen in einem Ermittlungsverfahren gegen den Mandanten
von Rechtsassessor Dr. Matthias H. Gehm, Limburgerhof und Speyer
| Das BVerfG hat im Zuge der Dieselaffäre mit mehreren Beschlüssen zur Durchsuchung und Beschlagnahme von Unterlagen einer Rechtsanwaltskanzlei entschieden. Hintergrund war, dass die Kanzlei mit internen Ermittlungen in einem Wirtschaftsstrafverfahren beauftragt war, das in den USA geführt wurde. Aus diesen Unterlagen erhoffte sich die deutsche Staatsanwaltschaft Aufschluss im deutschen Wirtschaftsstrafverfahren gegen den Mandanten. Die Kernaussagen dieser Beschlüsse gelten gleichermaßen für eine Steuerberaterkanzlei und werfen zahlreiche Fragen auf (BVerfG 27.6.18, 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, 2 BvR 1562/17, 2 BvR 1287/17 und 2 BvR 1583/17). |
Kernaussagen des BVerfG
Das BVerfG prüfte Eingriffe in die Grundrechte des Mandanten, der Kanzlei und der einzelnen angestellten Anwälte.
Eingriff in Rechte des Mandanten
Nach Ansicht des BVerfG lagen kein unzlässiger Eingriff in das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung vor (Art. 13 GG) vor, da die Kanzlei und nicht die Geschäftsräume des Mandanten durchsucht worden waren (BVerfG (27.6.18, 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17). Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG des Mandanten war nicht tangiert, da der Eingriff auf Grundlage der Vorschrift des § 110 StPO (Sichtung der sichergestellten Unterlagen etc.) gerechtfertigt war. Diese Ausführungen gelten gleichermaßen im Mandatsverhältnis zu einem Steuerberater.
Eingriff in Rechte der Kanzlei
Da die Kanzlei weder eine inländische noch eine der inländischen juristischen Person gleichgestellte europäische juristische Person war (sondern eine US-Kanzlei), verweigerte das BVerfG (27.6.18, 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17, NZWiSt 18, S. 372) der Kanzlei den Grundrechtsschutz. Art. 19 Abs. 3 GG, wonach die Grundrechte auf für inländische juristische Personen gelten, ist nicht anwendbar.
Eingriff in Rechte der einzelnen Rechtsanwälte
Die Verfassungsbeschwerden der Rechtsanwälte der Kanzlei beurteilt das BVerfG (27.6.18, 2 BvR 1562/17, NZWiSt 18, S. 375) folgendermaßen:
- Art. 13 Abs. 1 GG ist nicht tangiert, da sich einzelne Arbeitnehmer grundsätzlich die berufliche Sphäre betreffend nicht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung berufen könnten, sondern nur das Unternehmen selbst.
- Da die Durchsuchung auch keine berufsregelnde Tendenz aufweise, sei das Recht auf freie Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG auch nicht verletzt. Vielmehr stütze sich die Durchsuchung auf § 103 StPO, eine Regelung die unterschiedslos jedermann treffe.
- Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Rechtsanwälte sei auch nicht verletzt, da die Ermittlungsmaßnahmen nicht auf persönliche Daten der Rechtsanwälte bezogen seien, sondern auf mandantenbezogene Daten. Dies gelte auch für den Mailverkehr der Rechtsanwälte.
- Auch stünden die sichergestellten Unterlagen im Eigentum der Kanzlei, weshalb auch nicht ein diesbezügliches Eigentumsrecht der Rechtsanwälte gemäß Art. 14 Abs. 1 GG tangiert sei.
- Auch das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) sei bei den Rechtsanwälten nicht tangiert. Zwar können sich darauf neben dem Beschuldigten auch Dritte wie Zeugen oder von Durchsuchungen nach § 103 StPO betroffene unschuldige Personen berufen, allerdings war Dritter i. S. von § 103 StPO hier die Kanzlei und nicht die einzelnen Rechtsanwälte.
Diese Ausführungen sind insgesamt auf angestellte Steuerberater übertragbar.
Das BVerfG zu § 160a StPO
Nach § 160a Abs. 1 S. 1 StPO sind Ermittlungsmaßnahmen gegen einen Rechtsanwalt unzulässig, wenn sie voraussichtlich zu Erkenntnissen führen, über die er das Zeugnis verweigern dürfte. Dennoch erlangte Erkenntnisse dürfen nicht verwendet werden. Weiter führt das BVerfG aus, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht bedenklich sei, diese Vorschrift im Bereich der Beschlagnahme (§ 94 StPO) bzw. der dieser vorausgehenden Sicherstellung zur Durchsicht nicht für anwendbar zu erachten. Denn insofern sei die Regelung nach § 160a Abs. 5 gegenüber § 97 StPO subsidiär. Dabei bezieht sich § 160a Abs. 1 S. 1 i. V. mit § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO auch auf Verteidiger.
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In Steuerstrafverfahren können aber unter den näheren Voraussetzungen des § 392 AO auch Steuerberater Strafverteidiger sein. Anders als Rechtsanwälte genießen aber Steuerberater nicht per se das absolute Erhebungs- und Verwendungsverbot des § 160a Abs. 1 StPO, sondern nur das relative Beweiserhebungsverbot des § 160a Abs. 2 StPO, das unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes davon abhängt, ob eine Straftat von erheblicher Bedeutung im Raum steht (Schmitt-Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 160a, Rz. 3f.). Sofern Steuerberater wegen ihrer Funktion als Strafverteidiger sich auf § 160a Abs. 1 StPO berufen, hängt der Schutz von der konkreten Verteidigerstellung ab, also bezieht sich auf die in diesem Zusammenhang anvertrauten und bekanntgewordenen Tatsachen (Schmitt-Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 160a, Rz. 3).
Das BVerfG begründet seine restriktive Meinung hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 160a StPO damit, dass ansonsten die Effektivität der Strafverfolgung in erheblichen Maß eingeschränkt wäre. Solche Beschränkungen der Strafverfolgung seien nur in Ausnahmefällen angezeigt, wenn die Menschenwürde betroffen wäre. |
Zwar muss man dem BVerfG zugestehen, dass es als Prüfmaßstab in diesem Zusammenhang nur die Grundrechte anzuwenden hat. Kritisiert wird an den Ausführungen des BVerfG, dass richtigerweise § 160a Abs. 1 StPO keine Unterlagen schütze, die nicht Produkt des Mandats sind, also Ermittlungsverfahren nicht deshalb leerzulaufen drohen, weil in Kanzleiräumen Beweismittel dem Zugriff der Strafverfolgungsorgane entzogen werden sollen (Rübenstahl, ZWH 18, S. 273, 285; vgl. auch Mommsen, NJW 18, S. 2362, 2364). Zudem übersehe das BVerfG, dass nach dem Willen des Gesetzgebers § 160a StPO die Stellung von Rechtsanwälten stärken wollte (Lilie-Hutz/Ihwas, NZWiSt 18, S. 349, 351). Dies gilt m. E. entsprechend für Steuerberater, wenn sie Strafverteidiger sind.
Immerhin gewährt das BVerfG aber dem Mandanten im eigenen Strafverfahren bzw. Bußgeldverfahren wegen §§ 30, 130 OWiG (Bußgeld gegen die X-AG wegen Verletzung der Aufsichtspflicht) ein Verwertungsverbot gemäß § 160a Abs. 1 S. 2 StPO (analog) hinsichtlich der solchermaßen gewonnenen Erkenntnisse (BVerfG 27.6.18, 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, Rz. 101, 111; kritisch Rübenstahl, ZWH 18, S. 273, 286). |
Das BVerfG zu § 97 StPO
Weiter vertritt das BVerfG die Meinung, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich ist, dass die Fachgerichte davon ausgegangen sind, § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO begründe ein Beschlagnahmeverbot nur in einem bereits schwebenden bzw. unmittelbar bevorstehendem Strafverfahren, in welchem das besondere Vertrauensverhältnis Verteidiger zu Beschuldigten bestünde. Dabei genüge bei Unternehmen ein hinreichender Verdacht einer durch eine konkrete Leitungspersonen begangenen Straftat oder Aufsichtspflichtverletzung, der zu einem Bußgeldverfahren nach §§ 30, 130 OWiG wegen Aufsichtspflichtverletzung führen könne (kritisch hierzu Mommsen, NJW 18, S. 2362, 2363). Andernfalls könnte wiederum eine Kanzlei als „Safehouse“ genutzt werden, um Spuren noch nicht entdeckter Straftaten zu verbergen.
PRAXISTIPP | Dem wird entgegengehalten, dass unabhängig von der Frage auf informationelle Selbstbestimmung eine solch enge Auslegung zur Aushöhlung des Rechts des Berufsgeheimnisträgers nach § 53 StPO inklusive der Strafbewährung des § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB führe und den Rechtsratsuchenden abschrecken könnte, dies zu tun, weil er befürchten muss, sich dann quasi selbst zu belasten (Rübenstahl, ZWH 18, S. 273, 276f.). Insofern wird gefordert, dass § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO außerhalb einer Strafverteidigerrolle das Mandatsverhältnis schütze (Lilie-Hutz/Ihwas, NZWiSt 18, S. 349, 351). Dabei bezieht sich diese Norm auch auf Steuerberater. |
Das BVerfG führt aber andererseits aus, dass das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO auch schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und zeugnisverweigerungsberechtigten Personen nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO, also auch Steuerberater schütze sowie nach § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO die Beschlagnahmefreiheit auf Aufzeichnungen dieser zeugnisverweigerungsberechtigten Personen über die ihnen vom Beschuldigten anvertraute Mitteilungen oder andere Umstände erstreckt. Allerdings ist auch hier Voraussetzung das Bestehen eines entsprechenden Berufsgeheimnisträger-Beschuldigten-Verhältnisses und ein konkretes Beschuldigtenverhältnis aufgrund eines Strafverfahrens.
PRAXISTIPP | Greift das Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO, so führt das BVerfG zutreffend aus, ist auch die Durchsicht entsprechender Unterlagen nach § 110 StPO unzulässig. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass eine gezielte Durchsuchung nach gemäß § 97 StPO beschlagnahmefreien Gegenständen unzulässig ist und diese Beweismittel einem strafprozessualem Verwertungsverbot unterliegen (Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 17, S. 367f. m.w.N.). |
Kritik an den Entscheidungen
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M. E. lässt das BVerfG in seinen Beschlüssen vermissen, deutlich hervorzuheben, dass Durchsuchungen von Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzleien nur ultima ratio sein können (Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 17, S. 357). Das mag sicherlich mit dem Prüfungsmaßstab des BVerfG zusammenhängen und der besonderen Fallkonstellation einer US-amerikanischen Kanzlei (Mommsen, NJW 18, S. 2362, 2366), nicht desto trotz sollten in entsprechenden Verfahren vor den Strafgerichten Steuerberater und Rechtsanwälte weiterhin auf diesen Gesichtspunkt abheben.