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  • · Fachbeitrag · Kanzleiprozesse

    Die Leistungserfassung ‒ kaum implementiert, schon wieder out?

    von StB Cordula Schneider, Dortmund, www.delfi-net.de

    | Lange hat die Leistungserfassung gebraucht, bis sie in den meisten Kanzleien zum normalen Alltag gehörte. Beliebt ist sie, insbesondere bei den Mitarbeitern, immer noch nicht. Sie sehen darin oft noch ausschließlich das „Kontrollinstrument“ für den Chef. In diesem Beitrag geht es darum, die Funktionen der Leistungserfassung „einst und jetzt“ zu beleuchten. Brauchen wir sie noch? Und welche Alternativen oder zusätzlichen Methoden gibt es für die moderne Arbeitswelt mit Homeoffice und Co.? |

    Vier Gründe, die für eine Leistungserfassung sprachen

    Es gab im Wesentlichen vier Gründe, die Leistungserfassung einzuführen:

    • Dokumentation der erbrachten Dienstleistungen
    • Kontrolle der vollständigen und effizienten Arbeitszeit
    • Leistungsnachweis für Mandanten und Gericht
    • Kalkulationsgrundlage und Controlling-Instrument

     

    Grund 1: Dokumentation der erbrachten Dienstleistungen

    Diese Funktion ist in der Kanzlei auch heute unverzichtbar; denn Sie sind dem Mandanten Rechenschaft darüber schuldig, was Sie für ihn getan haben, wenn Sie sein Geld wollen. Allerdings übertreiben es die meisten Kanzleisoftwareprogramme und führen Auftrags- und Leistungsarten, die einer kleinen GmbH entsprechen. Das führt nicht zuletzt bei den Mitarbeitern eher zu Verwirrung. Und es ist fraglich, ob Mandanten Rechnungen lieber und schneller bezahlen, nur weil sie fünf Seiten lang sind. Sie wollen sie verstehen!

     

    PRAXISTIPP | Reduzieren Sie den Leistungskontenrahmen und vereinbaren Sie die Gebühren innerhalb des gesetzlichen Gebührenrahmens. Immer mehr Kanzleien lösen sich von den in der StBVV akribisch aufgelisteten Leistungen und bilden Dienstleistungspakete oder -module, in denen der Mandant alle Dienstleistungen wiederfindet, die er braucht. Nach dem Motto: „Einmal hin, alles drin“ muss über den Leistungsumfang dann nur noch bei Änderungen gesprochen werden ‒ und nicht jeder Auftrag erscheint „extra“ auf der Rechnung. Übrigens schätzen das auch Ihre Mitarbeiter ‒ niemand möchte mehrmals am Tag sagen müssen: „Ja, Herr Meier, das mache ich gerne für Sie. Das kostet dann …“ ‒ auch Sie selbst vermutlich nicht, oder?

     

    Wenn Sie sich schon in diese Richtung aufgemacht haben, sollten Sie die Struktur Ihrer Leistungserfassung den Dienstleistungspaketen anpassen. Sie wird dann nicht nur schneller von der Hand gehen, Sie haben dann auch Informationen über Ihre „Bestseller“ und für die Nachkalkulation. Ihre Leistungserfassung muss einfach zu Ihrem Honorarmodell passen. Dann können die Positionen auch 1 : 1 in die Rechnungen fließen.

     

    FAZIT | Als Nachweis und Grundlage für die Rechnungsstellung brauchen Sie die Leistungserfassung. Die Zeit spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.

     

    Grund 2: Kontrolle der vollständigen und effizienten Arbeitszeit

    Spätestens beim Thema Homeoffice verspüren viele Chefs einen gewissen Kontrollverlust. Wie kann man noch die „Richtigkeit“ der Leistungserfassung kontrollieren? Gar nicht. Deswegen heißt es „Vertrauensarbeitszeit“. Wenn Sie dieser Umstand nervös macht: Wie kontrollieren Sie vor Ort im Büro, dass und woran die Mitarbeiter arbeiten? Gar nicht, Sie schließen das aus der physischen Präsenz. Ob die Mitarbeiter ihre Arbeitszeit sinnvoll und effizient nutzen, kann aber allein aus der Anwesenheit nicht geschlossen werden.

     

    Und selbst in den Kanzleien, in denen eine Leistungserfassung geführt wird, trauen ihr die Kanzleiinhaber/innen meist nicht über den Weg ‒ leider oft zu Recht. Denn sie ist stark davon abhängig, wie die Mitarbeiter ihre Arbeit erfassen. Damit meine ich nicht, dass die Mitarbeiter die Erfassung bewusst „manipulieren“. Das ist mir in meiner Berufstätigkeit tatsächlich erst zweimal begegnet. Grundsätzlich haben unsere Mitarbeiter wenig kriminelle Energie. Aber ein „zerhackter“ Arbeitstag mit der „Parallelbearbeitung“ verschiedener Fälle macht die klare Trennung einzelner Aufträge nicht gerade einfach. Aufgabenmanagement und Selbstorganisation sind daher wichtige Kanzleithemen, die die Leistungserfassung begleiten sollten.

     

    Außerdem fehlt vielen Chefs schlicht die Zeit, die Erfassung systematisch auszuwerten. Das ist in etwa so wie mit den Überwachungskameras im Einkaufszentrum: Man schaut erst rein, wenn der Überfall passiert ist, und stellt fest, dass die Aufnahme dann abbricht, wenn es spannend wird.

     

    FAZIT | Als reines Kontrollinstrument taugt die Leistungserfassung nicht. Gleichwohl kann sie richtig konzipiert zum Steuerungsinstrument werden.

     

    Grund 3: Leistungsnachweis für Mandanten und Gericht

    Taugt die Leistungserfassung als „Leistungsnachweis“ für den Mandanten? Das Problem: Ihrem Mandanten geht es mit dem Leistungsnachweis auf der Rechnung so ähnlich wie Ihnen mit dem Leistungsnachweis Ihrer Mitarbeiter. Zum einen kann er die Richtigkeit nicht überprüfen. Zum anderen kann er nicht ansatzweise abschätzen, ob Ihr Zeitaufwand gerechtfertigt ist. Und wenn er dann den „Stundenlohn“ ausrechnet, kommt auch diese Diskussion noch auf Sie zu. Die Gefahr, dass Sie dabei auf eine „Rechtfertigungsschiene“ geraten, ist groß. In Honorarverhandlungen ist das aus meiner Erfahrung der Weg in den Untergang, sprich die Honorardurchsetzung wird außerordentlich schwierig ‒ und zwar immer wieder.

     

    Als Leistungsnachweis vor Gericht nützt Ihnen die Leistungserfassung nur, wenn Sie auch einen entsprechenden Auftrag (Stichwort: schriftlicher Steuerberatungsvertrag) nachweisen können. Nicht selten aber fehlt es an einem der beiden oder sogar an beiden und so entsteht der Eindruck, dass es vor Gericht sowieso immer auf einen Vergleich hinausläuft.

     

    MERKE | Als Leistungsnachweis ist die Leistungserfassung keine sichere Bank, wenn sie nicht den Anforderungen der Rechtsprechung genügt. Hierfür ist es wichtig, dass die Kanzleisoftware auch die relevanten Informationen erfasst (vgl. Leistungserfassung und Honorarsicherung, KP-Sonderausgabe 2021).

     

    Grund 4: Kalkulationsgrundlage und Controlling-Instrument

    Egal, ob Sie Ihre Honorare klassisch nach StBVV abrechnen oder über die Öffnungsklausel des § 4 StBerG individuelle Honorarvereinbarungen treffen (etwa, weil Sie nicht über ein Jahrzehnt warten wollen, bis die nächste gesetzliche Honoraranpassung genehmigt wird), die Erfahrungswerte der Leistungserfassung sind hier bei aller Ungenauigkeit eine wichtige Grundlage. Als alleinige Kalkulationsgrundlage greift sie allerdings zu kurz.

     

    Aus meiner Sicht kann der Zeitaufwand immer nur die Untergrenze Ihres Honorars bestimmen. Andernfalls beschränken Sie Ihr Honorarvolumen und geben jede Verbesserung der Kanzleieffizienz 1 : 1 an Ihre Mandanten weiter. Die Kosten der Effizienzsteigerungen wie Digitalisierung und Prozessoptimierung gehen dann allein zulasten Ihres Gewinns.

     

    Wie gesagt: Wenn Ihr Mandant nicht alle Kosten bezahlt, bleiben Sie als Geldgeber übrig. Insofern empfinde ich den von vielen genutzten Begriff des Deckungsbeitrags als zumindest irreführend. Die Deckungsbeitragsrechnung ist für Grenzbetrachtungen gedacht. Wie viel trägt ein Auftrag zur Fixkostendeckung bei? Weiter gegriffen ‒ wie viel trägt der Auftrag insgesamt zur Kostendeckung bei? Geht es bei Ihnen in der Kanzlei wirklich darum, durch zusätzliche Aufträge „wenigstens“ die Kosten zu decken? Im Klartext: Streben Sie einen Gewinn von 0 EUR an? Ich hoffe nicht. Ihr Ziel sollte sein: Jeder Mandant und hier auch jeder Auftrag deckt nicht nur Ihre gesamten Kosten, sondern auch den Unternehmerlohn, die kalkulatorischen Kosten, idealerweise noch einen zusätzlichen Gewinn ‒ sozusagen das „Sahnehäubchen“.

     

    • In Zahlen
    • Vollkosten
    • + 150.000 EUR Unternehmerlohn pro Partner
    • + kalkulatorische Zinsen/Miete ...
    • + Investitionsrücklagen (mind. 10 % ‒ die Digitalisierung gibt es nicht umsonst)
    • + Gewinnzuschlag ab 5 % aufwärts
     

    Im Regelfall summiert sich das in etwa auf 200 ‒ 250 TEUR „Gesamtgewinn“. Eine astronomische Summe? Dann errechnen Sie doch einmal daraus Ihren Stundenlohn. Rechnen ist ja Ihre Kernkompetenz. Unter der Annahme, dass Sie 230 Tage je acht Stunden arbeiten, kommen wir auf einen „Stundenlohn“ von 108,70 ‒ 135,87 EUR vor Steuern. Der Wirtschaftsprüfer, Chefarzt oder Rechtsanwalt werden sich darunter nicht verkaufen ‒ warum also Sie? Sie arbeiten mehr als 1.840 Stunden im Jahr?

     

    FAZIT | Als Kalkulationsgrundlage hat die Leistungserfassung ‒ mit dem „richtigen“ Stundenverrechnungssatz durchaus ihre Berechtigung.

     

    Und was jetzt?

    Die rückwärtsgerichtete Leistungserfassung hat in Teilen ihre Berechtigung, aber so richtig befriedigend ist das Ergebnis auch nicht. Aber wenn Sie einmal die Perspektive wechseln, dann wird vielleicht doch noch ein Schuh draus.

     

    Tipp 1: Tschüss „unproduktive/nicht-abrechenbare Zeiten“

    Gerne wird mit der Leistungserfassung versucht, die „unproduktiven“ Stunden möglichst klein zu halten. Verabschieden Sie sich von dieser Denke. Es gibt Kanzleien mit klaren Vorgaben: 80 bis 90 % soll „produktiv“ gearbeitet werden. Aus meiner Sicht erreichen Sie damit bestenfalls eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Ob die Leistungserfassung dadurch die Realität besser abbildet, wage ich zu bezweifeln. Wenn Sie selbst als Angestellte(r) in größeren Kanzleien gearbeitet haben, wissen Sie wahrscheinlich, wovon ich rede. Dabei haben Sie zu der Zeit schon unternehmerisch gedacht ‒ sonst wären Sie jetzt nicht selbstständig.

     

    Ich teile für mich die Arbeitszeit aller Kanzleimitglieder folgendermaßen auf:

     

    • Mandantenzeit: Alles, was wir tun, weil es den betreffenden Mandanten in der Kanzlei gibt (also alle „Einzelkosten“).
    • Kanzleizeit: Alles, was wir unabhängig vom einzelnen Mandat tun, z. B. Zeiten für die Verwaltung laufender Prozesse und Zeiten für Kanzleiprojekte (also im Sinne von Gemeinkosten).

     

    PRAXISTIPP | Folgerichtig gibt es für mich keine „unproduktive“ Zeit. Auch der Begriff der „nicht abrechenbaren“ Zeit begeistert mich nicht. Aus meiner Sicht muss der Mandant die gesamte Zeit in der Kanzlei bezahlen. Wer soll es denn sonst tun?

     

    Tipp 2: Planen Sie zukunftsgerichtete Zeitbudgets

    Gerade die Projektzeit nimmt in Kanzleien in den letzten Jahren deutlich zu. Und das wird auf absehbare Zeit aus meiner Sicht auch so bleiben. Die „Digitalisierung“ ist ja kein rein technisches Thema. Neue Hard- und Software allein bringen Sie nicht weiter. Prozesse ändern sich und Ihr Dienstleistungsangebot steht auf dem Prüfstand ‒ Stichwort: Beratung. Und nach der Konzeptphase kommt die Umsetzungsphase ‒ hier geht es darum, Ihren Mitarbeitern die Veränderung möglich zu machen. Eine vergangenheitsorientierte Leistungserfassung hilft da wenig.

     

    Ich empfehle Ihnen, von Beginn an eine Zeitbudgetplanung statt „Zeitforensik“ zu betreiben. Die Ist-Mandantenzeit ist der begrenzende Faktor bei Ihrer Zeit-Budgetplanung. Auch wenn Sie kürzere Bearbeitungszeiten anstreben ‒ noch ein Projekt ‒, es geht bei professioneller Planung nicht um Wunschdenken, sondern um Realismus. Wenn Sie „geplante“ Effizienzverbesserungen zur Grundlage Ihrer Planung machen, geben Sie Ihre Ersparnisse aus, bevor Sie sie sicher auf der Bank haben. Mit Geld funktioniert das ‒ das nennen wir Darlehen. Zeit können wir im Gegensatz zu Geld nicht leihen.

     

    PRAXISTIPP | Wenn Kanzleien mich nach dem notwendigen Zeitbudget für ein Projekt fragen, das ich begleiten soll, stelle ich immer die Gegenfrage: Wie viel Zeit haben Sie denn dafür?

     

    Und wenn jeder in der Kanzlei eine Stunde in der Woche für Projekte erübrigen kann, können Sie mit jedem Projekt starten. Es dauert dann eben entsprechend länger oder kürzer. Nur wenn Sie einen festen Endtermin für ein Projekt haben, müssen Sie zusätzliche Zeit „kaufen“ ‒ in Form von zusätzlichen Mitarbeitern, weniger Umsatz durch freigesetzte Mandanten oder Outsourcing.

     

    Ich empfehle Ihnen, zusätzlich Obergrenzen und Termine für einzelne Projekttätigkeiten zu bestimmen. Gerade in Sachen Digitalisierung schmilzt die Zeit nur so dahin. Eine Begrenzung ist wichtig, um sensibel dafür zu bleiben, zu Entscheidungen und Ergebnissen zu kommen.

     

    • Beispiel für eine einvernehmliche Zeitvorgabe

    Wir möchten ein Online-Terminsystem einführen. Nach maximal zwei Stunden Recherche treffen wir uns (Darstellung der Rechercheergebnisse in einer Kriterientabelle), um zu entscheiden, welches Tool wir ausprobieren. Dann kommt die Testphase …

     

    Kommt ein Projektmitglied mit der geplanten Zeit nicht aus, gibt es den Konsens in der Kanzlei, dass sie/er sich aktiv meldet.

     

    Tipp 3: Befassen Sie sich mit dem Thema Auftragssteuerung

    Ich habe oben gesagt, dass ich die Leistungserfassung in ihrer vergangenheitsorientierten Form nicht als geeignet ansehe, die Mitarbeiter (und auch Sie als Chef) zu einer effizienten Bearbeitung der Aufträge zu führen. Die Alternative ist aus meiner Sicht die Auftragssteuerung und ‒kontrolle über das Arbeitsergebnis. Es geht darum, den Plan schnell, flexibel und effizient abzuarbeiten. Im Groben kann das so aussehen:

     

    Es gibt einen Plan für die einzelnen Aufträge pro Mitarbeiter. Die drei folgenden Fragen müssen vor Beginn der Arbeit klar beantwortet sein:

     

    • Kapazitätsplanung: Was hat der Mitarbeiter im Jahr zu erledigen?
    • Terminplanung: Wie sehen die Fristen aus?
    • Qualitätsstandards: Welche Qualität muss das Ergebnis haben?

     

    Und diese drei Dinge müssen dann auch permanent beobachtet werden. Das „Monitoring“ passiert über ein Dashboard. Wenn Ihre Software das (noch) nicht kann, sollten Sie sich nach anderen Lösungen umschauen. Das Ziel: Egal wo und wann jemand für die Kanzlei arbeitet, das Steuerungsinstrument bleibt dasselbe. So hat jeder in der Kanzlei den Überblick über Anforderungen und Arbeitsfortschritt. Das gilt zum einen für die Mandantenarbeit, zum anderen aber auch unbedingt für die Projektarbeit zur Kanzleientwicklung.

    Quelle: Ausgabe 05 / 2021 | Seite 78 | ID 47117053