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  • · Fachbeitrag · Voraussetzungen der Aufrechnung

    Erlöschen von Steuerschulden durch Aufrechnung: Was möglich und was nicht möglich ist

    von StB WP Gerald Schwamberger, Göttingen

    | Steuerpflichtige müssen ihrer Pflicht zur Begleichung ihrer Steuerschuld nachkommen. Das ist nicht immer ohne Weiteres möglich. Ist eine finanzielle Klemme zu überwinden, kann das Instrument der Aufrechnung helfen. Aufrechnungen durch die Finanzverwaltung sind jedoch manchmal problematisch. Was möglich ist und was nicht, zeigt dieser Beitrag. |

    Grundlagen der Aufrechnung

    Die Grundlagen für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind in § 226 AO geregelt. Danach sind die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, insbesondere die §§ 387 ff. BGB, sinngemäß anzuwenden.

     

    Unter Aufrechnung ist die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender gleichartiger Ansprüche durch Verrechnung zu verstehen. Die Erklärung zur Aufrechnung erfolgt von einem der Beteiligten. Sie ist Erfüllungsersatz, weil der Aufrechnungsgegner statt der Erfüllung seines Anspruchs die Tilgung seiner Schuld erhält (BFH 22.08.95, VII B 107/95, BStBl II 95, 916). Nach den Bestimmungen des BGB erfolgt die Aufrechnung zu dem Zeitpunkt, zu dem sich die gegenseitigen Ansprüche zum ersten Mal aufrechenbar gegenüberstanden (§ 389 BGB). Als Hauptforderung ist der Betrag zu verstehen, gegen den aufgerechnet wird, während der Betrag, mit dem aufgerechnet wird, als Gegenforderung bezeichnet wird. Mit der Erklärung der Aufrechnung erlöschen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.

     

    Abweichungen gegenüber den Vorschriften des BGB bestehen in der Aufrechnung mit verjährten Ansprüchen, weil gem. § 47 AO der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verjährung i.S. des § 228 AO erloschen ist, während die Verjährung nach § 222 Abs. 1 BGB nur eine Einrede bedeutet. Nach § 226 Abs. 4 AO gilt als Gläubiger oder Schuldner eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis die Körperschaft, die die Steuer verwaltet, während § 395 BGB die Aufrechnung gegen öffentlich-rechtliche Forderungen nur dann zulässt, wenn die Leistung an dieselbe Kasse zu erfolgen hat.

    Aufrechnungsgegenstand

    Gegenstand der Aufrechnung sind alle Ansprüche i.S. des § 37 AO aus dem Steuerschuldverhältnis und schuldrechtliche Ansprüche aller Art (BFH 4.10.83, VII R 143/82, BStBl II 84, 178). Neben dem Steueranspruch einschließlich des Lohnsteueranspruchs gegen den Arbeitnehmer gehören auch Haftungsanspruch, Steuererstattungs- und Rückforderungsanspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung und ebenso Kostenerstattungsansprüche zum Aufrechnungsgegenstand. Nicht aufgerechnet werden kann gegen Geldbußen für Ordnungswidrigkeiten, Geldstrafen, Geldersatzstrafen und Kosten des Bußgeld- und Strafverfahrens, weil der Buß- und Strafcharakter der Aufrechnung entgegensteht. Ebenfalls nicht aufgerechnet werden kann mit der Lohnsteuer beim Arbeitgeber.

     

    Mit den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis können alle schuldrechtlichen Ansprüche - ohne Rücksicht darauf, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder zivilrechtliche Ansprüche handelt - aufgerechnet werden.

     

    Hinweis | Der Steuerschuldner kann zivilrechtliche Forderungen - z.B. aufgrund der Lieferung von Büromaterial an die Finanzbehörde - mit fälligen Steuerschulden verrechnen.

    Aufrechnungslage

    Eine Aufrechnungslage setzt voraus, dass bezüglich der Ansprüche Gegenseitigkeit, Gleichartigkeit, Erfüllbarkeit der Hauptforderung und Fälligkeit der Gegenforderung vorliegen (§ 387 BGB). Hinzu kommt, dass gem. § 226 Abs. 3 AO nur gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis aufgerechnet werden kann, wenn diese unbestritten oder rechtskräftig festgestellt sind.

     

    Gegenseitigkeit

    Unter Gegenseitigkeit ist zu verstehen, dass die Haupt- und die Gegenforderung zwischen denselben - natürlichen oder juristischen - Personen bestehen.

     

    MERKE | Bei Ehegatten im Rahmen der Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer kann gegen den Anspruch des Ehegatten auf Erstattung überzahlter Steuer nicht mit rückständigen Steuerschulden des anderen Ehegatten aufgerechnet werden (BFH 12.6.90, VII R 69/89, BStBl II 91, 493). Dasselbe gilt für Gesamtschuldner und Gesellschafter von Gesellschaften (§ 719 Abs. 2 BGB).

     

    Gegenseitigkeit ist gewahrt, wenn der Steuerschuldner mit Forderungen gegenüber der Finanzbehörde aufrechnet, die zwar nicht ihm persönlich zustehen, die ihm aber im Rahmen einer Forderungsabtretung übertragen wurden. Die Wirksamkeit der Abtretung erfolgt bei Anzeige gegenüber der Finanzbehörde. Hinsichtlich der Aufrechnung gegenüber der Finanzbehörde gilt die Verwaltungshoheit gem. § 226 Abs. 4 AO, sodass Inhaber der Steuerforderung oder Steuerverbindlichkeit als Fiktion die Körperschaft ist, die die Steuer verwaltet.

     

    Gleichartigkeit

    Die Gleichartigkeit ist dadurch gegeben, dass Haupt- und Gegenforderung ein Geldanspruch sein müssen.

     

    MERKE | Eine Aufrechnung von Körperschaftsteuer mit abzuführender Lohnsteuer für Mitarbeiter des Steuerpflichtigen ist nicht möglich, weil Schuldner der Lohnsteuer die Arbeitnehmer sind.

     

     

    Erfüllbarkeit

    Die Erfüllbarkeit der Hauptforderung ist gegeben, wenn der Anspruch entstanden ist (§ 271 BGB). Ein auflösend bedingter Anspruch kann aufgerechnet werden, nicht jedoch ein aufschiebend bedingter Anspruch.

     

    Fälligkeit

    Der aufzurechnende Anspruch (Gegenforderung) muss nicht nur bestehen, sondern auch fällig sein, sodass die Aufrechnungsparteien die Leistungen fordern können (§ 387 BGB). Dies bedeutet, dass die Gegenforderung nicht gestundet oder aus anderen Gründen noch nicht fällig ist (BFH 18.3.76, V R 127/71, BStBl II 76, 438). Nicht erforderlich ist, dass ein Rechtsbehelfsverfahren abgeschlossen ist.

     

    Wird die Aufrechnungserklärung vor Eintritt der Fälligkeit gegenüber der Finanzbehörde zugestellt, so ist sie unwirksam und wird auch nicht bei Eintritt der Fälligkeit wirksam (FG Hamburg 6.4.94, I 206/92, EFG 94, 734). Bei vorheriger Zustimmung des Aufrechnungsgegners ist der Antrag auf Aufrechnung vor Fälligkeit jedoch möglich (BFH 13.10.72, III R 11/72, BStBl II 73, 66). Daraus folgt, dass Aufrechnungsanträge an die Finanzbehörde vor Fälligkeit der Gegenforderung - z.B. aus zu erwartender Einkommensteuererstattung im Rahmen einer technischen Stundung i.S. des § 222 AO - gestellt werden können. In diesem Fall wird die Aufrechnung erst erfolgen, wenn die zu erwartende Steuererstattung fällig ist.

     

    Nach § 226 Abs. 3 AO setzt die Aufrechnung eine unbestrittene oder rechtskräftig gestellte Gegenforderung voraus. Diese Vorschrift gilt nur bei einem Aufrechnungsantrag durch den Steuerpflichtigen. Die Finanzbehörde ist jedoch i.S. des § 226 Abs. 3 AO in der Lage, mit bestrittenen Forderungen aufzurechnen, weil die Vorschrift der Finanzbehörde die Gelegenheit zur Sachaufklärung gibt (BFH 6.8.85, VII B 3/85, BStBl II 85, 672; FG Hessen 12.3.97, 13 V 4325/96, EFG 97, 896).

    Aufrechnungserklärung

    Eine Aufrechnungserklärung kann sowohl vom Steuerpflichtigen als auch von der Finanzbehörde erfolgen.

     

    Aufrechnungserklärung des Steuerpflichtigen

    Die Aufrechnungserklärung des Steuerpflichtigen wird mit Zugang bei der Finanzbehörde wirksam (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 BGB i.V. mit § 226 Abs. 1 AO). In der Aufrechnungserklärung muss der Wille zur Verrechnung und Tilgung zum Ausdruck kommen; sie kann schriftlich, mündlich, durch schlüssige Handlung aber auch per Telefax abgegeben werden (BFH 4.2.97, VII R 50/96, BStBl II 97, 479).

     

    PRAXISHINWEIS | Zur Vermeidung von Rückfragen und Verzögerungen sollten die gegeneinander aufzurechnenden Forderungen nach Grund und Betrag genau bezeichnet werden. Die Reihenfolge der Tilgung wird durch den Steuerpflichtigen bestimmt.

     

     

    Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde

    Die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde ist ebenfalls an keine Form gebunden und kann in elektronischer oder automatisierter Fassung erfolgen. So reicht zur Aufrechnung auch eine maschinell erstellte Umbuchungsmitteilung, sie ist aber kein Verwaltungsakt (BFH 28.7.87, VII R 145/83, NV 88, 213). Eine Wirkung dieser Aufrechnungserklärung wird erreicht, wenn die Umbuchungsmitteilung dem Aufrechnungsgegner zugeht (FG Münster 7.7.03, 11 K 5214/99 AO, EFG 03, 1662). Die Aufrechnungserklärung der Finanzbehörde ist eine Willenserklärung und kein Verwaltungsakt, sodass eine Ermessensentscheidung nicht erforderlich ist. Die Aufrechnungserklärung kann jedoch auch in einen Verwaltungsakt oder in einen Abrechnungsbescheid einbezogen sein, weil darin der erklärte Wille zum Ausdruck kommt (BFH 12.1.88, VII R 66/87, BStBl II 88, 406). Eine Einspruchsentscheidung kann keine Aufrechnungserklärung sein, wenn die Aufrechnungslage erst im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung besteht.

     

    Bei Unklarheiten über bestehende Forderungen gegenüber der Finanzbehörde kann der Steuerpflichtige einen Abrechnungsbescheid i.S. des § 218 Abs. 2 AO beantragen. Gegenstand des Abrechnungsbescheids ist die Feststellung der Finanzbehörde, inwieweit ein bestimmter Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis verwirklicht oder nicht verwirklicht ist. Hierbei sind bestandskräftige Anrechnungsverfügungen, nicht aber Umbuchungen zu berücksichtigen (BFH 13.1.05, VII B 147/04, Abruf-Nr. 050939).

     

    Hinweis | Die Feststellungen des Abrechnungsbescheids binden den Steuerpflichtigen genauso wie die Finanzbehörde. Ein Abrechnungsbescheid ist vollziehbar, wenn er selbst Grundlage der Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist. Dies trifft im Wesentlichen auf Bescheide über Erstattungs- und Rückforderungsansprüche - z.B. aufgrund von Über- oder Doppelzahlungen einschließlich Falschzahlungen - zu.

     

    Der Abrechnungsbescheid kann mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angefochten werden und es steht der Steuerrechtsweg i.S. des § 33 FGO offen, sodass gegen einen Einspruchsbescheid Anfechtungsklage gem. § 40 Abs. 1 Nr. 1 FGO erhoben werden kann (BFH 21.1.77, III R 125/73, BStBl II 77, 396).

    Aufrechnung im Insolvenzverfahren

    Im Insolvenzverfahren kann die Finanzbehörde nur solche Forderungen aufrechnen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind. So kann die Finanzbehörde im Insolvenzverfahren Haftungsforderungen aufrechnen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, ohne dass es dafür eines Haftungsbescheids, einer Feststellung nach § 251 AO oder einer Anmeldung zur Insolvenztabelle bedarf. Die Feststellung, ob eine Forderung vor oder nach Insolvenzeröffnung entstanden ist, ist nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen und nicht nach § 38 AO zu treffen (BFH 5.10.04, VII R 69/03, Abruf-Nr. 050229).

     

    Die Finanzbehörde kann Steuererstattungsansprüche aus einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners, die nicht in die Insolvenzmasse gehören und nicht dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterliegen, aufrechnen (BFH 1.9.10, VII R 35/08, BStBl II 11, 336). Besteht ein Schuldenbereinigungsplan, kann die Finanzbehörde nur aufrechnen, wenn dies im Plan ausdrücklich zugelassen ist.

    Wirkung der Aufrechnung

    Durch die Aufrechnung erlöschen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO) soweit sie sich betragsmäßig decken und gelten in dem Zeitpunkt als erloschen, in dem sie einander zuerst zur Aufrechnung geeignet gegenübergetreten sind (§ 389 BGB; BFH 12.07.01, VII R 19, 20/00, BStBl II 02, 67). Dies bedingt, dass vom Zeitpunkt der Aufrechnungslage bis zur Aufrechnungserklärung (Aufrechnung) keine Säumniszuschläge oder Zinsen zu erheben sind und bereits gezahlte Zinsen oder Säumniszuschläge erstattet werden müssen. Steuern, die gestundet oder bei denen Aussetzung der Vollziehung i.S. des § 361 AO gewährt wurde, können nur dann aufgerechnet werden, wenn die Fälligkeit der Gegenforderung durch Rücknahme oder Widerruf des Zahlungsaufschubs oder der Aussetzungsverfügung vor dem Aufrechnungsantrag der Finanzbehörde erfolgt.

     

    Hinweis | Eine unzulässige Vollziehung des Steuerbescheids liegt vor, wenn für die aufzurechnenden Steuern zum Zeitpunkt der Aufrechnungsverfügung noch keine Stundung oder Aussetzungsverfügung erfolgt ist (BFH 31.8.95, VII R 58/94, Abruf-Nr. 050888).

    Aufrechnungsvertrag

    Fehlen Voraussetzungen für eine Aufrechnungserklärung, wie z.B. Gegenseitigkeit oder Fälligkeit, so können Finanzbehörde und Steuerpflichtiger einen Aufrechnungsvertrag schließen. Die Vertragsform ergibt sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 305 BGB) und ist für die Aufrechnung von öffentlich-rechtlichen Ansprüchen anerkannt (BFH 13.1.00, VII R 91/98, BStBl II 00, 246). Um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt es sich, wenn die zur Aufrechnung gestellten Ansprüche in einem Fall öffentlich-rechtlicher Natur sind und durch gegenseitige Willensbekundung die Annahme der Verrechnung zustande gekommen ist (BFH 11.12.84, VIII R 263/82, BStBl II 85, 278; BFH 18.2.86, VII R 8/81, BStBl II 86, 506). Der Abschluss eines Aufrechnungsvertrags steht im Ermessen der Finanzbehörde und muss auch vom Steuerpflichtigen ausdrücklich oder konkludent erklärt werden.

     

    PRAXISHINWEIS | Im Einzelfall kann der Abschluss eines Aufrechnungsvertrags sinnvoll sein, wenn Finanzbehörde und Steuerpflichtiger sich darüber einig sind, dass die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Aufrechnung in Zukunft mit großer Sicherheit zu erwarten ist. Er kann als Alternative zur technischen Stundung i.S. des § 222 AO angesehen werden.

    Quelle: Ausgabe 10 / 2014 | Seite 171 | ID 42838450

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