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  • · Fachbeitrag · HOAI

    Mehrere Objekte in der Tragwerksplanung und § 11 HOAI: Die Zielbaummethode nach Voigt

    von Dipl.-Ing. (TH) Matthias Voigt, ö.b.u.v. Honorarsachverständiger für Tragwerksplanung u. Therm. Bauphysik und Ulrike Wietzorrek, Architektin

    | Zum Abschluss der Beitragsreihe rund um den § 11 HOAI stellt PBP Ihnen die Zielbaummethode des Honorarsachverständigen Matthias Voigt vor. Sie dient dazu, bei einem Auftrag über mehrere Objekte in der Tragwerksplanung eine sachgerechte und hinreichend begründete Zuordnung der Objekte in die entsprechende Abrechnungsvorschrift vorzunehmen und so proaktiv Honorarstreitigkeiten zwischen Planern und Bauherren zu vermeiden. |

    Grundlagen der Abrechnungsvorschriften nach § 11 HOAI

    Wir erinnern uns: Die Zuordnung der Objekte zu den Absätzen 1, 2 oder 3 HOAI 11 entscheidet maßgeblich über die Höhe des Honorars:

     

    • Verschiedene Tragwerke: Objekte, die § 11 Abs. 1 zugeordnet werden, sind getrennt abzurechnen. Daraus ergibt sich das höchste Honorar.

     

    • Ähnliche Tragwerke: Objekte, die § 11 Abs. 2 zugeordnet werden, sind nach der Summe der anrechenbaren Kosten abzurechnen. Aufgrund der Degression der Honorartabellen kommt es zu einem Honorarabschlag.

     

    • Gleiche Tragwerke: Objekte, die § 11 Abs. 3 zugeordnet werden, sind mit einer noch höheren Minderung abzurechnen. Die prozentuale Minderung ist dabei abhängig von der Anzahl der Wiederholungen.

     

    Nicht selten ist die Zuordnung der Objekte (= Tragwerke) in die maßgebliche Abrechnungsvorschrift strittig, da der Verordnungstext eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe aufweist. Klar ist, dass sich die Minderung des Honorars auf eine konkrete Reduzierung des Planungsaufwands beziehen muss. Und dies ist eben nur dann gegeben, so die Autoren im HOAI-Kommentar von Fuchs/Seifert/Berger, wenn unterschiedliche Tragwerke auf einer vergleichbaren Statik und ähnlichen Ausführungsplänen basieren. Doch wann ist dies der Fall?

     

    In § 11 Abs. 2 und 3 HOAI sind eine Reihe von Kriterien aufgeführt, die allesamt gegeben sein müssen, damit die Voraussetzung für die Reduzierung des Planungsaufwands erfüllt und eine Minderung des Honorars gerechtfertigt ist (siehe Beitrag Teil 1 → Abruf-Nr. 50000233). Insbesondere der Begriff der Planungsbedingungen gibt Planern und Bauherren allerdings immer wieder Rätsel auf. Geht man in der Historie der HOAI zurück, so findet sich diesbezüglich bis zur Fassung von 2009 noch der Begriff Objektbedingungen. Nach geltender Meinung ist damit aber das Gleiche gemeint wie mit dem Begriff Planungsbedingungen. Geht man also von einer synonymen Verwendung beider Begriffe aus, wird es interessant. Denn auf die „Objektbedingungen“ wird im Grundleistungskatalog der HOAI Anlage 14.1 Bezug genommen:

     

    • Anlage 14.1 HOAI: Leistungsbild Tragwerksplanung
    • Lph 2, Grundleistung c): Mitwirken bei dem Erarbeiten eines Planungskonzepts einschließlich Untersuchung der Lösungsmöglichkeiten des Tragwerks unter gleichen Objektbedingungen mit skizzenhafter Darstellung, Klärung und Angabe der für das Tragwerk wesentlichen konstruktiven Festlegungen für zum Beispiel Baustoffe, Bauarten und Herstellungsverfahren, Konstruktionsraster und Gründungsart.

     

    • Lph 3, Grundleistung c): Grundlegende Festlegungen der konstruktiven Details und Hauptabmessungen des Tragwerks für zum Beispiel Gestaltung der tragenden Querschnitte, Aussparungen und Fugen; Ausbildung der Auflager- und Knotenpunkte sowie der Verbindungsmittel.
     

    Klar ist, dass die in der Verordnung genannten Objektbedingungen nicht abschließend sind. Dennoch können sie dazu dienen, sich den komplexen Planungsbedingungen zu nähern, die einem Tragwerk zugrunde liegen.

    Die Zielbaummethode

    Um den Grad der Übereinstimmung verschiedener Objekte abzubilden, hat der Verfasser eine Zielbaummethode mit einer Vielzahl von Kriterien (Haupt- bzw. Unterkriterien) entwickelt, die jeweils mit null bis fünf Punkten bewertet werden und somit den Grad der Übereinstimmung verschiedener Objekte abbilden.

     

    Ähnlich wie das Modell von Krüger/Ziser ‒ das sich auf Objekte im Leistungsbild Gebäude bezieht ‒ wird dadurch für Objekte der Tragwerksplanung eine Zuordnung der Tragwerke in die verschiedenen Abrechnungsvorschriften des § 11 HOAI ermöglicht. Somit kann bestimmt werden, ob es sich bei einem Auftrag über mehrere Tragwerke um im Wesentlichen gleiche, vergleichbare (= ähnliche) oder verschiedene Tragwerke handelt.

     

    Aufbau der Zielbaummethode ‒ 1. Festlegung der Hauptkriterien

    Aufbauend auf den in der Grundleistungstabelle aufgelisteten Objektbedingungen sowie eigenen Überlegungen des Verfassers leiten sich folgende zehn Hauptvergleichskriterien ab:

     

    • Lastannahmen → eigener Vorschlag
    • Statische Systeme → eigener Vorschlag
    • Baustoffe → Lph 2 Grundl. c)
    • Bauarten und Herstellungsverfahren → Lph 2 Grundl. c)
    • Konstruktions-(stützen-)raster → Lph 2 Grundl. c)
    • Gründungsverhältnisse (Baugrund) → Lph 2 Grundl. c)
    • Gestaltung tragende Querschnitte → Lph 3 Grundl. c)
    • Aussparungen → Lph 3 Grundl. c)
    • Fugen → Lph 3 Grundl. c)
    • Auflager- und Knotenpunkte → Lph 3 Grundl. c)

     

    2. Bestimmung von Unterkriterien zu den verschiedenen Hauptkriterien

    Diese Hauptkriterien können gemäß der hierarchischen Struktur der Zielbaummethode noch in mehrere Untergliederungsebenen unterteilt werden. Für das Hauptkriterium Lastannahmen könnte z. B. folgende Unterteilung mit verschiedenen Lastkategorien als Unterkriterien erfolgen:

     

    • Eigenlasten Konstruktion g1
    • Eigenlasten Ausbau g2
    • Schnee
    • Wind
    • Verkehrslasten
    • Schwingungslasten (Maschinen etc.)
    • Erdbebenlasten
    • Schiefstellungen und Imperfektionen
    • Außergewöhnliche Belastungen (Anprall- und Bremslasten)
    • Sonstiges

     

    Die folgenden fünf Hauptkriterien ‒ statische System, Baustoffe, Bauarten- und Herstellungsverfahren, Aussparungen, sowie Auflager- und Knotenpunkte sollten noch in Abhängigkeit vom Leistungsbild auf die wesentlichen Haupttragelemente, für die regelmäßig statische Berechnungen anzustellen sind, verfeinert werden. Bei Gebäuden handelt es sich dabei um:

     

    • Dachtragwerke
    • Deckenkonstruktionen
    • Unter- und Überzüge, Balkentragwerke
    • Tragende, nicht aussteifende Wände
    • Tragende, aussteifende Wände
    • Stützen
    • Notwendige Treppen
    • Gründungsbauteile

     

    Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine Matrix mit insgesamt 61 Kriterien (vgl. Tabelle 1). Die Objekte eines Auftrags sind in der Folge auf eine mögliche Übernahme bzw. Übereinstimmung von Planungsergebnissen zu prüfen.

     

    • Die Punktebewertung erfolgt entsprechend der Übereinstimmung

    Keine Übereinstimmung

    0 Punkte

    Sehr geringe Übereinstimmung

    1 Punkt

    Geringe Übereinstimmung

    2 Punkte

    Erhebliche Übereinstimmung

    3 Punkte

    Umfangreiche Übereinstimmung

    4 Punkte

    Vollständige Übereinstimmung

    5 Punkte

     

     

    Eine Addition der Punktebewertung der insgesamt 61 Kriterien ergibt eine Gesamtsumme, entsprechend der eine Zuordnung zu den o. g. Vorschriften erfolgen kann. Die maximale Gesamtpunktzahl beträgt 305 Punkte (61 Kriterien x 5 Punkte = 305 Punkte).

     

     

    Tabelle 1: Vergleich der gleichartigen Planungsbedingungen: Tragwerk 1 und 2
    Bewertungskriterien
    Bewertung

    Kriterien

    Hauptkriterien

    Unterkriterien

    Punkte

    Tragwerk 1

    Vergleichs-

    maßstab

    Tragwerk 2

    Übernahme aus T1

    Abweichung

    T2 zu T1

    1

    Lastannahmen

    Eigenlasten Konstruktion g1

    5

    5

    5

    0

    Eigenlasten Ausbau g2

    5

    5

    5

    0

    Schnee

    5

    5

    5

    0

    Wind

    5

    5

    5

    0

    Verkehrslasten

    5

    5

    5

    0

    Schwingungslasten (Maschinen etc.)

    5

    5

    4

    1

    Erdbebenlasten

    5

    5

    5

    0

    Schiefstellungen und Imperfektionen

    5

    5

    5

    0

    Außergewöhnliche Belastungen (Anprall- und Bremslasten)

    5

    5

    4

    1

    Sonstiges

    5

    5

    4

    1

    2

    Statische Systeme

    Dachtragwerke

    5

    5

    4

    1

    Deckenkonstruktionen

    5

    5

    4

    1

    Unter- und Überzüge, Balkentragwerke

    5

    5

    4

    1

    Tragende, nicht aussteifende Wände

    5

    5

    5

    0

    Tragende, aussteifende Wände, Aussteifung

    5

    5

    5

    0

    Stützen

    5

    5

    5

    0

    Notwendige Treppen

    5

    5

    5

    0

    Gründungsbauteile

    5

    5

    4

    1

    3

    Baustoffe

    Dachtragwerke

    5

    5

    4

    1

    Deckenkonstruktionen

    5

    5

    4

    1

    Unter- und Überzüge, Balkentragwerke

    5

    5

    4

    1

    Tragende, nicht aussteifende Wände

    5

    5

    4

    1

    Tragende, aussteifende Wände, Aussteifung

    5

    5

    4

    1

    Stützen

    5

    5

    4

    1

    Notwendige Treppen

    5

    5

    4

    1

    Gründungsbauteile

    5

    5

    4

    1

    4

    Bauarten und Herstellungs-verfahren

    Dachtragwerke

    5

    5

    4

    1

    Deckenkonstruktionen

    5

    5

    4

    1

    Unter- und Überzüge, Balkentragwerke

    5

    5

    4

    1

    Tragende, nicht aussteifende Wände

    5

    5

    4

    1

    Tragende, aussteifende Wände, Aussteifung

    5

    5

    4

    1

    Stützen

    5

    5

    4

    1

    Notwendige Treppen

    5

    5

    4

    1

    Gründungsbauteile

    5

    5

    4

    1

    5

    Konstruktions-(stützen-)raster

    5

    5

    5

    0

    6

    Gründungsverhältnisse (Baugrund)

    5

    5

    5

    0

    7

    Gestaltung tragende Querschnitte

     

    Dachtragwerke

    5

    5

    4

    1

    Deckenkonstruktionen

    5

    5

    4

    1

    Unter- und Überzüge, Balkentragwerke

    5

    5

    4

    1

    Tragende, nicht aussteifende Wände

    5

    5

    4

    1

    Tragende, aussteifende Wände, Aussteifung

    5

    5

    4

    1

    Stützen

    5

    5

    4

    1

    Notwendige Treppen

    5

    5

    4

    1

    Gründungsbauteile

    5

    5

    4

    1

    8

    Aussparungen

    Dachtragwerke

    5

    5

    4

    1

    Deckenkonstruktionen

    5

    5

    4

    1

    Unter- und Überzüge, Balkentragwerke

    5

    5

    4

    1

    Tragende, nicht aussteifende Wände

    5

    5

    4

    1

    Tragende, aussteifende Wände, Aussteifung

    5

    5

    4

    1

    Stützen

    5

    5

    4

    1

    Notwendige Treppen

    5

    5

    4

    1

    Gründungsbauteile

    5

    5

    4

    1

    9

    Fugen, Gebäude-

    dehnfugen

    5

    5

    4

    1

    10

    Auflager- und Knotenpunkte

    Dachtragwerke

    5

    5

    4

    1

    Deckenkonstruktionen

    5

    5

    4

    1

    Unter- und Überzüge, Balkentragwerke

    5

    5

    4

    1

    Tragende, nicht aussteifende Wände

    5

    5

    4

    1

    Tragende, aussteifende Wände, Aussteifung

    5

    5

    4

    1

    Stützen

    5

    5

    4

    1

    Notwendige Treppen

    5

    5

    4

    1

    Gründungsbauteile

    5

    5

    4

    1

    Summe

    305

    305

    257

    48

     

     

     

    Die Auswertung

    Das Bewertungsmerkmal für „im Wesentlichen gleich(artige) Tragwerke“ ist sehr eng auszulegen. Im Wesentlichen gleiche Tragwerke liegen in der Regel nur bei ganz nebensächlichen und für die Konstruktion sowie die sonstige bauliche Gestaltung unerheblichen Veränderungen vor (OLG Braunschweig, Urteil vom 24.08.2006, Az. 8 U 154/05, Abruf-Nr. 063143).

     

    • Geht man hinsichtlich der Bewertung also davon aus, dass eine Differenz von maximal zehn Prozentpunkten bereits ein Eingrenzungskriterium für „im Wesentlichen gleichartige Tragwerke“ darstellt, ergibt sich bei 91 - 100 Prozent Übereinstimmung (278 - 305 Punkten bzw. null - 27 Punkten Abweichung) der Anwendungsfall nach § 11 HOAI Abs. 3 HOAI.

     

    • Geht man darüber hinaus davon aus, dass bei einer Spanne von weiteren zehn Prozentpunkten die nächste Stufe der Bewertung von „weitgehend vergleichbaren Objektbedingungen“ erreicht wird, ergibt sich bei 81 - 90 Prozent Übereinstimmung (247 - 277 Punkten oder 28 - 58 Punkten Abweichung) der Anwendungsfall nach § 11 Abs. 2 HOAI.

     

    • Liegt die Punktezahl unter 247 Punkten, ergibt sich logischerweise der Anwendungsfall nach § 11 Abs. 1 HOAI.

     

    Wichtig | Die mittels der Zielbaummethode vergleichenden Objektbedingungen sind nur ein Kriterium. Daneben sind Kriterien wie Honorarzone, zeitlicher und örtlicher Zusammenhang, Gesamtmaßnahme, Planung, Betrieb und Nutzung (gemäß § 11 Abs. 2) zu berücksichtigen. Und zusätzlich sind ggf. noch gleiche bauliche Verhältnisse, Typen- oder Serienplanung gemäß § 11 Abs. 3 zu berücksichtigen (siehe Beitrag Teil 1 → Abruf-Nr. 50000233).

     

    Nur wenn alle Kriterien eines Absatzes zutreffen, kann auch gemäß diesem Absatz abgerechnet werden. Der Verordnungsgeber hat die Hürde für eine Abrechnung nach der Summe der anrechenbaren Kosten (§ 11 Abs. 2) oder mit Wiederholungsfaktoren bezüglich Leistungsprozentpunktanteilen (§ 11 Abs. 3) also relativ hoch aufgehängt, sofern tatsächlich getrennte Tragwerke im Sinne von § 11 Abs. 1 vorliegen.

     

    In den allermeisten Fällen ist es nicht erforderlich, den hier vorgestellten Zielbaum bis ins Detail zu untersuchen. Häufig kann man nämlich bereits relativ einfach erkennen, dass nur eine getrennte Abrechnung in Frage kommen kann, wenn z. B. die wesentlichen statischen Systeme oder die gewählten Baustoffe und -verfahren für die Haupttragglieder erhebliche Unterschiede aufweisen.

     

    FAZIT | Bei der Zielbaummethode handelt es sich um eine auch von den Gerichten anerkannte Methode. Dementsprechend führt das OLG Düsseldorf aus: „Die Methode bildet ein hierarchisches System, in dem über mehrere Ebenen einer Haupteigenschaft weitere Untereigenschaften zugeordnet werden können. Dabei wird eine Gewichtung der Untereigenschaften vorgenommen, die jedoch stets von der Betrachtungsweise des Bewertungsobjekts abhängig ist. So ist es von der Verwendung abhängig, wie wichtig es ist, ob ein Haus schön oder funktionell ist. (…) Bei der konsequenten Anwendung und Einhaltung der Vorgaben und Rahmenbedingungen des Verfahrens und vor allem mit der nötigen fachlichen Kompetenz, ist das Zielbaumverfahren eine Möglichkeit, Wertansätze und Bewertungsergebnisse detaillierter und plausibler darzustellen. (...) Zahlreiche Praxisanwendungen und Gerichtsurteile bestätigen die Einsatzmöglichkeiten des Verfahrens.“ Machen Sie sich damit vertraut und nutzen Sie sie.

     

     

    Weiterführende Hinweise

    • Sonderausgabe: „Die Honorarabrechnung bzw. -minderung nach § 11 HOAI“, pbp.iww.de → Abruf-Nr. 49923368
    Quelle: Ausgabe 07 / 2024 | Seite 11 | ID 49979415