13.12.2019 · IWW-Abrufnummer 212784
Oberlandesgericht Celle: Urteil vom 14.08.2019 – 14 U 198/18
1. Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Juli 2019 [C 377/17] ist die Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts entfallen. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig.
2. Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie) dient im Unterschied zu den privatrechtsgestaltenden Richtlinien nicht der Harmonisierung von bestimmten Rechtsgebieten des Privatrechts der einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern zur Beseitigung von europarechtswidrigen Beschränkungen der Dienst- und Niederlassungsfreiheit. Die Dienstleistungsrichtlinie unterscheidet sich von den herkömmlichen Richtlinien, die der Harmonisierung dienen, dadurch, dass sie wie das Primärrecht zugleich bestehende Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern und für die Dienstleistungsfreiheit beseitigen soll.
3. Eine Anpassung des interstaatlichen Rechts ist daher nicht erforderlich. Die Feststellung EuGH im Urteil vom 4. Juli 2019 verpflichtet die Mitgliedstaaten, den unionskonformen Zustand unverzüglich herzustellen. Eine Frist sieht der EU-Vertrag nicht vor. Mit dem Erlass des Urteils sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, das unionsrechtswidrige nationale Recht nicht mehr anzuwenden.
4. Die nationalen Gerichte sind daher verpflichtet, die Beachtung des Urteils sicherzustellen. Es ist nicht erforderlich, dass unionsrechtswidrige Gesetze oder Verordnungen aufgehoben werden. Es gilt der Grundsatz des Anwendungsvorangs des Unionsrechts (entgegen OLG Hamm, Urteil vom 23. Juli 2019 - 21 U 24/18).
5. Die für die nationalen Gerichte bindende Auslegung des EU-Rechts wirkt sich auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort in Abweichung des vereinbarten Honorars unter Bezug auf den HOAI-Preisrahmen ein Honorar in diesem Rahmen durchgesetzt werden soll.
6. Honorarvereinbarungen sind nicht deshalb unwirksam, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung vom 4. Juli 2019 ist es von Rechts wegen nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen. Honorarvereinbarungen, die das Preisrecht der HO-AI ignorieren, sind daher unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr unzulässig.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 7. Dezember 2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim [4 O 296/17] wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelfer.
Das Urteil und das vorgenannte Urteil des Landgerichts Hildesheim sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger aufgrund der Urteile vollstreckbaren Beträge abzuwenden, sofern diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 441.004,89 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin macht Honorarnachforderungen aus fünf Ingenieurverträgen aus den Jahren 2010 bis 2012 (Anlagen K 2 bis K 7) in Höhe von 441.004,89 EUR brutto geltend. Sämtliche Verträge waren schlussabgerechnet über insgesamt 75.550,04 EUR netto und sind von der Beklagten zu 1) bezahlt worden. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2016 (Anlage K 8, Bl. 141, 142 d. A.) machte die Klägerin eine Nachforderung in Höhe von 638.160,01 EUR brutto geltend, weil die Verträge und deren ursprüngliche Abrechnung in unzulässiger Weise die Mindestsätze der HOAI 2009 unterschritten. Mit Privatgutachten des Dipl.-Ing. W. vom 21. Juni 2017 ließ die Klägerin ihre Honorarforderung überprüfen, der eine Gesamtforderung in Höhe von 430.397,51 EUR ohne Nebenkosten und ohne Mehrwertsteuer ermittelte (Anlage K 1, Bl. 66 f. d. A.). Ihrer Klageforderung hat die Klägerin diese Berechnung zugrunde gelegt, Nebenkosten und Mehrwertsteuer addiert sowie die von der Beklagten zu 1) erbrachten Zahlungen abgezogen und noch offene 441.004,89 EUR brutto errechnet (Bl. 63, 64 d. A.). Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen (Bl. 453 - 455 d. A.).
Der Einzelrichter der 4. Zivilkammer des LG Hildesheim hat die Klage abgewiesen, weil die Klägerin eine Mindestsatzunterschreitung nicht schlüssig dargelegt habe. Das Privatgutachten W. sei offenkundig fehlerhaft, indem es einen Leistungsumfang der Klägerin annehme, der außer Acht lasse, dass der von der Beklagten zu 1) beauftragte Generalunternehmer ebenfalls Planleistungen erbracht habe und die Klägerin nur mit Teilleistungen beauftragt gewesen sei. Im Übrigen verstoße die Honorarnachforderung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Wegen der Urteilsbegründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 455 - 464 d. A.) verwiesen.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Zahlungsanspruch in vollem Umfang weiter. Sie rügt, der Einzelrichter habe die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Es hätte den Beklagten oblegen, den abgerechneten Leistungsumfang im Einzelnen substantiiert zu bestreiten, darzulegen und zu beweisen, dass die Abrechnung der Klägerin die Mindestsätze überschreite. Der Sachverständige W. habe den klägerischen Honoraranspruch zutreffend und vertragsgerecht ermittelt. Ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung liege nicht vor.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, an sie - die Klägerin - 441.004,89 EUR nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Streithelfer zu 1) und zu 2) beantragen - jeder für sich -,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten und ihre Streithelfer verteidigen das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Sie verweisen überdies auf das zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim EuGH [C-377/17] noch anhängige Vertragsverletzungsverfahren zur Europarechtskonformität der HOAI.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die zulässige - insbesondere form- und fristgerecht erhobene und begründete - Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg und war zurückzuweisen. Der Einzelrichter hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten keine weitere Honorarforderung zu. Sie ist an ihre ursprünglich erteilten Schlussrechnungen gemäß § 242 BGB gebunden.
1. Der Einzelrichter hat nicht die Beweislast verkannt. Die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen das Preisrecht der HOAI trägt derjenige, der aus diesem Verstoß günstige Rechtsfolgen ableitet [BGH [VII ZR 380/00], Urteil vom 13. September 2001, Leitsatz und Rn. 18 m. w. N.]. Das ist vorliegend die Klägerin, die behauptet, wegen einer unzulässigen Mindestsatzunterschreitung mehr Honorar fordern zu dürfen. Soweit die Klägerin mit der Entscheidung des BGH [VII ZR 143/01] vom 25. Juli 2002 argumentiert, lässt sie außer Acht, dass in jenem Fall der Auftraggeber die für ihn günstige Behauptung aufgestellt hatte, es liege eine wirksame Pauschalhonorarvereinbarung unterhalb der Mindestsätze vor, für die er - nach dem obigen Grundsatz selbstverständlich - die Darlegungs- und Beweislast trug. Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass stets der Auftraggeber darlegen und beweisen muss, dass die Abrechnung der Klägerin nicht den Mindestsätzen entspreche.
2. Die Klägerin hat nicht schlüssig dargelegt, dass die Pauschalhonorarvereinbarungen, die sie mit der Beklagten zu 1) getroffen hat, unwirksam sind und ihr eine Honorarnachforderung in der geltend gemachten Höhe zusteht. Der Einzelrichter hat in dem angefochtenen Urteil auf Seiten 5 bis 9 ausführlich dargelegt, warum die Klägerin ihren geltend gemachten Honoraranspruch nicht mit dem Gutachten Dipl.-Ing. W. schlüssig dargelegt habe, weil dieses Gutachten nicht hinreichend berücksichtige, dass die Klägerin nur Teilleistungen erbracht habe, die sie nicht substantiiert abgrenze von den Planungsleistungen der Generalunternehmerin. Damit hat sich der Einzelrichter mit dem Vorbringen der Klägerin in ihrem nachgelassenen Schriftsatz vom 5. November 2018 detailliert auseinandergesetzt. Die Berufungsbegründung der Klägerin nimmt hierzu in keiner Weise Stellung. Deshalb erschüttert die Berufung die landgerichtlichen Erwägungen nicht. Das angefochtene Urteil ist folglich nicht zu beanstanden, als der von der Klägerin abgerechnete Leistungsumfang nicht dem vertraglichen Vereinbarten entsprochen hat.
3. Jedenfalls hat der Einzelrichter zu Recht die Honorarnachforderung der Klägerin abgewiesen, weil ihr § 242 BGB entgegen stünde. Sie ist an ihre ursprünglich erteilten Schlussrechnungen gebunden.
a) Erteilt ein Architekt nach der HOAI eine Schlussrechnung, so liegt darin regelmäßig die Erklärung, dass er seine Leistung abschließend berechnet habe. Eine Nachforderung zur Schlussrechnung stellt aber nicht stets ein treuwidriges Verhalten gemäß § 242 BGB dar. Es müssen vielmehr in jedem Einzelfall die Interessen des Architekten und die des Auftraggebers umfassend geprüft und gegeneinander abgewogen werden [BGH [VII ZR 52/91], Urteil vom 5. November 1992, Leitsatz und Rn. 12, 15, 23 und 24, zitiert nach juris]. Nicht jedes erweckte Vertrauen des Auftraggebers ist schutzwürdig, sondern es ist darauf abzustellen, ob er auf eine abschließende Berechnung des Honorars vertrauen durfte und sich darauf in einer Weise eingerichtet hat, dass ihm eine Nachforderung nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann [BGH [VII ZR 52/91], Urteil vom 5. November 1992, Rn. 24; BGH [VII ZR 151/13], Urteil vom 19. November 2015, Leitsatz und Rn. 15; beide zitiert nach juris]. Schützenswertes Vertrauen in die Wirksamkeit einer Honorarvereinbarung kann ein Vertragspartner entwickeln, wenn der Auftraggeber in vertretbarer Weise Voraussetzungen für gegeben hält, die eine Mindestsatzunterschreitung ausschließen, z. B. wenn der Auftrag nicht alle vollständigen Grundleistungen enthält, sodass eine Kürzung des Honorars gemäß § 5 Abs. 2 HOAI geboten ist [BGH [VII ZR 163/10], Urteil vom 27. Oktober 2011, Rn. 24, zitiert nach juris]. Eine Nachforderung ist dem Architekten und Ingenieur auch dann untersagt, wenn er ein besonderes Vertrauen des Auftraggebers dahin erweckt hat, er werde sich an die Pauschalvereinbarung halten, etwa weil die Vertragspartner nicht nur einen, sondern in einer ständigen Geschäftsbeziehung eine Vielzahl von Verträgen mit Preisvereinbarungen unter den Mindestsätzen abgeschlossen haben, und dem Architekt oder Ingenieur bei verständiger Sichtweise nicht verborgen bleiben kann, dass sich der Auftraggeber aufgrund dieser Geschäftspraxis bei der Gestaltung seiner Verträge auf die Einhaltung der Pauschalabrede verlässt [BGH [VII ZR 163/10], Urteil vom 27. Oktober 2011, Rn. 25, zitiert nach juris]. Allein die Bezahlung der Schlussrechnung ist keine Maßnahme, mit der sich der Auftraggeber in schutzwürdiger Weise auf die Endgültigkeit der Schlussrechnung einrichtet [BGH [VII ZR 151/13], Urteil vom 19. November 2015, Leitsatz und Rn. 18, zitiert nach juris]. Ebenso wenig macht allein der Zeitraum zwischen der Erteilung und dem Ausgleich der Honorarrechnung sowie der erstmaligen Geltendmachung eines weitergehenden Honorars auf der Grundlage der Mindestsätze die Zahlung eines Differenzbetrages nicht unzumutbar; es ist vielmehr zu berücksichtigen, welche Maßnahmen der Auftraggeber im Hinblick auf ein schützenswertes Vertrauen vorgenommen oder unterlassen hat [BGH [VII ZR 151/13], Urteil vom 19. November 2015, Leitsatz und Rn. 19, zitiert nach juris].
b) Diese Grundsätze führen im vorliegenden Fall zu einer Bindung der Klägerin gemäß § 242 BGB an ihre ursprünglichen Schlussrechnungen:
aa) Vorliegend hatten die Parteien ausweislich der Anlagen K 2 bis K 7 Leistungen der Klägerin zu Pauschalhonoraren vereinbart. Die verwendeten Vertragsformulare entstammen unstreitig dem Hause der Klägerin und erwecken mit ihren Formulierungen und ihrem Aufbau den Eindruck, der Verwender kenne sich mit der HOAI aus. Die Klägerin ist unstreitig eine halbstaatliche Gesellschaft, nämlich ein gemeinnütziges Unternehmen für die Entwicklung des ländlichen Raumes. Ihre Firma enthält das Wort "Niedersächsisch"; im Briefkopf ist ein(e) Minister(in) als Vorsitzende(r) des Aufsichtsrates benannt. So vermittelt die Klägerin den Anschein von Seriosität und Verlässlichkeit. Angesichts der vielfältigen Geschäftsbeziehung der Parteien waren Honorare im unteren Preissegment der HOAI nicht fernliegend; dies rechtfertigte aus objektiver Sicht auch die Vereinbarung von Pauschalhonoraren. Unstreitig haben die Schlussrechnungen der Klägerin aus den Jahren 2010 bis 2014 die vereinbarten Honorarabreden widergespiegelt, indem sie sich in der vereinbarten Größenordnung verhielten. Deren Prüffähigkeit stand nie im Streit. Die Beklagte zu 1) hat sie unstreitig vollständig beglichen. Es ist von der Klägerin nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich, dass bzw. anhand welcher Umstände sich der Beklagten zu 1) eine Mindestsatzunterschreitung durch die getroffenen Vereinbarungen und vorgenommenen Abrechnungen aufdrängen musste. Insbesondere hat die Klägerin nicht dargetan, dass Konkurrenzangebote zu ihren Leistungen erheblich teurer ausgefallen waren. Die Beklagte zu 1) durfte deshalb annehmen, sie habe mit der Klägerin verbindliche Honorare vereinbart.
bb) Die Klägerin hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, ihre ursprüngliche Abrechnung liege deutlich unter den Mindestsätzen der HOAI (siehe oben unter Ziffer 2.).
cc) Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 4. Juli 2019 in dem Vertragsverletzungsverfahren [C-377/17] ist die Verbindlichkeit des HOAI-Preisrechts überdies hinfällig geworden. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig. Wegen des Anwendungsvorbehaltes des Europarechts sind die Gerichte nach Auffassung des Senats verpflichtet, ab sofort die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden [vgl. auch Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 4. Juli 2019, Az. I B6-20614/001; Steeger/Fahrenbruch, Praxiskommentar HOAI 2013, online-Fassung IBR, Stand 15. Juli 2019, § 7 HOAI Rn. 2/1 m. w. N.]. Die Entscheidung des EuGH C-377/17 ist auch in laufenden Verfahren umzusetzen. Da der EuGH für alle Mitgliedstaaten verbindlich das Recht der Europäischen Union auslegt, gilt eine davon betroffene Norm nur nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union, so wie sie durch die im EuGH-Urteil verkündete Auslegung zu verstehen ist, in allen Mitgliedstaaten [ebenso Steeger/Fahrenbruch a. a. O.]. Diese für die nationalen Gerichte bindende Auslegung des EU-Rechts wirkt sich auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort - wie vorliegend - in Abweichung des vereinbarten Honorars unter Bezug auf den HOAI-Preisrahmen ein Honorar in diesem Rahmen durchgesetzt werden soll.
Demnach sind Honorarvereinbarungen nicht deshalb unwirksam, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung vom 4. Juli 2019 ist es von Rechts wegen nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen. Honorarvereinbarungen, die das Preisrecht der HOAI ignorieren, sind daher unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr unzulässig [so auch Steeger/Fahrenbruch a. a. O.].
(1) Der Senat teilt die Auffassung des OLG Hamm [[21 U 24/18], Urteil vom 23. Juli 2019, Rn. 41 - 48, zitiert nach beck-online], wonach die maßgeblichen Bestimmungen der HOAI zum Mindestpreischarakter auch nach der Entscheidung des EuGH [C-377/17] vom 4. Juli 2019 weiterhin anwendbar seien, nicht. Insbesondere sieht er sich in seiner unionsrechtskonformen Auslegung nicht den Schranken unterworfen, die das OLG Hamm [a. a. O., Rn. 46] aufführt. Richtig ist, dass die nationalen Gerichte nach ständiger Rechtsprechung des EUGH aufgrund des Umsetzungsgebotes gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV und des Grundsatzes der Gemeinschaftstreue gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sind, die Auslegung des nationalen Rechts unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraumes, den ihnen das nationale Recht einräumt, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen [OLG Hamm, a. a. O., Rn. 46, zitiert nach beck-online]. Nach der Rechtsprechung des BGH setzt eine richtlinienkonforme Auslegung voraus, dass hierdurch der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht verändert wird, sondern die Auslegung seinem Willen (noch) entspricht [BGH [VIII ZR 103/15], Urteil vom 12. Oktober 2016, Rn. 38]. Das ist bei der Auslegung, die der erkennende Senat vornimmt, der Fall.
Der Wille des Gesetzgebers zum Erlass der HOAI lässt sich den Gesetzesmaterialien entnehmen. Nach der Bundesratsdrucksache 395/09 vom 30. April 2009 sollten bei der Fassung der HOAI 2009 die Vorgaben der europäischen Dienstleistungsrichtlinie ausdrücklich eingehalten werden. Nach der Bundesratsdrucksache 334/13 vom 25. April 2013 sollte bei der Fassung der HOAI 2013 eine Modernisierung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure mit einer baufachlichen Überarbeitung der Leistungsbilder und einer Aktualisierung der Honorarsätze in den Honorartafeln erfolgen, weil die Leistungsbilder überwiegend am (überholten) Stand der Technik der 1970-iger Jahre ausgerichtet waren und die Honorarsätze an die veränderten Leistungsbilder angepasst werden mussten. Demzufolge bezweckte der Gesetzgeber im Jahr 2009 zweifelsfrei eine europarechtskonforme Gestaltung der HOAI nach den Vorgaben der europäischen Dienstleistungsrichtlinie. Hiervon sollte im Jahr 2013 nicht abgewichen werden.
Angesichts der Entscheidung des EuGH [C-377/17] vom 4. Juli 2019 verstoßen die dem verbindlichen Preisrecht der HOAI zugrunde liegenden Mindest- und Höchstsätze gegen höherrangiges EU-Recht [vgl. Lederer, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 04.07.2019 - C-377/17, jurisPR-PrivBauR 8/2019 Anm. 1]. Das vom OLG Hamm [a. a. O, Rn. 47, zitiert nach beck-online] für maßgeblich erachtete Normverständnis zum Schutz des Berufsstandes der Architekten und Ingenieure durch eine Verhinderung eines ruinösen Preiskampfes und der Gewährleistung eines qualitativen Mindeststandards von Planungsleistungen kann nach Ansicht des EuGH durch die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Normierung von Mindest- und Höchst-sätzen in den Fassungen der HOAI aber gerade nicht erzielt werden, weil die Erbringung von Planungsleistungen selbst in Deutschland nicht Personen vorbehalten wird, die eine reglementierte Tätigkeit ausüben. Damit sind Mindestsätze nicht geeignet, das Ziel einer hohen Qualität der Planungsleistungen sicherzustellen, wenn für die Vornahme der Leistungen, die diesen Mindestsätzen unterliegen, nicht selbst Mindestgarantien gelten, die die Qualität dieser Leistungen gewährleisten können. Die Tatsache, dass die HOAI nicht berufsbezogen, sondern leistungsbezogen ist und damit auch dann gilt, wenn ein nicht bei der Kammer eingetragener Architekt/Ingenieur Planungsleistungen erbringt, die den Leistungsbildern der HOAI entsprechen, hat letzten Endes den Ausschlag für die Entscheidung des EuGH gegeben [vgl. auch Lederer, a. a. O.]. Demzufolge ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, seinen Willen, die Qualität von Planungsleistungen zu sichern, in europarechtskonformer Weise umzusetzen. Das gesetzgeberische Ziel, die europäische Dienstleistungsrichtlinie mit einer Qualitätssicherung von Planungsleistungen zu vereinbaren, ist gescheitert. Es hat sich eine Lücke in der Umsetzung des gesetzgeberischen Willens bzw. ein Wertungswiderspruch aufgetan. Somit entspricht es ersichtlich nicht dem Willen des Gesetzgebers, die Vorschriften der HOAI 1996/2002, 2009 und 2013 anzuwenden, die Mindest- und Höchstsätze festschreiben, weil diese europarechtswidrig sind.
Das OLG Hamm hat übersehen, dass die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (folgend: Dienstleistungsrichtlinie) im Unterschied zu den privatrechtsgestaltenden Richtlinien nicht der Harmonisierung von bestimmten Rechtsgebieten des Privatrechts der einzelnen Mitgliedsstaaten dient, sondern zur Beseitigung von europarechtswidrigen Beschränkungen der Dienst- und Niederlassungsfreiheit. Die Dienstleistungsrichtlinie unterscheidet sich von den herkömmlichen Richtlinien, die der Harmonisierung dienen, dadurch, dass sie wie das Primärrecht zugleich bestehende Hindernisse für die Niederlassungsfreiheit von Dienstleistungserbringern und für die Dienstleistungsfreiheit beseitigen soll (Schlussanträge des Generalanwalts vom 28. Februar 2019 Rn. 21). Dieser Aspekt wird von denjenigen übersehen, die eine Anpassung des interstaatlichen Rechts für erforderlich halten. Die Feststellung des Urteils des EuGH vom 4. Juli 2019 verpflichtet die Mitgliedstaaten, den unionskonformen Zustand unverzüglich herzustellen. Eine Frist sieht der EU-Vertrag nicht vor. Mit dem Erlass des Urteils sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, das unionsrechtswidrige nationale Recht nicht mehr anzuwenden. Die nationalen Gerichte sind verpflichtet, die Beachtung des Urteils sicher zu stellen. Es ist nicht erforderlich, dass unionsrechtswidrige Gesetze oder Verordnungen aufgehoben werden. Es gilt der Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts. Das OLG Hamm legt dagegen seinen Erwägungen die Grundsätze des EuGH zugrunde, die zu den privatrechtsgestaltenden Richtlinien ergangen sind, die dazu dienen, bestimmte Aspekte des Privatrechts der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Für diese Richtlinien hat der EuGH eine unmittelbare Wirkung für die betroffenen vertraglichen Verhältnisse ausgeschlossen [Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EuV/AEUV, Art. 288 AEUV, 5. Aufl., 2016, Rn. 63); Schröder in: Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Rn. 97 ff]. Die Dienstleistungsrichtlinie ist staatsgerichtet, durch Art. 15 sollte gewährleistet werden, dass die Mitgliedsstaaten innerhalb der Umsetzungsfrist gem. Art. 44 Abs. 1 Dienstleistungsrichtlinie bis zum 28.12.2009 ihr nationales Recht an Hand der Kriterien des Art. 15 Dienstleistungsrichtlinie überprüfen und nicht gerechtfertigte Beschränkungen aufgehoben haben. Die Funktion der Dienstleistungsrichtlinie besteht nicht in der Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen, sondern, vergleichbar den Grundfreiheiten des EU-Vertrages, in der Beseitigung unberechtigter Beschränkungen. Nach der Rechtsprechung des EuGH können Richtlinien, die staatsgerichtet sind, und die dazu dienen, den Vorrang des Primärrechts gegenüber europarechtswidrigen nationalen Vorschriften zu sichern, unter bestimmten Voraussetzungen unmittelbare Wirkung ohne einen nationalen Umsetzungsakt entfalten [Schröder a. a. O., Rn. 98; Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 66. EL. Februar 2019, AEUV Art. 288 RN. 137 ff.]. Voraussetzungen einer unmittelbaren Wirkung sind [Schröder a. a. O., Rn. 91 ff.] neben dem Ablauf der Umsetzungsfrist und dem Verstoß gegen die Umsetzungspflicht die Durchgriffseignung (inhaltliche Unbedingtheit). Die Bestimmung muss vorbehaltlos gelten und ihr Ziel darf nicht darin bestehen, Ansprüche des Bürgers zu begründen, sondern darin, die Funktionsfähigkeit der Union zu sichern [Nettesheim a. a. O., Rn. 239 ff.]. Sie muss einen Spielraum staatlicher Reaktion grundsätzlich ausschließen und dem Mitgliedsstaat nur eine Verhaltensalternative eröffnen [Nettesheim a. a. O., Rn. 141; Ruffert a. a. O., Rn. 48 f.]. Diese Voraussetzungen sind insgesamt gegeben, so dass die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland, einschließlich der Gerichte, die mit dem Unionsrecht nicht zu vereinbarenden nationalen Regelungen jedenfalls mit Ablauf der Umsetzungsfrist am 28.12.2006 nicht mehr anwenden dürfen. Diese Rechtsauffassung liegt den beiden Entscheidungen des Senats [OLG Celle, Urt. v. 17.07.2019 - 14 U 188/18, juris; Urt. v. 23.07.2019 - 14 U 182/18, juris] sowie der Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie vom 04.07.2019 zugrunde. Die Entscheidung des EuGH bietet jedenfalls nur im Zusammenhang mit der unmittelbaren Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie eine Grundlage dafür, die beanstandeten Regelungen der HOAI mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Dienstleistungsrichtlinie nicht mehr anzuwenden. Das Urteil in einem Vertragsverletzungsverfahren ist ein Feststellungsurteil. Das Urteil begründet für den betroffenen Staat die Pflicht, den festgestellten Vertragsverstoß unverzüglich zu beheben. Aus dem Feststellungsurteil folgt unmittelbar die Handlungspflicht des verurteilten Staates, den europarechtswidrigen Zustand zu beseitigen [Karpenstein, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand: 66 EL, Februar 2019, Art. 260 AEUV Rn. 6 f; Cremer in: Calliess/Ruffert, EUV/AEV, 5. Aufl. 2016, AEUV Art. 260]. Da der EuGH in seiner Entscheidung festgestellt hat, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtung aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat, dass sie die verbindlichen Honorare für Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat, lässt sich ein Verbot, die beanstandeten Regelungen ohne eine vorherige Änderung des deutschen Rechts anzuwenden, mit der Entscheidung allein nicht begründen. Im Kontext der unmittelbaren Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie spätestens mit Ablauf der Frist des Art. 44 Abs. 1 DL am 28.12.2006 folgt aus der Entscheidung, dass die staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland mit Ablauf der Frist die beanstandeten Regelungen der HOAI nicht mehr anwenden dürfen [zitiert nach Schwenker, jurisPR-PrivBauR 10/2019, Anm. zu OLG Hamm, Urt. v. 23.07.2019 - 21 U 24/18].
(2) Der Senat verstößt mit seiner Auslegung auch nicht gegen Art. 20 Abs. 2 GG. Denn er maßt sich mit dieser Auslegung keine Befugnisse an, die die Verfassung dem Gesetzgeber übertragen hat, sondern er bildet das Recht in zulässiger Weise fort. Anlass zu richterlicher Rechtsfortbildung besteht insbesondere dort, wo Lücken geschlossen oder Wertungswidersprüche aufgelöst werden [BVerfG [2 BvR 2216/06 und 2 BvR 469/07], Beschluss vom 26. September 2011, Rn. 45, zitiert nach juris]. Das ist hier aus den vorstehenden Gründen der Fall. Der Senat setzt seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung nicht an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers [dass., a. a. O.], sondern setzt mit seiner Auslegung den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers zur Europarechtskonformität der HOAI um. Insoweit nutzt er seinen Auslegungsspielraum im Rahmen des methodisch Erlaubten [vgl. BVerfG, a. a. O, Rn. 46 und 47, zitiert nach juris], indem er die HOAI in der jeweils anzuwendenden Fassung soweit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der sog. Dienstleistungsrichtlinie auslegt, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Es ist vorliegend davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber bei dem Erlass der HOAI - in den jeweiligen Fassungen von 1996/2002, 2009 und 2013 - im Zweifel nicht gegen seine Pflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV verstoßen wollte [vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 51, zitiert nach juris]. Die HOAI gilt weiterhin, nur die Mindest- und Höchstsätze verstoßen gegen die Dienstleistungsrichtlinie. Die Vorschriften, die die Mindest- und Höchstsätze regeln, sind nicht mehr anzuwenden, und zwar auch nicht in rein innerstaatlichen Fällen [so auch Anmerkung Kühne m. w. N. zu Meurer, Die HOAI ist immer noch wirksam, IBR 2019, 1143; Schwenker, Anmerkung zu OLG Celle, Urteil vom 23. Juli 2019 - 14 U 182/19, jurisPR-PrivBauR 9/2019]. Der Annahme, der Gesetzgeber wolle an einer unionsrechtswidrigen nationalen Norm festhalten, kann nicht gefolgt werden; es gilt hier das Gebot einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion; die Entscheidung des EuGH vom 4. Juli 2019 ist für die deutschen Gerichte bindend [Steeger, Bindungswirkung des Urteils EuGH vom 04.07.2019 - Überlegungen zu § 7 Abs. 5 HOAI, m. w. N.]. Deshalb hält der Senat an seinen in den Urteilen vom 23. Juli 2019 [14 U 182/18] und vom 17. Juli 2019 [14 U 188/18] dargelegten entsprechenden Auffassungen fest.
(3) Damit ist der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen das Preisrecht der HOAI in Form einer Mindestsatzunterschreitung obsolet geworden. Die Parteien durften ein Pauschalhonorar grundsätzlich auch unterhalb der europarechtswidrigen Mindestsätze der HOAI vereinbaren. Eine unangemessene Benachteiligung der Klägerin durch diese Vereinbarung im Sinne eines sittenwidrig niedrigen Honorars ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
dd) Ferner spricht der Zeitablauf für eine Bindung der Klägerin an ihre ursprünglichen Schlussrechnungen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 25. Juni 2019 unbestritten vorgetragen, die ursprünglichen Schlussrechnungen der Klägerin stammten aus dem Zeitraum von 2010 bis 2014. Mit Schreiben vom 29. Dezember 2016 (Anlage K 8, Bl. 141, 142 d. A.), und damit zwei bzw. bis sechs Jahre später, machte die Klägerin erstmals ihr Nachforderungsverlangen in einer Größenordnung von zunächst 638.160,01 EUR geltend, die sie im Klageverfahren auf 441.004,89 EUR reduziert hat. Das stellt einen namhaften Zeitablauf dar, indem eine Firma, die ihre Zahlungsverpflichtungen vollständig erfüllt hat, üblicherweise nicht mehr mit einer Nachforderung rechnet und dies auch nicht muss.
ee) Die Klägerin hat Vertrauen der Beklagten in die Korrektheit und Verbindlichkeit der vertraglichen Gestaltung und der Abrechnung der getroffenen Vereinbarungen geschaffen. Die Parteien waren durch eine Mehrzahl von Verträgen miteinander verbunden. Die Klägerin war erfahren im Bau von Biogasanlagen, was impliziert, dass sie hinsichtlich der vertraglichen Leistungen, aber auch bezüglich der Abrechnungspraxis kompetent war. Sie unterlag der Kontrolle eines Aufsichtsrates, dem ein(e) Landesminister(in) vorsitzt. Gegen die Vertrauensbildung auf Seiten der Beklagten spricht auch nicht der Umstand, dass der Streithelfer zu 2) in Personalunion mit der Klägerin gehandelt hat. Denn das Vertrauen in die Person des Streithelfers zu 2) galt zunächst grundsätzlich für beide Seiten. Auf Seiten der Klägerin waren aber noch andere Entscheidungsträger und der Aufsichtsrat in die Vertragsabwicklung eingebunden, was die Bedeutung des Streithelfers zu 2) im Hause der Klägerin deutlich schmälert.
ff) Es ist evident, dass eine Nachforderung in einer Größenordnung von über 440.000,- EUR für die Beklagte zu 1) eine besondere wirtschaftliche Härte bedeutet und ihr nicht zuzumuten ist. Die Nachforderungen der Klägerin übersteigen den zunächst absehbaren Preisrahmen erheblich. Die Beklagte zu 1) erbrachte bereits Zahlungen in Höhe von 75.550,04 EUR netto und soll nunmehr weitere 441.004,89 EUR zahlen. Die Beklagte zu 1) ist ein Wirtschaftsunternehmen, das der Konkurrenz auf dem Markt unterliegt und ökonomisch vorgehen muss. Rückstellungen für etwaige Nachforderungen in einer Größenordnung von über 440.000,- EUR, für die es keinen Anhalt gibt und die mit einem deutlichen Zeitablauf gefordert werden, erscheinen dem Senat unrealistisch. Dieser Betrag weicht deutlich von den ursprünglichen Rechnungsbeträgen nach oben ab. Im Falle seiner Berücksichtigung wäre die Kalkulationsgrundlage der Beklagten zerstört worden.
gg) Nach einer Gesamtschau all der vorgenannten Gesichtspunkte erscheint es dem Senat vorliegend gerechtfertigt, die geltend gemachte Nachforderung der Klägerin als treuwidrig im Sinne des § 242 BGB anzusehen und deren Bindung an die ursprünglichen Schlussrechnungen zu bejahen. Dabei kommt der vom EuGH nunmehr festgestellten Europarechtswidrigkeit der Mindestsätze der HOAI eine besondere Bedeutung zu. Die Klägerin stützt ihre Honorarnachforderungen auf ein Preisrecht, das nicht mehr gilt. Die Neuberechnung ist überdies nicht schlüssig. Die Klägerin hat die Beklagte zu 1) mit ihrer üblichen Abrechnungspraxis und den streitgegenständlichen ersten Schlussrechnungen in Sicherheit gewogen. Ihre Honorarnachforderungen nach zwei bis sechs Jahren erfolgten ohne Vorankündigung; sie waren für die Beklagte zu 1) nicht absehbar und zerstören deren Kalkulationsgrundlage. Sie sind ihr unzumutbar. Die Beklagte zu 1) hat und durfte angesichts der vorgenannten Umstände (übliche Praxis, keine Ausreißerangebote, halbstaatliches Unternehmen mit Aufsichtsrat, prüffähig erstellte erste Schlussrechnungen, Bezahlung, Zeitablauf) in die Richtigkeit und Vollständigkeit der ursprünglichen Abrechnungen vertrauen. Die nicht vorhersehbare Nachforderung in der geltend gemachten Höhe von über 440.000,- EUR mehrere Jahre nach Vertragsabwicklung belastet die Beklagte zu 1) als marktorientiertes Unternehmen außergewöhnlich hart. Deshalb spricht vorliegend alles für ein treuwidriges Verhalten der Klägerin.
Die Klägerin bleibt folglich an ihre ursprünglichen Schlussrechnungen gemäß § 242 BGB gebunden. Die Klage war abzuweisen. Ihre Berufung ist unbegründet und war zurückzuweisen.
III.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) ist begründet angesichts der unterschiedlichen Auffassungen des Senats und des OLG Hamm [21 U 24/17], Urteil vom 23. Juli 2019, zur unionsrechtskonformen Auslegung der Vorschriften der HOAI, die Mindest- und Höchstsätze regeln, nach dem Urteil des EuGH [C-377/17] vom 4. Juli 2019.
IV.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren folgt aus § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.