11.05.2004 · IWW-Abrufnummer 041221
Bundesgerichtshof: Urteil vom 25.03.2004 – VII ZR 453/02
a) Die Verpflichtung eines Bauunternehmers, zur Sicherung von Vertragserfüllungsansprüchen eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen, ist auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines öffentlichen Auftraggebers unwirksam. Der Vertrag ist ergänzend dahin auszulegen, daß der Auftragnehmer eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft schuldet (im Anschluß an BGH, Urteil vom 4. Juli 2002, BGHZ 151, 229).
b) Die ergänzende Vertragsauslegung kommt für Verträge, die nach dem 31. Dezember 2002 geschlossen worden sind, nicht mehr in Betracht. Das gilt auch für Verträge, bei denen ein öffentlicher Auftraggeber nicht beteiligt ist.
c) Zur Wirksamkeit einer vom öffentlichen Auftraggeber in einem Bauvertrag gestellten Klausel, mit der Vertragserfüllungssicherheit und Gewährleistungssicherheit mit teilweise identischer Zweckbestimmung gefordert wird.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 453/02
Verkündet am:
25. März 2004
in dem Rechtsstreit
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. Februar 2004 durch den Richter Prof. Dr. Thode als Vorsitzenden und die Richter Hausmann, Dr. Wiebel, Dr. Kuffer und Prof. Dr. Kniffka
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. August 2002 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger fordert von dem beklagten Land aus abgetretenem Recht der inzwischen insolventen Schuldnerin Herausgabe zweier Bürgschaftsurkunden.
Anfang 1993 beauftragte das Staatsbauamt F. die Schuldnerin (künftig: S.) mit der Ausführung von landschaftsgärtnerischen Arbeiten bei einem Neubau. Dem Vertrag lagen die vom Beklagten gestellten Besonderen Vertragsbedingungen EVM (B) BVB (künftig: BVB) und die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen EVM (B) ZVB/E (künftig: ZVB/E) zugrunde. Ferner war die Geltung der VOB/B vereinbart. Die Regelung über die Sicherheitsleistung in Nr. 6 der BVB lautet u.a. wie folgt:
"6.1
Als Sicherheit für die Vertragserfüllung nach Nr. 33.1 ZVB/E hat der Auftragnehmer eine Bürgschaft nach dem Formblatt EFB-Sich 1 in Höhe von 3 v.H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge zu stellen.
...
Nach Empfang der Schlußzahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche kann der Auftragnehmer verlangen, daß die Bürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft gemäß Formblatt EFB-Sich 2 in Höhe von 3 v.H. der Abrechnungssumme umgewandelt wird.
6.2
Als Sicherheit für die Gewährleistung nach Nr. 33.2 ZVB/E werden 3 v.H. der Auftragssumme einschließlich der Nachträge einbehalten, nach Feststellung der Abrechnungssumme ist diese maßgebend.
Der Auftragnehmer kann statt dessen eine Gewährleistungsbürgschaft nach Formblatt EFB-Sich 2 stellen.
..."
Die Regelung über die Sicherheitsleistung in Nr. 33 ZVB/E lautet wie folgt:
"33.1
Die Sicherheit für Vertragserfüllung erstreckt sich auf die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag, insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Abrechnung, Gewährleistung und Schadensersatz sowie auf die Erstattung von Überzahlungen einschließlich der Zinsen.
33.2
Die Sicherheit für Gewährleistung erstreckt sich auf die Erfüllung der Ansprüche auf Gewährleistung einschließlich Schadensersatz sowie auf die Erstattung von Überzahlungen einschließlich der Zinsen."
Bei der Bürgschaft nach Formblatt EFB-Sich 1 handelt es sich um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern. Bei der Bürgschaft nach Formblatt EFB-Sich 2 handelt es sich um eine selbstschuldnerische Bürgschaft.
Im Rahmen des Vertragsschlusses stellte S. dem Beklagten unter Verwendung des Formblatts EFB-Sich 1 eine Bürgschaft in Höhe von 77.500 DM zur Verfügung. Nachdem die Leistung der S. im Mai 1995 abgenommen und im November 1995 die Schlußzahlung erfolgt war, stellte S. zur Ablösung des vom Beklagten vorgenommenen Sicherheitseinbehalts für Gewährleistungsansprüche eine weitere Bürgschaft über 31.035,17 DM unter Verwendung eines weiteren Formblatts EFB-Sich 1.
Ende Mai 2000 forderte der Beklagte nach Abschluß eines wegen Baumängeln durchgeführten Beweissicherungsverfahrens die Bürgen zur Zahlung auf. Der Kläger, dem der Insolvenzverwalter der S. die Ansprüche auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunden abgetreten hatte, erwirkte eine einstweilige Verfügung, durch die dem Beklagten untersagt wurde, die Bürgen aus den Bürgschaften in Anspruch zu nehmen. Dieses Verfahren ruht bis zum Abschluß des vorliegenden Rechtsstreits.
Der Kläger begehrt Herausgabe der beiden Bürgschaftsurkunden mit der Begründung, die Vereinbarung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (künftig: AGB) verstoße gegen § 9 AGBG und sei daher unwirksam; die auf dieser Grundlage erteilten Bürgschaften seien daher rechtsgrundlos erlangt und herauszugeben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Auf das Schuldverhältnis sind die bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Gesetze anwendbar (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht führt aus, eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gegeben, weil dieser nicht ausschließlich darauf verwiesen sei, für Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers entweder einen Sicherheitseinbehalt von 3 % der Auftragssumme zuzulassen oder eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen. Vielmehr bestimme Nr. 6.1 Satz 3 BVB, daß der Auftragnehmer nach Empfang der Schlußzahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche verlangen könne, daß die gestellte Bürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft gemäß Formblatt EFB-Sich 2 und damit in eine einfache selbstschuldnerische Bürgschaft umgewandelt werde. Die einschlägigen Regelungen über die zu erbringende Sicherheitsleistung seien auch nicht unklar im Sinne von § 5 AGBG.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Die Klauseln Nr. 6.1 und 6.2 BVB benachteiligen S. im Ergebnis weder für sich gesehen noch in ihrem Zusammenhang unangemessen im Sinne des § 9 Abs. 1 AGBG.
1. Die BVB und die ZVB/E des Beklagten sind als einheitliche Vertragsmuster Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 1 AGBG. Sie sind entweder unmittelbar oder in modifizierter Weise dem seinerzeit geltenden Vergabehandbuch für die Durchführung von Bauaufgaben des Bundes im Zuständigkeitsbereich der Finanzverwaltungen entnommen und für eine Vielzahl von Bauverträgen vorformuliert. Der Senat kann die Klauseln daher selbst uneingeschränkt auslegen.
2. Die Klausel Nr. 6.1 BVB ist im Hinblick auf das Recht, Zahlung auf erstes Anfordern zu verlangen, unwirksam; sie ist jedoch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes mit dem Inhalt einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft für eine Übergangszeit als wirksam anzusehen.
a) Soweit die Klausel Nr. 6.1 BVB i.V.m. Nr. 34.4 ZVB/E die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern vorsieht, ist sie unwirksam.
Der Senat hat bereits entschieden, daß eine vom Auftraggeber, der nicht der öffentlichen Hand zuzuordnen ist, vorformulierte Sicherungsabrede unwirksam ist, wenn sie die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern vorsieht (Urteil vom 18. April 2002 - VII ZR 192/01, BGHZ 150, 299; Urteil vom 4. Juli 2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229; vgl. auch Urteil vom 10. April 2003 - VII ZR 314/01, BauR 2003, 1385 = ZfBR 2003, 672 = NZBau 2003, 493).
Die Frage, ob die Klausel auch dann unwirksam ist, wenn sie von der öffentlichen Hand in AGB gestellt wird, hat der Senat bisher nicht entschieden. Die Frage ist streitig (für Unwirksamkeit: KG, IBR 2003, 416 = BauR 2004, 510; Schwenker, BGH-Report 2003, 939 f; Hogrefe, BauR 1999, 111, 113; Thode, ZfIR 2000, 165, 168; für Wirksamkeit: Ingenstau/Korbion/Joussen, 15. Aufl., B § 17 Nr. 4 Rdn. 69; OLG Stuttgart BauR 1994, 376 mit kritischer Anmerkung von Ulbrich). Der Senat hält die Klausel auch in diesem Fall für unwirksam. Es trifft zu, daß gegenüber der öffentlichen Hand ein Grund für die Unwirksamkeit, die unberechtigte Verlagerung des Insolvenzrisikos, ausscheidet. Es ist auch nicht zu verkennen, daß die öffentliche Hand gerade in Zeiten knapper Haushaltsmittel bei angeblich mangelhafter Arbeit des Auftragnehmers ein berechtigtes Interesse daran hat, nicht selbst in finanzielle Engpässe zu geraten. Das rechtfertigt es nicht, durch AGB das mit einer Bürgschaft auf erstes Anfordern verbundene Liquiditätsrisiko einseitig auf den Auftragnehmer zu verlagern. Eine unberechtigte Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern durch die öffentliche Hand ist nicht von vornherein ausgeschlossen. Durch den Rückgriff des Bürgen bei dem Auftragnehmer wird diesem bei Inanspruchnahme einer solchen Bürgschaft Liquidität entzogen. Solange die öffentliche Hand einen zu Unrecht erhaltenen Betrag nicht zurückzahlt, ist der Auftragnehmer in seinem Kreditrahmen bei dem Bürgen beschränkt. Er muß seinen Rückforderungsanspruch gerichtlich geltend machen und trägt damit die Last der Prozeßführung gegen eine Partei, die ihrerseits den Prozeß gerichtskostenfrei führen kann.
b) Die Unwirksamkeit der Klausel Nr. 6.1 BVB hat nicht zur Folge, daß keine Verpflichtung des Auftragnehmers besteht, eine Bürgschaft zu stellen. Vielmehr ist für eine Übergangszeit der Vertrag dahin auszulegen, daß der Auftragnehmer eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft schuldet (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 - VII ZR 502/99, BGHZ 151, 229). Ein Herausgabeanspruch des Auftragnehmers besteht nicht. Der Auftragnehmer kann lediglich verlangen, daß sich der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer und dem Bürgen schriftlich verpflichtet, die Bürgschaft nicht auf erstes Anfordern, sondern nur als selbstschuldnerische Bürgschaft geltend zu machen (BGH, Urteil vom 10. April 2003 - VII ZR 314/01, BauR 2003, 1385).
c) Ein schützenswertes Vertrauen der öffentlichen Auftraggeber in die Wirksamkeit der Klausel Nr. 6.1 BVB besteht allerdings nur für Verträge, die bis zum Bekanntwerden der Entscheidung vom 4. Juli 2002 (VII ZR 502/99, aaO) geschlossen worden sind. Danach ist ein Vertrauen nicht mehr schützenswert. Der maßgebende Zeitpunkt ist der 1. Januar 2003. Im Hinblick auf den Zeitraum zwischen der Verkündung der Entscheidung vom 4. Juli 2002 und diesem Zeitpunkt ist gewährleistet, daß den beteiligten Verkehrskreisen, also auch den öffentlichen Auftraggebern, die Entscheidung bekannt geworden ist.
3. Die Klausel Nr. 6.2 BVB benachteiligt S. gleichfalls nicht unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG. Sie sieht zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche einen Bareinbehalt vor, der durch eine unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft abgelöst werden kann. Das ist nicht zu beanstanden (BGH, Urteil vom 13. November 2003 - VII ZR 57/02, BauR 2004, 325 = NZBau 2004, 145).
4. Die Klauseln Nr. 6.1 und 6.2 BVB stehen nicht in einem Zusammenhang, der zu einer Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG führt.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gewährt die Regelung über die Umwandlung in Nr. 6.1 Satz 3 BVB die Befugnis, unter den dort genannten Voraussetzungen die Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft umzuwandeln. Davon unabhängig ist der Auftragnehmer nach Nr. 6.2 BVB berechtigt, den von der Schlußzahlung einbehaltenen Betrag von 3 % sofort durch eine eigenständige Gewährleistungsbürgschaft abzulösen. Macht der Auftragnehmer davon Gebrauch, kann dies zu einer Verdoppelung der Sicherheit des Beklagten führen, die in Höhe von maximal 6 % auch zur Befriedigung aller bis zum Empfang der Schlußzahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche entstandenen Gewährleistungsansprüche besteht. Das belastet den Auftragnehmer im Hinblick auf den vereinbarten Sicherungszweck, der nicht nur Gewährleistungsansprüche, sondern auch Überzahlungen umfaßt, nicht unangemessen.