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  • 29.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142860

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 01.09.2014 – Verg 18/13

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Kammergericht Berlin

    Beschl. v. 01.09.2014

    Az.: Verg 18/13

    Tenor:

    1. Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 6. September 2013 gegen den - wegen fruchtlosen Ablaufs der gesetzlichen Entscheidungsfrist gemäß § 116 Abs. 2 GWB fingierten - nachprüfungsantragsablehnenden Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin, 2. Beschlussabteilung (VK-B2-20/13), wird bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel in der Hauptsache verlängert.

    2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

    3. Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf bis zu 40.000,00 EUR festgesetzt.
    Gründe

    1.

    Der Antrag ist gemäß § 118 Abs. 2 GWB begründet.

    Denn die sofortige Beschwerde hat - nach naturgemäß vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf Grundlage des derzeitigen Sach- und Streitstandes - hinreichende Aussicht auf Erfolg und die Abwägung der Interessen aller Beteiligten gebietet es nicht, dass der Zuschlag erteilt wird. Hierzu im Einzelnen:

    a)

    Die sofortige Beschwerde erscheint zulässig und begründet.

    Zu ihrer Begründetheit im Einzelnen:

    aa)

    Der Vergabenachprüfungsantrag ist nicht etwa gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB unzulässig.

    Zwar hätte das Angebot der Antragstellerin - nach Maßgabe des Informationsschreibens vom 9.7.2013 (Bl. 372 der Vergabeakte) - selbst dann nicht die höchste Gesamtwertungspunktzahl aller Angebote erlangt, wenn das Angebot der Antragstellerin in all denjenigen Einzelwertungsbereichen, die die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift inhaltlich beanstandet hat ("Projekteinschätzung / darauf abgestimmte Bearbeitungsmethodik", "brandschutztechnische Optimierung denkmalgeschützter Bausubstanz und Einbringung neuer Elemente", "Maßnahmen / Instrumente zur Qualitätssicherung der Bauausführung", "Konzeption von Flucht- und Rettungswegeplänen" und "Gesamteindruck der Präsentation"), jeweils die Höchstpunktzahl erhalten hätte und das bislang insgesamt bestplatzierte Angebot stets eine Bewertung mit nur 0 Punkten erhalten hätte. Denn rechnerisch hätte dann das Angebot der Antragstellerin immer noch nur 148,0 Punkte erhalten, während das Angebot der bisher bestplatzierte Bieterin 161,5 Punkte erhalten hätte. Jedoch bejaht der Senat die Erfolgsaussicht des Vergabenachprüfungsantrages jedenfalls nicht allein deshalb, weil die von dem Antragsgegner verwendeten Bewertungskriterien vergaberechtlich zu beanstanden wären und daher die Wertung neu vorzunehmen wäre, sondern zumindest auch deshalb, weil die Ausschreibung insgesamt aufzuheben ist und daher die Leistungen im Falle fortbestehenden Beschaffungsinteresses des Antragsgegners neu auszuschreiben sind (s.u.). Soweit die Leistungen neu ausgeschrieben würden, wäre indessen nicht von vornherein auszuschließen, dass die Angebote der Antragstellerin und der bisher bestplatzierten Bieterin auch im Hinblick auf andere Einzelwertungskriterien anders als bisher bewertet würden und deshalb das Angebot der Antragstellerin letztlich doch noch an die Gesamtbewertungsspitze gelangt. Auch kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass die bisher bestplatzierte Bieterin sich - aus welchen Gründen auch immer - auf eine etwaige neue Ausschreibung hin gar nicht mehr bewirbt.

    bb)

    Der Vergabenachprüfungsantrag hat in der Sache Aussicht auf Erfolg.

    Denn die streitgegenständliche Ausschreibung ist aufzuheben und die Erteilung eines Zuschlags ist derzeit unzulässig.

    Dies ergibt sich aus Folgendem:

    (1.)

    Die streitgegenständliche Ausschreibung hat den Abschluss eines Vertrages zur Erbringung und zur Vergütung von Leistungen gemäß der HOAI von 2009 zum Gegenstand.

    Zwar mag sich dies vielfach nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Ausschreibung ergeben. Denn diese nimmt nur an einzelnen Stellen ausdrücklich auf die HOAI "Stand Juni 2009" Bezug (z.B. Ziff. III.1.2 der Bekanntmachung) und nennt ansonsten lediglich bestimmte "Leistungsphasen" oder einzelne Paragraphen der "HOAI" ohne Angabe der maßgebliche Fassung der HOAI. Jedoch ergibt die Auslegung der Ausschreibung, dass in ihr jedenfalls weitgehend die Vorschriften der HOAI 2009 gemeint sind. Denn zum einen war zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Ausschreibung im März 2013 die erst im Juli 2013 beschlossene HOAI 2013 noch nicht in Kraft getreten. Zum anderen beziehen sich die in der Ausschreibung genannten Paragraphennummern offenbar deshalb auf die HOAI 2009, weil der an der jeweiligen Ausschreibungsstelle abgehandelte Regelungsinhalt mit anderen Paragraphennummern der HOAI 2013 korrespondiert hätte als denjenigen Paragraphennummern, die in der Ausschreibung genannt sind, während die Paragraphennummern der HOAI 2009 inhaltlich passen. So entspricht der Regelungsinhalt von § 49 HOAI 2009 in etwa demjenigen des § 51 HOAI 2013, der Regelungsinhalt von § 51 HOAI 2009 entspricht in etwa demjenigen des § 53 HOAI 2013 und der Regelungsinhalt von § 53 HOAI 2009 entspricht in etwa demjenigen des § 55 HOAI 2013.

    (2.)

    Hieraus folgt, dass die Ausschreibung seit dem Inkrafttreten der HOAI 2013 an rechtlichen Fehlern leidet. Diese hält der Senat für derart schwerwiegend, dass das pflichtgebundene Ermessen, das dem Auftraggeber gemäß § 14 Abs. 6 VOF im Hinblick auf die Entscheidung über eine etwaige Ausschreibungsaufhebung zusteht, auf Null reduziert ist und dass allein durch die Aufhebung der Ausschreibung sowie ggf. Bekanntmachung einer neuen Ausschreibung ein vergaberechtlich akzeptabler Zustand herbeigeführt werden kann.

    Zu den rechtlichen Fehlern im Einzelnen:

    (a.)

    Der Abschluss eines Vertrages zur Erbringung und zur Vergütung von Leistungen gemäß der HOAI von 2009 ist seit dem Inkrafttreten der HOAI von 2013 unmöglich geworden.

    Denn die HOAI ist zwingendes Preisrecht (BGH, Urt. v. 16.12.2004, VII ZR 16/03, Rdnr. 49 zit. nach Juris); das gilt auch für die seit dem Jahre 2013 geltende Fassung (Scholtissek, HOAI, 2. Aufl. 2014, § 1 Rdnr. 1). Hieraus folgt zwar nicht, dass der Antragsgegner seit dem Inkrafttreten der HOAI 2013 Leistungen ihrer Struktur und ihrem Inhalt nach nur so ausschreiben kann wie in der HOAI 2013 vorgesehen; er darf Leistungen durchaus abweichend ausschreiben, mithin ihrer Struktur und ihrem Inhalt nach z.B. auch gemäß der HOAI 2009. Jedoch hat die Vergütung der ausgeschriebenen Leistungen gemäß der aktuell geltenden HOAI (2013) zu erfolgen. Da der ausgeschriebene Vertrag hinsichtlich seiner Vergütung, sowohl was die Höhe als auch was die Vergütungsstruktur anbelangt, die HOAI 2009 in Bezug nimmt, weicht der Vertragsinhalt von dem von der HOAI 2013 vorgegebenen Regelinhalt ab. Diese Abweichung besteht vorliegend in eine Umfang, der von der HOAI 2013 nicht mehr toleriert wird. Denn § 7 HOAI 2013 lässt individuelle Honorarvereinbarung der Parteien nur soweit zu, als die in der HOAI 2013 vorgegebenen Mindestsätze nicht unterschritten werden. Durch die vorliegend in Aussicht genommene, individuelle Vereinbarung einer Honorierung gemäß der HOAI 2009 werden die Mindestsätze der HOAI 2013 - soweit der Senat dies stichprobenhaft zu überprüfen vermag - unterschritten. So beläuft sich z.B. nach der Honorartafel zu § 56 HOAI 2013 das Mindesthonorar für Technische Ausrüstung bei einem geschätzten Auftragsvolumen von 2,7 Mio. EUR für die Abwasser-, Wasser- und lufttechnischen Anlagen (Ziff. II.1.5. der Bekanntmachung vom 30.3.2013) in Honorarzone II auf 393.593,00 EUR und in Honorarzone III auf 462.044,00 EUR, während nach der entsprechenden Honorartafel zu § 54 HOAI 2009 ein Maximalhonorar in Honorarzone II von nur 383.098,00 EUR und in Honorarzone III von nur 407.076,00 EUR zu zahlen wäre. Ein analoges Bild ergibt sich bei dem geschätzten Auftragsvolumen von 2,5 Mio. EUR für den Brandschutz, dem geschätzten Auftragsvolumen von 0,5 Mio. EUR für die Aufzüge und dem geschätzten Auftragsvolumen von 0,08 Mio. EUR für die Photovoltaik (vgl. Ziff. II.1.5. der Bekanntmachung vom 30.3.2013).

    (b.)

    Der Ausschreibungsinhalt ist seit dem Inkrafttreten der HOAI von 2013 in erheblichen Maße intransparent geworden.

    Denn durch die Novellierung der HOAI wurden die jeweiligen Aufgabenfelder der von der HOAI beschrieben einzelnen Leistungsphasen sowie deren prozentualer Anteil an der Gesamtvergütung vielfach verändert. Das zeigt z.B. der Abgleich von § 53 HOAI 2009 mit § 55 HOAI 2013 (nebst deren Anlagen Nr. 14) in Bezug auf das Leistungsbild "Technische Ausrüstung". Soweit in der Ausschreibung auf bestimmte "Leistungsphasen" oder einzelne Paragraphen der "HOAI" Bezug genommen wird, ohne die maßgebliche Fassung der HOAI zu benennen, ist das Leistungs- und Preisgefüge der Ausschreibung infolge des Inkrafttretens der HOAI 2013 folglich zweifelhaft geworden. Dies mag zivilrechtlich unbedenklich sein, soweit durch Auslegung der letztlich maßgebliche Vertragsinhalt ermittelt werden kann (s.o., [1.]). Gleichwohl bleibt der Ausschreibungsinhalt in erheblichem Maße ungewiss und damit intransparent, wenn und weil es erst das Ergebnis einer prozessual unsicheren Auslegung der Ausschreibungsunterlagen ist, welche Leistungen zu welchem Preis Vertragsgegenstand sein sollen. Das ist vergaberechtlich jedenfalls dann nicht hinzunehmen, wenn - wie vorliegend - die Abweichungen vielzahlig und struktureller Natur sind.

    (3.)

    Aus dem in Abschnitt (1.) gefundenen Auslegungsergebnis folgt ferner, dass es eine gemäß § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB unzulässige De-facto-Vergabe wäre, wenn der Antragsgegner die rechtsfehlerhaft gewordene Situation kurzerhand dadurch bereinigen würde, dass er die Leistungen und deren Vergütung nach der HOAI 2013 vergibt.

    Denn ausgeschrieben wurden Leistungen und deren Vergütung nach der HOAI 2009 (s.o., [1.]). Eine Ausschreibung von Leistungen und deren Vergütung nach der HOAI 2013 gibt es bisher nicht.

    b)

    Die Abwägung der Interessen der Beteiligten ergibt folgendes Bild:

    Auf der Seite der Antragstellerin ist deren Interesse an einem rechtmäßigem Ablauf des Vergabeverfahrens zu berücksichtigten. Dieses Interesse hat regelmäßig den Vorrang vor gegenläufigen Interessen anderer (so schon Senat, Beschl. v. 24.10.2013, Verg 11/13; Senat, Beschl. v. 17.2.2014, Verg 8/13). Das folgt aus dem unionsrechtlichen Gebot des effektiven Rechtsschutzes im Vergabenachprüfungsverfahren. Denn dieses Gebot liefe für den in seinen Rechten verletzten Bieter im Regelfall leer, wenn die aufschiebende Wirkung nach § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB nicht verlängert würde und damit die Vergabestelle den Zuschlag - für den verletzten Bieter unabänderlich - erteilen könnte (ähnlich Losch in Ziekow/Völlink, Vergaberecht 2011, § 118 Rdnr. 38 ff.). Daneben wird der Vorrang auch in der Formulierung des § 118 Abs. 2 GWB kenntlich, wonach die Ablehnung des Verlängerungsantrags eine Ausnahme darstellt, die besonderer Begründung bedarf.

    Auf der Seite des Antragsgegners ist interessereduzierend zu berücksichtigen, dass das ausschreibungsgegenständliche Vorhaben der Sanierung eines Verwaltungsgebäudes dient, bei dem nicht ersichtlich ist, dass es von akuter Funktionsuntüchtigkeit bedroht und nicht durch andere Gebäudekapazitäten des Antragsgegners vorübergehend ersetzbar sei. Zudem ist dem Antragsgegner entgegen zu halten, dass er eine erhebliche Verzögerung des Vergabenachprüfungsverfahrens selbst zu vertreten hat. Denn die Vergabekammer ist Teil seiner Verwaltung, die er personell unbesetzt ließ und es so hinnahm, wenn nicht gar wünschte, dass dort keine Sachbearbeitung stattfand (so schon Senat, Beschl. v. 24.10.2013, Verg 11/13; Senat, Beschl. v. 17.2.2014, Verg 8/13).

    Insgesamt sind daher keine berechtigten Interessen des Antragsgegners erkennbar, die die berechtigten Interessen der Antragstellerin überwiegen und somit die Ablehnung ihres Antrags rechtfertigen würden.

    cc)

    Offen kann der Senat daher lassen, ob die von dem Antragsgegner verwendeten Wertungskriterien mangels hinreichender inhaltlicher Genauigkeit vergaberechtlich zu beanstanden sind und ob das Fehlen einer näheren Begründung der Angebotsbepunktung durch die Mitglieder des Wertungsgremiums vom 4.7.2013 gegen die vergaberechtliche Dokumentationspflicht des Antragsgegners verstößt.

    Allerdings will der Senat zumindest darauf hinweisen, dass es vergaberechtlich unzulässig sein dürfte, wenn - wie offenbar geschehen - die Wertungskriterien den Bietern vor Durchführung der Verhandlungsgespräche nicht offengelegt werden und wenn - wie ebenfalls geschehen - die von den Mitgliedern des Wertungsgremiums verwendeten Wertungskriterien vielfach nicht deckungsgleich sind mit denjenigen Wertungskriterien, die der Antragsgegner in seinem Informationsschreiben an die Bieter gemäß § 101a Abs. 1 GWB anführt (vgl. Bl. 301 f. der Vergabeakte einerseits, Bl. 372 f. der Vergabeakte andererseits). Im Übrigen wird im Lichte des vergaberechtlichen Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot eine möglichst präzise inhaltliche Bestimmung der Wertungskriterien wünschenswert sein.

    2.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO (BGH, NZBau 2001, 151, 155 [BGH 19.12.2000 - X ZB 14/00]; Otting in Bechthold, GWB, 5. Aufl. 2008, § 123 Rdnr. 2, m.w.N.).

    Die Wertfestsetzung folgt aus § 50 Abs. 2 GKG, wobei sich der Senat an demjenigen Betrag orientiert hat, den der Antragsgegner am 25.7.2013 als Auftragswert der Fachplanungsleistungen, inklusive optionaler Leistungen, geschätzt hat (Bl. 3 der Vergabeakte).

    RechtsgebieteGWB, HOAI, VOFVorschriften§ 118 Abs. 1 S. 3 GWB; § 57 HOAI; § 14 Abs. 6 VOF