23.06.2015 · IWW-Abrufnummer 144739
Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 25.02.2015 – 1 Verg 5/14
1.
Die Eignungsprüfung ist alleinige Aufgabe des Auftraggebers; Vergabekammern und -senate sind nicht befugt, sich an dessen Stelle zu setzen.
2.
Stützt der Auftraggeber seine für einen Bieter negative Eignungsprognose auf mehrere Umstände und erweist sich einer dieser Umstände als nicht tragfähig, ist eine Nachprüfungsinstanz nicht befugt, darüber zu befinden, ob die übrigen Umstände ausreichen, um dem Bieter die Eignung anzusprechen.
3.
Vielmehr muss der Auftraggeber dann eine neue Eignungsprüfung durchführen.
Oberlandesgericht Koblenz
Beschl. v. 25.02.2015
Az.: 1 Verg 5/14
In dem Nachprüfungsverfahren
betreffend die Vergabe des Auftrags "Fachhochschule ...[Z] II, Bauteil H, Neubau (Los Rückbau/Entsorgung/Verwertung der Halle 36 und 37)
Verfahrensbeteiligte:
...
hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch ... aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2015
beschlossen:
Tenor:
1.
Auf sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 18. Juli 2014 aufgehoben, soweit der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen wurde.
2.
Dem Auftraggeber wird aufgegeben, die Eignung der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Gründe dieser Entscheidung erneut zu prüfen.
3.
Der Auftraggeber trägt die Hälfte der Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer, die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in beiden Verfahrensabschnitten entstandenen notwendigen Auslagen der Antragstellerin.
4.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
5.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 40.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
1. Im Zuge der Erweiterung der Fachhochschule ...[Z] sollen zu einer früheren Kammgarnspinnerei gehörende Gebäude (teilweise) abgerissen werden. Für die Vergabe dieser Teilarbeiten hat der vom Landesbetrieb Liegenschaft- und Baubetreuung (LBB), Niederlassung ...[Z] als Vergabestelle vertretene Auftraggeber ein offenes Verfahren eingeleitet. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
Die Antragstellerin gab das Angebot mit dem niedrigsten Preis ab. Der Auftraggeber entschied jedoch, die Beigeladene zu beauftragen, weil er die Antragstellerin für ungeeignet hält. Den dagegen gerichteten Nachprüfungsantrag hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 18. Juli 2014 als unbegründet zurückgewiesen; hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde. Soweit die Vergabekammer zugleich dem Auftraggeber aufgegeben hat, das Angebot der Beigeladenen auszuschließen, wurde in dem abgetrennten Verfahren Verg 5/14 mit Beschluss vom 19. Januar 2015 entschieden.
2. Der Auftraggeber stützt seine Auffassung, die Antragstellerin sei ungeeignet, in dem insoweit am 14. Januar 2015 aktualisierten und in der mündlichen Verhandlung (siehe dazu OLG München v. 22.11.2012 - Verg 22/12 - VergabeR 2013, 498) verteidigten Vergabevermerk auf die mangelhafte Erfüllung zweier Aufträge aus jüngerer Zeit (FH ...[Z]: Verfüllung der Baugrube X; US-Liegenschaft S., Gebäude 29) sowie auf Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung des letztgenannten Auftrags nach erheblich verzögerter Fertigstellung. Im Ergebnis verdächtigt er die Antragstellerin, sie gehe mit unseriös kalkulierten Preisen in den Wettbewerb und versuche nach Auftragserteilung, durch Schlechterfüllung, überhöhte Rechnungen und/oder unbegründete Nachtragsforderungen auf ihre Kosten zu kommen. Da die Schlussrechnung für die Arbeiten im S. vom 14. Dezember 2014 stamme, könne trotz der behaupteten Selbstreinigungsmaßnahmen (wie Austausch von Bauleitern und Benennung eines Ansprechpartners für Probleme mit dem Landesbetrieb Liegenschaft- und Baubetreuung) nicht von einer Wende zum Besseren ausgegangen werden.
II.
Das Rechtsmittel der Antragstellerin hat Erfolg.
1. Allerdings ist es dem Auftraggeber nach derzeitiger Rechtslage grundsätzlich nicht verwehrt, seine für einen Bieter negative Eignungsprognose auf Mängel bei der Ausführung eines oder mehrerer früherer Aufträge zu stützen (wobei es im Ergebnis von untergeordneter Bedeutung ist, ob dem betroffenen Unternehmen damit die Zuverlässigkeit oder die technische Leistungsfähigkeit abgesprochen wird). Vorliegend erweist sich jedoch der Vorwurf, die Antragstellerin habe bei der Verfüllung der Baugrube X unter Verstoß gegen das sich aus der Leistungsbeschreibung ergebenden Leistungssoll ungeeignetes Material verwendet, in einem wesentlichen Punkt als nicht tragfähig. Weil die Eignungsprüfung aber allein dem Auftraggeber obliegt, ist es dem Senat verwehrt, an dessen Stelle zu treten und eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob das, was an (unbestrittenen oder plausibel dargelegten) Mängeln übrigbleibt, die Annahme einer fehlenden Eignung rechtfertigen könnte.
2. Der Auftraggeber wirft der Antragstellerin u.a. vor, bei der Verfüllung der Baugrube X auch ca. 2.500 m3 Recycling-Material (aus Bauschutt) verwendet zu haben, das hinsichtlich der Schadstoffbelastung nicht den strengen Anforderungen der Technischen Regeln für die Verwertung von Bodenmaterial (TR Boden) vom 5. November 2004, Einbauklasse 1, Zuordnungswert 1.1 genügt. Dieser Vorwurf ist allerdings nicht gerechtfertigt, weil die Leistungsbeschreibung insoweit nicht eindeutig ist. Dort heißt es unter OZ 1.2.20:
"Boden, liefern, Recycling-Material, Körnung 0/56, profilgerecht
einbauen, lageweise verdichten, Höhe der Lage 0,30 m,
Verformungsmodul mind. EV2 80 MN/m2, Verdichtungsgrad
mind. DPr 1, Einbauhöhe bis max. 3,50 m, in den Randbereichen
an den Bestand angleichen,
Mengenermittlung nach Auftragprofilen.
Der zu liefernde Boden soll den Bodenklassen GW, SW, SU, GU
mit einem Feinkornanteil von max. 10 Massen-% nach DIN 18196
entsprechen und die Zuordnungskriterien max. Z1.1 nach
LAGA TRBoden (2004) erfüllen."
Antragstellerin und Auftraggeber sind sich darin einig, dass der Auftragnehmer bei der Verfüllung neben oder anstelle von natürlichem Boden auch Recycling-Material aus Bauschutt verwenden darf. Dass aber auch das Recycling-Material den Vorgaben der TR Boden genügen muss, mag der - von der Antragstellerin nicht geteilten - Vorstellung des Auftraggebers entsprochen haben. Diese Vorstellung hat aber in der Leistungsbeschreibung nicht auf die gebotene unmissverständliche Weise ihren Niederschlag gefunden.
Als TR Boden wird der im Jahre 2004 überarbeitete Abschnitt II. 1.2 der Technischen Regeln für die Verwertung von mineralischen Abfällen - dazu gehören insbesondere Bodenaushub, Straßenaufbruch und Bauschutt - bezeichnet. Dort wird auch definiert, was unter Boden zu verstehen ist: natürliches Material im Sinne des § 2 Abs. 1 BBodSchG sowie einige weitere näher beschriebene Substanzen, also beispielsweise Bodenaushub, der bei der Herstellung eines Baugrube oder der Sandgewinnung anfällt, nicht aber (Recyclingmaterial aus) Bauschutt. Die ebenfalls unter OZ 1.2.10 angesprochene DIN 18196 enthält das in Deutschland gebräuchliche Klassifizierungssystem für Böden nach der Korngröße. Demgegenüber gibt es für Bauschutt mit Abschnitt II 1.4 der Technischen Regeln für die Verwertung von mineralischen Abfällen vom 6. November 1997 (TR Bauschutt) ein eigenes Regelwerk, das allerdings in der Leistungsbeschreibung überhaupt nicht erwähnt wird.
Die Leistungsbeschreibung enthält auch keine Hinweise etwa auf hydrogeologischen Standortbedingungen oder die künftige Nutzung des verfüllten Geländes, die einen fachkundigen Leser zu dem Schluss hätten drängen müssen, dass generell nur der Einbau von Material in Betracht kommt, dessen Schadstoffbelastung die sehr strengen Grenzwerte der TR Boden, Einbauklasse 1, Zuordnungswert Z 1.1 nicht überschreitet.
Die Antragstellerin war auch nicht verpflichtet, von sich aus Technische Regeln für die Verwertung von mineralischen Abfällen zu beachten. Diese Regeln sind keine Rechtsnormen, sondern Empfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA), eines Arbeitsgremiums der deutschen Umweltministerkonferenz. Zielsetzung der LAGA ist die Sicherstellung eines möglichst ländereinheitlichen Vollzugs des Abfallrechts in der Bundesrepublik Deutschland; Adressaten ihrer Empfehlungen sind die zuständigen Behörden der Länder. Die TR Boden und die TR Bauschutt gehören zur LAGA-Mitteilung 20, die Empfehlungen für eine möglichst schadlose Verwertung von mineralischen Abfällen enthält. Ein öffentlicher Auftraggeber kann sich diese Empfehlungen in Ausübung seines Leistungsbestimmungsrechts zwar zu Eigen machen, indem er sie als verbindliche Vorgaben (technische Spezifikationen) in die Leistungsbeschreibung aufnimmt. Dies ist hier mit Blick auf Bauschutt allerdings nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit geschehen.
Damit hatte der Auftraggeber, der die alleinige Verantwortung nicht nur für die Leistungsbeschreibung, sondern grundsätzlich auch für die Beachtung des Umweltschutzes bei der Verwirklichung seines Bauvorhabens trägt, überhaupt keine verbindlichen Vorgaben für die Beschaffenheit des zulässigerweise verwendeten Recyclingmaterials gemacht. Die sich daraus ergebenden Probleme hätten im Einklang mit dem Umweltrecht einvernehmlich gelöst werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist, kann man der Antragstellerin nicht als Mangel bei der Auftragsausführung anlasten.
Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass der Auftraggeber dem Vortrag der Antragstellerin, das Recyclingmaterial stamme von einer anderen Baustelle des Landes und sei von einem Mitarbeiter des LBB nach Beprobung zum Einbau in die Baugrube X freigegeben worden, nicht substantiiert widersprochen hat. Sein vager Hinweis, die Antragstellerin habe auch "teils Bodenmaterial im südlichen Bereich der Baugrube" von einem Dritten bezogen, mag zutreffen, lässt aber offen, ob die fraglichen Mengen überhaupt geeignet sind, die als zu hoch beanstandeten Schadstoffwerte in mehreren nach dem Ausbau des Recyclingmaterials gebildeten Haufwerken zu erklären. Zudem geht der Senat davon aus, dass der LBB als Fachbehörde Boden im Sinne der TR Boden und nicht Bauschutt meint, wenn er von Bodenmaterial spricht.
III.
Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass das nationale Recht noch keine Regelung dazu enthält, welche Art von Fehlverhalten im Zusammenhang mit einem früheren Auftrag die Annahme fehlender Eignung tragen kann. Allerdings sollten auch vor Ablauf der Frist zur Umsetzung einer Richtlinie keine Entscheidungen getroffen werden, die den Zielen der Richtlinie zuwiderliefen. Art. 57 Abs. 4 lit. g) RL 2014/24/EU knüpft an Mängel bei der Auftragsausführung an. Mängel bei der Abrechnung werden nicht erwähnt und dürften somit nur von Relevanz sein, wenn sie unter § 16 EG Abs. 2 lit. c) VOB/A zu subsumieren sind.
Für ein Angebot, dessen Preis den begründeten Verdacht unseriöser Kalkulation rechtfertigt, gilt § 16 EG Abs. 6 VOB/A.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 128 GWB. Der Senat hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer geteilt, weil im jetzigen abgetrennten Verfahren nur über einen von zwei Streitpunkten entschieden wurde. Die in allen Verfahrensabschnitten passiv gebliebene Beigeladene, die auch nicht an der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2015 teilgenommen hat, bleibt bei der Kostenentscheidung unberücksichtigt.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Verfahren vor der Vergabekammer ist für den Antragsteller in der Regel notwendig; für eine abweichende Entscheidung gibt das vorliegende Verfahren keine Veranlassung.
Der Streitwert für das vorliegende Beschwerdeverfahren wird gemäß § 50 Abs. 2 GKG auf bis zu 40.000 € festgesetzt.
Verkündet am 25. Februar 2015