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  • 07.01.2020 · IWW-Abrufnummer 213391

    Sozialgericht Karlsruhe: Urteil vom 04.12.2019 – S 2 BA 424/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Sozialgericht Karlsruhe
    Urteil vom 04.12.2019

    Tenor

    Die Klage wird abgewiesen.

    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

    Tatbestand


     
    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beigeladene Ziff. 1) aufgrund seiner Tätigkeit als Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin abhängig beschäftigt ist und deshalb der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt, woraus sich eine von der Beklagten erhobene Nachforderung von 63.188,08 EUR für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 ergeben würde.
     

     
    Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die unter der Registernummer HRB 230971 in das Handelsregister des Amtsgerichts Mannheim eingetragen ist. Sitz des Unternehmens ist X, Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb einer Kfz-Werkstatt, einer Tankstelle, eines Autohandels sowie einer Autovermietung. Gemäß § 9 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags (GV) vom 29.12.1986 ist die Gesellschafterversammlung oberstes Organ der Gesellschaft, in der die Beschlüsse der Gesellschafter gefasst werden. Je 500.- DM Stammeinlage gewähren eine Stimme in der Gesellschafterversammlung (§ 12 Abs. 1 GV). Das Stammkapital der Gesellschaft betrug zunächst 100.000,00 EUR (§ 5 Abs. 1 GV), wobei 55.000,00 EUR (Anteil 55 %, 110 Stimmen) auf Herrn A, 35.000,00 EUR (Anteil 35 %, 70 Stimmen) auf Herrn B (Beigeladener Ziff. 1) und 10.000,00 EUR (10 % Anteil, 20 Stimmen) auf Frau C entfielen (§ 5 Abs. 2 GV). Beschlussfähigkeit besteht bei Anwesenheit von 75 % des Stammkapitals (§ 11 Abs. 1 S 1 GV), fehlt es an dieser Voraussetzung, ist mit einer Frist von zwei Wochen innerhalb von vier Wochen eine neue Gesellschafterversammlung einzuberufen, die dann immer beschlussfähig ist (§ 11 Abs. 1 S. 2 GV). Die Beschlüsse der Gesellschaft werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit der Gesellschaftsvertrag oder das Gesetz nicht eine andere Mehrheit vorschreiben (§ 12 Abs. 2 GV). Für konkret bezeichnete Rechtshandlungen, die über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehen, ist eine Mehrheit von ¾ erforderlich (§ 12 Abs. 4 GV). Die Geschäftsführung wird von den jeweils von der Beschränkung nach § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreiten Gesellschaftern A und dem Beigel. Ziff. 1 ausgeführt (§ 13 Abs. 5 GV). Diese können nur aus wichtigem Grund abberufen werden (§ 13 Abs. 2 GV), Umfang der Geschäftsführung bestimmen sich nach dem Gesetz, dem Gesellschaftsvertrag und den jeweiligen Anstellungsverträgen, wobei Änderungen der Anstellungsverträge einstimmig durch die Gesellschafterversammlung zu erfolgen haben (§ 13 Abs. 3 GV). Nach dem Geschäftsführungsvertrag vom 28.12.19868 des Beigeladenen Ziff. 1 verantwortet dieser die Aufgabenbereiche „Tankstelle, Autowäsche, Verkauf, kaufmännische Leitung insbesondere Buchhaltung und Rechnungswesen“, während A nach dem weiteren Geschäftsführungsvertrag vom 28.12.1986 die eigenverantwortliche Leitung der Klägerin obliegt, wobei er ausdrücklich Dienstvorgesetzter aller Angestellten und Arbeiter mit Ausnahme des Beigel. Ziff. 1 ist. Beide Geschäftsführer sind nach § 6 Abs. 1 S. 1 der Geschäftsführungsverträge verpflichtet, die Geschäfte nach den durch Gesellschafterbeschluss schriftlich festgelegten Weisungen und entsprechend der gesetzlichen Bestimmungen zu führen. Die Geschäftsführer bedürfen jeweils für näher definierte „wichtige Geschäfte“ die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, der Genehmigung der Gesellschafterversammlung (§ 6 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 der Geschäftsführungsverträge).
     

     
    Mit Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 04.12.1992 erfolgte die Erhöhung des Stammkapitals auf 200.000,00 EUR, wobei die bisherigen Einlagen jeweils verdoppelt wurden, so dass nunmehr 110.000,00 EUR (Anteil 55 %, 220 Stimmen) auf Herrn A, 70.000,00 EUR (Anteil 35 %, 140 Stimmen) auf den Beigeladenen Ziff. 1 und 20.000,00 EUR (10 % Anteil, 40 Stimmen) auf Frau C entfielen (§ 5 Abs. 2 des geänderten GV). Zusätzlich entfielen einige der in § 12 Abs. 4 der Ausgangsfassung des GV genannten, über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehenden Fälle, in denen statt der einfachen Mehrheit eine ¾-Mehrheit erforderlich seien solle (zuletzt danach Grundstücksgeschäfte, Abschluss von Mietverträgen mit mehr als zwei Jahren oder die Verlegung der Geschäftsräume, die Gründung von Zweigniederlassungen und die Aufnahme neuer Gesellschafter).
     

     
    Im Anschluss an eine am 07.12.2017 durchgeführte Betriebsprüfung durch die Beklagte hörte diese die Klägerin mit Schreiben vom 07.12.2017 zur beabsichtigten Feststellung der Versicherungspflicht des Beigeladenen Ziff. 1 in der Renten- und Arbeitslosenversicherung und daraus resultierender Nachforderung von 63.188,04 EUR an. Der Beigeladene Ziff. 1 sei Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer, der nicht über mindestens 50 % der Stimmanteile verfüge. Da Beschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit erfolgten, könne er solche weder selbst umsetzen noch verhindern. Dass einzelne Handlungen mit 75 % erfolgen müssen, was auch seine Zustimmung erfordere, mache ihn nicht zum Selbständigen. Nach der Ausgestaltung des Geschäftsführungsvertrags sei ein relevantes Unternehmerrisiko nicht zu erkennen. Die Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB sei bei kleineren GmbH nicht unüblich und deute deshalb nicht zwingend auf eine selbständige Tätigkeit hin. Im Ergebnis würden die Merkmale, welche für eine abhängige Beschäftigung streiten, überwiegen.
     

     
    Die Klägerin ließ hiergegen einwenden, der Beigeladene Ziff. 1 sei von der Beschränkung nach § 181 BGB befreit und uneingeschränkt Alleinvertretungsbefugt. Er dürfe alle Geschäfte führen und unterliege gerade keinen Weisungen. Er könne auch seine ordentliche Abberufung verhindern, seine Stellung unterscheide sich nicht von der des Mehrheitsgesellschafters. Dies folge daraus, dass die ordentliche Abberufung ausgeschlossen sei. Anders als dargestellt würden sich die Aufgabenbereiche nicht wesentlich unterscheiden. Der Mehrheitsgesellschafter könne nach seinem Anstellungsvertrag dem Beigel. Ziff. 1 ausdrücklich keine Weisungen erteilen. Wegen der Alleingeschäftsführungsbefugnis komme § 6 Abs. 1 des Geschäftsführungsvertrags keine Bedeutung zu.
     

     
    Mit Bescheid vom 02.02.2018, in welchem kein Prüfzeitraum angegeben war, stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene Ziff. 1 als Geschäftsführer abhängig beschäftigt sei, deshalb der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege und einen Betrag von 63.188,08 EUR für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 nachzuentrichten habe. Wegen Überschreitung der Beitragsbemessungsgrenze bestehe in Kranken- und Rentenversicherung keine Versicherungspflicht. Zur Begründung vertiefte die Beklagte die Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben.
     

     
    Den hiergegen am 23.02.2018 eingelegten Widerspruch ließ die Klägerin begründen. Das Bundessozialgericht (BSG) habe in seiner Entscheidung vom 29.06.2016 ‒ Az. B 12 R 5/14 R an keiner Stelle zum Ausdruck gebracht, dass es einer umfassenden Sperrminorität bedürfe. Vielmehr habe das BSG zum Ausdruck gebracht, dass Gesellschafter-Geschäftsführer, die nicht über 50 % des Stammkapital verfügen oder infolge besonderer Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Beschlüsse anderer Gesellschafter verhindern könnten, grundsätzlich keinen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der GmbH hätten. Aus dem Wort Grundsätzlich ergebe sich, dass die gesellschaftsvertragliche Einräumung einer Sperrminorität offensichtlich nicht die einzige Möglichkeit darstelle, die Weisungsgebundenheit zu verhindern. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass die Gesellschafterin C zwischenzeitlich ausgeschieden sei, der Beigeladene Ziff. 1 verfüge seither über einen Anteil von 45 % der Geschäftsanteile.
     

     
    Mit Widerspruchsbescheid vom 27.12.2018 (Eingang beim Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 04.01.2019) wies die Beklagte den Widerspruch zurück und vertiefte die früheren Ausführungen. Es sei nicht nur auf die gesellschaftlichen Regelungen, sondern auch auf den Anstellungsvertrag abzustellen.
     

     
    Hiergegen hat die Klägerin am 04.02.2018 per Fax Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
     
    10 
     
    Zur Begründung lässt sie ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren vertiefen. Durch den Anstellungsvertrag könne der allein maßgebliche Gesellschaftsvertrag nicht geändert werden. Ein unternehmerisches Risiko bestehe in der eigenen Kapitalbeteiligung und dem Einbringen der Arbeitskraft. Die Weisungsgebundenheit könne nicht aus dem Anstellungsvertrag abgeleitet werden, weil sich aus dem Gesellschaftsvertrag abweichendes ergebe. Aus der in § 13 Abs. 5 GV geregelten Alleinvertretungsmacht ergebe sich, dass der Kläger alle Entscheidungen allein treffen dürfe. Zudem berufe man sich, was die Abkehr des Bundessozialgerichts von seiner Kopf-und-Seele-Rechtsprechung anbelange, auf Vertrauensschutz, da vorliegend ein Zeitraum vor der maßgeblichen Entscheidung streitig sei. Im Übrigen sei der Gesellschaftsvertrag durch Beschluss vom 21.06.2018 abermals geändert worden. Nach § 12 Abs. 2 GV bedürften alle Beschlüsse nunmehr der ¾-Mehrheít. Diese Änderung sei am 12.07.2018 ins Handelsregister eingetragen worden und habe nach dem Willen der Gesellschafter Gültigkeit für die Zeit ab dem 01.08.2018.
     
    11 
     
    Die Klägerin lässt beantragen,

    12 
     
    unter Aufhebung des Bescheids vom 02.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2018 festzustellen, dass der Beigeladene Ziffer 1 seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausübt und deshalb nicht der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt, hilfsweise den streitigen Bescheid für die Zeit ab dem 01.01.2017 aufzuheben.
     
    13 
     
    Die Beklagte beantragt,

    14 
     
    die Klage abzuweisen.
     
    15 
     
    Sie verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
     
    16 
     
    Das Gericht hat mit Beschluss vom 16.07.2019 den Minderheitengesellschafter-Geschäftsführer B nebst Rentenversicherungsträger und Bundesagentur für Arbeit zum Verfahren beigeladen.
     
    17 
     
    Die Klägerin hat den Gesellschafterbeschluss vom 21.06.2018 vorgelegt. Danach wird § 12 Abs. 2 GV wie folgt gefasst:

    18 
     
    „Gesellschafterbeschlüsse werden mit 3/4-Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht dieser Gesellschaftsvertrag oder das Gesetz eine andere Mehrheit vorschreiben."
     
    19 
     
    Flankierend entfiel § 12 Abs. 4 GV, welcher zuvor für über den gewöhnlichen Geschäftsverkehr hinausgehenden Fälle eine entsprechende Mehrheit vorsah, vollständig.
     
    20 
     
    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte nebst beigezogener Verwaltungsakten verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

    Entscheidungsgründe

    A.)
     
    21 
     
    Die form- und fristgerecht zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Karlsruhe erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist den Hilfsantrag betreffend unzulässig und im Übrigen unbegründet.

    I.)
     
    22 
     
    Der Hilfsantrag ist nicht zulässig, da er vollständig im Hauptantrag enthalten ist. Der (Haupt-) Antrag auf Aufhebung der streitigen Entscheidung erfasst selbstredend auch die Zeit nach dem 01.01.2017, so dass es des Hilfsantrags nicht bedarf. Im Übrigen wäre die auf die Zeit ab dem 01.01.2017 gerichtete Klage auch deshalb unzulässig, weil der streitige Bescheid bei verständiger Würdigung seines Verfügungssatzes hierzu keine Regelung trifft (Ausführungen sogleich).

    III.)
     
    23 
     
    Mit Blick auf den auf Aufhebung gerichteten Hauptantrag bedarf der Regelungsgehalt des Bescheids vom 02.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2018 der Auslegung, wobei auffällt, dass dort jeweils kein Prüfzeitraum angegeben wurde und dass die Formulierung „seine Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Klägerin seit 01.01.2013 im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausübt“ Raum für Interpretationen lässt.
     
    24 
     
    Zur Auslegung des Verfügungssatzes, bei der auf die Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers abzustellen ist, kann unter andrem auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden (BSG in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 10.09.2013, B 4 AS 89/12 R). Auf welche vermeintlichen Arbeitnehmer und welche konkreten Monate sich die Nachforderung nach § 28p SGB IV bezieht, ergibt sich für die einzelnen Monate eindeutig aus den Berechnungsblättern, die dem Ausgangsbescheid beigefügt waren. Dass der Prüfzeitraum nicht explizit genannt wird, ist unerheblich. Der Bezeichnung des Prüfzeitraums kommt weder im Verfahren noch im Bescheid eine rechtliche Relevanz zu. Die Bezugnahme auf die durchgeführte Betriebsprüfung und den geprüften Zeitraum ist kein Teil des Verfügungssatzes und enthält keine Regelung im Sinne eines Verwaltungsakts (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 08. Juni 2016 ‒ L 16 R 265/14 ‒, Rn. 33 - 34, juris).
     
    25 
     
    Zur Überzeugung der Kammer enthält der Bescheid vom 02.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2018 trotz seiner offenen Formulierung deshalb keine die Anforderungen an einen Verfügungssatz erfüllende Aussage zur Frage des Vorliegens einer „abhängigen Beschäftigung“, denn hierbei handelt es sich lediglich um ein Tatbestandsmerkmal der auch bei § 28p SGB IV allein maßgeblichen Versicherungspflicht, so dass eine entsprechende Feststellung durch die Beklagte eine unzulässige Elementenfeststellung darstellen würde (vgl. für das Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV: BSG, Urteil vom 26. Februar 2019 ‒ B 12 R 8/18 R ‒, juris; erstmals BSG, Urteil vom 11. März 2009 ‒ B 12 R 11/07 R ‒, BSGE 103, 17-27, SozR 4-2400 § 7a Nr. 2). Die Beklagte hat das Ergebnis der Prüfung des Tatbestandsmerkmals der abhängigen Beschäftigung an den Beginn der Begründung ihrer Entscheidung (erster Satz) zur Versicherungspflicht (zweiter Satz) und zur Erhebung einer Nachforderung (dritter Satz) gestellt. Gleichwohl ist die Kammer davon überzeugt, dass für einen verständigen Bescheidempfänger keinerlei Zweifel daran bestehen, dass die streitige Entscheidung allein das Bestehen der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung feststellt und dass deswegen die genannte Nachforderung erhoben wird, denn allein hierauf beziehen sich die Berechnungsanlagen der Beklagten.
     
    26 
     
    Insoweit enthält der streitige Bescheid allein die Regelung, dass der Beigeladene Ziff. 1 für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 versicherungspflichtig nach dem Recht der Rentenversicherung und dem Recht der Arbeitsförderung ist und deshalb von der Klägerin als Arbeitgeberin Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 63.188,08 EUR nachgefordert werden.

    IV.)
     
    27 
     
    Bei diesem Verständnis ist der Hauptantrag nicht begründet, denn der Bescheid vom 02.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2018 ist rechtmäßig.
     
    28 
     
    1.) Rechtsgrundlage für den streitigen Bescheid ist § 28p Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV). Nach dessen Abs. 1 S. 5 erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

    29 
     
    2.) In der streitigen Zeit unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, grundsätzlich der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI und § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - SGB III).
     
    30 
     
    3.) Für die vorliegend maßgebliche statusrechtliche Beurteilung der Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers hat das Hessisches Landessozialgericht (Urteil vom 21. März 2019 ‒ L 8 KR 142/17 ‒, Rn. 24, juris) folgendes ausgeführt:
     
    31 
     
    „Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann vornehmlich bei Diensten höherer Art eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zum Ganzen BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 R 25/10 R, BSGE 111, 257; jüngst Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 13/17 R, juris Rn. 16, Urteile des Senats vom 25. Januar 2018, L 8 KR 399/15 und 26. April 2018, L 8 KR 170/15).
     
    32 
     
    Der Senat hat in seinen Urteilen vom 25. Januar 2018 und 26. April 2018 weiter ausgeführt: „Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Dazu haben Verwaltung und Gerichte zunächst deren Inhalt konkret festzustellen. Liegen schriftliche Vereinbarungen vor, so ist neben deren Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind. Diese sind ebenfalls nur maßgebend, soweit sie rechtlich zulässig sind. Schließlich ist auch die Ernsthaftigkeit der dokumentierten Vereinbarungen zu prüfen und auszuschließen, dass es sich hierbei um einen bloßen "Etikettenschwindel" handelt, der unter Umständen als Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB zur Nichtigkeit dieser Vereinbarungen und der Notwendigkeit führen kann, ggf. den Inhalt eines hierdurch verdeckten Rechtsgeschäfts festzustellen. Erst auf Grundlage der so getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (BSG, Urteil vom 24. März 2016 ‒ B 12 KR 20/14 R). Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich folglich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine formlose Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist“ (vgl. auch BSG, Urteil vom 29. August 2012, B 12 R 25/10 R, juris Rn. 16).
     
    33 
     
    Diese Maßstäbe gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH und zwar ungeachtet der konkreten Bezeichnung des der Geschäftsführertätigkeit zugrunde liegenden Vertrages. Dem steht nicht die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) entgegen. Eine abhängige Beschäftigung von Geschäftsführern ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil nach § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung einer juristischen Person berufen sind, nicht als Arbeitnehmer gelten. Diese Regelung beschränkt sich auf das ArbGG und hat keine Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht. Der Zugehörigkeit zu den Beschäftigten der juristischen Person steht auch nicht entgegen, dass Geschäftsführer im Verhältnis zu sonstigen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 13/17 R, juris Rn. 18f.).
     
    34 
     
    Vielmehr kommt es für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit zunächst darauf an, dass der Geschäftsführer am Gesellschaftskapital beteiligt ist (sog. Gesellschafter-Geschäftsführer). Ein Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung (sog. Fremdgeschäftsführer) ist ausnahmslos abhängig beschäftigt. Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen zudem über eine Mindestkapitalbeteiligung von 50 % oder eine "echte" Sperrminorität verfügen. Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 % der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheidet, ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er ist ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 % der Anteile am Stammkapital hält oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer muss eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine "unechte", auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Die für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage versetzt, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, muss gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein (siehe zum Ganzen nur BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 13/17 R, juris Rn. 21 f. m.w.N.).“
     
    35 
     
    Dies macht die erkennende Kammer nach eigener Überzeugungsbildung zur Grundlage ihrer vorliegend zu treffenden Entscheidung, weil sie sich den vorstehenden Ausführungen ohne Einschränkung anschließt.
     
    36 
     
    4.) Entsprechend ist zunächst festzuhalten, dass der Beigeladene Ziff. 1 an der Klägerin beteiligt ist und keinen reinen Fremdgeschäftsführer darstellt. Er ist jedoch als weisungsgebunden anzusehen, weil er nicht über die notwendige Rechtsmacht verfügt, ihm nicht genehme Entscheidungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern.
     
    37 
     
    Dass sich der Anteil von 140 Stimmen zwischenzeitlich auf 180 Stimmen erhöht hätte, lässt sich anhand des vorgelegten und dem von der erkennenden Kammer vorsorglich beim Registergericht elektronisch abgerufenen Gesellschaftsvertrag nicht entnehmen, nachdem § 5 Abs. 2 GV unverändert geblieben ist und nach wie vor drei Gesellschafter vorsieht. Nachdem es rechtlich jedoch keinen Unterschied macht, ob der Beigeladene Ziff. 1 über 140 oder 180 Stimmen verfügt, ist dem Vorbringen der Klägerin diesbezüglich nicht weiter nachzugehen.
     
    38 
     
    Mindestens bis zum 31.12.2017 ‒ also für den gesamten vorliegend streitigen Zeitraum ‒ sah § 12 Abs. 2 GV vor, dass Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich mit einfacher Mehrheit getroffen werden. Lediglich soweit es „Grundstücksgeschäfte“, den „Abschluss von Mietverträgen über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren oder die Verlegung der Geschäftsräume“ und die „Aufnahme neuer Gesellschafter“ anbelangte, war nach § 12 Abs. 4 GV eine Mehrheit von ¾ der abgegebenen Stimmen vorgesehen. Eine Änderung des Gesellschaftervertrags oder eine Änderung der Geschäftsführerverträge war nur einstimmig möglich, § 12 Abs. 3 GV und § 13 Abs. 3 GV. Anders als die Klägerin glaubt, folgt hieraus jedoch offenkundig, dass bis zum 31.12.2017 allein der Gesellschafter A umfassenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft hatte. Er allein verfügte mit einem Anteil von 55 % der abzugebenden Stimmen über die erforderliche Mehrheit, in den nicht enumerativ genannten Fällen eine ihm genehme Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen. In allen Fällen, in denen der Gesellschaftsvertrag eine qualifizierte Mehrheit (3/4, Einstimmigkeit) vorgesehen war, verfügte er aufgrund seines Stimmanteils über die Rechtsmacht zur Verhinderung entsprechender Beschlüsse. Der Beigeladene Ziff. 1 war aufgrund seines Stimmanteils selbst mit der weiteren Gesellschafterin C nicht zur Verhinderung einfacher Beschlüsse i.S.v. § 12 Abs. 2 GV in der Lage und konnte somit auf die Geschicke der Klägerin gerade keinen entscheidenden Einfluss nehmen. Er konnte zwar Änderungen des Gesellschaftsvertrags und seines Geschäftsführervertrags ebenso verhindern wie Grundstücksgeschäfte, den Abschluss von Mietverträgen bestimmter Dauer, die Verlegung der Geschäftsräume und die Aufnahme weiterer Gesellschafter. Er konnte jedoch nicht die täglich anfallenden Entscheidungen der Klägerin auch im Konfliktfall mitbestimmen. Es wäre im Konfliktfall allein dem Mehrheitsgesellschafter A möglich gewesen, gegen den Willen der anderen Gesellschafter eine Gesellschafterversammlung einzuberufen, die jedenfalls nach Einhaltung einer Nachfrist in jedem Fall beschlussfähig gewesen wäre, und dort dezidierte Weisungen zum alltäglichen Geschäftsbetrieb zu erteilen. Zur Ausführung einer solchen Weisungen wäre der Beigeladene Ziff. 1 nach § 6 Abs. 1 S. 1 des ihn betreffenden Geschäftsführervertrags verpflichtet gewesen. Im Fall der fortgesetzten Weigerung hätte nach § 38 Abs. 2 S. 2 GmbHG wegen grober Pflichtverletzung ein Widerruf der Bestellung aus wichtigem Grund gedroht, wobei eine solche vertraglich nicht abgedungen werden kann und der Beigeladene Ziff. 1 hier wegen § 47 GmbHG nicht stimmberechtigt gewesen wäre (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. März 2019 ‒ L 8 KR 142/17 ‒, Rn. 29, juris m.w.N. zur Rechtsprechung des BGH). Nach § 6 Abs. 2c GV hätte im Übrigen flankierend die Einziehung der Gesellschaftsanteile betrieben werden können. Dies verdeutlicht zur Überzeugung der Kammer, dass der Beigeladene Ziff. 1 gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter A unter Berücksichtigung des rechtlichen Rahmens weisungsgebunden gewesen ist. Soweit die Klägerin aus der in § 13 Abs. 5 geregelten Alleinvertretungsbefugnis des Beigeladenen Ziff. 1 und der Möglichkeit zur Verhinderung einer entsprechenden Änderung ableiten will, dass der Gesellschaftsvertrag von zwei absolut gleichberechtigten Gesellschaftern ausgehe, kann dem bereits deshalb nicht gefolgt werden, weil dann differenzierte Regelung zur Stimmmehrheit (einfache Mehrheit für bestimmte Fälle, ¾-Mehrheit in anderen Fällen und Einstimmigkeit in wieder anderen Fällen) entbehrlich gewesen wäre. Vielmehr wäre der Gesellschaftsvertrag dann bereits damals ausgestaltet worden, wie es nun im Jahr 2018 nachgeholt wurde. Eine Auslegung, nach der weite Teile des Gesellschaftsvertrags überflüssig würden, verbietet sich aus Sicht der Kammer. Vielmehr ist davon auszugehen, dass zwischen der Alleinvertretungsbefugnis als Geschäftsführer und dem Mitspracherecht als Gesellschafter bewusst und gewollt differenziert und dem Beigeladenen Ziff. 1 auf Gesellschafterebene mit Absicht ein geringerer Einfluss eingeräumt worden ist. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch der angestellte Fremdgeschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung in aller Regel alleinvertretungsbefugt ist, ohne dass dies seine Anstellung in Frage stellen würde. Dies zeigt, dass die Alleinvertretungsbefugnis (im Außenverhältnis) von einer Weisungsgebundenheit gegenüber der Gesellschafterversammlung (im Innenverhältnis) strikt zu trennen ist und dass aus einer Alleinvertretungsbefugnis im Außenverhältnis nicht notwendig auf eine Weisungsfreiheit im Innenverhältnis geschlossen werden kann.
     
    39 
     
    5.) Anders als die Klägerin vorbringen lässt, ist die Kammer davon überzeugt, dass die Regelung im GV, wonach ein qualifiziertes Stimmenerfordernis (3/4-Mehrheit, Einstimmigkeit) für Teilbereiche erforderlich ist, faktisch mit einer eingeschränkten Sperrminorität gleichzusetzen ist und dass die danach bestehende Rechtsmacht gerade nicht für die Annahme einer Selbständigkeit ausreicht. Das BSG hat in seinem Urteil vom 14. März 2018 (Az. B 12 KR 13/17 R -, juris Rn. 21) ausdrücklich klarstellt, dass ein Gesellschafter, der nicht zugleich mindestens 50 % der Anteile am Stammkapital hält, grundsätzlich abhängig beschäftigt ist. Eine Ausnahme könne nur dann gelten, wenn eine umfassende ("echte" oder "qualifizierte"), also die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität, eingeräumt ist. Das Wort „grundsätzlich“ bezieht sich dabei nach Einschätzung der Kammer ausschließlich auf eine Kapitalbeteiligung von 50 %, denn auch eine niedrigere Kapitalbeteiligung kann ausnahmsweise ausreichen, wenn der Gesellschaftsvertrag in Abweichung von § 47 Abs. 1 GmbHG (einfache Mehrheitsentscheidung) qualifizierte Stimmmehrheiten statuiert, die eine Entscheidung gegen einen Minderheitengesellschafter ausschließen. Andererseits kann auch eine Kapitalbeteiligung von 50 % ausnahmsweise nicht die benötigte Rechtsmacht vermitteln, wenn die Regelungen des Gesellschaftsvertrags bei zwei Gesellschaftern mit jeweils 50 % Anteilen am Stammkapital und daraus resultierender Stimmgleichheit abweichend von § 47 Abs. 1 GmbHG der Stimme des älteren Gesellschafters das ausschlaggebende Gewicht zukommen lässt (Ancietätenkausel).
     
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    6.) Die Kammer stellt zuletzt klar, dass nach ihrer Auffassung aus § 1 Abs.1 S. 2 des Geschäftsführervertrags des Mehrheitsgesellschafters A, wonach dieser ausdrücklich nicht Dienstvorgesetzter des Beigeladenen Ziff. 1 ist, nicht die Selbständigkeit des Beigeladenen Ziff. 1 abgeleitet werden kann. Diese Regelung zeigt allenfalls, dass der Beigeladene Ziff. 1 die Weisungen des A nicht allein aufgrund dessen Stellung als weiterer Geschäftsführer befolgen muss. Der Passus stellt insoweit damit klar, dass es sich bei den Geschäftsführern um gleichberechtigt von der Beschränkung des § 181 BGB befreite alleinvertretungsbefugte Geschäftsführer handelt. Das Verhältnis des Beigeladenen Ziff. 1 gegenüber Beschlüssen der Gesellschafterversammlung wird durch seine Stellung als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer jedoch gerade nicht tangiert. Der Mehrheitsgesellschafter A ist damit zwar nicht kraft seiner Stellung als weiterer Geschäftsführer, wohl aber nach dem im Gesellschaftsvertrag festgehaltenen Stimmproporz mit wenigen Ausnahmen zur Erteilung von Weisungen an den Beigel. Ziff. 1 befugt und auch zur Durchsetzung derselben gegen dessen Willen in der Lage (s.o.).
     
    41 
     
    7.) Die sich so ergebende Rechtsmacht ist derart beachtlich, dass es auf weitere Aspekte nicht ankommt. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer wie der Beigeladene Ziff. 1 ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig (BSG, Urteil vom 14. März 2018 ‒ B 12 KR 13/17 R ‒, a.a.O. Rn. 21), die Einbringung der eigenen Arbeitsleistung versteht sich bei einem Geschäftsführer von selbst. Die dienende Teilhabe am Arbeitsprozess und Einbindung in den Betrieb der Klägerin steht für die erkennende Kammer aufgrund der Ausgestaltung des Geschäftsführervertrags des Beigeladenen Ziff. 1 außer Frage.
     
    42 
     
    8.) Wegen der Höhe der Nachforderung ‒ gegen welche die Klägerin keine substantiierten Einwendungen erhoben hat, wird auf die zutreffenden Ausführungen im Ausgangsbescheid vom 02.02.2018 verweisen, welchen die Kammer nach § 131 Abs. 3 SGG folgt.
     
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    9.) Nachdem abhängige Beschäftigung vorliegt, ist für die begehrte Feststellung kein Raum.
     
    44 
     
    10.) Der Umstand, dass nach dem Urteil des BSG vom 29.7.2015 (Az. B 12 KR 23/13 R) die sog "Kopf und Seele"-Rechtsprechung im Rahmen von Statusbeurteilungen keine Bedeutung mehr hat, begründet für die Zeit vor dieser Entscheidung keinen Vertrauensschutz (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2017 ‒ L 10 R 1637/17 ‒, juris). Entscheidungen oberster Gerichte, die vornehmlich zur grundsätzlichen Auslegung und Weiterentwicklung des Rechts berufen sind, wirken zwar über den entschiedenen Einzelfall hinaus als ‒ freilich nur richtungsweisendes ‒ Präjudiz für künftige Fälle. Die höchstrichterliche Rechtsprechung erzeugt aber keine dem Gesetzesrecht gleichkommende Rechtsbindung. Weder sind die unteren Gerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden, noch sind es die obersten Gerichte selbst. Kein Prozessbeteiligter kann daher darauf vertrauen, der Richter werde stets an einer bestimmten Rechtsaufassung aus der bisherigen Judikatur festhalten. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Entscheidungen kann daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände entstehen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 05. November 2015 ‒ 1 BvR 1667/15 ‒; juris Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. Dezember 2018 ‒ L 12 BA 23/18 B ER ‒, Rn. 31, juris). Für weitere Umstände, die die Annahme von Vertrauensschutz rechtfertigen könnte, ist bereits deshalb nichts ersichtlich, weil gerade für Betriebsprüfungen anerkannt ist, dass diese lediglich für die ihnen zu Grunde liegenden Teilzeiträume Regelungen zu Versicherungspflicht und Beitragshöhe einzelner (stichprobenartig geprüfter) Arbeitnehmer zulassen. Das Bundessozialgericht hat wiederholt ausgeführt, dass sich eine materielle Bindungswirkung eines Betriebsprüfungsbescheids lediglich insoweit ergeben kann, als Versicherungs- und daraus resultierende Beitragspflicht personenbezogen für einen abgeschlossenen Zeitraum durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden (vgl. BSG, Urteil vom 18. November 2015 ‒ B 12 R 7/14 R ‒, Rn. 18, juris). An einer Nacherhebung für andere Personen oder einer abweichenden Beurteilung bzw. Korrektur fehlerhafter Einschätzungen im Folgezeitraum ist die Beklagte deshalb bereits aufgrund der Regelungswirkung eines früheren Prüfbescheids nicht gehindert. Entsprechend ist die Kammer der Auffassung, dass auch eine tatsächlich überhaupt nicht gegebene (s.o.) langjährige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ohne Hinzutreten erheblicher weiterer Gründe, für die vorliegend nichts spricht, keinen Vertrauensschutz vermitteln könnte.

    B.)
     
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    Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).