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  • 21.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231363

    Vergabekammer Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 12.07.2022 – VK 3-24/22

    1. Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift wie etwa ein Erlass keine vergaberechtliche Relevanz in einem Nachprüfungsverfahren, die Gegenstand einer vergaberechtlichen Prüfung sein kann.

    2. Die Kostenschätzung kann zwar, sofern Umstände und Erkenntnisse dies erfordern, während des Vergabeverfahrens aktualisiert werden. Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor Eingang der Angebote abschließend durchgeführt werden.

    3. Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein. Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.

    4. Die Unauskömmlichkeit eines Angebots hat nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge. Auch ist – wie teilweise in der Fachliteratur und Judikatur geschehen – Unauskömmlichkeit nicht mit Unangemessenheit gleichzusetzen. So spricht der BGH etwa ausdrücklich und ausschließlich von „Unangemessenheit“ bzw. „unangemessen niedrigen Preisen“ (vgl. Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16).

    5. Aus der Erklärung eines Bieters, die Leistung nicht (mehr) auskömmlich erbringen zu können, folgt nicht zwingend das Vorliegen eines Angebots mit einem unangemessen niedrigen Preis, das ausgeschlossen werden kann oder muss. Andernfalls hätte es der Bieter durch die Abgabe einer solchen Erklärung in der Hand, sich nach Angebotsabgabe und während der Bindefrist von seinem Angebot zu lösen.

    6. Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 m. w. N.).

    7. Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 sowie Beschluss vom 07.09.2003, VII-Verg 26/03 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2008, VK 30/08).


    Vergabekammer Westfalen

     
    Tenor:

    1. Es wird festgestellt, dass der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin vergaberechtswidrig war und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
    2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren vollständig in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, die beteiligten Bieter des Vergabeverfahrens erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und dabei die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.
    3. Die Kosten des Verfahrens werden auf               Euro festgelegt.
    4. Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen als Gesamtschuldner die Verfahrensgebühr und die Aufwendungen der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

    1
    Gründe

    2
    I.

    3
    Der Antragsgegner schrieb im offenen Verfahren durch Bekanntmachung vom 28.01.2022 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union unter der Nummer 2022/S 020-045419 Rohbauarbeiten im Rahmen der Sanierung und Neubaus eines Polizeipräsidiums aus. Der Antragsgegner bedingte sich aus, Fragen zur Ausschreibung bis zum 25.02.2022 zu beantworten. Die Angebotsfrist lief bis zum 04.03.2022, 9 Uhr. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis. Bereits im November 2021 führte der Antragsgegner eine Kostenschätzung durch. Angaben zum geschätzten Gesamtwert finden sich in der Auftragsbekanntmachung unter Ziffer II.1.5 oder an anderer Stelle jedoch nicht.

    4
    Neben der Antragstellerin und der Beigeladenen gaben noch vier weitere interessierte Unternehmen Angebote ab. Mit Ablauf der Angebotsfrist am 04.03.2022 fand die Submission statt. Ausweislich des Submissionsergebnisses reichte die Antragstellerin das günstigste Angebot ein. Das Angebot der Beigeladenen lag um etwa 20 % höher.

    5
    Am 24.02.2022 begannen Kampfhandlungen zwischen der russischen Föderation und der Ukraine. Mit Schreiben vom 14.03.2022 teilte die Antragstellerin mit, dass sie auf Grund der mit den Kampfhandlungen verbundenen Preissteigerungen nur indexbasierte Preise auf Monatsbasis von ihren Lieferanten erhalten würden und bat vor diesem Hintergrund um ein „Aufklärungsgespräch“, um die Sachlage zu erörtern und einen Lösungsweg zu finden.

    6
    Nachdem der Antragsgegner zunächst dem Aufklärungsgespräch zugestimmt hat, sagte er dieses ab und kündigte eine „Aufklärung zur Auskömmlichkeit der Angebote“ an.

    7
    Ausweislich des Vergabevermerks stellte der Antragsgegner fest, dass seine bisherige Kostenschätzung nicht mehr zutreffend sei. So heißt es im Vergabevermerk vom 01.04.2022:

    8
    „Das Schätzpreis-LV zur Ausschreibung wurde im November 2021 bepreist und basiert auf den Erfahrungswerten vergleichbarer, abgeschlossener Baumaßnahmen. Bereits während des Vergabeverfahrens vor Submission war festzustellen, dass sich die Marktsituation durch Unsicherheit und inflationäre Tendenzen kennzeichnete. Ein Bezug zwischen Schätzpreis-LV und Submissionsergebnis konnte daher schon nicht mehr geschaffen werden. Die Submission fand am 04.03.2022 statt und somit 6 Arbeitstage nach Beginn des Ukraine-Kriegs. Aufgrund der im Anschluss verhängten weltweiten Sanktionen wurde in den folgenden Tagen deutlich, dass die Kosten vieler Baustoffe aus den Bereichen Roheisen, Baustahl, Bitumen und Kunststoffprodukte aber auch die Energiekosten extrem steigen. Zudem zeichnete sich ab, dass die Materialverfügbarkeit sich verknappen und somit eine weitere Verteuerung zu erwarten sei. Aufgrund dieser Erkenntnisse und Erwartungen, aber auch unter Würdigung des Fachartikels IBROnline: IBR2022, 2466 vom 17.03.2022, welcher explizit darauf hinweist, dass seitens der öffentlichen Auftraggeber Aufklärungspflichten hinsichtlich Angebotspreise und deren Auftragstermine gegenüber den Bietern besteht, wurde entschieden, in einem ersten Schritt das Leistungsverzeichnis neu zu bepreisen. Dieses erfolgte auf Basis der aktuellen Erkenntnisse, aus diesem Projekt aber auch vor den aktuellen Submissionsergebnissen des Gewerkes Rohbau für ein Projekt des BLB C ((…), Neubau Küche (…)). Die neue Kostenberechnung des Rohbau-LVs erfolgte zum 21.03.2022.“

    9
    Die zum 21.03.2022 erfolgte Kostenschätzung fiel um mehr als 50 % höher aus als die im November durchgeführte Kostenschätzung.

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    Über das entsprechende Vergabeportal erhielten die Bieter am 24.03.2022 folgende Anfrage:

    11
    „Sehr geehrte Damen und Herren,

    12
    wir möchten Sie bitten, uns die Auskömmlichkeit Ihres Angebots schriftlich zu bestätigen. Diese Bestätigung ist        auf Ihrem Briefpapier zu erstellen und zu unterschreiben. (…)“

    13
    Sowohl die Antragstellerin als auch der zweit- und drittplatzierte Bieter gaben keine Bestätigung ab.

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    Mit Schreiben vom 26.04.2022 teilte der Antragsgegner mit, dass das Angebot der Antragstellerin nicht in die engere Wahl komme und das Angebot der Beigeladenen den Zuschlag erhalten solle. Der Antragsgegner begründete seine Entscheidung damit, dass das Angebot der Antragstellerin einen unangemessen niedrigen Preis aufweise.

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    Mit Schreiben vom 27.04.2022 rügte die Antragstellerin die Auswahlentscheidung und bat um Abhilfe. Sie verwies insbesondere auf das Schreiben des Ministeriums für Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19.04.2022 (nachfolgend „Ministeriumsschreiben“) sowie auf den Erlass des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen vom 25.03.2022 (nachfolgend „Erlass“). Darin sei geregelt, dass laufende Vergabeverfahren, bei denen es noch zu keiner Zuschlagserteilung gekommen sei, in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt und mit Stoffpreisgleitklauseln versehen werden müssten.

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    Der Antragsgegner teilte mit Schreiben vom 03.05.2022 mit, dass er der Rüge nicht abhelfen werde. Das Angebot der Antragstellerin sei wegen Unauskömmlichkeit gemäß § 16d Absatz 1 Nummer 1 EU VOB/A zwingend auszuschließen gewesen. Darüber hinaus sei die Antragstellerin im Falle eines Nachprüfungsverfahrens auch nicht antragsbefugt, weil nur die Nichtbeachtung von Vergaberechtsvorschriften geltend gemacht werden könnten. Bei dem maßgeblichen Erlass und dem Schreiben handele es sich lediglich um Regelungen außerhalb des Vergaberechts.

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    Nachdem der Antragsgegner der Rüge nicht abhalf, stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Nachprüfung.

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    Zu Beginn des Nachprüfungsverfahrens wies die Kammer darauf hin, dass sie dem Ministeriumsschreiben und dem Erlass keine unmittelbare vergaberechtliche Relevanz im Sinne des § 164 GWB zumesse. Allerdings äußerte die Kammer erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsgegner noch dem Gebot des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A entsprochen habe. Darüber hinaus wies die Kammer darauf hin, dass die Prüfung von Angeboten Mittels einer neuen Kostenschätzung, die auf Grund unerwarteter Ereignisse nach Angebotsabgebe im offenen Verfahren erhoben wurde, Missbrauchspotentiale aufweise und daher vergaberechtswidrig sein dürfte. Ob die bloße Rückversetzung in den Stand vor Angebotsabgabe ausreiche, um das Verfahren vergaberechtsfehlerfrei weiterführen zu können oder ob zwingend Stoffpreisgleitklausen vereinbart werden müssten, sei jedenfalls zum Zeitpunkt des Hinweises Sache des Antragsgegners. In jedem Falle stelle eine Zurückversetzung kein Verstoß gegen § 15 Absatz 3 EU VOB/A dar, wonach nicht nachträglich über Angebote verhandelt werden dürfe. Denn die Bieter hätten im Falle der Rückversetzung die Möglichkeit, gänzlich neue Angebote einzureichen.

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    Die Antragstellerin hat vorgetragen, dass sie antragsbefugt sei. Sie habe sich an der Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt, dass ausweislich des Submissionsergebnisses den ersten Platz belegt habe. Die „beabsichtigte Nichtberücksichtigung“ ihres Angebots sowie der geplante Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen verletzten ihr Rechtsschutzinteresse.

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    Sie trägt ‒ zunächst ‒ weiterhin vor, dass das Ministeriumsschreiben und der Erlass unmittelbare Vergaberechtsrelevanz zeitigten und daher als Vergaberecht verstanden werden könnten. Sie seien Ausdruck allgemeiner vergaberechtlicher Grundsätze des freien Wettbewerbs und der Nichtdiskriminierung.

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    Darüber hinaus habe der Antragsgegner gegen § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A verstoßen, indem er nicht ‒ wie im Erlass vorgesehen ‒ Stoffpreisgleitklauseln vereinbart habe. Denn zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe war die Preisentwicklung wesentlicher Baumaterialien nicht zu kalkulieren. Insbesondere ändere sich an der Unzulässigkeit dieses Vorgehens nichts, nur weil der Auftraggeber auf die fehlenden Stoffpreisgleitklauseln hingewiesen habe. Sie würde ‒ unterstellt es würden Stoffpreisgleitklauseln vereinbart ‒ an ihrem bisherigen Angebot festhalten.

    22
    Zudem sei die von dem Antragsgegner durchgeführte Preisaufklärung fehlerhaft und in der Sache überhaupt keine Preisaufklärung. So hätten die Bieter lediglich die Möglichkeit erhalten, durch Bestätigung der Auskömmlichkeit am Angebot festzuhalten oder eben die Auskömmlichkeit zu verneinen. Der Antragsgegner habe im Rahmen seiner Preisaufklärung überhaupt nicht um Unterlagen gebeten, anhand derer er eine vertiefte Preisprüfung hätte vornehmen können. Deshalb habe der Antragsgegner gar keinen unangemessen niedrigen Angebotspreis feststellen können.

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    Im Ergebnis müsse daher das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt und Stoffpreisgleitklauseln vereinbart werden. Hier liege auch kein Verstoß gegen § 15 Absatz 3 EU VOB/A, da nicht über bereits bestehende Angebote nachverhandelt werde, sondern den Bietern die Möglichkeit eingeräumt würde, neue Angebote einzureichen.

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    Sie beantragt daher,

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    1. den Antragsgegner anzuweisen, das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen,

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    2. dem Antragsgegner die Kosten des Verfahrens einschließlich der zu der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen aufzuerlegen und

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    3. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.

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    Der Antragsgegner beantragt,

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    den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

    30
    Er trägt vor, dass es der Antragstellerin bereits an der Antragsbefugnis fehle.

    31
    Außerdem handele es sich bei dem Ministeriumsschreiben und dem Erlass um Normen außerhalb des Vergaberechts, deren Beachtung bzw. Nichtbeachtung nicht Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sei könnten. Im Übrigen seien die im Erlass getroffenen Regelungen auch nicht bieterschützend. Erklärtermaßen sollten „Streitigkeiten bei der Bauausführung“ vermieden werden. Es gehe also erkennbar darum, reibungsfreie Bauabläufe sicherzustellen und personelle und zeitliche Ressourcen des Auftraggebers zu schützen. Außerdem ändere die Anwendung einer indexbasierten Stoffpreisgleitklausel nicht die Unauskömmlichkeit des Angebots der Antragstellerin, da sich dadurch der Grundpreis nicht ändere.

    32
    Darüber hinaus habe er die Entscheidung über den Zuschlag am 11.04.2022 und damit zu einem Zeitpunkt getroffen, in dem die Anwendung weder des Ministeriumsschreibens noch des Erlasses verpflichtend gewesen seien.

    33
    Im Übrigen sei es einigen Bietern möglich gewesen, bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe etwaige Mehrkosten zu kalkulieren. Dieser Umstand spreche gegen die Annahme eines ungewöhnlichen Wagnisses. Außerdem dürfte ein ungewöhnliches Wagnis nur nicht innerhalb der Leistungsbeschreibung übertragen werden. Vorliegend seien aber lediglich Preise betroffen. Außerdem seien bereits seit der Coronokrise Preissteigerungen zu verzeichnen. Das Preisrisiko obliege grundsätzlich dem Bieter, hieran ändere auch die Konfliktsituation zwischen der russischen Föderation und der Ukraine nichts.

    34
    Auch lösten die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln gerade keine kalkulatorischen Probleme. Vielmehr hätten die jüngsten Erfahrungen gezeigt, dass Auftragnehmer eine solche Klausel ob ihrer Komplexität gerade nicht vereinbaren wollten.

    35
    Weiterhin habe die durchgeführte Preisaufklärung ergeben, dass das Angebot der Antragstellerin unangemessen niedrig sei. Insoweit sei ein Ausschluss zwingend. Auch sei die Preisaufklärung ordnungsgemäß durchgeführt worden. Denn die Aufforderung, die Auskömmlichkeit des Angebotspreises zu bestätigen, sei als Aufforderung zur Darlegung der Auskömmlichkeit zu verstehen. Den Bietern habe die Gelegenheit gegeben werden sollen, ihre Preise darzulegen, eine kurze Erklärung ohne nähere Angaben abzugeben oder einen unzumutbaren Vertragsschluss zu verhindern. Die durchgeführte schlichte Abfrage der Auskömmlichkeit sei im Rahmen der Preisprüfung und Aufklärung zulässig, da sie ein Weniger darstelle.

    36
    Auch sei die Prüfung der Angebote anhand der zweiten, nach Angebotsabgabe durchgeführten Kostenschätzung nicht zu beanstanden. In Fällen, in denen eine ursprüngliche Kostenschätzung für die Bewertung der Angebote nicht mehr zuverlässig herangezogen werden könne, müsse der öffentliche Auftraggeber eine neue Kostenschätzung vornehmen. Dies habe der Antragsgegner vorliegend getan. Zudem könne es nicht sein, dass der Antragsgegner an eine nun nicht mehr aktuelle oder fehlerhafte Kostenschätzung weiterhin gebunden sei.

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    Die Entscheidung, keine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens vorzunehmen, sei daher vergaberechtlich nicht zu beanstanden.

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    Mit Beschluss vom 18.05.2022 wurde die Beigeladene dem Verfahren beigeladen.

    39
    Sie beantragt,

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    1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen und

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    2. festzustellen, dass die Hinzuziehung der anwaltlichen Bevollmächtigung der Beigeladenen notwendig ist.

    42
    Sie ist der Ansicht, dass die Antragstellerin ein ungewöhnlich niedriges Angebot abgab und daher ihr Ausschluss vergaberechtskonform erfolgte. So habe die Antragstellerin gerade keine Nachweise der „Seriosität des Angebots“ ‒ wie vom EuGH gefordert ‒ abgegeben. Die Aufklärung genüge auch den Anforderungen des § 15 Absatz 1 Nummer 1 EU VOB/A. Umfang und Aufwand der Preisaufklärung müssten sich für den Auftraggeber in Grenzen halten, Ziel sei der rasche Abschluss des Vergabeverfahrens. Daher sei die Abfrage einer pauschalen Erklärung ausreichend. Darüber hinaus seien weder der Wettbewerbsgrundsatz, noch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt. Alle Bieter hätte bis zur Angebotsabgabe die Möglichkeit gehabt, die voraussehbaren Preissteigerungen einzukalkulieren. Da alle Bieter zur Auskömmlichkeit befragt wurden, wahrte der Antragsgegner auch den Gleichbehandlungsgrundsatz. Ein Anspruch auf Zurückversetzung des Vergabeverfahrens ergebe sich auch nicht aus dem Ministeriumsschreiben in Verbindung mit dem Erlass. Zwar sei der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet, da im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Erlasses das Vergabeverfahren noch nicht durch Zuschlag beendet gewesen sei. Allerdings stelle das Ministeriumsschreiben und der Erlass keine Vergaberechtsnorm da, deren Verletzung die Antragstellerin in einem Nachprüfungsverfahren geltend machen könne. Außerdem seien sowohl das Ministeriumsschreiben als auch der Erlass nicht bieterschützend. Vielmehr schützten sie den öffentlichen Auftraggeber vor Streitigkeiten bei der Bauausführung. Im Übrigen würde die Abgabe neuer Angebote gegen § 15 Absatz 3 EU VOB/A verstoßen, wonach ein Nachverhandeln grundsätzlich ausgeschlossen sei.

    43
    Sie weist insbesondere daraufhin, dass ausweislich des jüngsten Erlasses des Bundes vom 22.06.2022 der öffentlichen Auftraggeber bei bestehenden Verträgen, und hierunter falle auch der gegenständliche Auftrag, ein Ermessen dahingehend habe, ob eine Stoffpreisgleitklausel vereinbart werde oder nicht. Eine Pflicht hierzu bestünde mithin nicht. Insoweit sei es auch vor dem Hintergrund des Erlasses zulässig gewesen, dass der Antragsgegner keine Stoffpreisgleitklausel vereinbart habe. Eine Zurückversetzung des Vergabeverfahren, um dann Stoffpreisgleitklauseln in die Verträge aufzunehmen, sei deshalb nach den zuletzt veröffentlichen Erlassen für öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtend. Vielmehr werde darin klargestellt, dass ein Wahlrecht zum Umgang mit solchen Konstellationen bestehe.

    44
    Darüber hinaus würde die Vereinbarung einer Stoffgleitpreisklausel keine Abhilfe schaffen. Insbesondere sei das hierfür zu verwenden Formblatt 225 vollkommen ungeeignet und nicht praxistauglich. Vielmehr sei der sinnvollere Weg, im Laufe der Vertragsausführung Preisanpassungen über § 313 BGB zu steuern.

    45
    Die Beiladung erfolgte am 18.05.2022. Die Frist für die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 167 Absatz 1 GWB wurde bis zum 31.008.2022 verlängert. Am 01.07.2022 hat eine mündliche Verhandlung in den Räumen der Vergabekammer Westfalen stattgefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Vergabeunterlagen und die Niederschrift aus der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

    46
    II.

    47
    Der Nachprüfungsantrag ist zulässig (nachfolgend unter 1.) und begründet (nachfolgend unter 2.).

    48
    Die Vergabekammer Westfalen ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vorgangs gemäß § 159 Absatz 3 GWB i.V.m. § 2 Absatz 1 VK ZuStV NRW örtlich zuständig. Auch ist die Vergabekammer Westfalen sachlich zuständig. Der streitgegenständliche Auftrag übersteigt den maßgeblichen Schwellenwert ausweislich der von dem Antragsgegner durchgeführten Kostenschätzung bei weitem und unterfällt dem Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB.

    49
    Nach § 160 Absatz 2 GWB hat der Antragsteller im Rahmen seines Nachprüfungsantrages darzulegen, dass er (i.) in seinen Rechten nach § 97 Absatz 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt ist und (ii.) ihm dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Ausgehend von der Funktion der Antragsbefugnis im Sinne eines „groben Filters“ sollen nur solche Anträge aus der Zulässigkeitsebene „ausgesiebt“ werden, die offensichtlich unzulässig sind (vgl. schon und statt vieler OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.08.2012, VII-Verg 10/12). Sinn und Zweck der Regelung des § 160 GWB ist zu verhindern, dass ein Bieter, der auch bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren keine Zuschlagschancen hat oder dem kein Schaden droht, kein zuschlaghemmendes Nachprüfungsverfahren einleiten kann (vgl. BT-Drs. 13/9340).

    50
    Deswegen ist erforderlich, dass der Antragsteller das Interesse am Auftrag und eine Verletzung seiner Rechte nach § 97 Absatz 6 GWB sowie den eingetretenen Schaden schlüssig aufzeigt (vgl. hierzu grundlegend BGH, Beschluss vom 10.11.2009, X ZB 8/09 und Beschluss vom 31.01.2017, X ZB 10/16 m.w.N). Mit der Schlüssigkeit im vergaberechtlichen Sinne ist damit allerdings nicht die in einem Zivilprozess gemeinte Schlüssigkeit zu verstehen. Vielmehr ist dieser Begriff untechnisch gemeint, der einen weiteren Anwendungsbereich umfasst und dem heute herrschenden Möglichkeitsbegriff im Rahmen des § 42 Absatz 2 VwGO entspricht (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 01.09.2021, 17 Verg 2/21). Es genügt, wenn ein Schadenseintritt durch die geltend gemachte Rechtsverletzung ursächlich und nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. statt vieler BGH, Beschluss vom 10.11.2009, X ZB 8/09).

    51
    Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe ihres Angebots zum Ausdruck gebracht. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sie im weiteren Vergabeverfahren nach Einreichung ihres Angebots die Auskömmlichkeit nicht, wie vom Antragsgegner verlangt, bestätigt hat. Die Antragstellerin greift diesen Umstand mit ihrem Nachprüfungsantrag an. Ihr Interesse entfällt auch nicht durch den von dem Antragsgegner vorgebrachten Ausschluss ihres Angebots, da dieser von der Antragstellerin im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens angegriffen und deshalb im Rahmen der Begründetheit zu überprüfen ist.

    52
    Die Antragstellerin hat die Vorgehensweise des Antragsgegners insoweit gerügt und beanstandet diesen aus ihrer Sicht bestehenden Vergaberechtsverstoß nunmehr im Nachprüfungsverfahren. Darüber hinaus hält sie die fehlende Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln für vergaberechtswidrig. Sie macht damit Verstöße gegen das Vergaberecht geltend. Ihr droht auch im Sinne des § 160 Absatz 2 GWB der Eintritt eines Schadens, da durch den als vergaberechtswidrig bewerteten Angebotsausschluss und die nicht vereinbarte Stoffpreisgleitklausel oder anderer, gleichwirksamer Maßnahmen die Gefahr besteht, dass sie ihre Bestplatzierung verliert.

    53
    Die Antragstellerin hat fristgemäß nach § 160 Absatz 3 GWB auf die vom Antragsgegner zurückgewiesene Rüge einen Nachprüfungsantrag bei der Kammer eingereicht.

    54
    2. Der Nachprüfungsantrag ist begründet.

    55
    Zwar entfalten weder das Ministeriumsschreiben, noch der Erlass eine bindende vergaberechtliche Wirkung, deren Einhaltung Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens sein kann (nachfolgend unter a.). Allerdings ist der Ausschluss des Angebots der Antragstellerin aus anderen Gründen vergaberechtswidrig. Die zweite vom Antragsgegner vorgenommene Kostenschätzung ist nicht geeignet, zur Prüfung der Preisangemessenheit der Angebote herangezogen zu werden. Außerdem entspricht das Vorgehen des Antragsgegners nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Preisprüfung und Preisaufklärung (nachfolgend unter b.). Darüber hinaus führen die fehlende Vereinbarung von Stoffpreisgleitklausen oder anderer, gleichwirksamer Maßnahmen zu einer Aufbürdung eines ungewöhnlichen Wagnisses zu Lasten der Antragstellerin (nachfolgend unter c.).

    56
    a.) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin handelt es sich bei dem Regelungsgehalt des Ministeriumsschreibens sowie des Erlasses nicht um Vergabevorschriften, deren Verletzung gemäß § 160 Absatz 2 GWB geltend gemacht werden können. Zwar ist in zeitlicher Hinsicht der Anwendungsbereich des Ministeriumsschreibens und des Erlasses eröffnet. Mit dem Schreiben vom 19.04.2022 kommt der Erlass vom 25.03.2022 unmittelbar zu Anwendung. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist das Vergabeverfahren am 19.04.2022 noch nicht beendet. Zwar mag der Antragsgegner vor dem 19.04.2022 die Angebotswertung durchgeführt und intern eine Entscheidung über die Auswahl des Zuschlagsdestinatärs getroffen haben. Dieser Entscheidung kommt allerdings keine vergaberechtliche Relevanz im Hinblick auf die Beendigung des Vergabeverfahrens zu. Maßgeblich kann insoweit die Vorabinformation oder der tatsächliche Zuschlag sein. Auf welchen Zeitpunkt es genau ankommt, muss allerdings nicht abschließend entschieden werden. Denn die Vorabinformation gemäß § 134 GWB als frühestmöglicher Zeitpunkt zur Beendigung des Vergabeverfahrens wurde am 26.04.2022 ‒ und damit nach Anwendungsbeginn des Erlasses ‒ versandt.

    57
    Ungeachtet seines Inhalts entfaltet eine inneradministrativ wirkende Vorschrift allerdings keine vergaberechtliche Relevanz in einem Nachprüfungsverfahren (vgl. Dörr, in Burgi/Dreher/Opitz (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 Rn. 25). Zwar mag man ‒ eine bestimmte Lesart unterstellt ‒ zu der Auffassung gelangen, dass ausweislich des Erlasses zwingend Stoffpreisgleitklauseln für Vergabeverfahren, die noch nicht durch Zuschlag beendet wurden, vereinbart werden müssen. Hierfür sprechen etwa die Ausführungen im Ministeriumsschreiben, in dem es heißt:

    58
    „(…) finden die bis zum 30 Juni 2022 befristeten Regelungen und Hinweise nach dem [Erlass] für den Landeshochbau entsprechend Anwendung.“

    59
    Insoweit dürfte den adressierten Vergabestellen ‒ jedenfalls durch diesen Erlass ‒ kein Ermessen eingeräumt werden, den Erlass nicht umzusetzen. Allerdings vermag der Erlass kein zwingendes Vergaberechtsgebot mit Außenwirkung zu statuieren, deren Nichtbefolgung im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens geltend gemacht werden kann. Es handelt sich insoweit um eine rein verwaltungsinterne Anweisung, die allenfalls auf dem allgemeinen Verwaltungsrechtsweg überprüft werden kann. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass im laufenden Nachprüfungsverfahren weitere Erlasse auf Bundes- und Landesebene veröffentlicht wurden. Auch diese Erlasse entfalten ungeachtet der Ausgestaltung ihres Anwendungsbefehls keine vergaberechtliche Relevanz, die Gegenstand einer Prüfung im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens sein kann.

    60
    b.) Jedoch ist die von dem Antragsgegner vorgenommene zweite Kostenschätzung nicht geeignet, die Angemessenheit der Angebotspreise zu prüfen (nachfolgend unter aa.). Außerdem entspricht die durchgeführte Preisprüfung und Aufklärung nicht den vergaberechtlichen Anforderungen (nachfolgend unter bb.).

    61
    aa.) Bei der Beurteilung der Unangemessenheit eines Angebotspreises kann die Kostenschätzung des Auftraggebers herangezogen werden (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.05.2021, Verg 13/21). Dabei kann der Kostenschätzung nur dann eine Bedeutung zukommen, wenn sie bei ihrer Aufstellung die vorliegenden und erkennbaren Daten vertretbar gewürdigt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20.11.2012, X ZR 108/10).

    62
    Außerdem sieht § 3 Absatz 3 VgV vor, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswertes der Tag ist, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wird. Freilich besteht die Möglichkeit und gegebenenfalls auch die vergaberechtliche Pflicht, die Kostenschätzung im laufenden Vergabeverfahren zu aktualisieren. Insbesondere bei einer langen Angebotsphase, oder wie vorliegend bei unvorhersehbaren Auswirkungen auf die Preise zeitigenden Ereignissen kann sonst die ursprüngliche Kostenschätzung kein belastbarer Indikator für sehr hohe oder niedrige Preise sein. Die Kostenschätzung darf daher nicht beliebig lange zurückliegen. Sie muss allerdings auf jeden Fall vor Eingang der Angebote durchgeführt sein (vgl. nur VK Rheinland, Beschluss vom 15.05.2019, VK 8/19 m.w.N.). Andernfalls bestünden zu Gunsten des öffentlichen Auftraggebers erhebliche Missbrauchspotentiale, könnte er anhand einer nachträglich durchgeführten Kostenschätzung und mit dem Wissen um die einzelnen Angebotspreise „unliebsame“ Bieter leichter ausschließen.

    63
    Der Antragsgegner hat für die Prüfung, inwieweit das Angebot der Antragstellerin unangemessen niedrig sein könnte, eine Kostenschätzung herangezogen, die etwa 2 ½ Wochen nach Angebotsabgabe erstellt wurde. So heißt es im Vergabevermerk vom 01.04.2022 auf Seite 2:

    64
    „Die neue Kostenberechnung des Rohbau-LVs erfolgte zum 21.03.2022. Aufgrund der hier gewonnen Erkenntnisse wurde in Abstimmung mit Herrn Dr. T. die 3 zu wertenden Mindestbietenden durch den Einkauf (…) [des Antragsgegners] aufgefordert, die Auskömmlichkeit ihrer Angebote zu bestätigen.“

    65
    Bereits dieses Vorgehen ist vergaberechtswidrig. Gerade der Umstand, dass zu Beginn des Konflikts Preissteigerungen wöchentlich, teils täglich zu verzeichnen waren, verdeutlicht, warum die maßgebliche Kostenschätzung jedenfalls vor Angebotsabgabe erstellt sein muss. Andernfalls ist eine realistische Bewertung der Angebotspreise nicht möglich. So mag es nicht ausgeschlossen sein, dass das Ergebnis einer noch später durchgeführten Kostenschätzung erheblich höher als sämtliche eingereichten Angebote ausgefallen wäre.

    66
    bb.) Unterstellt, die vom Antragsgegner in Bezug genommen Kostenschätzung entspreche vergaberechtlichen Anforderungen, erfolgte aber auch die durchgeführte Preisprüfung und Preisaufklärung nicht vergaberechtskonform.

    67
    Kommt der Auftraggeber zu dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriges Angebot vorliegen könnte, tritt er in die Preisprüfung ein. Kann die Preisprüfung anhand der vorliegenden Unterlagen nicht durchgeführt werden, ist der Auftraggeber gemäß § 16d Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A verpflichtet, Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung beim Bieter zu verlangen.

    68
    In der Rechtsprechung haben sich im Zusammenhang mit der Prüfung eines unangemessen niedrigen Preises prozentuale Aufgreifschwellen herausgebildet, deren Erreichen einen unangemessen niedrigen Angebotspreis indizieren und den Auftraggeber zur Aufklärung verpflichtet. Mehrheitlich wird von einer Aufgreifschwelle von mindestens 20% zwischen dem günstigsten und zweitgünstigsten Angebot oder der eigenen Kostenschätzung ausgegangen (vgl. beispielsweise VK Bund, Beschluss vom 12.01.2018, VK 2 ‒ 148/17, OLG Düsseldorf, Beschluss vom 02.08.2017, Verg 17/17). Allerdings hat der BGH hat in seiner Entscheidung vom 31.1.2017 (Az. X ZB 10/16) offen gelassen, ob eine Schwelle von 20% als unverrückbare Untergrenze anzusehen ist oder eine Pflicht zur Aufklärung auch bei einem geringeren prozentualen Abstand angenommen werden kann.

    69
    Insbesondere folgt aus einer Differenz zwischen Angebotspreis und Kostenschätzung, die die Aufgreifschwelle überschreitet, jedoch nicht, dass ein unangemessener Preis gegeben ist und zwingend ein auszuschließendes Angebot vorliegt. Vielmehr ist der Auftraggeber dann verpflichtet, in die Preisprüfung einzutreten und gegebenenfalls entsprechende Erläuterungen beim Bieter einzuholen. Nach dem Wortlaut des § 16 Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A ist bereits klar, dass der Ausschluss eines Angebots erst nach erfolgter Aufklärung über die Ermittlung der Preise und Kosten für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen möglich ist. Der EuGH hat klargestellt, dass den Bietern vor Angebotsausschluss wegen eines ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises die Möglichkeit zur weiteren Erläuterung der Seriosität ihres Angebots gegeben werden muss (vgl. EuGH, Urteil vom 29.03.2012, C-599/10).

    70
    Vorliegend hat ausweislich der Vergabeunterlagen schon keine zureichende Preisprüfung des Angebots der Antragstellerin stattgefunden. So finden sich in der vorliegenden Vergabeakte keine Ausführungen zu einer dezidierten Angebotspreisprüfung. Vielmehr erwecken die Ausführungen im Vergabevermerk und insbesondere der vorstehend zitierte Auszug den Eindruck, dass der Antragsgegner unmittelbar aus der Differenz zwischen Angebotspreis und Kostenschätzung ableitet, eine Preisaufklärung ohne vorangegangene Preisprüfung durchzuführen zu können.

    71
    Doch auch die durchgeführte Preisaufklärung erfüllt nicht vergaberechtlichen Anforderungen. Der Antragsgegner hat insoweit lediglich gefordert, dass die Bieter die Auskömmlichkeit ihrer Angebote bestätigen sollten.

    72
    Zunächst sei darauf hingewiesen, dass die Unauskömmlichkeit eines Angebots nicht zwingend einen unangemessen niedrigen Angebotspreis zur Folge hat oder ‒ wie teilweise in der Fachliteratur und Judikatur geschehen ‒ Unauskömmlichkeit und Unangemessenheit gleichzusetzen sind. So spricht der BGH in einer seiner maßgeblichen Entscheidung vom 31.01.2017 (X ZB 10/16) ausdrücklich und ausschließlich von „Unangemessenheit“ bzw. „unangemessen niedrigen Preisen“.

    73
    Dabei beschreiben beide Formulierungen, unauskömmlich einerseits und unangemessen niedrig andererseits, unterschiedliche Sachverhalte. So liegt ein Angebot mit einem unangemessen niedrigen Preis vor, wenn es preislich ‒ wie vorstehend aufgezeigt ‒ deutlich vom ermittelten marktüblichen Preisniveau abweicht. Auf der anderen Seite ist ein Angebot unauskömmlich, wenn der betreffende Bieter ‒ verkürzt gesagt ‒ damit keinen Gewinn erzielt. Ein solches Angebot muss aber nicht zwingend erheblich vom ermittelten marktüblichen Preisniveau abweichen ‒ bereits eine geringe Abweichung kann dazu führen, dass ein Gewinn ausbleibt und damit das Angebot insgesamt unauskömmlich, nicht aber unangemessen niedrig ist.

    74
    Eingedenk dieser Überlegungen vermag die Abfrage der Auskömmlichkeitsbestätigung die Anforderungen an eine Preisaufklärung im Sinne des § 16d Absatz 1 Nummer 2 EU VOB/A nicht zu erfüllen. Für den Antragsgegner war es anhand der mitgeteilten Information, das jeweilige Angebot sei auskömmlich oder nicht auskömmlich, nicht möglich, die Angebotspreise auf Unangemessenheit zu prüfen. Nicht nur hätte er sich, wie vorstehend ausgeführt, Gedanken darübermachen müssen, auf Grund welcher Preispositionen die jeweiligen Angebote möglicherweise unangemessen niedrig sein könnten. Er hätte im Folgenden dann auch dezidiert seine Zweifel darlegen und um Aufklärung bitten müssen. Der Antragsgegner lässt sich insoweit nicht eine Preispositionen erörtern, sondern geht schlicht von der unzutreffenden Annahme aus, dass eine erklärte Unauskömmlichkeit einer Unangemessenheit entsprechenden würde.

    75
    Unbeachtlich ist insoweit auch, als dass die Antragstellerin ihre Auskömmlichkeit nicht erklärt hat. Insbesondere kann dem Antragsgegner nicht dahingehend gefolgt werden, dass deswegen eine weitere vertiefte Prüfung nicht hätte stattfinden müssen, sondern auf Grund der erklärten Unauskömmlichkeit die Preisprüfung abgeschlossen sei mit dem Ergebnis, dass ein unangemessen niedriger Preis vorliegen würde. Dabei verkennt der Antragsgegner nicht nur, dass wie ausgeführt ein unauskömmliches Angebot nicht zwingend auch ein unangemessen niedriges Angebot sein muss. Auch hätten Bieter, die Sichtweise des Antragsgegners als zutreffend unterstellt, nach Angebotsabgabe und während der festgelegten Bindefrist jederzeit die Möglichkeit, sich durch die Mitteilung der Unauskömmlichkeit ihres Angebots von diesem zu lösen. Dies widerspricht allerdings dem vergaberechtlichen Grundsatz, dass nur bis zum Ablauf der Angebotsfrist Angebote zurückgezogen werden können (vgl. § 10a Absatz 7 EU VOB/A).

    76
    Auch kann man die Abfrage der Auskömmlichkeitsbestätigung nicht dahingehend auslegen, als das der Antragsgegner von den Bietern die Bestätigung abverlangt, dass ihre Angebote nicht unangemessen niedrig sind. Denn für die Prüfung der Unangemessenheit muss das maßgeblich Angebot immer in Relation zu einem festgelegten Preisniveau, seien es andere Angebote oder die vom Auftraggeber erstellte Kostenschätzung, gesetzt werden. Dies war der Antragstellerin und den anderen Bietern mangels Kenntnis schlicht unmöglich und obliegt zudem ausschließlich dem Antragsgegner als öffentlichen Auftraggeber.

    77
    Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass dem Antragsgegner auf Grund der Informationen, die der Kammer vorliegen, kein missbräuchliches Handeln vorzuwerfen ist. Vielmehr dürfte sich beim Antragsgegner auf Grund eines Vergaberechtsartikels der unzutreffende Eindruck gefestigt haben, vorliegend eine Auskömmlichkeitsabfrage durchzuführen bzw. durchführen zu müssen, so dass bei einer negativen Antwort ein Ausschluss zwingend sei.

    78
    c.) Schlussendlich bürdet der Antragsgegner der Antragstellerin ein ungewöhnliches Wagnis auf und verletzt somit das bieterschützende Gebot gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A.

    79
    Ausweislich dieser Vorschrift darf dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufgebürdet werden für Umstände und Ereignisse, auf die er keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus abschätzen kann. Anders als in der VgV ist dieses Verbot weiterhin ausdrücklich in der EU VOB/A normiert. Zwar bedeutet dies nicht, dass dem Auftragnehmer gar kein Wagnis auferlegt werden darf. Gewöhnliche Wagnisse, wie etwa die Beschaffenheit und Finanzierbarkeit von Materialien oder Preis- und Kalkulationsrisiken, die dem Bieter in einem jeweiligen Marktsegment typischerweise obliegen, vertragstypisch und dem Rechtsverkehr nicht fremd sind, gehören gerade zum Wesen der Privatautonomie und fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.2011, 27 W 1/11).

    80
    Erst dann, wenn das aufgebürdete Wagnis über die üblichen Risiken hinausgeht, sich nicht abschätzen lässt und demzufolge eine Kalkulation unmöglich macht, kann gegen das Gebot des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A verstoßen werden (vgl. statt vieler und jüngst: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20). Unzumutbar ist eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation, wenn Preis- und Kalkulationsrisiken über das Maß, das Bietern typischerweise obliegt, hinausgehen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 sowie Beschluss vom 07.09.2003, VII-Verg 26/03 m.w.N.). Unbeachtlich ist insoweit, ob das Wagnis vom Auftraggeber selbst oder weder von ihm noch dem Auftragnehmer beherrschbar ist (vgl. VK Brandenburg, Beschluss vom 30.09.2008, VK 30/08).

    81
    Der Antragsgegner irrt insoweit, als dass er vorträgt, dass sich das ungewöhnliche Wagnis nur in der Leistungsbeschreibung manifestieren dürfe. Die Regelung des § 7 Absatz 1 Nummer 3 EU VOB/A gilt gerade nicht nur für die Leistungsbeschreibung, sondern auch allgemein für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsabschluss. Damit sind auch Risiken erfasst, die erst nach Zuschlagserteilung im Rahmen der Leistungserbringung entstehen können, in den Vergabeunterlagen jedoch schon begründet sind (vgl. von dem Knesebeck, in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar, § 7 EU VOB/A, Rn. 19).

    82
    Denn die Regelung dient dem Schutz des Auftragnehmers vor unangemessenen Vertragsbedingungen (vgl. VK Hamburg, Beschluss vom 25.07.2002, VgK FB 1/02). Entsprechend diesem Normzweck ist die Vorschrift nicht eng, sondern eher weit auszulegen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 19.7.2002, VK 1 - 37/02 sowie Bund, Beschluss vom 13.07.2005, VK 2 - 69/05 und Beschluss vom 19.3.2002, VK 2 - 06/02). Ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation gemessen an diesen Maßstäben unzumutbar ist, bestimmt sich nach dem Ergebnis einer Abwägung aller Interessen der Bieter bzw. Auftragnehmer und des öffentlichen Auftraggebers im Einzelfall (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.04.2021, Verg 1/20 m. w. N.).

    83
    Ausgehend von den genannten Grundsätzen führt eine Abwägung der beteiligten Interessen zu dem Ergebnis, dass der Antragstellerin eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation nicht zumutbar war. Der fehlende kalkulatorische Ausgleich belastet die Antragstellerin mit Kalkulationsrisiken, die über das typischerweise einem Bieter obliegenden Maß hinausgehen.

    84
    Im Falle der Zuschlagserteilung müsste die Antragstellerin das Risiko von erheblichen Preissteigerungen in Folge der Kampfhandlungen zwischen der russischen Föderation und der Ukraine tragen, deren Umfang bei Angebotsabgabe nicht zu ermitteln waren.

    85
    Zwar ist dem Antragsgegner und der Beigeladenen insoweit zuzustimmen, als dass zwischen Beginn der Kampfhandlungen und der Angebotsabgabe etwas weniger als 6 volle Arbeitstage lagen. Allerdings ist bereits fraglich, ob nicht bereits auf Grund der neu eingetretenen Situation eine Verlängerung der Angebotsfrist notwendig gewesen wäre. So müssen gemäß § 10 Absatz 1 EU VOB/A Angebotsfristen so angemessen sein, als dass die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote ausreichend ist. Dies bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung.

    86
    Denn auch innerhalb der Zeit zwischen dem Beginn der Kampfhandlungen und dem Ende der Angebotsfrist konnte die Antragstellerin nicht vernünftigerweise kalkulieren. Hierfür streitet bereits der Umstand, dass die Preise für Baustoffe nicht unmittelbar mit dem Ausbruch der Kampfhandlungen „sprunghaft“ und „einmalig“ stiegen, sondern in Folge der in mehreren Stufen verabschiedeten Sanktionspakete und des Andauerns der Kampfhandlungen zwischen der russischen Föderation und der Ukraine insgesamt stetig und in erheblichen Umfang anstiegen. Vor diesem Hintergrund spricht auch der Erlass, der am 25.03.2022 ‒ also mehr als 2 Wochen nach Angebotsfrist ‒ veröffentlicht wurde davon, dass

    87
    „[a]ufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland (…) die Preise vieler Baustoffe zum Teil extrem gestiegen [sind]. (…) Auch die Kosten für Energie und Kraftstoffe sind erheblich gestiegen.“

    88
    Zudem erreichten die Preise in der Zeit zwischen Ausbruch der Kampfhandlungen und Angebotsabgabe kein Plateau, sondern erzielten in den folgenden Wochen kontinuierlich neue „Höchstmarken“. Vor diesem Hintergrund erlaubt der Erlass, auch für Vorhaben, die innerhalb eines Monats zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung abgeschlossen sind, die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln. Auch dieser Umstand zeigt, dass mit erheblichen, nicht vorhersehbaren Preissteigerungen „auf Monatsbasis“ gerechnet wird.

    89
    Deswegen sieht der Erlass vor, dass bei Vergabeverfahren, in denen bereits die Angebotsöffnung erfolgte, diese in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt und mit einer Stoffgleitpreisklausel versehen werden. Zwar entfaltet wie vorstehend ausgeführt dieser Aspekt kein vergaberechtliches und nachprüfbares Gebot. Jedoch streitet die Intention dahinter für das Vorliegend eines ungewöhnlichen Wagnisses.

    90
    Darüber hinaus zeigt auch das Ergebnis der zweiten Kostenschätzung, dass in der Zeit zwischen dem Ausbruch der Kampfhandlungen und dem Ende der Angebotsfrist keine kaufmännisch vertretbaren Angebote, die die Preissteigerungen prognostizierten, erstellt werden konnten.

    91
    So heißt es im Vergabevermerk, „(…) dass die Materialverfügbarkeit sich verknappen und somit eine weitere Verteuerung zu erwarten sei.“ Damit gibt auch der Antragsgegner zu erkennen, dass die Preissteigerungen nicht nur kurzfristig und von singulärer Natur, sondern längerfristig und stetig ausfallend sind. Der Antragsgegner hat einige Zeit nach Beginn der Kampfhandlungen eine weitere Kostenschätzung durchgeführt, die erheblich höher ausgefallen ist als die Kostenschätzung im November 2021. Auch dieser Umstand verdeutlicht die erhebliche Preissteigerung infolge der Kampfhandlungen und Sanktionen, die nicht einmalig, sondern sprunghaft verläuft.

    92
    Eingedenk der vorstehenden Erwägungen und unter Berücksichtigung sowohl der Aussage des Erlasses als auch der Feststellungen des Antragsgegners im Vergabevermerk steht für die Kammer fest, dass die Risiken auf Grund der im Zeitpunkt der Angebotsabgabe ausgebrochenen Kampfhandlungen im Rahmen der Preiskalkulation nicht mehr den typischen Wagnissen einer Angebotskalkulation im Vergabeverfahren entsprechen.

    93
    Das Interesse des Antragsgegners, an seinen Vergabeunterlagen festzuhalten und keinen kalkulatorischen Ausgleich zu schaffen, tritt hinter dem Interesse der Antragstellerin an einer realistischen Angebotskalkulation zurück. Insbesondere ist es dem Antragsgegner möglich und zumutbar, dem Interesse der Antragstellerin an einer dem typischen Risiko unterliegenden Angebotskalkulation etwa durch die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln Rechnung zu tragen.

    94
    Dagegen kann auch nicht eingewendet werden, dass ‒ jedenfalls für die Implementierung von Stoffpreisgleitklauseln ‒ das zu verwenden Formular 225 nicht praxistauglich und von den Bietern nicht handhabbar sei. Ein „sperriges“ Formular kann grundsätzlich keine Übertragung eines ungewöhnlichen Wagnisses rechtfertigen. Vielmehr wird sich ein interessiertes Unternehmen bei Verwendung des Formulars 225 nicht mehr auf einen Verstoß gegen § 7 Absatz Nummer 3 EU VOB/A berufen und oder infolge der Preislichen Verwerfungen eine Anpassung des Vertrages entsprechend § 313 BGB verlangen können.

    95
    III.

    96
    Die Antragstellerin ist gemäß § 160 Abs. 1 GWB auch in ihren Rechten verletzt. Denn der Angebotsausschluss wegen eines vermeintlich ungewöhnlich niedrigen Angebotspreises führt dazu, dass sie den Zuschlag nicht erhält.

    97
    Gemäß § 168 Absatz 1 GWB trifft die Vergabekammer die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist dabei an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Die Anträge haben keine den Streitgegenstand umgrenzende Funktion (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.01.2019, VII-Verg 30/18). Unter mehreren möglichen Maßnahmen zur Beseitigung muss sich die Vergabekammer für diejenige entscheiden, die die Interessen der Beteiligten am wenigsten beeinträchtigen (vgl. statt vieler: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2019, Verg 13/19).

    98
    Aufgrund der festgestellten Vergaberechtsverstöße war es erforderlich, den Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen, die beteiligten Bieter des Vergabeverfahrens erneut zur Angebotsabgabe aufzufordern und dabei die aus den Gründen ersichtliche Rechtsauffassung der Vergabekammer zu beachten.

    99
    Entgegen der Ansicht der Beigeladenen stellt die Rückversetzung des Vergabeverfahrens und die Möglichkeit, neue Angebote abzugeben, auch kein Verstoß gegen §15 Absatz 3 EU VOB/A dar. So sanktioniert § 15 Absatz 3 EU VOB/A die Verhandlung über bestehende Angebote. Vorliegend haben die Bieter die Möglichkeit, gänzlich neue Angebote abzugeben, über die dann freilich nicht mehr verhandelt werden darf.

    100
    IV.

    101
    Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben. Das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 (BGBl. I. S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung ist anzuwenden.

    102
    Die Gebühr beträgt gemäß § 182 Absatz 2 GWB mindestens 2.500 Euro; dieser Betrag kann aus Gründen der Billigkeit bis auf ein Zehntel ermäßigt werden. Die Gebühr soll den Betrag von 50.000 Euro nicht überschreiten; sie kann im Einzelfall, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch ist, bis zu einem Betrag von 100.000 Euro erhöht werden. Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Absatz 3 GWB die Kosten zu tragen.

    103
    Die Kammer setzt vorliegend eine Gebühr in Höhe von               Euro fest. Für die Berechnung der Verfahrensgebühr zieht die Kammer die Gebührentabelle der Vergabekammern des Bundes und der Länder heran (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 06.01.2005, Vll-Verg 30/05). Maßgeblich für die Berechnung der Gebühr ist grundsätzliche die streitbefangene Auftragssumme (vgl. BGH, Beschluss vom 25.10.2011, X ZB 5/10). Maßgeblich ist das Angebot der Antragstellerin. Die Verfahrensgebühr ist dem Antragsgegner und der Beigeladenen aufzuerlegen.

    104
    Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er gemäß § 182 Absatz 4 GWB die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung war notwendig, da die Verfahrensführung in einem Nachprüfungsverfahren für rechtliche Laien häufig unübersichtlich ist und schnell zu Fehlentscheidungen führt. Insbesondere waren vorliegend schwierige und komplexe vergaberechtliche Fragen streitentscheidend. Insbesondere der in diesem Verfahren maßgebliche Aspekt, inwieweit ein ungewöhnliches Wagnis übertragen wird, stellt eine komplexe vergaberechtliche Frage dar. Daneben ist das Nachprüfungsverfahren gerichtsähnlich konzipiert, so dass auch prozessuale Kenntnisse erforderlich sind, um eigene Rechte wirksam wahren zu können.

    105
    Die notwendigen Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin werden dem Antragsgegner und der Beigeladenen jeweils zur Hälfte auferlegt.

    RechtsgebieteVgV, VOB/AVorschriften§ 3 Abs. 3 VgV; § 7 Abs. 1 Nr. 3 EU VOB/A; § 16 Abs. 1 Nr. 1 EU VOB/A