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  • 18.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234796

    Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 05.12.2022 – 11 U 231/21

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberlandesgericht Köln


    Tenor:

    Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 7. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 01.10.2021 ‒ 87 O 80/20 ‒ wird nach § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig durch Beschluss zurückgewiesen.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

    Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Der Berufungsstreitwert wird auf 77.567,87 € festgesetzt.
     
    G r ü n d e

    1
    I.

    2
    Die Beklagte beauftragte die Klägerin mit Ingenieurleistungen bezüglich eines Tanklagers im A. P. Dem Vertrag liegt ein Angebot der Klägerin vom 06.10.2016 (Anl. K 2) zugrunde. Die Beklagte erteilte den Auftrag mit gesondertem Schreiben vom 12.10.2016 (Anl. K 3); die Klägerin bestätigte die Auftragserteilung mit Schreiben vom 24.10.2016 (Anl. K 4). Der Vertrag sieht eine Vergütung nach Stundenaufwand bei einem Zielpreis von 430.000 € vor. Die Klägerin rechnete zwischen 2016 und Dezember 2018 insgesamt ca. 850.000 € ab. Mit ihrer Klage macht sie eine Forderung in Höhe von 77.567,87 € aus dem Zeitraum Juli bis Dezember 2018 nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.

    3
    Das Landgericht, auf dessen Urteil hinsichtlich der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands sowie der in erster Instanz gestellten Anträge Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Honorarvereinbarung sei unwirksam, da die Schriftform nach § 7 Abs. 1 Satz 1 HOAI 2013 nicht eingehalten worden sei.

    4
    Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung.

    5
    Während sie zunächst geltend gemacht hat, dass § 7 HOAI 2013 wegen Unionsrechtswidrigkeit unanwendbar sei, stützt sie jetzt die Berufung im Wesentlichen darauf, dass sich die Berufung der Beklagten auf den Mangel der Schriftform als treuwidrig darstelle, § 242 BGB. Es sei die Beklagte gewesen, die sie ‒ die Klägerin ‒ einerseits durch ihre per Telefax übermittelte Bestellung und andererseits durch die Aufforderung einer Auftragsbestätigung per Telefax von der Einhaltung der Schriftform abgehalten und dadurch in zurechenbarer Weise in ihr das Vertrauen geweckt habe, sie würde sich an den erteilten Auftrag halten. Auch in der Folge habe sie sich immer an die vereinbarte Abrechnungsweise gehalten und Zahlungen in erheblicher Höhe geleistet. Erst nachdem das Landgericht nach Scheitern der Vergleichsgespräche auf den Formmangel hingewiesen habe, habe die Beklagte sich auf ihn berufen. Dieses Verhalten sei hochgradig widersprüchlich.

    6
    Die Klägerin beantragt,

    7
    das Urteil des Landgerichts Köln vom 01.10.2021 ‒ 87 O 80/20 ‒ abzuändern und

    8
    1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 77.567,87 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 09.05.2019 zu zahlen,

    9
    2. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 1.752,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.10.2019 zu zahlen.

    10
    Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

    11
    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und die von ihnen vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

    12
    II.

    13
    Die Berufung der Klägerin hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

    14
    Zur Begründung der fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsmittels wird auf den  Hinweisbeschluss des Senats vom 13.09.2022 Bezug genommen. Hierin hat der Senat ausgeführt:

    15
    „Zutreffend hat das Landgericht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung der vorliegend geltend gemachten Vergütung in Höhe von noch € 77.567,87 aus § 631 Abs. 1 BGB mangels Schlüssigkeit verneint. Mangels einer Hauptforderung scheiden auch die von der Klägerin geltend gemachten Nebenforderungen aus.

    16
    1.

    17
    Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem 01.01.2002 und bis zum 31.12.2017 geschlossene Verträge gilt (Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB). Ferner ist die mit Wirkung vom 17.07.2013 in Kraft getretene Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom 10.07.2013 (im Folgenden: HOAI 2013) anzuwenden (§§ 57, 58 HOAI 2013).

    18
    2.

    19
    Zu Recht hat das Landgericht die Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs gemäß § 1 Satz 1 HOAI 2013 bejaht, da in Ziffer 3 des Angebots der Klägerin (Bl. 92 ff. LGA) zum ganz überwiegenden Teil Grundleistungen und besondere Leistungen gemäß §§ 41 ff. HOAI 2013 i.V.m. der Anlage 12 enthalten sind. Gegenstand des Vertrages sind Generalplanerleistungen im Zusammenhang mit der Errichtung eines FeCI3-Tanklagers (Eisen(III)-Chlorid) im A. P. Hierbei handelt es sich um ein Ingenieurbauwerk im Sinne von § 41 Nr. 4 HOAI 2013. Zu den Ingenieurbauwerken nach § 41 Nr. 4 HOAI 2013 gehören insbesondere auch Tankanlagen für die entsprechenden Stoffe (Theißen, in: Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 9. Aufl. 2016, § 43 Rn. 37). Die Leistungen der Klägerin als Generalplanerin erfassen jedenfalls zu einem nicht unerheblichen Teil die Planung und Bauüberwachung des Tanklagers und damit Grundleistungen im Sinne der Anlage 12 Nr. 12.1.

    20
    3.

    21
    Zutreffend hat das Landgericht auch mangels Einhaltung der in § 7 Abs. 1 HOAI 2013 vorausgesetzten Schriftform eine Nichtigkeit der zwischen den Parteien geschlossenen Vergütungsvereinbarung angenommen.

    22
    Ob die Schriftform i.S.d. § 7 Abs. 1 HOAI 2013 gewahrt ist, richtet sich nach § 126 BGB (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 280, 281). Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt eine richtlinienkonforme Auslegung des Schriftformerfordernisses i.S.d. § 7 Abs. 1 HOAI 2013 dahingehend, dass für die Erfüllung der Schriftform ein Wechsel von Briefen oder Telefaxschreiben ausreicht, nicht in Betracht.

    23
    Die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (nachfolgend: Dienstleistungsrichtlinie), auf die sich die Klägerin beruft, enthält schon keine Vorschriften, die einer im nationalen Recht vorgeschriebenen Schriftform für bestimmte Dienstleistungsverträge entgegenstehen (BGH, Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 12/21, juris; Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 229/19, juris; Manteufel, in: FS für Locher, 2022, S. 299, 317; Fuchs, BauR 2020, 348, 352). Im Hinblick auf die mit der Schriftform für Honorarvereinbarungen gemäß § 7 Abs. 1 HOAI 2013 zu gewährleistende Klarstellungs- und Beweisfunktion (vgl. BT-Drucks. VI/1549, S. 14) ist die damit einhergehende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Binnenmarkt nicht als unverhältnismäßig zu bewerten (BGH, Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 12/21, juris; Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 229/19, juris).

    24
    Unabhängig hiervon ist die von der Klägerin vertretene richtlinienkonforme Auslegung auch nicht möglich. Die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des inländischen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, findet ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen. Die Auslegung nationalen Rechts darf nicht dazu führen, dass einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben oder der normative Gehalt der Norm grundlegend neu bestimmt wird. Demgemäß kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur in Frage, wenn eine Norm tatsächlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten im Rahmen dessen zulässt, was der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung entspricht. Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege findet ihre Grenzen an dem nach der innerstaatlichen Rechtstradition methodisch Erlaubten (BGH, Beschl. v. 14.05.2020 ‒ VII ZR 174/19, juris). In der Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Honorarordnung für Ingenieure und Architekten heißt es, dass in der Honorarverordnung vorzusehen ist, dass von den Mindestsätzen durch schriftliche Vereinbarung in Ausnahmefällen abgewichen werden kann und die Mindestsätze als vereinbart gelten, sofern nicht bei der Erteilung des Architektenauftrags etwas anderes schriftlich vereinbart ist (BGBl. I 1971, S. 1745, 1749; BGBl. I 1984, S. 1337). Als Grund für das Schriftformerfordernis wurde in der Gesetzesbegründung die Rechtsklarheit genannt (BT-Drucks. VI/1549, S. 14). Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber hierbei die Schriftform i.S.d. § 126 BGB vor Augen stand. Die von der Klägerin vertretene Auslegung entspricht damit nicht mehr der gesetzgeberischen Zweck- und Zielsetzung.

    25
    Das Schriftformerfordernis gemäß § 7 Abs. 1 HOAI 2013 ist vorliegend auch anwendbar.

    26
    Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Feststellung des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom 04.07.2019 (C-377/17, BauR 2019, 1624 ‒ Kommission/Deutschland), dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieure beibehalten hat. Zum einen ist § 7 Abs. 1 HOAI 2013 nicht im Hinblick auf das Schriftformerfordernis, sondern allein wegen seines preisrechtlichen Gehalts als europarechtswidrig eingestuft worden (Sienz, BauR 2020, 1069, 1072). Zum anderen steht nach dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18.01.2022 (C-261/20, BauR 2022, 527 ‒ Thelen Technopark Berlin) fest, dass der Senat in einem Rechtsstreit, in dem sich ‒ wie hier ‒ ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet ist, § 7 Abs. 1 HOAI 2013 unangewendet zu lassen (BGH, Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 174/19; Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 12/21).

    27
    Schließlich ist die Vorschrift des § 7 Abs. 5 HOAI 2013 nicht Teil des verbindlichen Preisrechts der HOAI 2013. Sie beschränkt ihrem Regelungsgehalt nach nicht die Möglichkeit der Parteien, eine Vergütung abweichend von dem in der HOAI 2013 geregelten verbindlichen Preisrahmen zu vereinbaren. Vielmehr stellt § 7 Abs. 5 HOAI 2013 eine Folgeregelung für den Fall dar, dass die Honorarvereinbarung der Vertragsparteien den in § 7 Abs. 1 HOAI 2013 enthaltenen Formvorgaben nicht genügt. Sie dient damit der Ausfüllung der aufgrund der Formvorgaben und der hierdurch bewirkten Unwirksamkeit der Honorarvereinbarung entstandenen Vertragslücke (BGH, Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 12/21; Urt. v. 02.06.2022 ‒ VII ZR 229/19; s. auch Berger, in: Fuchs/Berger/Seifert, Beck’scher HOAI- und Architektenrechtskommentar, 3. Aufl. 2022, § 7 HOAI 2013 Rn. 26a; Sienz, BauR 2020, 1069, 1071; Seifert, NZBau 2020, 207, 210 f.).

    28
    Gegen die zu Recht erfolgte Feststellung des Landgerichts, dass die Schriftform gemäß § 126 BGB nicht gewahrt ist, weil keine Vertragsurkunde vorliegt, die von beiden Parteien unterzeichnet ist (vgl. BGH, NJW-RR 1994, 280, 281), wendet sich die Berufung nicht. Im Zweifel liegt vorliegend eine Gesamtnichtigkeit der Honorarvereinbarung vor (§ 139 BGB).

    29
    4.

    30
    Die Berufung der Beklagten auf die Formunwirksamkeit verstößt entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB.

    31
    Ein Außerachtlassen gesetzlicher Formvorschriften aus allgemeinen Billigkeitserwägungen kommt im Interesse der Rechtssicherheit in der Regel nicht in Betracht, da der jeweilige Schutzzweck jener Bestimmungen ansonsten ausgehöhlt werden würde (BGH, NJW 1996, 1467, 1469; NJW 1985, 1778, 1780). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ist aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit ausnahmsweise nur veranlasst, wenn die Nichtigkeitsfolgen für den Vertragspartner zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen würden und ein notwendiger Ausgleich mit anderen rechtlichen Mitteln nicht zu erzielen ist. Dass die Nichtigkeit den einen Vertragsteil hart trifft, reicht nicht aus (BGH, NJW 1984, 606, 607; NJW 1985, 1778, 1780; LG Mainz, Urt. v. 23.06.2010 ‒ 9 O 2/10, BeckRS 2011, 4613; LG Waldshut-Tiengen, BauR 1981, 80 ff.; BeckOK BGB/Wendtland, 62. Ed. Stand: 01.05.2022, § 125 Rn. 24; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 81. Aufl. 2022, § 125 Rn. 22; Werner, in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Rn. 787).

    32
    Zwar wird in der Literatur vereinzelt vertreten, dass in dem Fall, in dem die eine Seite ein schriftliches Angebot macht und die andere Seite dies schriftlich bestätigt, ein Ausnahmefall vorliegen dürfte, in denen sich der Vertragspartner nicht auf die Unwirksamkeit berufen kann (Koeble, in: Locher/Koeble/Frik, HOAI, 14. Aufl. 2020, § 7 HOAI Rn. 49, 50, 54; ablehnend Berger, in: Fuchs/Berger/Seifert, a.a.O., § 7 HOAI 2013 Rn. 117). Dem vermag der Senat in dieser Allgemeinheit jedoch nicht zu folgen. Denn der nach der Gesetzesbegründung hier einschlägige Normzweck der „Rechtsklarheit“ verlangt eine restriktive Handhabung von Ausnahmefällen nach § 242 BGB. Aufgrund des § 7 Abs. 5 HOAI 2013, der bei Nichteinhaltung der Form den Anspruch auf Honorar nicht ausschließt, sondern zu einer Geltung „nur“ der Mindestsätze im Hinblick auf die Grundleistungen führt, besteht eine noch geringere Notwendigkeit zu Ergebniskorrekturen nach Treu und Glauben (Berger, in: Fuchs/Berger/Seifert, a.a.O., § 7 HOAI 2013 Rn. 117). Schließlich kann die Frage, ob die Voraussetzungen einer nach Treu und Glauben erforderlichen Korrektur der Nichtigkeitsfolge eines Formverstoßes gegeben sind, allein aufgrund richterlicher Würdigung anhand aller hierfür maßgeblichen Umstände des konkreten Lebenssachverhalts beantwortet werden, wobei das Interesse der durch die jeweilige Formvorschrift geschützten Rechtssicherheit und das Interesse der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall als gleichwertige Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen sind (BeckOK BGB/Wendtland, a.a.O., § 125 Rn. 26.1; Grüneberg/Ellenberger, a.a.O. § 125 Rn. 22). Soweit die Rechtsprechung in der Rüge des Formmangels in Fällen, in denen sich Angebot und Annahme auf getrennten, jeweils nur von einer Partei unterzeichneten Schriftstücken befanden, eine unzulässige Rechtsausübung gesehen hat, lagen besondere Umstände des Einzelfalls vor, etwa juristisches Fachwissen des Auftraggebers (KG, BauR 1998, 818, 819) oder eine langjährige Geschäftsbeziehung, in der die Wirksamkeit der Honorarabrechnungen in Bezug auf verschiedene Aufträge nie in Frage gestellt worden war (OLG Celle, NZBau 2005, 470, 471; s. auch OLG München, NZBau 2011, 172).

    33
    Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls überwiegt vorliegend das Interesse der durch § 7 Abs. 1 und 5 HOAI 2013 geschützten Rechtssicherheit, da die Folgen des Formmangels für die Klägerin nicht schlechthin untragbar erscheinen.

    34
    Zwar hat die Beklagte in ihrer Bestellung vom 12.10.2016 (Anlage K 3, Anlagenheft) das „Kaufmännische Angebot“ der Klägerin (Buchstabe B. des Angebots der Klägerin N01, Bl. 107 ff. LGA) im Wesentlichen übernommen. Jedoch weicht Ziffer 1.6 der Bestellung von Ziffer 1.6 des „Kaufmännischen Angebots“ der Klägerin dahingehend ab, dass in der Bestellung der Beklagten der Text unter den Verrechnungssätzen fehlt. In diesem heißt es in dem „Kaufmännischen Angebot“ der Klägerin beispielsweise, dass die Verrechnungssätze von montags bis freitags in Tagschicht gelten. Gerade aufgrund dieser Abweichung der Bestellung der Beklagten von dem „Kaufmännischen Angebot“ der Klägerin bestand ein Bedürfnis nach Rechtsklarheit.

    35
    Ferner ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass die Beklagte die Klägerin von der Wahrung der Form abgehalten hat, um sich später auf den Formmangel berufen zu können. Soweit es am Ende der Bestellung der Beklagten heißt, dass sie um eine Auftragsbestätigung per Fax bitte, kann hieraus allein noch nicht geschlossen werden, dass die Beklagte die Klägerin bewusst von der Wahrung der Form abhielt. Die Beklagte war der Klägerin in ihrer geschäftlichen Erfahrenheit und ihrem Fachwissen im Hinblick auf den Abschluss der Honorarvereinbarung nicht überlegen. Auch kann aus der Bitte um eine Auftragsbestätigung per Fax durch die Beklagte entgegen der Ansicht der Klägerin nicht ohne weiteres hergeleitet werden, dass die Beklagte keinen Wert auf die Einhaltung der Formalien gelegt habe und sich nunmehr widersprüchlich verhalte. Vielmehr kann Grund für die Bitte gerade auch ein Bedürfnis nach Dokumentation der Vereinbarung gewesen sein. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass teilweise vertreten wird, dass die Schriftform gemäß § 7 Abs. 1 HOAI 2013 erfüllt ist, wenn das unterschriebene und per Telefax übersandte Angebot von der anderen Partei ebenfalls unterschrieben per Telefax zurückgesandt wird (KG, NJW-RR 1994, 1298; OLG Hamm, BauR 1999, 1204; Werner, in: Werner/Pastor, a.a.O., Rn. 781; Koeble, in: Locher/Koeble/Frik, a.a.O., § 7 Rn. 50; a.A. Berger, in: Fuchs/Berger/Seifert, a.a.O., § 7 HOAI Rn. 59). Aus diesem Grund ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, welcher der von der Klägerin zitierten Entscheidung des OLG Hamm vom 28.02.1996 (Az. 12 U 181/94, juris) zugrunde lag und bei dem der Auftraggeber gegenüber dem Auftragnehmer ausdrücklich schriftlich moniert hatte, dass dieser nicht ohne vorherige schriftliche Vereinbarung habe tätig werden wollen.

    36
    Auch ist der vorliegende Sachverhalt nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, welcher der von der Klägerin zitierten Entscheidung des LG Mainz vom 23.06.2010 (Az. 9 O 2/10, BeckRS 2011, 4613) zugrunde lag. Denn in dem dortigen Fall berief sich der Auftraggeber, dessen Unterschriftsleistung trotz mehrfacher Aufforderung durch den Auftragnehmer ohne plausible Gründe unterblieben ist, treuwidrig auf den Formmangel.

    37
    Schließlich ist auch keine anderweitige schwere Treuepflichtverletzung durch die Beklagte oder eine Existenzgefährdung der Klägerin dargelegt. Dass die Formunwirksamkeit für die Klägerin eine Härte darstellt, reicht nicht aus. Es liegt auch nicht die Konstellation vor, in der eine Treuwidrigkeit bejaht wird, weil die Parteien den Vertrag längere Zeit als gültig behandelt haben und der andere Teil daraus erhebliche Vorteile gezogen hat, die nicht auf andere Weise kompensiert werden können (vgl. BGH, NJW 1993, 1126, 1128; NJW-RR 2003, 1635, 1636 f.). Denn der Mangel der Form führt vorliegend zwar zur Nichtigkeit der Honorarvereinbarung, gemäß § 7 Abs. 5 HOAI 2013 wird im Hinblick auf die Grundleistungen jedoch vermutet, dass die Mindestsätze vereinbart sind (vgl. auch BGH, NJW 2004, 1103 f.). Im Übrigen gilt § 632 BGB.

    38
    5.

    39
    Auf die von der Beklagten in der Berufungserwiderung angesprochene Frage einer eventuellen Überschreitung der Höchstsätze kommt es daher nicht mehr an.“

    40
    An dieser Bewertung hält der Senat auch in der jetzigen, zur Entscheidung zuständigen Besetzung fest. Die hiergegen mit Schriftsatz vom 02.11.2022 vorgebrachten Einwendungen, mit denen die Klägerin den Einwand der Treuwidrigkeit auf das Berufen des Schriftformerfordernisses vertieft, rechtfertigen keine andere Beurteilung.

    41
    Der als Ingenieurgesellschaft fachkundigen und mit der HOAI vertrauten Klägerin musste die Bedeutung des Schriftformerfordernisses bekannt sein. Sie konnte daher nicht darauf vertrauen, dass die von der HOAI abweichende Honorarvereinbarung mit der bloßen Zusendung einer Auftragsbestätigung Bestand haben würde. Umgekehrt hätte sie ohne weiteres durch Rücksendung eines von ihr unterzeichneten Exemplars des Auftragsschreibens der Schriftform Genüge tun können. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit ein erst im Laufe der Vertragsabwicklung oder gar des vorliegenden Rechtsstreits begründetes Vertrauen zu Dispositionen der Klägerin geführt haben könnte, aufgrund derer sich die Berufung auf den Formmangels im Rechtsstreit als unzumutbare Härte erweist. Schließlich dient ‒ wie der Bundesgerichtshof zu Recht im Zusammenhang mit der Treuwidrigkeit der Berufung eines Planers auf die Mindestsätze ausgeführt hat ‒ das von der Rechtsprechung entwickelte Institut der unzulässigen Rechtsausübung nicht dazu, eine vom Gesetzgeber mit einer Rechtsvorschrift getroffene Wertung generell durch eine andere Regelung zu ersetzen. Es ist vielmehr nur dann einschlägig, wenn die Anwendung einer Rechtsvorschrift einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt ausnahmsweise nicht hinreichend zu erfassen vermag und für einen Beteiligten ein unzumutbares, unbilliges Ergebnis zur Folge hätte (BGH Urteil vom 2.6.2022 ‒ VII ZR 174/19, BauR 2022, 1515 Rn. 19). Eine solche Ausnahmekonstellation ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Insbesondere sind der Abschluss eines Vertrages durch Auftragsschreiben und Auftragsbestätigung nicht ungewöhnlich. Diese Vorgehensweise erfüllt lediglich nicht das gesetzliche Schriftformerfordernis.

    42
    III.

    43
    Auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO für die Zurückweisung einer unbegründeten Berufung durch Beschluss sind gegeben.

    44
    Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu; Gegenstand ist die Beurteilung von Sach- und Rechtsfragen im konkreten Einzelfall. Auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Die Folgen der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 für Altfälle und die Formvorschrift des § 7 Abs. 1 und 5 HOAI 2013 sind durch die Entscheidungen des EuGH vom 18.01.2022 und des BGH vom 02.06.2022 höchstrichterlich geklärt. Eine mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren ist nicht geboten.

    45
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 48 GKG, 3 ff ZPO.