19.11.2010 · IWW-Abrufnummer 103928
Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 01.09.2010 – 5 AZR 517/09
Die AGB-Klausel "erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten" genügt nicht dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), wenn sich der Umfang der danach ohne zusätzliche Vergütung zu leistenden Überstunden nicht hinreichend deutlich aus dem Arbeitsvertrag ergibt.
In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom 1. September 2010 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Müller-Glöge, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Dr. Laux, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl sowie die ehrenamtlichen Richter Buschmann und Wolf für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 18. März 2009 - 2 Sa 1108/08 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Überstundenvergütung.
2
Der Kläger war bei der Beklagten als Leiter des Hochregallagers, zuletzt auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom 20. April 2006 beschäftigt. Dieser Vertrag enthält ua. folgende Regelungen:
"§ 2
Die Beschäftigung erfolgt entsprechend den jeweiligen Betriebserfordernissen im 1- oder im 2- oder im 3-Schicht-System.
Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, seine Arbeitsleistung bei entsprechendem Bedarf und auf ausdrückliche Weisung hin auch an Samstagen zu erbringen.
...
Die Arbeitszeit wird im 1- oder 2- oder im 3-Schicht-System zunächst wie folgt geregelt:
...
Arbeitnehmer erklärt sich zudem ausdrücklich bereit, seine Tätigkeiten in Fällen betrieblicher Notwendigkeit auch außerhalb der oben festgelegten Arbeitszeiten, in den Nachtzeiten, an den Wochenenden und an Feiertagen zu erbringen.
Überstunden sind zu leisten, sofern diese zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung gemäß der anliegenden Tätigkeitsbeschreibung erforderlich sind.
§ 3
Für seine Tätigkeit erhält der Arbeitnehmer ein monatliches Bruttogehalt iHv. Euro 3.000,00.
Das Bruttogehalt bezieht sich auf 45 Arbeitsstunden wöchentlich. Davon sind 38 Normalstunden und 7 Mehrarbeitsstunden. Die Mehrarbeitsstunden können im Falle betrieblicher Erfordernisse jederzeit ganz oder teilweise abgebaut und verrechnet werden.
Mit der vorstehenden Vergütung sind erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers mit abgegolten.
..."
3
Die Beklagte führte für den Kläger ein Arbeitszeitkonto, dem eine wöchentliche Sollarbeitszeit von 45 Stunden zugrunde lag. Alle darüber hinausgehenden Arbeitsstunden wurden dem Arbeitszeitkonto als "Mehrarbeit" gutgeschrieben. Im laufenden Arbeitsverhältnis wurden diese Mehrarbeitsstunden teilweise durch Freizeit ausgeglichen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses wies das Arbeitszeitkonto ein Guthaben von 102 Stunden aus.
4
Mit der Klage fordert der Kläger die Vergütung dieser 102 Guthabenstunden.
5
Der Kläger hat - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.565,70 Euro brutto nebst Verzugszinsen zu zahlen.
6
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, mit dem monatlichen Bruttogehalt seien die Überstunden abgegolten. § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags unterliege als Abrede über Hauptleistungspflichten nicht der Inhaltskontrolle.
7
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
8
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von 1.565,70 Euro brutto nebst Zinsen.
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I. Gemäß § 612 Abs. 1 BGB gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten war. Unmittelbar ergeben sich hieraus für den Kläger keine Ansprüche. Die Vorschrift ist aber entsprechend anzuwenden, wenn eine in bestimmter Höhe gewährte Arbeitsvergütung nicht den vollen Gegenwert für die erbrachten Dienstleistungen darstellt, also Überstunden oder Mehrarbeit auf diese Weise vergütet werden sollen (BAG 17. März 1982 - 5 AZR 1047/79 - zu II 1 a der Gründe, BAGE 38, 194).
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1. Nach den in der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts wies das Arbeitszeitkonto des Klägers im Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis ein Guthaben von 102 Arbeitsstunden aus, das aus Arbeitsleistungen resultierte, die der Kläger über die wöchentliche Sollarbeitszeit von 45 Stunden hinaus geleistet hatte.
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2. Hinsichtlich dieser Stunden gab es keine Vergütungsabrede der Parteien. Sie haben zwar in § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags bestimmt, dass mit dem monatlichen Bruttogehalt auch erforderliche Überstunden mit abgegolten seien. § 3 Abs. 3 des Vertrags ist jedoch gemäß § 306 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Klausel ist nicht klar und verständlich, § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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a) Nach den in der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei der in § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags getroffenen Vereinbarung um eine von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung iSv. § 305 Abs. 1 BGB.
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b) Die in § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags geregelte Pauschalabgeltung von Überstunden ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam.
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aa) Wird davon ausgegangen, dass eine Regelung wie die streitbefangene die Hauptleistungspflichten der Parteien betrifft (zum Meinungsstand vgl. ErfK/Preis 10. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 91 f.; HWK/Gotthardt 4. Aufl. Anh. §§ 305 - 310 BGB Rn. 39), unterliegt sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB gleichwohl der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann sich die zur Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führende unangemessene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Bedingung nicht klar und verständlich ist. Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird (vgl. BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 14, BAGE 124, 259; 31. August 2005 - 5 AZR 545/04 - Rn. 45, BAGE 115, 372). Eine Klausel muss im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreiben. Sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält.
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bb) Eine die pauschale Vergütung von Mehrarbeit regelnde Klausel ist nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollen (vgl. ErfK/Preis §§ 305 - 310 BGB Rn. 91; HWK/Gotthardt Anh. §§ 305 - 310 BGB Rn. 39; Hromadka/Schmitt-Rolfes NJW 2007, 1777, 1780; Bauer/Chwalisz ZfA 2007, 339, 354). Andernfalls ließe sich nicht erkennen, ab wann ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung besteht. Der Umfang der Leistungspflicht muss so bestimmt oder zumindest durch die konkrete Begrenzung der Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Überstunden so bestimmbar sein, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was ggf. "auf ihn zukommt" und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss (vgl. BAG 5. August 2009 - 10 AZR 483/08 - Rn. 14, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 85 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 10; 11. Oktober 2006 - 5 AZR 721/05 - Rn. 28, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6). Aufgrund einer unklar abgefassten Pauschalierungsklausel besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer in der Annahme, er habe keinen Rechtsanspruch auf eine gesonderte Überstundenvergütung, seinen Anspruch nicht geltend macht.
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cc) § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist nicht klar und verständlich. Diese Klausel soll alle Arbeitsstunden erfassen, die die vereinbarten 45 Wochenstunden überschreiten. Deren Umfang ist im Arbeitsvertrag nicht bestimmt. Insbesondere lässt sich weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Übrigen eine Begrenzung auf die nach § 3 ArbZG zulässige Höchstarbeitszeit (vgl. zu dieser Auslegungsmöglichkeit BAG 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66) entnehmen. Aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 ("erforderliche Überstunden") ergibt sich eine solche Beschränkung jedenfalls nicht. Nach § 2 letzter Absatz des Arbeitsvertrags sind Überstunden zu leisten, sofern diese zur Erfüllung der geschuldeten Leistung gemäß der anliegenden Tätigkeitsbeschreibung erforderlich sind. Das Vertragswerk bietet vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass es zu Überschreitungen der gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten kommen könnte. Die dem Arbeitsvertrag zugrunde liegenden Schichtpläne gehen von durchschnittlich 45 Wochenarbeitsstunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche aus. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit sollte sich danach auf neun Stunden belaufen. Samstagsarbeit war nach Bedarf zu leisten. Die Tätigkeitsbeschreibung verpflichtete den Kläger, seine Mitarbeiter im Rahmen der Sicherstellung der technischen Verfügbarkeit sämtlicher Anlagen im 24-Stunden-Betrieb auch außerhalb seiner Arbeitszeiten telefonisch, nötigenfalls auch durch seine persönliche Anwesenheit bei der Störungsbeseitigung zu unterstützen. Danach lag die Überschreitung der öffentlich-rechtlich geregelten Arbeitszeit nicht fern. Hinzu kommt das unklare Verhältnis der in Abs. 3 des § 3 getroffenen Regelung zu der in Abs. 2.
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II. Der Anspruch ist in der geltend gemachten Höhe begründet.
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1. Folge der Unwirksamkeit der Allgemeinen Geschäftsbedingung ist die Anwendbarkeit der dispositiven Gesetzesbestimmungen, § 306 Abs. 2 BGB. Eine ergänzende Vertragsauslegung ist nicht in Betracht zu ziehen, weil die gesetzliche Regelung der Rechtsfolgen des Fehlens einer - wirksamen - Vergütungsvereinbarung in § 612 BGB keine ergänzende vertragliche Bestimmung erfordert.
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2. Wie die Vorinstanzen zu Recht erkannt haben, schuldet die Beklagte nach § 612 BGB die der Höhe nach unstreitige Vergütung.
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III. Der Zinsanspruch des Klägers folgt aus § 288 Abs. 1 iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
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IV. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Müller-Glöge
Laux
Biebl
Buschmann
Wolf