04.07.2012 · IWW-Abrufnummer 122018
Finanzgericht Köln: Urteil vom 14.03.2012 – 2 K 476/06
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
2 K 476/06
Tenor:
Der Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für den Zeitraum 1. Januar 1998 bis zum 30. September 2002 vom 10. Februar 2003 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. Dezember 2005 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2006 wird dahingehend geändert, dass der Lohnsteuerhaftungsbetrag auf 107.694,00 € herabgesetzt wird. Die Berechnung des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer nach Maßgabe der Entscheidungsgründe wird dem Beklagten aufgegeben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu 1/5 und der Beklagte zu 4/5.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 627.757,68 € festgesetzt.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit der Haftungsinanspruchnahme der Klägerin für Lohnsteuer und Nebenabgaben insbesondere darum, ob die für die Klägerin als Interviewer tätigen Personen eine lohnsteuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt haben.
3Die Klägerin betreibt ein Unternehmen im Bereich der Markt- und Meinungsforschung. In den Streitjahren führte sie Meinungsumfragen per Telefon und durch persönliche Befragungen durch. Hierbei wurden für die Klägerin zwischen rund 450 (in den Jahren 1998 und 2002) und rund 620 (im Jahre 1999) sogenannte Telefoninterviewer tätig, welche Befragungen per Telefon mittels eines am Bildschirm angezeigten Fragebogens durchführten. Daneben beschäftigte die Klägerin eine ähnliche Anzahl von Personen, die verteilt im Bundesgebiet persönliche Befragungen von Zielpersonen durchführten (sog. Face to Face-Interviewer). Zudem wurden für die Klägerin weitere Personen tätig, welche die Schlüsselung der von den Face to Face-Interviewern aufgenommenen Antworten auf offene Fragen nach einem vorgeschriebenen Kennzahlenplan vornahmen (sog. Codierer).
4Die Klägerin verfügte im Streitzeitraum über zwei Büroräume in A und in B mit 60 bzw. 40 Computerarbeitsplätzen für die Telefoninterviewer. An diesen Arbeitsplätzen riefen die Telefoninterviewer die von der Klägerin bzw. deren Auftraggebern zuvor erstellten Fragebögen auf, arbeiteten den am Bildschirm angezeigten Fragenkatalog zur jeweiligen Studie in den Telefonaten mit den befragten Personen, deren Telefonnummern den Interviewern ebenfalls von der Klägerin vorgegeben wurden, ab und trugen die Antworten in das entsprechende Computersystem ein. Je nach Art der Befragung dauerte ein Interview zwischen 5 und 25 Minuten (vgl. Bl. 60, 133 der Gerichtsakte -GA- sowie den seitens der Klägerin beispielhaft vorgelegten Fragebogen, Bl. 159 ff. der GA). Um eine ordnungsgemäße Durchführung der Interviews sicherzustellen, wurden Interviews teilweise mitgehört bzw. von einem sog. Supervisor überwacht, der den Telefoninterviewern auch als Ansprechpartner zur Verfügung stand. Die Interviewer wurden zumeist in Zeitblöcken von je vier Stunden (inklusive Pausenzeiten) tätig.
5Vertragliche Grundlage für die Tätigkeit der Interviewer war jeweils eine mit den Interviewern abgeschlossene sog. Rahmenvereinbarung, wovon nach Aktenlage zwei teilweise abweichende Versionen vorliegen (vgl. hierzu das der Lohnsteuer-Außenprüfung vorgelegte, in der Lohnsteueraußenprüfungsakte abgeheftete Muster, sowie das von der Klägerin im Klageverfahren vorgelegte Muster mit – nachfolgend unterstrichen dargestellten – Ergänzungen, Bl. 146 ff. der GA) mit folgendem wesentlichen Inhalt:
6„§ 1 Gegenstand der Vereinbarung
7Der Interviewer wird für das Institut als freier Mitarbeiter tätig. Die Tätigkeit als freier Mitarbeiter richtet sich nach den nachfolgenden Bestimmungen und dem Inhalt des jeweiligen Einzelauftrages.
8Der Einzelauftrag erfolgt jeweils mündlich oder schriftlich und umfaßt Honorarhöhe, Arbeitsumfang und Ablieferungstermin.
9§ 2 Rechtsform der Zusammenarbeit
10Bei der Interviewertätigkeit handelt es sich um eine freiberufliche Nebentätigkeit für das Institut.
11Die Einsatzzeit wird für jede Studie kurzfristig zwischen dem freien Mitarbeiter und dem Institut frei vereinbart, wobei der freie Mitarbeiter das Recht hat, durch das Institut vorgeschlagene Interviewzeiten abzulehnen. Der freie Mitarbeiter unterliegt somit keinen zeitlichen Bindungen.
12Dem freien Mitarbeiter steht es während der Dauer dieses Vertrages frei, Aufträge abzulehnen. Das Institut ist verpflichtet, den Wünschen des freien Mitarbeiters auf Beschäftigung soweit entgegenzukommen, wie es dem Institut möglich ist.
13Der Interviewer muß sich nicht für die Annahme von Aufträgen bereithalten. Es gibt keine Einsatzpläne, in denen im vorhinein Einsätze des Interviewers festgelegt werden. Dem Interviewer ist es auch sonst freigestellt, wann er tätig werden will. Diese Freiheiten gelten auch dann, wenn das Institut dem Interviewer eine Telefonanlage in einem Institutsraum zur Verfügung hält. Der Interviewer kann während der Öffnungszeiten kommen und gehen, wann er will. Kernarbeitszeiten, zu denen ein Interviewer anwesend sein muß, gibt es nicht. Er muß nur die vom Institut angegebenen Termine einhalten, wenn er einen Auftrag übernommen hat.
14Der Interviewer kann den Ort, an dem er arbeitet, frei wählen, soweit dies nach den Grundsätzen der Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung bei der Auswahl der zu befragenden Personen zulässig ist. Das Institut gibt diese Grundsätze zu der jeweiligen Befragung jeweils an.
15Der freie Mitarbeiter darf auch für andere Unternehmen tätig werden. Er darf jedoch nicht gleichzeitig oder im mittelbaren Zusammenhang mit der Interviewertätigkeit eine Vertriebs- oder Werbetätigkeit ausführen.
16Der freie Mitarbeiter hat Aufträge in eigener Person auszuführen, wenn dies von Institutsseite verlangt wird. Die gesetzten Ablieferungstermine sind in jedem Falle einzuhalten. Sollte der freie Mitarbeiter aus persönlichen Gründen (z.B. Krankheit, Reise) an der Durchführung gehindert sein, hat er unverzüglich das Institut zu unterrichten.
17Der freie Mitarbeiter darf nur nebenbei für das Institut tätig sein, d.h. insbesondere: die Einkünfte der Interviewertätigkeit dürfen nicht die Existenzgrundlage des freien Mitarbeiters sein. (...)
18§ 4 Allgemeine Verpflichtungen für die Tätigkeit als Interviewer
19Bei den vom freien Mitarbeiter im Einzelfall durchzuführenden Interviews handelt es sich hinsichtlich der Summe aller im jeweiligen Einzelfall durchzuführenden Interviews um ein einheitliches Werk im Sinne des § 631 BGB. Der freie Mitarbeiter ist verpflichtet, sich vom Institut jeweils so schulen zu lassen, daß er die Aufträge methodengerecht und korrekt durchführen kann.
20(...)
21Vertragsbestandteil eines jeden Einzelauftrages sind die studienspezifischen Interview-ereinweisungen und die allgemeinen Richtlinien für telefonische Interviews. Der freie Mitarbeiter ist verpflichtet, diese Unterlagen jeweils für den Einzelauftrag vor dessen Durchführung gründlich durchzuarbeiten.
22Erfüllt der freie Mitarbeiter die ihm obliegenden Interviewerpflichten nur teilweise oder nur teilweise mangelfrei, ist das Gesamtwerk mangelhaft. Dem Institut stehen in diesem Falle hinsichtlich der gesamten Interviewertätigkeit die gesetzlichen Rechte zu.
23(...)
24Die Honorare werden für jeden Einzelauftrag gesondert vereinbart und werden vom freien Mitarbeiter nach Erfüllung der Leistungen anhand eines Abrechnungsformulars dem Institut in Rechnung gestellt. Die Auszahlung beim Institut erfolgt monatlich.“
25Vor Aufnahme der Tätigkeit wurden die Interviewer seitens der Klägerin im Rahmen von Schulungsveranstaltungen in die Tätigkeit als Interviewer eingeführt. Die Telefoninterviewer erhielten des Weiteren von der Klägerin Schulungsunterlagen bzw. einen Leitfaden, mit dem sie allgemein über die Interviewtätigkeit informiert wurden (vgl. Bl. 59, 133 sowie die seitens der Klägerin vorgelegte Schulungsunterlage, Bl. 149 ff. der GA). In dem von der Klägerin vorgelegten Exemplar der Schulungsunterlagen für Telefoninterviewer wird unter anderem ausgeführt:
26„II. Das Interviewprogramm ‚ODIN für Windows‘
27Das Interviewprogramm ODIN ermöglicht die Durchführung von computergestützten Interviews am Telefon. Der Rechner steuerte den Ablauf des Interviews, prüft und benennt Fehler in der Eingabe. Er übernimmt für Sie die Adress- bzw. Terminverwaltung, d.h. er spielt die jeweilige Adresse zum gegebenen Zeitpunkt auf den nächsten freien Rechner wieder ein. Sie brauchen sich keine Gedanken über Fragebogenablauf, Filterführung, zulässige Wertebereiche und Plausibilitätsprüfungen zu machen und können sich ausschließlich auf das Interviewgespräch konzentrieren. Sie müssen lediglich noch die Angaben des Befragten eintippen. Prinzipiell gilt: Jede Eingabe wird mit der ENTER-Taste abgeschlossen!
28(...)
293. Das Interview
30Das Programm spielt Ihnen nun die erste Adresse mit der dazugehörigen Liste ein:
31(...)
32Aus dem Adressfeld können Sie alle Informationen entnehmen, die Sie für Ihr Interview benötigen, incl. Art der Terminvereinbarung, den Termin, eine eventuelle zweite Telefonnummer und u.U. den Ansprechpartner.
33Im Anschluß wählen Sie die Telefonnummer und führen das Kontaktgespräch. Dabei gilt: Das Einleitungsgespräch darf sinngemäß variiert werden. Der vorgegebene Text stellt lediglich eine Hilfestellung dar. Erst wenn der Gesprächspartner zum Interview bereit ist, betätigen Sie die ENTER-Taste bzw. klicken mit der Maus auf Start. Danach werden Ihnen die Fragen zur Studie eingespielt.
34Wenn das Interview jetzt nicht durchgeführt werden kann, geben Sie Alt+N ein oder klicken Sie mit der Maus auf N.erreicht. Es erscheint eine Liste von möglichen Ausfallgründen. Sie müssen den entsprechenden Ausfallgrund eingeben, bevor Sie die nächste Adresse eingespielt bekommen.
35Dabei kann es sein, daß Sie bei ausgewählten Gründen im Anschluß daran weitere Informationen als Text eingeben müssen.
36(...)
37IV. DAS TELEFONINTERVIEW
38(...)
39Prinzipiell gilt:
40Es muß immer eine Antwort gegeben werden. Ohne gültige Antwort kommen Sie nicht auf die nächste Bildschirmseite. Wenn eine Zielperson die Antwort auf eine Frage verweigert oder die Antwort nicht weiß, geben Sie den entsprechenden Zahlenschlüssel z.B. 99 für „keine Angabe“ oder 98 für „weiß nicht“ ein. Diese Antwortmöglichkeit ist bei fast jeder Eingabe vorgesehen und wird Ihnen auf dem Bildschirm entsprechend angezeigt. Wichtig ist allerdings, daß Sie den Befragten nicht auf diese Antwortmöglichkeit aufmerksam machen, wenn er sich bei der Beantwortung einer Frage unschlüssig ist.
41Beachten Sie unbedingt die eingespielten Interviewerhinweise - sie sind auf dem Bildschirm hell unterliegt bzw. mit "(INT.: .......)“ wobei „INT.:“ für Interviewhinweise steht - kenntlich gemacht.
42Wenn Sie eine nicht zulässige Antwort eingeben, gibt der Computer ein akustisches Signal und eine Fehlermeldung wie z.B.: „Nicht gestatteter Code", die Sie mit der ENTER-Taste wieder beheben können. Danach geben Sie die korrekte Antwort ein und beenden den Vorgang mit der ENTER-Taste. Unter Umständen kann es auch passieren, daß Ihr Rechner während des Interviews keine Antwort mehr entgegen nimmt. In diesem Fall genügt es meistens, einmal die SHIFT-Taste zu betätigen. Wenn nicht, fragen Sie bitte einen der Supervisoren.
43(...)
44V. DIE AUSFALLGRÜNDE
45(...)
466 Definitiven Termin vereinbaren:
47Mit dieser Eingabe soll jeder Interviewer sehr vorsichtig umgehen, denn nur, wenn der Befragte selbst eine genaue Uhrzeit an einem bestimmten Tag nennt und dazu die Bereitschaft gibt, dann auch wirklich die Befragung durchzuführen, sollte ein definitiver Termin eingegeben werden. (Ein definitiver Termin erscheint meistens eine Viertelstunde vorher auf dem Bildschirm. In diesem Fall sollte Interviewer sofort dort anrufen und nicht eine Viertelstunde tatenlos vor dem Bildschirm sitzen).
48(...)
49VI. Besonderheiten
50(...)
516.6. Vor und nach dem Interview
52Um zwischen den Interviews in Pause entgehen zu können, klicken Sie mit der Maus in der Menüleiste auf das Feld Aktionen und dann auf Pause. Ab diesem Zeitpunkt läuft Ihre Pausenzeit, die Sie mit Betätigen der ENTER-Taste beenden können.
53Am Ende des Einsatzes beenden Sie das Programm durch die Tastenkombination Alt+S oder einen Mausklick auf das Feld Schließen in der Menüleiste. Die Anzahl der erfolgreichen Interviews wird angezeigt. Durch Drücken der ENTER-Taste schließt sich das Feld. Zum Abschluß fahren Sie einfach den Computer herunter und schalten den Bildschirm aus.
546.7. Hinweis für den Interviewer
55Alles, was schwarz unterlegt ist, muß vorgelesen werden. Alles, was in grün geschrieben ist, darf nicht vorgelesen werden. Interviewer-Hinweise sind in rot vermerkt. Besonders wichtige Einträge, die betont vorgelesen werden, sind in blauem Ton aufgeführt.“
56Die Honorare für die Interviewtätigkeit wurden nach Erfüllung der Leistungen anhand eines Abrechnungsformulars der Klägerin in Rechnung gestellt; die Auszahlung erfolgte seitens der Klägerin monatlich (vgl. § 4 Abs. 8 der Rahmenvereinbarung sowie eine von der Klägerin vorgelegte beispielhafte Abrechnung, Bl. 508 der GA).
57Die Klägerin behandelte die für sie tätigen Telefoninterviewer, Face to Face-Interviewer und Codierer als freie Mitarbeiter und behielt dementsprechend keine Lohnsteuer und keine Sozialversicherungsbeiträge ein.
58Im Rahmen einer im Jahre 2002 durch das seinerzeit zuständige Finanzamt A bei der Klägerin durchgeführten Lohnsteuer-Außenpr üfung für den Zeitraum 1. Januar 1998 bis 30. September 2002 kam das Betriebsprüfungsfinanzamt zu dem Ergebnis, dass die für die Klägerin tätigen Telefoninterviewer, Face to Face-Interviewer sowie die Codierer nicht selbständig tätig, sondern als Arbeitnehmer anzusehen seien. Aufgrund von stichprobenweisen Überprüfungen der Entgeltempfänger stellte das Finanzamt A fest, dass diese teilweise nicht steuerlich geführt wurden bzw. von diesen die seitens der Klägerin ausgezahlten Vergütungen nicht steuerlich erklärt wurden. Ausgehend von den im Rahmen der Betriebsprüfung festgestellten Zahlungen an die Interviewer (vgl. Bl. 87 ff. der GA) seien nach Ansicht der Betriebsprüfung für das Jahr 2002 die gezahlten Vergütungen in vollem Umfang, für die Jahre 1998 bis 2001 – zur Abgeltung aller eventuellen Unwägbarkeiten – in Höhe von 95 % (Telefoninterviewer) bzw. 40 % (Face to Face-Interviewer) der Lohnbesteuerung zu unterwerfen. Bei der Lohnbesteuerung wurde entsprechend der Steuerklasse VI der Eingangssteuersatz zugrunde gelegt (vgl. Teilziffer 1, 1.3.1 des Berichts über die Lohnsteueraußenprüfung vom 18. Dezember 2002, Bl. 79, 86 der GA).
59Den Feststellungen der Lohnsteueraußenprüfung folgend nahm der Beklagte die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 10. Februar 2003 für nicht abgeführte Lohnsteuer in Höhe von 684.369,53 € zzgl. Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer, mithin in Höhe von insgesamt 783.552,- € in Haftung (Bl. 77 der GA).
60Im Rahmen des dagegen geführten Einspruchsverfahrens änderte der Beklagte entsprechend seiner Ankündigung mit Schreiben vom 1. Dezember 2005 (Bl. 131 der GA) den Haftungsbescheid dahingehend ab, dass hinsichtlich der Face to Face-Interviewer nicht mehr von einer Arbeitnehmereigenschaft ausgegangen werden könne, da diese im Gegensatz zu den Telefoninterviewern und den Codierern eine freiere und eigenverantwortlichere Tätigkeit ausgeübt hätten und damit die Voraussetzungen für eine Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen seien. Des Weiteren nahm der Beklagte eine nach Ansicht des Betriebsprüfungsfinanzamts vorzunehmende Korrektur bei der Besteuerung der Betriebsrente für eine Arbeitnehmerin der Klägerin ebenfalls zurück. Sodann wurde der Betrag, wegen derer die Klägerin in Haftung genommen wurde, auf den vorliegend streitgegenständlichen Betrag von 548.259,97 € zzgl. Nebenabgaben, mithin auf 627.757,68 € reduziert (vgl. den Änderungsbescheid vom 14. Dezember 2005, Rechtsbehelfsakte des Beklagten). Im Übrigen blieb der Einspruch erfolglos (vgl. Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2006, Bl. 132 ff. der GA).
61Mit der hiergegen erhobenen Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die seitens der Klägerin an die Telefoninterviewer und Codierer gezahlten Entgelte nicht der Lohnbesteuerung unterlägen. Zur Begründung trägt die Klägerin im Wesentlichen wie folgt vor:
62Zunächst sei der streitgegenständliche Haftungsbescheid bereits deshalb rechtswidrig, weil die Klägerin zu Recht nicht habe davon ausgehen können, dass es sich bei den von ihr beschäftigten Interviewern um Arbeitnehmer im steuerrechtlichen Sinne und damit bei den gezahlten Honoraren um Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit handele, bei denen ein Lohnsteuerabzug vorzunehmen sei. Der Klägerin könne auch nicht vorgeworfen werden, sie habe sich nicht ausreichend etwa in Form einer sog. lohnsteuerrechtlichen Anrufungsauskunft informiert. Denn die Klägerin sei jedenfalls einem Rechtsirrtum erlegen. Bislang habe kein Gericht die Tätigkeit von Personen, die mit den vorliegend zu beurteilenden Interviewern vergleichbar seien, als lohnsteuer- oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angesehen. Im Gegenteil sei nach der für den Streitzeitraum maßgeblichen steuerrechtlichen Beurteilung eine nichtselbständige Tätigkeit der Interviewer im Rahmen eines Dienstverhältnisses abgelehnt worden. In der Kommentierung in Schmidt, Einkommensteuergesetz, zu § 18 EStG (vgl. dort Rdnr. 155 Stichwort „Interviewer“) fände sich unter Bezugnahme auf entsprechende Verwaltungserlasse die Ansicht, dass es sich bei einer Interviewtätigkeit um eine selbständige Tätigkeit handele. Auch sonst habe es im Streitzeitraum keine Auseinandersetzung über die lohnsteuerrechtliche Behandlung von Telefoninterviewern gegeben.
63Eine Inanspruchnahme der Klägerin sei gemäß § 191 Abs. 5 AO nur dann zulässig, wenn noch eine Steuerschuld des Arbeitnehmers bestehe. Hierzu habe der Beklagte bzw. die Lohnsteuer-Au ßenprüfung lediglich eine stichprobenweise Überprüfung vorgenommen. Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner sei jedenfalls ermessensfehlerhaft, wenn begründete Zweifel bestehen, ob überhaupt ein Arbeitsverhältnis vorliegt, wenn die Steuer ebenso beim Steuerschuldner eingetrieben werden könnte, wenn der Arbeitnehmer inzwischen aus den Diensten des Arbeitgebers ausgeschieden ist bzw. wenn die gesamten Einkünfte des Arbeitnehmers unter der steuerpflichtigen Grenze liegen. Hierbei sei insbesondere zu beachten, dass es der Beklagte seit Jahren versäumt habe, auf das Angebot der Klägerin, eine Liste der von ihr beschäftigten Interviewer vorzulegen, einzugehen, um weitere Ermittlungen anzustellen und wegen der vermeintlichen Steuerschuld die Interviewer entsprechend derer individueller Verhältnisse in Anspruch zu nehmen.
64Unter Verweis auf die Rahmenvereinbarung und unter Schilderung der Art und Weise der Interviewtätigkeit im Streitzeitraum führt die Klägerin weiter aus, dass nach den für eine steuerrechtliche Abgrenzung von selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit maßgeblichen Kriterien vor allem zu den Punkten Weisungsgebundenheit, Unternehmerrisiko, Unternehmerinitiative, Eingliederung in eine betriebliche Organisation, Abrechnungsform und Auftritt der Interviewer nach außen und nach dem Gesamtbild der Tätigkeit der Telefoninterviewer wie auch der Codierer eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit abzulehnen sei. Im Einzelnen:
65Die Telefoninterviewer unterlägen keinen Weisungen der Klägerin im Hinblick auf Zeit, Ort und Inhalt der durchzuführenden Interviews, da dies jeweils vor der konkreten Befragung im Einzelnen ausgehandelt werde. Insoweit stehe es den Interviewern frei, ob, und wenn ja, wann und wie sie die von ihnen übernommene Tätigkeit, d.h. die Durchführung der Interviews, ausüben. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin den Interviewern die Fragebögen und Telefonnummern der zu befragenden Personen sowie sonstige Hilfsmittel zur Verfügung stelle, denn dies sei Teil der mit den Interviewern getroffenen Vereinbarung. Allein Vorgaben zum Inhalt der Befragungen begründeten kein arbeitgeberseitiges Direktionsrecht. Schließlich seien diese Inhalt der Interviewtätigkeit und mit der selbst ändigen Tätigkeit eines freien Mitarbeiters vereinbar. Soweit die Klägerin Vorgaben treffe bzw. Schulungsmaßnahmen durchführe, sei dies erforderlich, um eine repräsentative Befragung und damit eine ordnungsgemäße Auftragserfüllung zu gewährleisten. Im Übrigen entsprächen diese Vorgaben den Rahmenbedingungen, die auch für andere selbständig tätige Personen, etwa Handwerker, die auftragsgemäß Arbeiten auszuführen haben, gelten würden.
66Unter Hinweis auf die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung sei auch mangels eines Weisungsrechts der Klägerin vor allem im Hinblick auf die Arbeitszeit der Telefoninterviewer eine Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen. An der freien Bestimmung der Arbeitszeiten ändere sich nichts dadurch, dass die Klägerin für die Durchführung der Interviews sog. „Einsatzpläne“ erstelle. Dieser vom Beklagten verwendete Begriff sei irreführend, da es sich hierbei um keine Planerstellung durch die Klägerin handele, mit dem sie den Einsatz der Interviewer vorgebe, sondern lediglich um das Ergebnis der konkreten Vereinbarungen mit den Interviewern. Selbstverständlich sollen die Interviewer die von ihnen zugesagten Befragungen möglichst einhalten. Allerdings stehe es den Interviewern frei, die Angebote anzunehmen oder nicht; sie liefen lediglich Gefahr, bei wiederholter Ablehnung zukünftig nicht mehr berücksichtigt zu werden (vgl. Bl. 58 ff. der GA sowie das seitens der Klägerin beispielhaft übersandte Exemplar einer der als Einsatzpläne bezeichneten Wochenlisten, Bl. 148 der GA). Des Weiteren sei entgegen der Feststellung des Beklagten die Tätigkeit der Telefoninterviewer auch nicht auf die Zeit zwischen 16 und 21 Uhr begrenzt. Da es bei der Klägerin keine Schichten oder sonstige Vorgaben von Tätigkeitszeiten gäbe, könne es auch vorkommen, dass Interviewer, die abends zu einem bestimmten Zeitpunkt kommen, keine Interviewaufträge mehr erhielten, weil die erforderliche Anzahl der Interviews für ein bestimmtes Projekt bereits durchgeführt worden sei.
67Die Telefoninterviewer trügen auch ein für eine selbständige Tätigkeit sprechendes Unternehmerrisiko. Dies ergebe sich schon daraus, dass ein Interviewer für seine Tätigkeit nach Werkvertragsrecht hafte. Dies stelle ein ganz typisches Unternehmerrisiko eines selbständig Tätigen bzw. eines freien Mitarbeiters dar. Im Übrigen schuldeten die Interviewer – anders als Arbeitnehmer – nicht ihre Arbeitskraft, sondern gerade den Arbeitserfolg, d.h. entsprechend den Vorgaben des Auftraggebers ordnungsgemäß und fehlerfrei durchgeführte Interviews. Dadurch sei sichergestellt, dass die Interviews nach ein- und derselben Methode durchgeführt wurden und die im Interesse des Auftraggebers zu erhebenden Daten auf einen repräsentativen Querschnitt beruhten. Nur wenn derartige Interviews abgeliefert würden, stünde den Interviewern der Anspruch auf das vereinbarte Entgelt zu.
68Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 2. Dezember 1998 (X R 83/96) folge ein eigenes unternehmerisches Risiko daraus, dass die Interviewer bei persönlicher Verhinderung keine Einnahmen erzielten. Die Interviewer hätten keinen Anspruch darauf, dass ihnen Aufträge zur Durchführung von Interviews angeboten würden. Die Honorare w ürden für jeden Einzelauftrag gesondert vereinbart, sie könnten aber durch erhöhten Einsatz ihre Einnahmen erhöhen genauso wie die Einnahmen durch geringeren Einsatz oder die Abwicklung von Aufträgen verringert würden. Die Einkünfte seien im Vorhinein nicht kalkulierbar, da es den Interviewern freistehe, ob und wann sie für die Klägerin tätig würden. Zudem wüssten die Interviewer zu Beginn ihrer Arbeit am jeweiligen Tag nicht, wie viel sie verdienen könnten. Denn die Interviews würden von Mitarbeitern der Klägerin stichprobenartig mitgehört, um die Qualität der Interviews überprüfen und entscheiden zu können, ob fehlerhafte Interviews nicht vergütet oder sogar alle an einem Tag durchgeführten Interviews einer Person nicht honoriert werden, weil die noch fehlerfrei ermittelten Daten nicht mehr repräsentativ seien. Dies stelle eine notwendige Qualitätskontrolle dar, wie sie nicht nur bei Tätigkeiten von Arbeitnehmern, sondern auch bei freien Mitarbeitern oder beauftragten Unternehmern üblich sei. Schließlich trügen die Interviewer auch das Risiko, dass ein Interview aus von ihnen nicht zu beeinflussenden Gründen, etwa weil einer der Befragten das Interview abbricht oder einen vereinbarten Nachfolgetermin für die Fortführung des Interviews nicht einhält, nicht vollständig durchgeführt werde und sie insoweit kein Honorar erhielten.
69Hinzu komme, dass vor Beginn einer telefonischen Befragung für ein bestimmtes Projekt die Höhe der Vergütung nicht bekannt sei. Dies sei abhängig vom dem jeweiligen Projektleiter zur Verfügung stehenden Budget. Zunächst würde die Anzahl der Interviews, die durchschnittlich je Stunde geführt werden können, ermittelt. Sobald diese Information (nach etwa 2 bis 3 Tagen) vorläge, würde rückwirkend und für die Zukunft das Honorar festgelegt und den Interviewern mitgeteilt. Dieses Honorar schwanke zwischen 0,50 € und 9,00 € oder mehr je Interview. Die Höhe der Vergütung hänge von der durchschnittlichen Dauer der Befragung, vom Schwierigkeitsgrad, von dem durch persönliches Auftreten oder Überzeugungskraft geprägten individuellen Erfolg des Interviews sowie von der Erreichbarkeit der Zielgruppe ab. Aus diesem Grund seien Honorare pro Interview zwischen 0,50 € und 12,00 € und mehr möglich. Eine derartige qualitätsabhängige Vergütung habe sodann zur Folge, dass regelmäßig einige Interviewer während der Durchführung der Befragungsstudie, sobald die Höhe der Vergütung bekannt gegeben wurde, die Fortsetzung der Interviewtätigkeit ablehnen würden; auch dies spräche für eine selbstständige Tätigkeit.
70Die Telefoninterviewer bekämen den Arbeits- und Zeitaufwand für die Schulungsmaßnahmen nicht vergütet, hätten keinen Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfalle und keinen Urlaubsanspruch und könnten keinen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen. Auch Fahrtkosten oder Ähnliches würden den Interviewer nicht erstattet. Einzig bei besonders zeitintensiven Projektschulungen, die eine Stunde oder mehr betragen, sei im streitgegenständlichen Zeitraum der Zeitaufwand vergütet worden.
71Die Interviewer würden eine hinreichende Unternehmerinitiative entfalten, denn es liege allein an den Interviewern, welchen Einsatz sie erbringen und wie viel sie verdienen. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang der Interviewer Angebote der Klägerin annimmt, setze eine entsprechende unternehmerische Entscheidung voraus; ein Arbeitnehmer müsse und könne eine solche Entscheidung nicht treffen. Zudem sei es den Interviewern möglich, für andere Marktforschungsinstitute tätig zu werden oder anderen Tätigkeiten nachzugehen, wie dies in der überwiegenden Anzahl der Fälle auch tatsächlich geschehe.
72Entgegen der Auffassung des Beklagten seien die Interviewer nicht in die betriebliche Organisation der Klägerin in einer Weise eingebunden, die gegen eine selbständige Tätigkeit spreche. Insoweit missverstehe der Beklagte die Eigenart der spezifischen Tätigkeit der Interviewer. Die Vorgaben an die Interviewer seien aus methodischen Gründen erforderlich, da es dem Interviewer nicht freistehen könne, beliebige Personen an einem Ort seiner Wahl zu befragen. Vielmehr werde gerade deswegen genau vereinbart, wo der Interviewer welche Personen befragt, um eine Vergleichbarkeit der Daten sicherzustellen und repräsentative Umfrageergebnisse zu erzielen.
73Im Gegensatz zu zahlreichen Entscheidungen der Arbeits- bzw. Sozialgerichte sei vorliegend der Beklagte der erste, der eine Arbeitnehmereigenschaft von Telefoninterviewern bejahe. Wenn es auch rechtlich keine Bindungswirkung der Finanzbehörden im Hinblick auf die rechtliche Einordnung der Tätigkeit im arbeitsrechtlichen bzw. sozialrechtlichen Sinne gäbe, drohe ein Auseinanderfallen des Begriffs des „Arbeitnehmers“ zwischen den verschiedenen Rechtsgebieten, eine unzumutbare und unerträgliche Uneinheitlichkeit im Statusrecht und damit ein Verstoß gegen das Gebot der im Wesentlichen einheitlichen Verwaltungspraxis. Trotz der unterschiedlichen Zielrichtungen der verschiedenen Rechtsgebiete müssten die gleichen Abgrenzungskriterien gelten. Jedenfalls sei die im Arbeits- und Sozialrecht vorgenommene Einordnung der Tätigkeit von Telefoninterviewern als freiberufliche bzw. selbständige Tätigkeit ein Indiz für eine entsprechende steuerrechtliche Beurteilung. Hierzu verweist die Klägerin auf Mitteilungen von Trägern der Sozialversicherung, wonach die Tätigkeit von Interviewer als nicht sozialversicherungspflichtig angesehen werde (vgl. Bl. 30, 609 der GA sowie die Bestätigungen Bl. 224 ff. der GA).
74Die für die Klägerin tätigen Codierer seien letztendlich genauso wie die Telefoninterviewer zu beurteilen und als Selbständige tätig, da sie ebenfalls nicht weisungsgebunden und in der Annahme von Aufträgen frei seien. Ihre Vergütung werde auf ähnlicher Basis wie bei den Telefoninterviewern ermittelt; der Preis pro ausgewerteten Fragebogen betrage zwischen 1,20 € und 2,50 €. Die Codierer erstellten daraufhin entsprechende Rechnungen (vgl. die Kopie einer Rechnung, Bl. 510 der GA). Ein maßgebliches unternehmerisches Risiko trügen die Codierer dadurch, dass sie bei mangelhaft ausgeführten Aufträgen keine Vergütung erhielten. Im Übrigen seien die Codierer bei ihrer Tätigkeit nicht an einen Arbeitsort gebunden, sondern könnten von zu Hause aus oder von einem sonstigen Ort aus tätig werden.
75In der mündlichen Verhandlung trug die Klägerin ergänzend vor, die zwei Varianten der Rahmenvereinbarung würden sich dadurch erklären, dass in Folge des 1999 erlassenen Gesetzes betreffend die Scheinselbständigkeit etwa 2000/2001 die gesetzlichen Vorgaben auf Anregung des ADM Arbeitskreis Deutscher Markt- und Sozialforschungsinstitute umgesetzt worden seien. Des Weiteren erläuterte der Geschäftsführer der Klägerin, dass ausgehend von dem für die jeweilige Studie zur Verfügung stehenden Budget für die Höhe der pro Interview gezahlten Vergütung die Anzahl der in einer Stunde durchschnittlich zu schaffenden Interviews maßgeblich sei. Zudem werde bei jeder Studie auf einen Mix aus neuen Interviewern und erfahrenen Interviewern, deren Leistungen man bereits einschätzen könne, geachtet.
76Schließlich zieht die Klägerin in Zweifel, dass die streitige Haftungssumme den tatsächlich entgangenen Steuereinnahmen entspräche. Nach Erkenntnissen der Klägerin, die in den Folgejahren vorsorglich die Lohnsteuerkarten der Interviewer kopiert habe, hätten deutlich mehr Interviewer als vom Beklagten angenommen, vor allem diejenigen Interviewer mit höheren Honoraren etwa von über 10.000,00 € p.a., ihre Einkünfte versteuert, so dass der letztendlich eingetretene Steuerausfall durch einen nicht erfolgten Lohnsteuerabzug weitaus geringer ausgefallen sei.
77Die Klägerin beantragt,
78den Haftungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für den Zeitraum 1. Januar 1998 bis zum 30. September 2002 vom 10. Februar 2003 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. Dezember 2005 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2006 aufzuheben,
79hilfsweise die Revision zuzulassen.
80Der Beklagte beantragt,
81die Klage abzuweisen.
82Der Beklagte trägt im Anschluss an die Einspruchsentscheidung im Wesentlichen vor: Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BFH zur Abgrenzung von Arbeitnehmertätigkeit und selbständiger Tätigkeit seien die Telefoninterviewer für die Klägerin im Rahmen eines dem Lohnsteuerabzug unterliegenden Arbeitsverhältnisses tätig geworden. Maßgeblich hierfür sei zunächst, dass die Telefoninterviewer gegenüber der Klägerin weisungsgebunden seien, da Ort, Zeit und Inhalt der Interviewtätigkeit Ausfluss des Willens der Klägerin bzw. der Auftraggeber seien. In den von den Telefoninterviewern abzuarbeitenden Fragebögen bzw. in den zu beachtenden Schulungsunterlagen würden detailierte Anweisungen zur Durchführung der Interviews vorgegeben, so dass für die Entfaltung einer freien unternehmerischen Initiative der Telefoninterviewer kein Raum verbleibe. Die Interviewtätigkeiten würden stets an einem gleichbleibenden Ort, d.h. im Studio der Klägerin, abgehalten. Die Fragen seien fest vorgegeben und in bestimmter Weise vorzutragen; selbst die Betonung sei vorgegeben.
83Der Weisungsgebundenheit stehe insbesondere – worauf die Klägerin abstelle – nicht entgegen, dass die Telefoninterviewer jederzeit und ohne Angaben von Gründen Aufträge ablehnen oder ihre Tätigkeit einstellen könnten oder auch sonst in ihrer Zeiteinteilung frei seien. Zwar könnten die Interviewer ihre Arbeitstage zunächst selbst bestimmen. Sobald sie sich jedoch zur Auftragsannahme entschlossen hätten, würden sie entsprechend dem erstellten und im Wochenplan niedergelegten zeitlichen Plan eingegliedert werden und seien an ihre Zusage und an die vorgegebenen Arbeitszeiten gebunden, zumal die Klägerin den zeitlichen Zugang zum Arbeitsplatz bestimme und die Interviews in der Regel zwischen 16 und 21 Uhr durchgeführt würden. Für eine Eingliederung in den betrieblichen Organismus sei nicht unbedingt eine langfristige Tätigkeit erforderlich. Schließlich seien die meisten Telefoninterviewer auch tatsächlich wiederkehrend und über einen längeren Zeitraum für die Klägerin tätig und spräche die monatliche, seitens der Klägerin vorgenommene Abrechnung für ein Arbeitsverhältnis.
84Zudem trügen die Telefoninterviewer kein maßgebliches Unternehmerrisiko. Es bestehe tatsächlich nicht die Gefahr, dass ein Interviewer vollständig mit seinem Vergütungsanspruch ausfalle; die Anzahl der Telefonate bzw. der von der Klägerin angebotenen Telefonnummern führe regelmäßig zu einer Bezahlung. Die Interviewer seien nicht wie ein Unternehmer am Erfolg oder Misserfolg der Tätigkeit beteiligt, vielmehr verbliebe das unternehmerische Risiko für die Aufträge zur Durchführung von Markt- oder Sozialforschungen bei der Klägerin selbst.
85Des Weiteren erledigten die Telefoninterviewer ihre Arbeit tatsächlich höchstpersönlich. Die in der Rahmenvereinbarung vorgesehene Möglichkeit, dass eine andere Person die Interviews ausführe, sei eher von theoretischer Natur. Die Telefoninterviewer schuldeten zudem keinen Arbeitserfolg, sondern ihre Arbeitskraft, weil ein fertiges Werk erst aus der Auswertung bzw. Zusammenführung der einzelnen Interviewtätigkeiten entstehe und die Telefoninterviewer hierfür allenfalls Teilleistungen ablieferten.
86Die Telefoninterviewer seien in die Organisation der Klägerin derart fest eingebunden und unterlägen der besonderen Aufsicht der Klägerin bzw. der Auftraggeber, dass keine eigenständige Unternehmerinitiative entwickelt werden könne. Die Telefoninterviewer seien nicht in der Lage, hinreichend selbständig ihre Tätigkeit zu organisieren und durchzuführen. Insbesondere könnten sie keine eigenen Ideen bei der Ausgestaltung der Interviews einbringen. Sie unterlägen schließlich der ständigen Kontrolle und Beobachtung durch den Supervisor. Die Tätigkeitzeiten seien eng und durch Anfangs- und Endzeiten festgelegt, denn dem Interviewer werde die zu befragende Personengruppe sowie die konkret zu befragende Person vorgegeben. Die Interviewer hätten keinen Einfluss auf die Preisgestaltung; diese werde vielmehr von der Klägerin vorgegeben. Die Interviewer würden auch keine Angebote abgeben, keine Werbung in eigener Sache unternehmen sowie keine eigene Abrechnung gegenüber der Klägerin erstellen.
87Im Hinblick auf die steuerrechtliche Beurteilung der Tätigkeit der Codierer sagte der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung zu, den Haftungsbescheid dergestalt zu korrigieren, dass die Inanspruchnahme der Klägerin auf die Haftung für Lohnsteuer und Nebenabgaben für die Tätigkeit der Telefoninterviewer beschränkt wird.
88Im Laufe des Klageverfahrens forderte der Beklagte unter Berufung auf die Entscheidung des BFH vom 29. Mai 2008 (VI R 11/07) die Klägerin auf, zur genaueren Bestimmung der maßgeblichen Lohnsteuerhaftungsschuld stichprobenweise Ausk ünfte von den im Streitzeitraum bei ihr beschäftigten Telefoninterviewern und Codierern dazu einzuholen, ob diese im Streitzeitraum neben der Beschäftigung bei der Klägerin noch bei anderen Arbeitgebern tätig waren, ob die von der Klägerin bezogenen Honorare im Streitzeitraum von den Empfängern versteuert wurden und ob die bei der Klägerin beschäftigten Personen im Streitzeitraum eine geringfügige steuerfreie Beschäftigung ausübten. Daraufhin schrieb die Klägerin 536 der früheren Interviewer, von denen sie noch über Anschriften verfügte, an und bat um Beantwortung der vom Beklagten aufgeworfenen Fragen. Hiervon kamen 285 Schreiben als unzustellbar zurück; 32 Personen hatten geantwortet. Hiervon bestritten 2 Personen, überhaupt für die Klägerin tätig gewesen zu sein. Von den weiteren 30 Personen gaben 5 Personen an, die erhaltene Vergütung versteuert zu haben. Von den übrigen Personen gaben die meisten an, die Vergütung wegen der Geringfügigkeit des Einkommens nicht versteuert zu haben (vgl. 282 ff. der GA).
89Entsprechend einer Aufforderung des Gerichtes legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Februar 2012 (Bl. 598 ff. der GA) in Dateiform eine Aufstellung der im Streitzeitraum an die im Einzelnen aufgeführten und namentlich benannten Telefoninterviewer und Codierer gezahlten Honorare (in Jahresbeträgen) vor (vgl. Ausdruck Bl. 661 ff. der GA).
90Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C, D, E, F und G. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2012 verwiesen.
91Entscheidungsgründe
92Die Klage ist zum Teil begründet.
93Der Lohnsteuerhaftungsbescheid vom 10. Februar 2003 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. Dezember 2005 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2006 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), als der Lohnsteuerhaftungsbetrag den Betrag von 107.694,00 € zzgl. darauf entfallender Nebenabgaben (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) übersteigt; insoweit ist die Klage begründet. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und die Klage unbegründet.
94Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist bereits dem Grunde nach rechtswidrig, soweit er sich auf die Haftung der Klägerin für nicht abgeführte Lohnsteuer bzgl. der im Streitzeitraum von ihr beschäftigten Codierer bezieht, denn diese sind nicht als Arbeitnehmer, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, anzusehen (dazu unter I. 2. a)). Soweit sich die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin auf nicht abgeführte Lohnsteuer bzgl. der Telefoninterviewer bezieht, ist sie zwar dem Grunde nach gerechtfertigt (dazu unter I. 2. b)). Allerdings ist der Haftungsbetrag zu hoch bemessen, soweit er über einen Lohnsteuerbetrag von 107.694,00 € hinausgeht (dazu unter II.).
95I. Der Beklagte hat die Klägerin dem Grunde nach zu Recht als Haftungsschuldnerin für nicht abgeführte Lohnsteuer und Nebenabgaben in Anspruch genommen, soweit dies die von der Klägerin im Streitzeitraum beschäftigten Telefoninterviewer, nicht jedoch die Codierer betrifft.
96Gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG) haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat.
97Nach dieser Vorschrift haftet die Klägerin, weil sie im streitgegenständlichen Zeitraum Arbeitgeberin der Telefoninterviewer war. Diese erzielten in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) als Arbeitnehmer der Klägerin. Hingegen sind die Codierer nicht als Arbeitnehmer anzusehen, weshalb eine Haftungsinanspruchnahme der Klägerin ausscheidet.
981. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) sind Arbeitnehmer Personen, die in öffentlichem oder privatem Dienst angestellt oder beschäftigt sind oder waren und die aus diesem Dienstverhältnis Arbeitslohn beziehen. Ein Dienstverhältnis liegt gem äß § 1 Abs. 2 LStDV vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber (öffentliche Körperschaft, Unternehmer, Haushaltsvorstand) seine Arbeitskraft schuldet. Dies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Diese Vorschrift legt nach ständiger Rechtsprechung des BFH den Arbeitnehmerbegriff zutreffend aus (vgl. BFH-Urteile vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933; vom 14. Juni 2007 VI R 5/06, BFHE 218, 233, BStBl II 2009, 931; vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534; vom 14. Juni 1985 VI R 152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661).
99Nach der Rechtsprechung des BFH lässt sich der daraus abzuleitende Arbeitnehmerbegriff nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen. Es handelt sich nicht um einen tatbestandlich scharf umrissenen Begriff, sondern um einen offenen Typus, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann. Die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, ist daher anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Hierzu hat der BFH (vgl. Urteil vom 14. Juni 1985 VI R 152/82, BFHE 144, 225, BStBl II 1985, 661; Beschluss vom 9. November 2004 VI B 150/03, BFH/NV 2005, 347 m.w.N.) Kriterien beispielhaft aufgeführt, die für die Abgrenzung Bedeutung haben können. Für eine Arbeitnehmereigenschaft können hiernach insbesondere folgende Merkmale sprechen: persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Überstundenvergütung, zeitlicher Umfang der Dienstleistungen, Unselbständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit, kein Unternehmerrisiko, keine Unternehmerinitiative, kein Kapitaleinsatz, keine Pflicht zur Beschaffung von Arbeitsmitteln, Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges, Ausführung von einfachen Tätigkeiten, bei denen eine Weisungsabhängigkeit die Regel ist. Diese Merkmale sind im konkreten Einzelfall jeweils zu gewichten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BFH-Urteile vom 23. April 1997 VI R 99/96, BFH/NV 1997, 656; vom 23. Oktober 1992 VI R 59/91, BFHE 170, 48, BStBl II 1993, 303). Die sozial- und arbeitsrechtliche Einordnung einer Tätigkeit als selbständig oder unselbständig ist dagegen für die steuerrechtliche Beurteilung nicht bindend; sie kann allenfalls als Indiz gewertet werden (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534; Beschluss vom 9. November 2004 VI B 150/03, BFH/NV 2005, 347).
1002. Nach diesen Grundsätzen und der vom Senat vorgenommenen Abwägung der für und gegen eine nichtselbständige Tätigkeit der von der Klägerin im Streitzeitraum beschäftigten Personen, deren steuerrechtliche Behandlung noch streitig ist, sprechenden Merkmale ergibt sich, dass lediglich die Telefoninterviewer, nicht jedoch die Codierer als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen sind.
101a) Hinsichtlich der für die Klägerin tätig gewordenen Codierer ist eine Arbeitnehmereigenschaft und daher eine Lohnsteuerhaftung abzulehnen. Denn diese Personen waren nicht in einer Weise in die unternehmerische Organisation bei der Klägerin eingebunden, die für eine im Wesentlichen weisungsgebundene Tätigkeit spricht. Die Codierer konnten nach dem Vortrag der Klägerin, dem der Beklagten zuletzt nicht entgegengetreten ist, tatsächlich frei darüber verfügen, wann und wie sie ihre Tätigkeit ausübten. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Codierer – unstreitig – in Heimarbeit tätig geworden sind. Insoweit lässt sich diese Personengruppe eher mit der Tätigkeit der Face to Face-Interviewer vergleichen, hinsichtlich derer der Beklagte bereits im Einspruchsverfahren von einer Haftungsinanspruchnahme der Klägerin Abstand genommen hatte mit der Begründung, dass ein hinreichender Nachweis einer Arbeitnehmereigenschaft vor allem aufgrund der weitgehend freien Gestaltungsmöglichkeiten der Tätigkeit der Face to Face-Interviewer nicht möglich erschien.
102Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da selbst der Beklagte dieser Beurteilung in der mündlichen Verhandlung dadurch zugestimmt hat, dass er seinerseits in Aussicht gestellt hatte, den angefochtenen Haftungsbescheid insoweit abzuändern, als die Lohnsteuerhaftung die Tätigkeit der Codierer betrifft.
103b) Demgegenüber haftet die Klägerin dem Grunde nach zu Recht für Lohnsteuer bzgl. der Tätigkeit der Telefoninterviewer. Nach der vom Senat angestellten Gesamtbetrachtung aller Umstände und dem äußeren Bild des Tätigwerdens der Telefoninterviewer sind diese als Arbeitnehmer der Klägerin anzusehen, da sie weder ein maßgebliches Unternehmerrisiko trugen noch eine einem Selbständigen vergleichbare Unternehmerinitiative entfalten konnten; sie waren vielmehr hinsichtlich Inhalt, Ort und zeitlichem Rahmen ihrer Tätigkeit organisatorisch in den Betrieb der Klägerin eingebunden und der Klägerin gegenüber weitestgehend weisungsgebunden.
104aa) Nach dem Gesamteindruck der streitgegenständlichen Tätigkeit der Telefoninterviewer, wie ihn der Senat im Laufe des Verfahrens, insbesondere nach Durchführung der Beweisaufnahme, gewonnen hat, trugen die Telefoninterviewer nicht das dem Bild eines Selbständigen entsprechende Unternehmerrisiko.
105(1) Ein Unternehmerrisiko trägt, wer sich auf eigene Rechnung und Gefahr betätigt und die Höhe der Einnahmen wesentlich durch eine Steigerung seiner Arbeitsleistung oder die Herbeiführung eines besonderen Erfolges beeinflussen kann; z.B. durch Anstellung selbstbezahlter Mitarbeiter. Zum Unternehmerrisiko gehört auch das Tragen eigener, im Zusammenhang mit der Betätigung entstehender Aufwendungen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1992 VI R 126/88, BFHE 169,154, BStBl II 1993, 155), aber auch die Möglichkeit, bei Krankheit oder Auftragsausfall keine Vergütung zu erhalten (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534).
106(2) Vorliegend orientierte sich die Höhe der Vergütung für die Telefoninterviewtätigkeit grundsätzlich an einer Rahmenvergütung und sollten nach dem Vortrag der Klägerin individuelle Komponenten wie die Qualität der Interviews Auswirkungen auf die Vergütung gehabt haben. Dies begründet jedoch kein ausreichendes Unternehmerrisiko. Denn die einzelnen Interviewer hatten auch nach dem Vorbringen der Klägerin allenfalls geringe Einflussmöglichkeiten, durch Steigerung ihrer Arbeitsleistung auch die Höhe ihres Honorars zu steigern. Faktisch zahlte die Klägerin ein begrenzt variables Stundenhonorar.
107(a) Die Telefoninterviewer konnten zwar die Höhe ihrer insgesamt erzielten Einkünfte durch den Umfang ihrer Interviewtätigkeiten steigern bzw. verringern. Dies ist jedoch nicht typische Folge einer selbständigen Tätigkeit, sondern Ausdruck der auch Arbeitnehmern zustehenden Freiheit, selbst zu entscheiden, in welchem zeitlichen Umfang die nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt werden soll. Maßgeblich ist im vorliegenden Zusammenhang statt dessen, ob und in welchem Maße die Interviewer die Höhe des pro abgeschlossenen Interview bzw. pro Zeiteinheit erzielbaren Honorars beeinflussen konnten.
108Zur Überzeugung des Senats wurde das von der Klägerin gezahlte Honorar trotz gewisser Schwankungen in einer Weise bemessen, dass die Telefoninterviewer eher kurzfristig und auf Stundenbasis beschäftigten Arbeitnehmern gleichen. Dies ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Klägerin, wonach die Höhe der pro Interview gezahlten Vergütung insbesondere von dem für die jeweilige Befragung zur Verfügung stehenden Budget abhängig war. Der Geschäftsführer der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung nochmals geschildert, dass ausgehend von der jeweiligen Budgetgrenze die Anzahl der pro Zeiteinheit (Stunde) durchschnittlich zu schaffenden Interviews maßgeblich für die Höhe des Honorars je Interview gewesen sei. Dies bestätigt, dass eine Steigerung der Anzahl der pro Stunde erledigten Interviews zu einer Absenkung des pro Interview gezahlten Honorars geführt hätte.
109(b) Die Vorgabe und ggf. nachträgliche Anpassung der Honorare hat vor allem auch der Zeuge E bestätigt, indem er bekundet hat, dass er sich an einen Fall erinnere, in dem die Honorarhöhe pro Interview im Nachhinein gesenkt worden sei, da die Studie besonderes gut gelaufen wäre. Dies dürfte sich damit erklären, dass die Dauer der Interviews kürzer war als ursprünglich von der Klägerin bzw. dem Projektleiter kalkuliert.
110Die Aussage des Zeugen E ist glaubhaft, da sie sich im Wesentlichen mit dem Vortrag der Klägerin und den Schilderungen des Geschäftsführers der Klägerin zur Bemessung der Interviewhonorare deckt. Der Senat hält den Zeugen auch für glaubwürdig, da er seine Erinnerungen an die Tätigkeit bei der Klägerin mit eigenen Worten frei, ausführlich und strukturiert geschildert hat und hierbei auch für die Ansicht der Klägerin günstige Umstände (wie etwa die mögliche kurzfristige Absage von vereinbarten Einsatzzeiten; mögliche Verspätungen oder vorzeitiges Arbeitsende), die für eine selbständige Tätigkeit der Interviewer sprechen könnten, nicht ausgespart hat. Zudem hat der Zeuge auf die Nachfrage, ob er nicht die Tätigkeiten bei verschiedenen anderen Meinungsforschungsinstituten mit der Arbeit für die Klägerin verwechselt haben könnte, für den Senat überzeugend geschildert, dass er sich genau an die Tätigkeit für die Klägerin erinnert.
111(c) Die Einschätzung einer Vergütung faktisch auf Stundenhonorarbasis wird zusätzlich gestützt durch die Schilderungen insbesondere der Zeugen C und G, welche auf die Frage nach der Höhe der von ihnen erzielten Vergütung auf Zeiteinheiten (Stunden bzw. 4-Stunden-Schicht) basierende Beträge nannten. Daraus ergibt sich, dass nicht nur die Klägerin das Honorar im Hinblick auf den Zeitfaktor betrachtete, sondern auch die Telefoninterviewer ihre Vergütung – trotz Berechnung anhand eines Honorars je Interview – im Ergebnis als Stundenhonorar ansahen.
112Die gezahlten Honorare je Interview wiesen auch tatsächlich Größenordnungen auf, die einem Stundenhonorar für vergleichbare Tätigkeiten entsprechen.
113(d) Dass es trotz des vorgegebenen Rahmenhonorars immer noch vom jeweiligen Interviewer abhing, wie viele Befragungen er pro Zeiteinheit schaffen konnte, stellt kein maßgebliches Unternehmerrisiko dar. Der Senat hält sowohl die Chance einer Honorarsteigerung als auch das Risiko einer Honorarverringerung für eher begrenzt und vernachlässigbar. Denn auch durch besonderen Arbeitseinsatz ließe sich die Anzahl der Interviews pro Stunde nur in begrenztem Maße steigern, da nur vollständig und ordnungsgemäß durchgeführte Befragungen einen Vergütungsanspruch rechtfertigen konnten. Andererseits würde ein vollständiger Honorarausfall voraussetzen, dass der Interviewer überhaupt keine Befragungen durchgeführt hat. Dies hält der Senat für eher fernliegend, da vielmehr davon auszugehen ist, dass eine Person, die sich für eine Interviewtätigkeit bereit erklärt, die Arbeit auch ausführen wird, oder anderenfalls erst gar nicht in den Räumen der Klägerin erschienen wäre. Selbst wenn dies aber dennoch vorgekommen sein sollte, würde es die Klägerin schon angesichts der Überwachung der Interviewtätigkeit durch die Supervisoren allenfalls kurzfristig dulden, wenn ein Interviewer trotz vereinbarter Tätigkeitszeiten einen Telefonarbeitsplatz quasi besetzt, ohne die vorgesehenen Befragungen durchzuführen.
114(e) Des Weiteren bestand trotz der vertraglichen Formulierung, wonach die Vergütung individuell und im Einzelfall verhandelt werden sollte (vgl. § 4 letzter Absatz der Rahmenvereinbarung), nach dem Vortrag der Klägerin, nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen sowie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme überhaupt kein maßgeblicher Verhandlungsspielraum für die Interviewer. Diese konnten lediglich entscheiden, ob sie das von der Klägerin für die jeweilige Studie vorgesehene Honorar je Interview akzeptierten und die Arbeit aufnahmen, oder nicht bereit waren, für dieses Honorar Interviews durchzuführen. Denn zur Überzeugung des Senats war das jeweils gezahlte Honorar nicht Ergebnis einer freien, individuellen Vereinbarung zwischen der Klägerin und den einzelnen Telefoninterviewern, sondern wurde von der Klägerin vorgegeben.
115Dies hat wiederum die Beweisaufnahme ergeben. Die Zeugen C, G und E haben übereinstimmend bekundet, dass anhand der Aushänge vor Ort bei der Klägerin sowohl die Studie, für welche die Interviewer eingeteilt waren, als auch die jeweilige Honorarhöhe vorgegeben waren. Von individuellen Vereinbarungen zur Vergütung hat keiner dieser Zeugen gesprochen. Für den Senat haben sich weder Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen noch an der Glaubwürdigkeit der Zeugen ergeben. Wie sich zudem insbesondere aus der Aussage des Zeugen E ergibt, bestand für die Interviewer allenfalls die Möglichkeit, den Wunsch zu äußern, bei einer anderen, besser vergüteten Befragung eingeteilt zu werden; ein Wechsel von einer Studie zur anderen hing jedoch von der Klägerin ab. Im Übrigen dürfte den Interviewern nur die Entscheidung verblieben sein, ob sich die Tätigkeit angesichts des vorgegebenen Honorars für sie lohnte oder nicht.
116(3) Der Senat vermag des Weiteren nur ein begrenztes wirtschaftliches Risiko infolge eines möglichen Honorarausfalls der Telefoninterviewer erkennen.
117(a) Wenn ein Interviewer einen Auftrag angenommen hatte und im Wochenplan bzw. bei einer entsprechenden Befragung vermerkt, d.h. eingeplant wurde, konnten sowohl die Klägerin als auch die Interviewer regelmäßig von einer Mitwirkung an der Studie ausgehen. Zu Terminabsagen kam es nur ausnahmsweise. Die Interviewtätigkeit führte auch in aller Regel, soweit der Interviewer entsprechend den Vorgaben ordnungsgemäße Interviews durchführte, zur Zahlung des Honorars dafür.
118Dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Die Zeugen hatten – soweit sie sich erinnern konnten – bekundet, dass sie für ihre Tätigkeit auch die entsprechende Vergütung, wie sie zuvor per Aushang bekannt gegeben wurde, erhalten hatten. Zwar kam es im Einzelfall zu Beanstandungen der Interviewtätigkeit durch einen der Supervisoren. Eine Honorarkürzung oder gar Verweigerung der Honorarzahlung seitens der Klägerin wegen nicht ordnungsgemäß durchgeführter Interviews konnte keiner der Zeugen bestätigen.
119(b) Der Senat verkennt nicht, dass tatsächlich ein Risiko für die Telefoninterviewer bestand, für einen Teil ihrer Tätigkeit kein Honorar zu empfangen, wenn Interviews aus in der Sphäre der angerufenen Personen liegenden Gründen abgebrochen wurden. Dieses Risiko ist jedoch nicht als derart schwerwiegend anzusehen, dass sich daraus ein maßgebliches unternehmerisches Risiko ableiten ließe.
120Zum einen bleibt trotz der Schilderung der Klägerin und den Bekundungen der Zeugen fraglich, ob tatsächlich für diesen Fall generell keine Vergütung gezahlt wurde. Denn ausweislich der von der Klägerin vorgelegten Schulungsunterlage hatten die Interviewer die Gründe, aus denen die angerufenen Personen nicht zu einem Interview bereit waren oder ein begonnenes Interview vorzeitig beendeten (vgl. Punkt V. „Die Ausfallgründe“, Bl. 156 der GA), im Computerprogramm einzugeben. Gemäß Punkt II. 3. der Schulungsunterlage waren die Ausfallgründe zwingend einzugeben, erst dann wurden die nächsten Kontaktdaten eingeblendet. Dies spricht dafür, dass die Erfassung der Abbruchgründe Teil der Interviewertätigkeit war und damit auch ein ordnungsgemäß erfasstes, abgebrochenes oder terminlich verschobenes Interview ein den Honoraranspruch rechtfertigendes Interview darstellte. Ansonsten fragt sich, warum Interviewer die Ausfallgründe erfassen und ggf. noch weitere Erläuterungen eingeben mussten, wenn sie für diese Arbeit keine Vergütung erhielten.
121Zum anderen dürfte sich der Zeitaufwand für nicht erfolgreich abgeschlossene Interviews in überschaubaren Grenzen gehalten haben. Denn angerufene Personen werden zumeist gleich zu Beginn des Telefonats oder kurz danach dem Interviewer mitteilen, wenn sie kein Interesse an der Mitwirkung an der Befragung haben. Dies bestätigt schließlich auch die Beweisaufnahme, da der Zeuge G bekundet hat, dass bei ca. 90 % der Anrufe das Interview auch zu Ende geführt wurde.
122(4) Ein für eine selbstständige Tätigkeit sprechendes Unternehmerrisiko folgt nach Einschätzung des Senats auch nicht daraus, dass die Telefoninterviewer nicht sicher sein konnten, von der Klägerin nach Abschluss einer Studie bei Folgeaufträgen berücksichtigt zu werden. Dieses Risiko ist gerade Folge einer von beiden Vertragsparteien gewollten kurzfristigen Auftragsbindung, wie sie auch bei einer nichtselbständigen Tätigkeit nicht untypisch ist, sondern dem Charakter einer Aushilfstätigkeit bzw. einer kurzfristigen Beschäftigung auf Stundenbasis entspricht. Auch in diesen Fällen typischer Arbeitnehmertätigkeiten wird der Arbeitnehmer nur dann mit einer Weiterbeschäftigung rechnen können, wenn er zur Zufriedenheit des Arbeitgebers gearbeitet hat.
123(5) Des Weiteren trugen die Telefoninterviewer der Klägerin im Streitzeitraum kein für einen Selbständigen typisches Investitions- bzw. Vermögensrisiko. Ein Kapitaleinsatz der Interviewer war nicht erforderlich. Der von ihnen zu tragende Kostenaufwand dürfte regelmäßig sehr überschaubar gewesen sein. Denn die Klägerin hat den Telefoninterviewer einen Büroarbeitsplatz und die für die Durchführung der Befragungen erforderlichen Arbeitsmittel (Arbeitsplatz mit PC und Telefon, abzuarbeitende Fragebögen) zur Verfügung gestellt, so dass insoweit keine Kosten für die Telefoninterviewer angefallen sind. Von den Interviewern zu tragende Kosten ergaben sich im Wesentlichen aufgrund der Fahrten zur Klägerin. Dieser Aufwand stellt sich als für Arbeitnehmer typisch dar und war wegen der räumlichen Nähe vom Umfang her begrenzt. Aufgrund der am Ende eines jeden Arbeitstages erfolgten Mitteilung der erfolgreich, d.h. ordnungsgemäß geführten Interviews und der monatlich vorgenommenen Honorarabrechnung war es den Interviewern zudem möglich, im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Abrechnung ihrer Tätigkeit schnell zu reagieren um zu vermeiden, dass sie in erheblichem Umfange für die Klägerin tätig werden, ohne ein Honorar zu erhalten.
124(6) Schließlich trugen die Telefoninterviewer auch deshalb ein beschränktes wirtschaftliches Risiko, weil sie nach der mit der Klägerin abgeschlossenen Rahmenvereinbarung nur im Umfange einer Nebentätigkeit arbeiten durften (vgl. § 2 Abs. 8 der Rahmenvereinbarung). Die Nichtgewährung von Lohnfortzahlungen im Urlaubs- oder Krankheitsfalle oder sonstiger Sozialleistungen spricht ebenfalls nicht für die Selbständigkeit der Telefoninterviewer, da vorliegend die Interviewer nur in Teilzeit bzw. im Rahmen einer Nebentätigkeit beschäftigt waren.
125bb) Die Interviewer entfalteten zudem keine nennenswerte Unternehmerinitiative.
126(1) Unternehmerinitiative setzt voraus, dass der Unternehmer durch den Umfang seines Arbeitseinsatzes den Erfolg seiner Tätigkeit beeinflussen und seine Einkünfte steigern kann (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534 m.w.N.).
127(2) Vorliegend beschränkte sich die Initiative der Telefoninterviewer darauf, sich bei der Klägerin zu melden, Aufträge anzunehmen bzw. sich in die Wochenpläne eintragen zu lassen. Für ihre Tätigkeit mussten sie nicht werben. Zur Erweiterung ihrer Tätigkeit stand den Interviewern im Wesentlichen nur die Möglichkeit offen, die Anzahl der Tätigkeitsstunden zu erhöhen. Dies wiederum ähnelt typischerweise der Tätigkeit eines auf Stundenbasis beschäftigten Arbeitnehmers und spricht gerade nicht für eine selbständige Tätigkeit.
128Hinzu kommt, dass ein größeres Engagement der Telefoninterviewer mit der Folge, dass mehr Interviews je Zeiteinheit abgeschlossen wurden, nicht in gleichem Maße zu einer Erhöhung der Einkünfte führen konnte. Vielmehr hatte – wie bereits ausgeführt – aufgrund der Budgetierung und der damit erforderlichen Nachkalkulation seitens der Klägerin eine im Vergleich zur ursprünglichen Planung der Klägerin erzielbare höhere Anzahl an Interviews je Stunde ein geringeres Honorar je Interview zur Folge.
129cc) Für eine Arbeitnehmereigenschaft spricht darüber hinaus, dass die Interviewer in erheblichem Umfang weisungsgebunden hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt ihrer Tätigkeit. Darin ist ein wichtiges Kriterium für ihre fehlende Selbständigkeit zu sehen (vgl. BFH-Urteil vom 24. Juli 1992 VI R 126/88, BFHE 169, 154, BStBl II 1993, 155).
130(1) Der Ort, an dem vorliegend die Interviewer für die Klägerin tätig geworden sind, ist zwar in der Rahmenvereinbarung nicht verbindlich geregelt. Jedoch stellt sich nach dem im Laufe des Verfahrens und nach der Beweisaufnahme gewonnenen Eindruck für den Senat die in der Rahmenvereinbarung vorgesehene Wahlfreiheit der Interviewer hinsichtlich des Arbeitsorts (vgl. § 2 Abs. 5 der Rahmenvereinbarung) als weitgehend theoretische Möglichkeit dar, zumal in der Vereinbarung ausdrücklich der Vorbehalt enthalten ist, dass diese Freiheit nur besteht, soweit nicht Erfordernisse der empirischen Sozialforschung dem entgegenstehen. Angesichts der bei den Befragungen verwendeten Telefon- und Computertechnik sowie der nach dem Vortrag der Klägerin zwingend erforderlichen Kontrolle der Interviewtätigkeit waren als Arbeitsort praktisch die von der Klägerin zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten vorgegeben, da nur dort die Technik genutzt und die Überwachung der Befragungen sichergestellt werden konnte.
131(2) Die Weisungsgebundenheit ergibt sich des Weiteren daraus, dass die konkrete Studie, für welche der Telefoninterviewer tätig wurden, von der Klägerin vorgegeben und den Interviewern durch Aushang mitgeteilt wurde, so wie dies die Zeugen C, G und E bekundet haben. Ein Wechsel von einer Studie zu einer anderen war – wie der Zeuge E schilderte – nur mit Zustimmung der Klägerin möglich.
132(3) Für eine arbeitnehmertypische Weisungsgebundenheit spricht zudem, dass der Inhalt der Tätigkeit ausweislich der Schulungsunterlagen (vgl. Bl. 149 ff. der GA) exakt geregelt war. Die Interviewer mussten sich starr an den von der eingesetzten Software vorgegebenen Fragenkatalog und die vorgegebenen Anweisungen halten. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 der Rahmenvereinbarung mussten sich die Interviewer entsprechend von der Klägerin schulen lassen.
133Auch wenn sich bestimmte Weisungen und Arbeitsabläufe aus der Natur der Sache bzw. des Auftrags ergeben können und die eingeschränkte Einflussnahme der Interviewer auf die Befragungen daraus folgt, dass sonst keine Vergleichbarkeit der Ergebnisse erzielt werden könnte, ist vorliegend eine arbeitnehmertypische Weisungsgebundenheit gegeben. Gerade im Unterschied zu den sog. Face to Face-Interviewern, die weniger an Vorgaben der Klägerin gebunden waren, sind die Telefoninterviewer nicht in der Art und Weise der Aufgabenerfüllung derart frei, dass sie lediglich ein Endprodukt schuldeten, ohne nach festen Regeln arbeiten zu müssen. Dies folgt für den Senat insbesondere daraus, dass die Interviewer auf den durch die Software vorgegebenen Programmablauf keinerlei Einfluss hatten. Auch unter Berücksichtigung, dass die Vorgaben der Klägerin methodisch bedingt sind, die Interviewer dadurch derart in ihrer Tätigkeit fremdbestimmt, dass nach dem Gesamteindruck dieser Umstände keine selbständige Tätigkeit vorliegt.
134(4) Unabhängig davon hat die Klägerin den Telefoninterviewern Vorgaben zum Inhalt der Tätigkeit gemacht, deren Notwendigkeit, um ordnungsgemäße Befragungen und deren Vergleichbarkeit sicherzustellen, sich jedenfalls nicht ohne Weiteres ergibt. So finden sich etwa Anweisungen dazu, wie eine Telefoninterviewer mit einem zuvor mit einer befragten Person vereinbarten definitiven Termin umzugehen habe (vgl. Punkt V. 6. der Schulungsunterlage). Wenn dabei der Telefoninterviewer angehalten wird, eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Termin die Person anzurufen und nicht „tatenlos vor dem Bildschirm (zu) sitzen“, erscheint dies als eine für eine nichtselbständige Tätigkeit typische Anweisung des Arbeitgebers.
135(5) Die Regelungen zur Kontrolle und Bewertung der Tätigkeit der Interviewer durch einen Supervisor bzw. den Projektleiter sind ebenfalls arbeitnehmertypisch und entsprechen nicht dem typischen Bild eines selbständig Tätigen. Wie die Zeugen C, F, G und E im Wesentlichen übereinstimmend und glaubhaft bekundeten, wurden die Befragungen durch die Supervisoren vielfach mitgehört. Diese Überwachung wurde auch zum Anlass genommen, die Interview- und Gesprächsführung der Telefoninterviewer zu bewerten, Kritik und Lob zu äußern und Verbesserungsvorschläge anzubringen. Dem entspricht es auch, dass in den Schulungsunterlagen der Klägerin neben detaillierten Hinweisen zur Gesprächsführung wörtlich vorgegebene Formulierungsbeispiele zur Verwendung bei der Durchführung der Telefonbefragungen enthalten sind. All dies hält der Senat jedoch für eher untypisch für eine selbständige Tätigkeit.
136(6) Die Interviewer sind weiterhin auch angesichts der zeitlichen Vorgaben für ihre Tätigkeit fest in die betriebliche Organisation der Klägerin eingebunden.
137(aa) Zwar sind die Telefoninterviewer grundsätzlich insoweit frei in der Auswahl der Zeit ihres Tätigwerdens, als sie Aufträge nicht annehmen müssen, d.h. sich für mehr oder weniger Schichten im Wochenplan der Klägerin eintragen lassen können, oder auch Wünsche für Aufträge äußern können. Jedoch sind die Einsatzschichten abhängig von jeweiligen Projekt und der Zielgruppe als Rahmen vorgegeben. Zudem steht die Pflicht, einmal vereinbarte Einsatzzeiten einzuhalten (vgl. § 2 Abs. 4 a.E. der Rahmenvereinbarung), im Widerspruch zum Vortrag der Klägerin, die Interviewer könnten nach Belieben ihre Aufträgen erfüllen.
138(bb) Soweit tatsächlich kurzfristige Terminänderungen bzw. -absagen von Interviewern vorgekommen sind und dies, wie insbesondere die Zeugen G und E bestätigten, problemlos möglich gewesen sei, dürfte dies angesichts der Anzahl der Personen, die grundsätzlich zur Tätigkeit für die Klägerin bereit waren, weniger ins Gewicht gefallen sein. Denn der Interviewer dürfte Interesse daran gehabt haben, ein Honorar zu verdienen. Hinzu kommt, dass die Klägerin Terminwünsche der Beschäftigten berücksichtigte und daher kurzfristige Ausfälle in eher geringer Anzahl vorgekommen sein sollten und allenfalls ein Maß erreicht haben sollten, das bei Unternehmen mit einer vergleichbaren Anzahl von Beschäftigten üblich ist. Dieses Ergebnis wird gestützt durch die Beweisaufnahme, denn diese hat ergeben, dass die Einsatzpläne regelmäßig mit einem Vorlauf von etwa einer Woche, d.h. eher kurzfristig, erstellt wurden und damit das Risiko, dass bis zum geplanten Tätigkeitstag ein Umstand eintrat, wodurch der Telefoninterviewer an der geplanten Einsatzzeit verhindert war, als eher gering einzuschätzen ist.
139(cc) Der Eindruck einer im Hinblick auf die Arbeitszeit gegebenen Eingliederung der Telefoninterviewer in die betriebliche Organisation der Klägerin verstärkt sich nochmals durch das Ergebnis der Beweisaufnahme und die Schilderungen der Zeugen zu der Pausenregelung.
140Die Vorgabe von Pausenzeiten und deren Überwachung bis hin zu Ermahnungen und Sanktionierung im Einzelfall hält der Senat für nicht mit einer selbständigen Tätigkeit vereinbar, sondern vielmehr für ein typisches Merkmal einer Arbeitnehmerstellung. Hierbei stützt sich der Senat auf die Aussagen der Zeugen F, G und E. Diese Zeugen haben unabhängig voneinander, überzeugend und glaubhaft bekundet, dass ausgehend von einer regelmäßigen Einsatzzeit von 4 Stunden seitens der Klägerin eine Pausenzeit von 5 Minuten je Stunde vorgegeben wurde. Des Weiteren hat die Zeugin C geschildert, dass seitens der Supervisoren darauf geachtet wurde, dass die Pausen nicht zu lang ausfielen. Der Zeuge E schilderte darüber hinaus, dass er wegen dieser Pausenzeiten einmal mündlich ermahnt wurde, ein anderes Mal infolge eines Überschreitens der Pausenzeiten für einige Tage von weiteren Intervieweinsätzen ausgeschlossen wurde.
141Die Aussagen der Zeugen erscheinen auch deshalb plausibel und glaubhaft, da in den Schulungsunterlagen ausdrücklich Anweisungen dazu enthalten sind, welche Eingaben die Telefoninterviewer im Falle einer Pausenzeit zu tätigen haben (vgl. Punkt VI. 6.6 der Schulungsunterlagen). Wenn dabei gleichzeitig davon die Rede ist, dass mit der Anwahl eines Menüpunktes „Pause“ von da an eine Pausenzeit „läuft“, bestätigt dies ebenfalls die Annahme einer arbeitnehmertypischen Pausenzeitenregelung.
142dd) Des Weiteren stellen die zu verrichtenden Interviewarbeiten nach dem Eindruck, der sich aus den Schulungsunterlagen, den Arbeitsanleitungen sowie dem Vortrag der Beteiligten ergibt, in aller Regel einfache Tätigkeiten dar, die keine besonderen Fähigkeiten erfordern, nicht besonders anspruchsvoll und bereits nach kurzer Einarbeitungszeit möglich sind. Dies stellt ein weiteres Merkmal dar, welches die Rechtsprechung als charakteristisch für die Beurteilung einer Tätigkeit als selbständig oder nichtselbständig ansieht.
143Dies ergibt sich vor allem daraus, dass der Ablauf der Interviewführung ausweislich der vorgelegten Schulungsunterlagen und Arbeitsanleitungen streng vorgegeben ist. Zwar verkennt der Senat nicht, dass dies „systembedingt“ ist, um repräsentative Umfrageergebnisse erzielen zu können. Doch bestätigt dies geradezu die Notwendigkeit einer Weisungsgebundenheit und engen Einbindung der Interviewer in die unternehmerische Organisation der Klägerin. Auch wenn eine unternehmerische Betätigung nicht notwendigerweise eine besondere berufliche Qualifikation voraussetzt, vielmehr auch einfachste Leistungen aufgrund von Werkverträgen erbracht werden können, stehen die Art der Arbeit und die Weisungsbefugnis des Auftraggebers insoweit in einem Wechselverhältnis zueinander, als bei einfachen Arbeiten schon organisatorische Dinge betreffende Weisungen den Beschäftigten in der Ausübung der Arbeit festlegen, und damit in den Organismus des Betriebes eingegliedert erscheinen lassen (BFH-Urteil vom 24. Juli 1992 VI R 126/88, BFHE 169, 154, BStBl II 1993, 155; FG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2006, 11 K 5825/04, EFG 2007, 1034).
144ee) Letztendlich zeigt sich damit auch, dass die Interviewer primär ihre Arbeitskraft – als Merkmal eines Dienstvertrages – und nicht einen bestimmten Arbeitserfolg – als Merkmal eines Werkvertrages – schulden. Denn aufgrund der detaillierten Vorgaben zur Interviewtätigkeit ist mit der Beachtung dieser Vorgaben ein ordnungsgemäß geführtes Interview und damit praktisch der nach der – insoweit aber begrifflich nicht maßgeblichen – Vereinbarung der Klägerin mit den Interviewern geschuldete Erfolg eingetreten. Der von den Interviewern geschuldete Erfolg entspricht letztendlich nur der ordnungsgemäßen Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wie sie jeder Arbeitnehmertätigkeit immanent ist.
145Dem steht die Regelung in § 2 Abs. 7 der Rahmenvereinbarung der Klägerin, wonach der Telefoninterviewer die Aufträge (nur dann) in eigener Person auszuführen hat, wenn dies von der Klägerin verlangt wird, nicht entgegen. Denn auch ohne ein ausdrückliches Verlangen in diesem Sinne ergibt sich aus den Gesamtumständen, dass die Telefoninterviewer die übernommenen Aufträge in eigener Person auszuführen haben. Der Senat hält es für fernliegend, dass es der Klägerin gleichgültig ist, ob ihr Vertragspartner persönlich oder eine von diesem ausgesuchte, ihr, der Klägerin, unbekannte Person Interviews durchführt. Vielmehr dürfte sie, die Klägerin, ein erhebliches Interesse daran haben, dass die Interviews von ihrem Vertragspartner, der von der Klägerin auch entsprechend geschult wurde, durchgeführt werden. Gegen eine beliebige Austauschbarkeit der Befragungen durchführenden Personen spricht gerade, dass die Klägerin mit potenziellen Mitarbeitern ein Probeinterview durchgeführt und diese in der Interviewtätigkeit geschult hat.
1463. Die Klägerin ist – soweit es die Tätigkeit der Telefoninterviewer betrifft – auch zu Recht, insbesondere ohne erkennbare Ermessensfehler, als Haftende in Anspruch genommen worden.
147a) Der Arbeitgeber haftet gemäß §§ 38 Abs. 3, 41a Abs. 1, 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG dafür, dass die von seinen Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer einbehalten und an das zuständige Finanzamt abgeführt wird. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind er und die Arbeitnehmer Gesamtschuldner (42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Finanzbehörde kann die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. § 5 der Abgabenordnung -AO-) gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen (42d Abs. 3 Satz 2 EStG).
148Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin war insbesondere nicht von vornherein ausgeschlossen, weil sie sich bzgl. ihrer steuerrechtlichen Pflichten als Arbeitgeberin in einem Rechtsirrtum befunden hat, dessen Ursache in der Sphäre der Finanzverwaltung lag. Ein solcher Irrtum kann insbesondere anzunehmen sein, wenn sich der Arbeitgeber auf unklare Verwaltungsanweisungen beruft und sein auf dieser Unklarheit beruhender Rechtsirrtum entschuldbar ist. Ein entschuldbarer Rechtsirrtum liegt indes regelmäßig nicht vor, wenn der Arbeitgeber die Möglichkeit der Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) hat, von dieser jedoch keinen Gebrauch macht. Gerade in schwierigen Fällen, wenn dem Arbeitgeber bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt Zweifel über die Rechtslage kommen müssen, kann der Verzicht auf eine Anrufungsauskunft vorwerfbar sein (vgl. BFH-Urteile vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933; vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30 m.w.N.).
149b) Vorliegend liegt kein entschuldbarer Rechtsirrtum der Klägerin vor. Wie aus der auch seitens der Klägerin angeführten Rechtsprechung ersichtlich wird, ist die Einordnung der Beschäftigung von Interviewern als selbständig oder nichtselbständig bereits weit vor dem Streitzeitraum in vergleichbaren betrieblichen Konstellationen des Öfteren Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen gewesen, vor allem im Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche und (lohn)steuerrechtliche Behandlung derartiger Beschäftigungen. Gerade bei einem personalintensiven Unternehmen, wie es auch die Klägerin betreibt, stellt die Qualifizierung der Beschäftigten als Arbeitnehmer oder Selbständige die für eine Vielzahl von Personen maßgebliche und betriebsspezifisch besonders gewichtige Grundfrage für die weitere steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Besch äftigten dar. Bei einer solchen Ausgangslage ist das Unterlassen des Lohnsteuereinbehalts ohne eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG regelmäßig vorwerfbar, so dass ein etwaiger Rechtsirrtum des Arbeitgebers nicht entschuldbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. Mai 2008 VI R 11/07, BFHE 221, 182, BStBl II 2008, 933).
150Umstände, nach denen im Streitfall ausnahmsweise eine andere Betrachtung geboten sein könnte, sind nicht ersichtlich. Die bereits in den Streitjahren anwaltlich beratene Klägerin durfte nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass die von ihr vertretene Rechtsansicht zur lohnsteuerrechtlichen Behandlung der Telefoninterviewer Bestand haben würde.
151c) Einer Haftungsinanspruchnahme steht auch nicht § 191 Abs. 5 AO entgegen.
152Gemäß § 191 Abs. 5 Nr. 1 AO kann ein Haftungsbescheid nicht mehr ergehen, soweit die Steuer gegen den Steuerschuldner nicht festgesetzt worden ist und wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist auch nicht mehr festgesetzt werden kann. Damit ist der Erlass eines Haftungsbescheides allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn kein Steuerbescheid gegen den Steuerschuldner erlassen wurde und in Folge des Eintritts der Festsetzungsverjährung ein solcher Steuerbescheid auch nicht mehr ergehen kann. Ein Haftungsbescheid ist jedoch – soweit hinsichtlich der Steuerfestsetzung gegen den Steuerschuldner (hier des Arbeitnehmers) noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist – gerade zulässig, ohne dass zuvor ein Steuerbescheid ergangen ist. Hinsichtlich der Frage der Festsetzungsverjährung ist angesichts des Gesetzeswortlauts, der auf das „Ergehen“ eines Haftungsbescheides abstellt, auf den Zeitpunkt des Erlasses des Haftungsbescheides, vorliegend im Jahre 2003, abzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass zu diesem Zeitpunkt die Steuer gegen die Telefoninterviewer als Steuerschuldner wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr hätte festgesetzt werden können.
153d) Auch sonst sind keine nach § 102 FGO beachtlichen Ermessensfehler bei der von dem Beklagten getroffenen Auswahl der Klägerin als Haftungsschuldnerin zu erkennen.
154Nach ständiger Rechtsprechung ist die Inanspruchnahme des Arbeitgebers regelmäßig zulässig, wenn nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung viele Lohnsteuerbeträge aufgrund von im Wesentlichen gleich liegenden Sachverhalten nachzuerheben sind (vgl. BFH-Urteil vom 18. August 2005 VI R 32/03, BFHE 210, 420, BStBl II 2006, 30). Dem steht die Veranlagung der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer nicht entgegen. Denn nach § 42d Abs. 3 Satz 3 EStG kann der Arbeitgeber auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt werden. Bei einer Vielzahl nachzufordernder Lohnsteuerbeträge kann es das Finanzamt regelmäßig für zweckmäßig erachten, den Arbeitgeber als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, statt die Steuer von den einzelnen Arbeitnehmern nachzufordern.
155Von diesen Maßstäben ist vorliegend der Beklagte angesichts der mehreren hundert Beschäftigten der Klägerin im Streitzeitraum und bei im Wesentlichen gleich gelagerten Sachverhalten zutreffend ausgegangen. Eine Nacherhebung der Lohnsteuer bei den Arbeitnehmern wäre jedenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da auch die Klägerin über keine konkreten Angaben zu den steuerlichen Verhältnissen der einzelnen Beschäftigten verfügte. Weitere Ermittlungshandlungen, um die steuerlichen Verhältnissen der Interviewer aufzuklären, durften zudem schon deshalb wenig Erfolg versprechen, weil die Mehrzahl der Beschäftigten mangels zutreffender Anschrift nicht oder nur mit erheblichem Ermittlungsaufwand für eine weitere Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehen würden. Aus diesem Grund erscheint auch das Versenden entsprechender Kontrollmitteilungen an die für die Besteuerung der Arbeitnehmer zuständigen Finanzämter nicht (mehr) angemessen.
156II. Der Lohnsteuerhaftungsbescheid ist – soweit er dem Grunde nach gerechtfertigt ist, d.h. sich auf die Tätigkeit der Telefoninterviewer bezieht – jedoch der Höhe nach insoweit rechtswidrig, als der Lohnsteuerhaftungsbetrag den Betrag von 107.694,00 € übersteigt.
1571. Die Höhe der Lohnsteuer, die der Arbeitgeber einzubehalten (§ 38 Abs. 3 EStG) und abzuführen (§ 41a Abs. 1 EStG) hat und für die er gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet, bestimmt sich nach § 38a EStG. Nach § 38a Abs. 3 Satz 1 EStG wird die Lohnsteuer vom laufenden Arbeitslohn jeweils mit dem auf den Lohnzahlungszeitraum fallenden Teilbetrag der Jahreslohnsteuer erhoben, die sich bei Umrechnung des laufenden Arbeitslohns auf einen Jahresarbeitslohn ergibt. Bei der Ermittlung der Lohnsteuer werden die Besteuerungsgrundlagen des Einzelfalls u.a. durch die Einreihung der Arbeitnehmer in Steuerklassen (§ 38b EStG) berücksichtigt (§ 38a Abs. 4 EStG). Soweit die – hier für die Höhe der Lohnsteuer-Haftungsschuld maßgeblichen – Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können, hat sie die Finanzbehörde nach § 162 AO bzw. das Finanzgericht nach § 96 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO zu schätzen.
1582. Im Streitfall sind die Besteuerungsgrundlagen nach Ausschöpfung der zu ergreifenden Ermittlungsmöglichkeiten durch den Senat zu schätzen. Denn der streitige Sachverhalt ist nicht weiter aufzuklären. Hinzu kommt, dass der Beklagte seinen Mitwirkungspflichten nicht hinreichend nachgekommen ist und eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch den Beklagten oder das Gericht keine Aussichten erkennen lässt, weitere Anhaltspunkte für eine realitätsnähere Schätzung der Besteuerungsgrundlagen erlangen zu können.
159a) Für eine genaue Bestimmung des Lohnsteuerbetrages, für den gehaftet werden soll, ist insbesondere zu berücksichtigen, welche oder wieviele Arbeitnehmer jeweils der Lohnsteuerklasse I und VI unterliegen, kurzfristig oder geringfügig beschäftigt i.S.d. § 40a EStG waren oder bereits ihre Einnahmen bei ihrer Einkommensteuerveranlagung angegeben und versteuert hatten. Auch die Höhe des jeweils individuellen Einkommensteuersatzes ist für jeden Arbeitnehmer festzustellen.
160Diese Tatsachen sind – auch nach Ansicht der Beteiligten – im Streitfall nicht weiter, d.h. über die vorgetragenen Umstände hinaus, aufzuklären. Die auf Anregung des Beklagten erfolgte schriftliche Befragung von 536 der Telefoninterviewer durch die Klägerin hat erkennen lassen, dass viele der Telefoninterviewern, die im Streitzeitraum für die Klägerin tätig waren, unter ihrer des Beteiligten bekannten Anschrift überhaupt noch erreichbar sind. Eine deutliche Minderheit der Interviewer, welche die Anfrage erhalten haben, haben überhaupt geantwortet haben. Die allenfalls 30 Antworten, die letztendlich in der Sache ergiebig sind, geben keinen zuverlässigen Aufschluss über den Sachverhalt. Hinzu kommt, dass mindestens in einem der Fälle die Antwort der angeschriebenen Person, überhaupt nicht für die Klägerin tätig geworden zu sein, unzutreffend sein dürfte, denn diese Person war nach den Aufzeichnungen der Klägerin sehr wohl, und nicht in einem zu vernachlässigbarem Umfang, jedenfalls in einem Teil des Streitzeitraums als Interviewer für die Klägerin tätig.
161Zu einer weiteren Ermittlung der für die Bestimmung der Höhe des Lohnsteuerhaftungsbetrages erforderlichen Tatsachen, insbesondere einer Einholung von Auskünften der bereits von der Klägerin angeschriebenen Personen, hat sich der Beklagte organisatorisch und faktisch nicht in der Lage gesehen.
162b) Dem entsprechend ist auch die Amtsermittlungspflicht des Gerichts reduziert. Denn der Beklagte kann seinen Mitwirkungspflichten bei der Sachverhaltsaufklärung nicht (weiter) nachkommen, obwohl er bzgl. der Höhe des Lohnsteuerhaftungsbetrages bzw. der Tatsachen, anhand derer die Höhe bestimmt wird, als steuerbegründende Tatsachen grundsätzlich die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 2007 X R 11/07, BStBl II 2008, 335).
163c) Vor diesem Hintergrund sieht sich der Senat veranlasst und berechtigt, die Besteuerungsgrundlagen nach § 96 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbsatz FGO i.V.m. § 162 AO zu schätzen. Dabei ist von den von der Klägerin vorgelegten Listen mit den im Streitzeitraum beschäftigten Personen und dem ausgezahlten Honorar auszugehen, an deren Inhalt zu zweifeln kein Anlass besteht. Auch der Beklagte hat die inhaltliche Korrektheit dieser Listen nicht bestritten.
164Aus diesen Listen ergibt sich, wie viele Telefoninterviewer jeweils in welchem Jahr tätig waren sowie deren Verdienst. Der Beklagte hat gegen die Berücksichtigung dieser Zahlen keine Einwände erhoben, obgleich die Zahlen teilweise, jedoch nur geringfügig von den ursprünglich von der Lohnsteuer-Außenprüfung festgestellten Beträgen abweichen. Hiervon ausgehend bildet der Senat zwecks möglichst realitätsgerechter Schätzung des Lohnsteuerhaftungsbetrages Durchschnittszahlungen je Interviewer und pro Jahr. Darüber hinaus bildet er im Wege der Schätzung vier Gruppen von Interviewern mit unterschiedlichen Besteuerungsmerkmalen
165(1.) Interviewer mit Lohnsteuerklasse I,
166(2.) Interviewer mit Lohnsteuerklasse VI,
167(3.) Interviewer, die bereits veranlagt wurden und ihre Zahlungen versteuert haben sowie
168(4.) Interviewer mit geringfügiger/kurzfristiger Beschäftigung (§ 40a EStG).
169Anhand der jeweiligen Lohnsteuertabellen wird dann – nach Jahren untergliedert – für jede Gruppe die Lohnsteuer, für die die Klägerin haftet, ermittelt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten vollumfänglich nachgekommen ist und sie bezüglich der Höhe der Lohnsteuerhaftung grundsätzlich auch nicht die objektive Beweislast (Feststellungslast) trägt. Angesichts dessen geht der Senat im Wege der Schätzung und mangels anderweitiger Anhaltspunkte davon ausgehen, dass
170- 40 % der Interviewer der Lohnsteuerklasse I unterliegen,
171- 40 % ihre Zahlungen bereits versteuert haben,
172- 10 % der Interviewer der Lohnsteuerklasse VI und
173- 10 % den geringfügig Beschäftigten (§ 40 a EStG) zugeordnet werden.
174Eine andere Bemessung dieser Gruppen scheidet aus. Insbesondere aus den von der Klägerin eingeholten 32 schriftlichen Antworten der Telefoninterviewer können keine exemplarischen Maßstäbe abgeleitet werden. Zum einen können die Antworten bereits wegen der geringen Anzahl nicht als repräsentativ für die gesamte Gruppe von im Streitzeitraum tätig gewordenen Telefoninterviewern angesehen werden. Zum anderen erachtet der Senat die Angaben nicht als verlässlich.
175Der Einwand der Klägerin, nach den für dem Haftungszeitraum nachfolgende Zeiträume vorliegenden Lohnsteuerkarten ergäbe sich, dass vor allem diejenigen Interviewer mit höheren Honoraren ihre Einkünfte versteuert hätten, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Klägerin hat sich insoweit auf allgemeine Behauptungen beschränkt, ohne dies substantiiert und unter Vorlage entsprechender Unterlagen nachprüfbar dargelegt zu haben. Dass sie dazu durchaus in der Lage gewesen wäre, zeigt ihr Vortrag in der mündlichen Verhandlung. Denn die Behauptung, aufgrund der für die Folgejahre vorliegenden Lohnsteuerkarten ergäbe sich, dass der letztendlich eingetretene Steuerausfall geringer ausgefallen sei, setzt voraus, dass die Klägerin über derartige konkretere Erkenntnisse verfügt.
176Hiervon ausgehend ergibt sich ein Lohnsteuerhaftungsbetrag in Höhe von 107.694,00 €, den der Senat im Wege der Schätzung wie folgt ermittelt:
177 Jahresentgelt Telefoninterviewer
Zeitraum
Anzahl Interviewer
Summe Entgelt
Durchschnitt p.a.
DM
€
€
1998
448
907.143,01
463.814,86
1.035,30
1999
621
1.238.029,79
632.994,58
1.019,31
2000
594
1.046.179,91
534.903,29
900,51
2001
513
1.021.567,74
522.319,29
1.018,17
1-9/2002
449
726.896,31
371.656,18
827,74
4.939.816,75
2.525.688,20
Aufteilung je Fallgruppe
Personenanzahl je Fallgruppe für Schätzung
Zeitraum
Steuerklasse I
Steuerklasse VI
bereits veranlagt
geringf. Beschäftigg. (LSt 20 %)
40%
10%
40%
10%
1998
179
45
179
45
1999
249
62
248
62
2000
238
59
238
59
2001
206
51
205
51
1-9/2002
179
45
180
45
178 Lohnsteuer geschätzt
Zeitraum
Steuerklasse I
Steuerklasse VI
bereits veranlagt
geringf. Beschäftigg. (LSt 20 %)
Einzelbeträge je Fallgruppe p.a. in €
1998
0
268,14
0
207,06
1999
0
243,62
0
203,86
2000
0
206,22
0
180,10
2001
0
202,62
0
203,63
1-9/2002
0
164,72
0
165,55
Summen je Fallgruppe p.a. in €
1998
0
12.012,80
0
9.276,30
1999
0
15.128,57
0
12.659,89
2000
0
12.249,29
0
10.698,07
2001
0
10.394,15
0
10.446,39
1-9/2002
0
7.395,96
0
7.433,12
0
57.180,77
0
50.513,77
Summe
107.694,54
gerundet
107.694,00
179III. Die Kirchensteuer und der Solidaritätszuschlag, für die die Klägerin im Haftungswege in Anspruch genommen wird, sind ausgehend von dem vom Senat geschätzten Lohnsteuerhaftungsbetrag von 107.694,00 € zu berechnen und entsprechend herabzusetzen. Dabei geht der Senat im Wege der Schätzung davon aus, dass lediglich 50 % der Telefoninterviewer kirchensteuerpflichtig sind. Der Senat gibt dem Beklagten auf, die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu zu berechnen.
180IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
181V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
182VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 des Gerichtskostengesetzes.
183VII. Die Revision zum Bundesfinanzhof war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ersichtlich noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) erforderlich ist. Die maßgeblichen Kriterien, anhand derer zu beurteilen ist, ob eine selbständige oder nichtselbständige Tätigkeit vorliegt, sowie die im Einzelfall nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu gewichtenden und gegeneinander abzuwägenden Merkmale, die für oder gegen eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen, sind durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt.