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  • · Fachbeitrag · Außenprüfung

    § 153 Abs. 4 AO ‒ Die neue Berichtigungspflicht NACH einer Betriebsprüfung

    von Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage

    | Eine Betriebsprüfung ist oft ein Ärgernis, sowohl für den Freiberufler als auch für den steuerlichen Vertreter. Denn es muss viel Arbeit investiert werden, um dem Betriebsprüfer zuzuarbeiten. Künftig ist leider auch nach Abschluss der Prüfung mit den Zusatzarbeiten nicht Schluss. Denn aufgrund des neu eingeführten § 153 Abs. 4 AO heißt es dann, alle nicht geprüften Steuererklärungen selbstständig auf Folgewirkungen zu überprüfen. Denn hier besteht eine neue Berichtigungspflicht. |

    1. Grundsatz: § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO

    Erkennt ein Freiberufler nach Abgabe der (Steuer-)Erklärung aber vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Erklärung unrichtig oder unvollständig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern kommen kann oder gekommen ist, ist er gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO dazu verpflichtet, dies unverzüglich dem FA anzuzeigen und eine Richtigstellung vorzunehmen. Diese Verpflichtung gilt gleichermaßen für den steuerlichen Vertreter, wenn dieser die Erklärung vorbereitet, unterschrieben oder elektronisch an das FA übermittelt hat. Sie trifft auch den Gesamtrechtsnachfolger des Freiberuflers im Erbfall und die nach den §§ 34 und 35 AO für den Rechtsnachfolger oder den Freiberufler handelnden Personen.

     

    MERKE | Die vorsätzliche Nichtberichtigung eines erkannten Fehlers ist als Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbewehrt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO).

     

    Diese Berichtigungspflicht seit Jahrzehnten bekannt. Allerdings verpflichtet sie nur zu einer Richtigstellung nach einem tatsächlichen Erkennen des Fehlers. Und das setzt das Wissen von der Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung sowie die Erkenntnis darüber, dass es durch die Erklärung zu einer Verkürzung der Steuer kommen kann oder bereits gekommen ist, voraus. Keine Anwendung findet die Vorschrift folglich bei einem bloßen „Erkennen-Können“ bzw. „Erkennen-Müssen“ des Fehlers (AEAO zu § 153 Tz. 2.4). Denn es besteht über § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO keine Nachforschungspflicht zulasten des Freiberuflers. Der Freiberufler wird folglich bislang nach einer durchgeführten Betriebsprüfung nicht gemäß § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO dazu verpflichtet, alle anderen von ihm abgegebenen Steuererklärungen dahin gehend durchzusehen, ob von der Betriebsprüfung festgestellte Fehler auch in diesen enthalten sind und sich deshalb eine Berichtigungspflicht ergibt.

     

    MERKE | Der Freiberufler macht sich bisher nicht wegen einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar, wenn er keine Korrekturen vornimmt, obwohl er auf Grundlage einer Prüfungsfeststellung die Unrichtigkeit einer anderen nicht geprüften Steuererklärung billigend in Kauf nimmt.

     

    2. Der neue § 153 Abs. 4 AO nach einer Betriebsprüfung

    Mit Wirkung ab 2025 wurde durch das DAC7-Umsetzungsgesetz § 153 AO um einen neuen Abs. 4 ergänzt. Dieser besagt, dass die in § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO verankerte Berichtigungspflicht auch dann besteht, wenn Prüfungsfeststellungen unanfechtbar in einem Steuerbescheid, einem Feststellungsbescheid (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 AO) oder einem Teilabschlussbescheid (§ 180 Abs. 1a AO) umgesetzt worden sind und die den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte auch in einer anderen vom oder für den Freiberufler abgegebenen Erklärung, die nicht Gegenstand der Außenprüfung war, zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führt. Damit besteht über § 153 Abs. 4 AO erstmals eine Nachforschungspflicht zulasten des Freiberuflers. Dieser muss nun prüfen, ob der von der Betriebsprüfung festgestellte Fehler auch in anderen von oder für ihn abgegebenen (und nicht durch die Betriebsprüfung geprüften) Erklärungen enthalten ist.

     

    MERKE | § 153 Abs. 4 AO gilt für Steuern, die nach dem 31.12.24 entstehen (§ 37 Abs. 2 EGAO). Allerdings schreibt § 37 Abs. 3 EGAO vor, dass die Vorschrift auch für vor dem 1.1.25 entstandene Steuern anzuwenden ist, wenn für diese nach dem 31.12.24 eine Prüfungsanordnung (§ 196 AO) bekanntgegeben wurde. Effektiv führt das in der Praxis dazu, dass die Vorschrift bei Bekanntgabe der Prüfungsanordnung nach dem 31.12.24 auch auf alte Veranlagungszeiträume ausstrahlt und für diese die neue Berichtigungspflicht eröffnet.

     

    Hintergrund für den neuen § 153 Abs. 4 AO ist die geplante Beschleunigung der Außenprüfung. Denn gerade bei anschlussgeprüften Unternehmen kann die Anpassung von Jahresabschlüssen an Vorprüfungen viel Zeit in Anspruch nehmen. Um dieses zu vermeiden und damit die Anschlussprüfung zu beschleunigen, hat der Freiberufler nun die notwendigen Anpassungen selbst vorzunehmen (BT-Drucksache 20/3436 vom 19.9.22). Der bisher die Finanzverwaltung treffende Arbeitsaufwand wurde also auf den Freiberufler abgewälzt. Praktische Bedeutung hat § 153 Abs. 4 AO deshalb vor allem dann, wenn sich eine Betriebsprüfung länger hinauszögert und das letzte Jahr des Prüfungszeitraums nicht dem letzten Jahr der bereits abgegebenen Steuererklärungen entspricht.

     

    • Beispiel

    Ein Freiberufler hat für 2021 bis 2023 Steuererklärungen abgegeben und 2025 ergeht für diese Jahre eine Prüfungsanordnung. Da sich die Prüfung durch umfangreiche Rückfragen zeitlich verzögert, gibt der Freiberufler zwischenzeitlich auch für 2024 eine Steuererklärung ab. Erst danach wird die Betriebsprüfung ‒ ohne Erweiterung auf 2024 ‒ beendet. Prüfungsfeststellung: Der Bruttolistenpreis (BLP) für ein auch privat gefahrenes Betriebsfahrzeug wurde zu niedrig angesetzt.

     

    Lösung: Aufgrund des neuen § 153 Abs. 4 AO muss der Freiberufler ‒ nachdem die Prüfungsfeststellung unanfechtbar für die Jahre 2021 bis 2023 umgesetzt wurde ‒ selbständig die Steuererklärung für das Jahr 2024 überprüfen und an die getroffene Prüfungsfeststellung anpassen. Konkret muss der Freiberufler für 2024 eine Gewinnerhöhung für die bisher zu gering angesetzte private Pkw-Nutzung vornehmen, falls auch hier der BLP zu niedrig angesetzt wurde.

     

    Beachten Sie | In der Praxis entspricht vor allem bei Groß- und Konzernbetriebsprüfungen das letzte Prüfungsjahr oft nicht dem letzten Jahr der abgegebenen Steuererklärungen. Hintergrund hierfür ist, dass diese Betriebe typischerweise ohnehin anschlussgeprüft werden, sodass Prüfungserweiterungen meistens nicht vorgenommen werden. Deshalb dürften in der Praxis vor allem Großbetriebe und Konzerne mit dem neuen § 153 Abs. 4 AO konfrontiert werden.

    3. Berichtigungspflicht missachtet ‒ und nun?

    Wie immer stellt sich bei neu eingeführten Verpflichtungen auch die Frage, was passiert, wenn gegen die in § 153 Abs. 4 AO verankerte Berichtigungspflicht verstoßen wird. Von einer Missachtung ist ausdrücklich abzuraten. Denn weil die Berichtigungspflicht eine Erklärungspflicht i. S. d. § 370 AO darstellt, ist diese durch ein Unterlassen strafbewährt. Eine Missachtung der Pflicht kann deshalb in einem Steuerstrafverfahren enden (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Da § 153 Abs. 4 AO im Gegensatz zu § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO eine kenntnisunabhängige Berichtigungspflicht normiert, kann es deshalb auch zu einer bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung kommen. Nämlich dann, wenn der Freiberufler die Auswirkungen der getroffenen Prüfungsfeststellungen auf nicht geprüfte Steuererklärungen ohne weitere Überprüfung und Berichtigung in Kauf nimmt, weil er trotz der Feststellungen keine Nachforschungen anstellt.

     

    Beachten Sie | Das Entstehen der Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO kann zeitlich hinausgezögert werden. Denn weil die Berichtigungspflicht erst greift, wenn die Prüfungsfeststellungen unanfechtbar umgesetzt wurden, lässt sich durch einen Einspruch (ggf. mit Verweis auf anhängige Musterverfahren) Zeit gewinnen.

    4. Praxis- und Anwendungsfragen sind vorprogrammiert

    Auch wenn die Regelung des § 153 Abs. 4 AO auf dem ersten Blick einleuchtend erscheinen mag, existieren viele Praxis- und Anwendungsfragen. Die künftige Rechtsprechung oder ergänzende BMF-Schreiben bleiben also abzuwarten.

     

    4.1 Problem: Vorrang von Abs. 1 oder Abs. 4?

    Zunächst stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis § 153 Abs. 1 und § 153 Abs. 4 AO zueinanderstehen. Denn während die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO erst dann eintritt, wenn die Prüfungsfeststellungen unanfechtbar umgesetzt wurden, der Änderungsbescheid also in Bestandskraft erwachsen ist, kann die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO bei einem während der Betriebsprüfung erfolgtem Erkennen des Folgefehlers deutlich früher entstehen.

     

    Aus Praktikabilitätsgründen spricht einiges dafür, § 153 Abs. 4 AO als lex specialis für Feststellungen infolge einer Betriebsprüfung anzusehen. Denn so könnten mehrere nacheinander eintretende Berichtigungspflichten für das gleiche Jahr vermieden werden. Erkennt der Freiberufler z. B. bereits während der Betriebsprüfung, dass sich ein Fehler auch auf das Folgejahr auswirkt, müsste nicht sofort eine Berichtigung dieser Steuererklärung nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO erfolgen. Vielmehr könnte er die Betriebsprüfung abwarten und nach bestandskräftigem Abschluss insgesamt alle Folgefeststellungen über eine gebündelten Berichtigung nach § 153 Abs. 4 AO korrigieren.

     

    4.2 Problem: Umfang der Berichtigungspflicht

    Nach dem Wortlaut von § 153 Abs. 4 AO besteht die Berichtigungspflicht, wenn die „den Prüfungsfeststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte“ auch in einer anderen vom oder für den Steuerpflichtigen abgegebenen Erklärung, die nicht Gegenstand der Außenprüfung war, zu einer Änderung der Besteuerungsgrundlagen führt. Unstrittig dürfte sein, dass Folgewirkungen und Dauersachverhalte hierunter fallen. Ändert die Betriebsprüfung z. B. die für die Abschreibung zugrunde gelegte Nutzungsdauer oder passt sie die Berechnung einer Rückstellung an, dann besteht die Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO.

     

    Doch erstreckt sich der Begriff des der „Prüfungsfeststellung zugrunde liegenden Sachverhalts“ auch auf gleichgelagerte oder vergleichbare Sachverhalte? Die Antwort auf diese Frage kann einen immensen Arbeitsaufwand für den Freiberufler bzw. dessen steuerlichen Vertreter bedeuten. Denn sollte die Betriebsprüfung feststellen, dass gegenüber einem Kunden eine Leistung umsatzsteuerfrei abgerechnet wurde, obwohl es sich um einen umsatzsteuerpflichtigen Vorgang handelt, führt die Antwort auf die Frage dazu, dass in nicht geprüften Erklärungen entweder alle Ausgangsumsätze oder nur die Ausgangsumsätze gegenüber diesem einen Kunden auf diesen Sachverhalt zu überprüfen sind. Aus Praktikabilitätsgründen spricht daher einiges dafür, den Anwendungsbereich auf konkret-individuelle Dauersachverhalte und Folgewirkungen von Prüfungsfeststellungen zu beschränken.

    5. Noch nicht abgegebene Erklärungen für Folgejahre

    Auch wenn die Erklärungen für die Folgejahre noch nicht abgegeben wurden, kann sich der Freiberufler nicht entspannt zurücklehnen. Zwar trifft ihn dann keine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 4 AO. Allerdings muss er dennoch die getroffenen Prüfungsfeststellungen in den noch abzugebenden Steuererklärungen umsetzen ‒ sofern die Prüfungsfeststellungen unstrittig sind. Denn hält sich der Freiberufler nicht an diese und gibt von den einvernehmlichen Prüfungsfeststellungen abweichende Steuererklärungen ab, dann sind diese unrichtig. Auch dieser Umstand kann in einem Steuerstrafverfahren enden.

     

    FAZIT | Bei nach dem 31.12.24 ergehenden Prüfungsanordnungen muss der Arbeitsprozess nach Abschluss der Betriebsprüfung angepasst werden. Es genügt dann nicht mehr, den Prüfungsbericht sowie die Änderungsbescheide inhaltlich zu überprüfen, sondern es müssen auch die daraus resultierenden Auswirkungen auf nicht geprüfte Veranlagungszeiträume ermittelt und eine entsprechende Korrektur vor Erklärungen veranlasst werden. Ein erheblicher Arbeitsaufwand für den Freiberufler bzw. dessen steuerlichen Vertreter.

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2024 | Seite 218 | ID 50073231