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  • · Fachbeitrag · Einkommensteuer

    Aufgabe der freiberuflichen ärztlichen Tätigkeit ‒ Hintergründe und ausgewählte Praxisprobleme!

    von Dr. Stephan Peters, Warendorf

    | Hat sich ein in Einzelpraxis tätiger Arzt dazu entschieden, seine freiberufliche Tätigkeit einzustellen, stellen sich für den Berater diverse Fragen. Steuerrechtlich spannend ist insoweit, unter welchen Voraussetzungen steuerliche Freibeträge oder Tarifbegünstigungen in Anspruch genommen werden können, wenn der Arzt auch weiterhin in geringem Umfang ärztlich tätig sein möchte. Einige ausgewählte steuerrechtliche Probleme sollen unter Einbeziehung von vertragsarzt- und berufsrechtlichen Rahmenbedingungen im folgenden Beitrag skizziert werden. |

    1. Begünstigung des Veräußerungsgewinns

    Haben Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet und beabsichtigen ihre Praxis zu verkaufen, besteht unter engen Voraussetzungen die Möglichkeit, für die Besteuerung des Veräußerungsgewinns einen Freibetrag i. H. v. maximal 45.000 EUR in Anspruch zu nehmen. Übersteigt der Veräußerungsgewinn beim Verkauf einer Arztpraxis allerdings den Betrag von 136.000 EUR, wird der Freibetrag um den diesen Betrag übersteigenden Betrag abgeschmolzen. Übersteigt der Veräußerungsgewinn im Einzelfall damit den Betrag von 181.000 EUR, wirkt sich der Freibetrag nicht mehr aus.

     

    • Beispiel: Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen

    A ist 60 Jahre und verkauft seine Arztpraxis zum Preis von 310.000 EUR zum 31.12. an B. Das Eigenkapital zum 31.12. beträgt 150.000 EUR. Der Arzt bucht selbst und hat die Veräußerungskosten in Höhe von 10.000 EUR als laufende Betriebsausgabe erfasst. Der laufende Gewinn betrug 125.000 EUR. Nach Verkauf der Praxis möchte A nicht mehr ärztlich tätig werden.

     

    Im Rahmen der Erstellung des Jahresabschlusses prüft der Berater S die gebuchten Posten. Die versehentlich als laufende Betriebsausgabe gebuchten Veräußerungskosten sind gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 EStG zu korrigieren und mindern den Veräußerungsgewinn. Der laufende Gewinn erhöht sich von 125.000 EUR auf 135.000 EUR. Der Veräußerungsgewinn ermittelt sich wie folgt:

    Veräußerungspreis

    310.000 EUR

    ./.

    Veräußerungskosten

    10.000 EUR

    ./.

    Kapital 31.12.

    150.000 EUR

    Zwischenergebnis:

    150.000 EUR

    Der Veräußerungsgewinn beträgt 150.000 EUR. Für diesen Betrag kann gemäß § 16 Abs. 4 S. 1 EStG der Freibetrag für Veräußerungsgewinne in Anspruch genommen werden. Ein entsprechender Antrag ist zu stellen.

    Veräußerungsgewinn

    150.000 EUR

    Freibetrag

    45.000 EUR

    abzgl. § 16 Abs. 4 S. 3 EStG:150.000 EUR ‒ 136.000 EUR

    ./. 14.000 EUR

    ./. 31.000 EUR

    zu versteuern gemäß § 34 EStG:

    119.000 EUR

    Daneben werden 135.000 EUR als laufender Gewinn versteuert, für die keine Begünstigung in Anspruch genommen werden kann.

     

    Für den bereits durch die Gewährung des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 S. 1 EStG geminderten Veräußerungsgewinn kann zudem nach § 34 Abs. 3 S. 1 EStG die Fünftelregelung in Anspruch genommen werden. Wichtig ist, dass zur Inanspruchnahme beider Begünstigungen ein entsprechender Antrag zu stellen ist. Dies setzt voraus, dass der Veräußerungsgewinn in den zutreffenden Zeilen angegeben und damit der Antrag gestellt wird.

     

    Gemäß § 16 Abs. 4 S. 2 EStG kann der Freibetrag „nur einmal“ in Anspruch genommen werden. Diese Formulierung ist so zu verstehen, dass der Freibetrag nur einmal im Leben in Anspruch genommen werden kann.

    2. Praxisveräußerung im Ganzen

    Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 EStG und der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG ist, dass überhaupt ein Veräußerungsgewinn i. S. d. § 16 Abs. 1, Abs. 2 EStG vorliegt. Wenngleich § 16 Abs. 1 EStG nur die Einkünfte aus Gewerbebetrieb nennt, erklärt § 18 Abs. 3 S. 2 EStG die Vorschriften bei Freiberuflern für entsprechend anwendbar.

     

    2.1 Veräußerung aller wesentlichen Betriebsgrundlagen

    Finanzverwaltung und Rechtsprechung nehmen eine Betriebsveräußerung im Ganzen nur dann an, wenn „der Betrieb mit seinen wesentlichen Grundlagen gegen Entgelt in der Weise auf einen Erwerber übertragen wird, dass der Betrieb als geschäftlicher Organismus fortgeführt werden kann“ (R 16 Abs. 1 EStR). Fraglich ist in der Praxis oftmals die Frage, ob tatsächlich alle wesentlichen Betriebsgrundlagen veräußert wurden.

     

    Dabei ist zunächst zu prüfen, ob es sich um wesentliche oder unwesentliche Betriebsgrundlagen handelt. Das Zurückbehalten von Wirtschaftsgütern, die nicht zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen zählen, ist für die Annahme einer Betriebsveräußerung im Ganzen unschädlich (BFH 26.5.93, X R 101/90, BStBl II 93, 710). Die Rechtsprechung nimmt die Abgrenzung von wesentlichen und nicht wesentlichen Betriebsgrundlagen anhand einer funktional-quantitativen Betrachtungsweise vor (BFH 25.2.10, IV R 49/08, BStBl II 10, 726).

     

    Vorsicht ist geboten, wenn der Arzt Teile seiner zuvor betrieblich genutzten Vermögensgegenstände, wie oben beispielsweise das Praxisgrundstück mit Gebäude, nicht verkauft, sondern in sein Privatvermögen übernimmt.

     

    • Beispiel: Entnahme der Praxisimmobilie

    A ist 60 Jahre alt und verkauft seine Arztpraxis zum Preis von 310.000 EUR zum 31.12. an B. Das Eigenkapital zum 31.12. beträgt 150.000 EUR. Der laufende Gewinn lag bei 125.000 EUR. Nach Verkauf der Praxis wird A nicht mehr ärztlich tätig. Das Praxisgrundstück (gemeiner Wert 450.000 EUR) möchte A in sein Privatvermögen übernehmen und damit zukünftig Einkünfte aus Vermietung erzielen.

     

    Die Überführung des Praxisgrundstücks ins Privatvermögen steht der Annahme einer Betriebsveräußerung im Ganzen nicht entgegen, obwohl es sich insoweit nach der funktional quantitativen Betrachtungsweise um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt. Vielmehr führt die Überführung des Grundstücks ins Privatvermögen gemäß § 16 Abs. 3 S. 7 EStG lediglich dazu, dass das Praxisgrundstück mit dem gemeinen Wert anzusetzen ist und sich insoweit auf die Höhe des Veräußerungsgewinns auswirkt.

    Veräußerungspreis

    310.000 EUR

    ./.

    Veräußerungskosten

    10.000 EUR

    ./.

    Kapital 31.12.

    150.000 EUR

    +

    Praxisgrundstück gemeiner Wert

    450.000 EUR

    Veräußerungsgewinn:

    600.000 EUR

     

    In diesem Fall wirkt sich die Inanspruchnahme des Freibetrags gemäß § 16 Abs. 4 S. 1 EStG nicht mehr aus.

     

    2.2 Fortsetzung der freiberuflichen Tätigkeit als steuerliches Risiko

    Möchte der Veräußerer über die Aufgabe der freiberuflichen Praxis hinaus noch weiter ärztlich oder therapeutisch tätig werden, wird in der Praxis oft die Variante einer Anstellung des Veräußerers beim Erwerber gewählt. Zunächst begünstigt dies für den Erwerber praktisch den Vorteil einer fortgesetzten Bindung der Patienten an die Praxis, da der Veräußerer noch immer als Ansprechpartner in der Praxis tätig ist. Zudem ist steuerlich anerkannt, dass eine Tätigkeit in Anstellung „im Auftrag und für Rechnung“ im Hinblick auf die Begünstigung des Veräußerungsgewinns unschädlich ist.

     

    Sofern eine Anstellung des Veräußerers von den Vertragsparteien nicht gewollt oder aus anderen Gründen (räumlich, zulassungsrechtlich bei Ärzten/Therapeuten) nicht möglich ist, stellt sich die Frage, in welchem Umfang der Veräußerer auf eigene Rechnung freiberuflich tätig sein darf, ohne die steuerliche Begünstigung zu gefährden.

     

    2.2.1 Vertragsarzt- und Berufsrecht

    Gemäß § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V nehmen nur zugelassene Ärzte/MVZ sowie ermächtigte Ärzte/Einrichtungen an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Diese Personen und Institutionen sind nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet ihre Tätigkeit zugunsten der gesetzlich Versicherten auszuüben. Gemäß § 19a Ärzte-ZV ist der zugelassene Arzt verpflichtet, die vertragsärztliche Tätigkeit vollzeitig auszuüben, also im Umfang von mindestens 25 Stunden wöchentlich für Sprechstunden für gesetzlich Versicherte zur Verfügung zu stehen. Ärzte, die an der fachärztlichen Versorgung nach § 73 Abs. 1a S. 2 SGB V teilnehmen und Arztgruppen der grundversorgenden und wohnortnahen Patientenversorgung müssen mindestens fünf Stunden in der Woche als offene Sprechstunde ohne vorherige Terminvereinbarung anbieten.

     

    Beabsichtigt ein Arzt nunmehr, seine vertragsärztliche Tätigkeit einzustellen, kann er dies nur im Rahmen der geltenden zulassungsrechtlichen Rahmenbedingungen tun. Ist die Übergabe der Praxis an einen Nachfolger nicht geplant, kann der Arzt auf seine Zulassung verzichten, um von den vorgenannten Verpflichtungen befreit zu werden. Die Verzichtserklärung wird gemäß § 28 Ärzte-ZV grundsätzlich mit dem Ende des auf den Zugang der Verzichtserklärung beim zuständigen Zulassungsausschuss folgenden Kalendervierteljahrs wirksam. Im Einzelfall ist jedoch auch eine Verkürzung der Frist gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 Ärzte-ZV denkbar, wenn der Vertragsarzt nachweist, dass die weitere Ausübung der Tätigkeit unzumutbar ist.

     

    Beachten Sie | Mit dem Ende der Zulassung endet auch die Berechtigung, vertragsärztliche Leistungen gegenüber gesetzlich Versicherten zu erbringen.

     

    Nach Ende der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung können ‒ was in der Praxis regelmäßig gewollt ist ‒ auch weiterhin Privatpatienten behandelt werden, sofern die Voraussetzungen für den Betrieb einer Privatarztpraxis erfüllt sind. Soll die privatärztliche Tätigkeit weiter ausgeübt werden, besteht die Verpflichtung zur beruflichen Fortbildung, Teilnahme am Notfalldienst, das Führen von Aufzeichnungen und das Unterhalten einer Berufshaftpflichtversicherung. Insbesondere die Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst ist praktisch selten gewünscht. Gemäß der geltenden Notfalldienstverordnungen (z. B. § 2 Abs. 1 Gemeinsame Notfalldienstordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe) sind aber auch die ausschließlich in privatärztlicher Praxis tätigen Ärzte zur Teilnahme am ärztlichen Notfalldienst verpflichtet. Ärzte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, sind nach den jeweils geltenden Regelungen vom ärztlichen Notfalldienst zu befreien. Ist die Altersgrenze noch nicht erreicht und fehlen sonstige Gründe für eine Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst, besteht regelmäßig die Möglichkeit, dass sich ein Arzt bei der Ausübung des Notfalldienstes vertreten lässt. Die Beteiligten sind über die Vertretung rechtzeitig zu informieren.

     

    Beachten Sie | Zudem ist die Ausübung der privatärztlichen Tätigkeit an die Niederlassung in eigener Praxis gebunden (§ 29 Abs. 1 S. 1 HeilberufG NRW). Fehlt es nach Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit an entspr. Räumlichkeiten, kann auch die privatärztliche Tätigkeit nicht weiter ausgeübt werden.

     

    2.2.2 Konkurrenzklauseln

    Die Fortsetzung oder Wiederaufnahme einer ärztlichen Tätigkeit nach Veräußerung der Arztpraxis kann in der Praxis auch durch Konkurrenzklauseln eingeschränkt sein. Hinsichtlich der zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Reichweite von Konkurrenzschutzklauseln empfiehlt sich eine Prüfung, ob ein vereinbartes Konkurrenzverbot im Einzelfall der Aufnahme oder Fortsetzung einer ärztlichen Tätigkeit nach Praxisverkauf entgegensteht. Während der BGH hinsichtlich der zeitlichen Reichweite von Wettbewerbsverboten eine geltungserhaltende Reduktion auf das zeitlich aus Sicht des Gerichts zulässige Maß für möglich hält (BGH 14.7.97, II ZR 238/96), ist eine geltungserhaltende Reduktion bezüglich der räumlichen Reichweite nicht möglich und führt gemäß § 138 BGB zur Nichtigkeit der Klausel (BGH 14.7.97, ZR 238/96).

     

    2.2.3 Steuerliche Würdigung

    Die Fortsetzung oder Wiederaufnahme einer freiberuflichen Tätigkeit nach erklärter Praxisaufgabe/-veräußerung unter Gewährung von Freibetrag und Tarifbegünstigung führt aufseiten der Finanzverwaltung nahezu reflexartig zu der Frage, ob die wesentlichen Betriebsgrundlagen überführt wurden. Allgemein hat der BFH dabei folgende Kriterien für die Abgrenzung einer die Tarifbegünstigung ausschließenden und einer unschädlichen Tätigkeit entwickelt (BFH 21.8.18, BStBl II 19, 64):

     

    • Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit
    • Räumliche Entfernung einer wiederaufgenommenen Tätigkeit
    • Vergleichbarkeit der Betätigung
    • Art und Struktur der Mandate
    • Nutzungsdauer des erworbenen Praxiswerts

     

    Ob der Freiberufler bereits bei Aufgabe der Tätigkeit die Absicht einer Wiederaufnahme hatte, ist unbeachtlich. Fraglich und durch die Finanzverwaltung zu prüfen ist alleine, „ob es objektiv zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen gekommen ist“ oder ggf. in besonderen Ausnahmefällen die Tarifbegünstigung nur für die Aufgabe eines steuerlichen Teilbetrieb gewährt werden kann.

     

    Unschädlich soll zudem die Fortsetzung der freiberuflichen Tätigkeit in „geringfügigem“ Umfang sein. Von der Rechtsprechung wurde zur Bestimmung des zulässigen und steuerunschädlichen Umfangs die 10 %-Regel entwickelt. Danach kann von einer geringfügigen Fortsetzung ausgegangen werden, wenn die auf diese Tätigkeit entfallenden Umsätze in den letzten drei Jahren weniger als 10 % der gesamten Einnahmen ausmachten (vgl. BFH 7.11.91, IV R 14/90, BStBl II 19, 64). Auf die Frage, ob dabei alte oder auch neue Patienten betreut werden, kommt es nicht an (BFH 11.2.20, VIII B 131/19 und FinMin Sachsen-Anhalt 14.5.20 - 45-S 2242-85; aber a. A.: BMF 28.7.03, IV A 6 - S 2242 ‒ 4/03). Geht man wie der BFH davon aus, dass auch die Hinzugewinnung neuer Patienten denkbar und zulässig ist, dürfte für die Ermittlung der 10 %-Grenze zunächst auf die Einnahmen der letzten drei Jahre vor Praxisaufgabe abzustellen sein. Aus Vereinfachungsgründen dürfte bezüglich der Berechnung der 10 %-Grenze auf die durchschnittlichen Einnahmen der letzten drei Veranlagungszeiträume vor Praxisveräußerung abzustellen sein.

     

    • Beispiel zur 10 %-Grenze
    2015
    2016
    2017
    Durchschnitt
    Einnahmen nach Praxisaufgabe
    10 %-Grenze

    Einnahmen

    250 TEUR

    280 TEUR

    260 TEUR

    263 TEUR

    24.500 EUR

    < 10 %

    Hier ist die Sachlage eindeutig. Die Einnahmen nach Praxisaufgabe betragen bezogen auf die letzten drei Jahre jeweils weniger als 10 % der Einnahmen. Dieser Fall dürfte unproblematisch unschädlich sein.

     

    Ist bereits absehbar, dass die geplante Tätigkeit nah an die 10 %-Grenze oder sogar darüber hinaus gehen könnte, empfiehlt sich die vorherige Kontaktaufnahme mit dem zuständigen FA, da eine schematische Lösung dieser Fälle nicht möglich ist und es der Betrachtung des Einzelfalls bedarf. Im Rahmen einer verbindlichen Auskunft sollte der Sachverhalt möglichst genau skizziert werden, um Rechtssicherheit zu erlangen. Auch wenn dadurch neue Kosten entstehen (Erteilung der verbindlichen Auskunft), dürften die steuerlichen Konsequenzen einer Besteuerung des Veräußerungsgewinns als laufender Gewinn gravierender sein, wenn die Finanzverwaltung im Nachgang ‒ etwa in einer Betriebsprüfung ‒ die Gewährung von Freibetrag (§ 16 Abs. 3 EStG) und Tarifbegünstigung (§ 34 Abs. 3 EStG) versagt.

     

    2.3 Vorsicht bei sukzessivem Verkauf von Betriebsgrundlagen

    Ein weiteres Risikofeld ist die sukzessive Aufgabe einer Praxis über einen längeren Zeitraum. Um sich die steuerlichen Vorteile zu sichern, muss sich die Praxisaufgabe als wirtschaftlich einheitlicher Vorgang darstellen (BFH 26.4.01, IV R 14/00, BStBl II 01, 789). Zwischen Beginn und Ende der Betriebsaufgabe muss ein kurzer Zeitraum liegen. Voraussetzung für die Betriebsaufgabe allgemein ist, dass

    • die wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang
    • „innerhalb kurzer Zeit“
    • an einen oder mehrere Abnehmer veräußert und/oder ganz oder teilweise in das Privatvermögen überführt werden.

     

    Ob ein einheitlicher Vorgang vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann nicht schematisch bestimmt werden. Unproblematisch ist, wenn sich die Betriebsaufgabe über zwei Veranlagungszeiträume erstreckt. Rechtsprechung und Finanzverwaltung erkennen Zeiträume von sechs Monaten in der Regel an. In Einzelfällen hat die Rechtsprechung Zeiträume von bis zu 20 Monaten (BFH 22.10.14, X R 28/11) anerkannt, jedoch einen Zeitraum von 36 Monaten (BFH 26.5.93, X R 101/90, BStBl II 93, 710) abgelehnt. Diese Grenze ist aber keinesfalls als absolute Obergrenze zu verstehen. So kann es dazu kommen, dass es an einem einheitlichen Vorgang bei Betrieb A schon bei einer Dauer von bis zu sieben Monaten fehlen kann, während die Annahme eines einheitlichen Vorgangs bei Unternehmen B auch bei einer Dauer von 16 Monaten noch angenommen werden kann. Die Abwicklung eines produzierenden Industriebetriebs wird in der Praxis mehr Zeit in Anspruch nehmen als die Veräußerung weniger, leicht veräußerbarer Betriebsgrundlagen.

     

    Ein wesentliches Indiz ist die zeitliche Dimension. Sind ab einem Zeitpunkt X nur noch schwebende Geschäfte abzuwickeln, steht dies der Annahme einer Betriebsaufgabe nicht entgegen. Dieser Zeitraum ist bei Prüfung der Dauer der Betriebsaufgabe nicht zu berücksichtigen. Fraglich ist, welche Zeiten dem Zeitraum der Betriebsaufgabe zuzuordnen sind.

     

    Die Betriebsaufgabe beginnt „mit der ersten vom Aufgabeentschluss getragenen Handlung, die objektiv auf die Auflösung des Betriebs als selbstständigen Organismus gerichtet ist“ (BFH 26.5.93, X R 101/90, BStBl II 93, 710). Beispielhaft kann es sich dabei um folgende Handlungen handeln:

     

    • Einstellung der werbenden Tätigkeit (Gewerbeabmeldung, Einstellung Produktion, Kündigung Mietverträge)

     

    Die bloße Kundgabe einer Betriebsaufgabe nach außen genügt für den Beginn der Betriebsaufgabe nicht (BFH 5.7.84, IV R 36/81, BStBl II 84, 711).

     

    Als Ende der Betriebsaufgabe definieren Rechtsprechung und Verwaltung den Zeitpunkt der Veräußerung der letzten wesentlichen Betriebsgrundlage bzw. mit Überführung in das Privatvermögen (BFH 26.5.93, X R 101/90, BStBl II 93, 710). Der BFH hat in der vorgenannten Entscheidung auch klargestellt, dass es nicht auf den Zeitpunkt ankommt, in dem die stillen Reserven nahezu vollständig aufgedeckt werden (BFH 26.5.93, X R 101/90, BStBl II 93, 710).

     

    2.4 Abgrenzung von laufendem Gewinn und Veräußerungsgewinn

    Gemäß § 16 Abs. 4 EStG und § 34 Abs. 3 EStG sind nur Veräußerungsgewinne begünstigt. Davon abzugrenzen ist der laufende Gewinn gemäß § 18 Abs. 1 EStG. In der Praxis ermitteln Freiberufler, insbesondere Ärzte, Therapeuten und Rechtsanwälte, ihren laufenden Gewinn gemäß § 4 Abs. 3 EStG mittels Einnahmen-Überschussrechnung. Zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe (§ 16 Abs. 3 S. 1 EStG) und der Betriebsveräußerung (§ 16 Abs. 1 EStG) ist der Wert des Betriebsvermögens ‒ unabhängig von der zuvor für die Ermittlung des laufenden Gewinns gewählten Gewinnermittlungsmethode ‒ gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 EStG nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln.

     

    In der Praxis sind dabei primär folgende Forderungen und Verbindlichkeiten zu berücksichtigen:

     

    • Honorarforderung gegenüber der KV
    • Forderungen gegenüber Privatpatienten
    • Verbindlichkeiten für Praxisbedarf

     

    FAZIT | Die Aufgabe einer freiberuflichen Arztpraxis stellt neben einer fundierten Beratung bei vertrags- und berufsrechtlichen Fragestellungen hohe Anforderungen an die steuerliche Beratung. Um die steuerlichen Begünstigungen zu sichern, bedarf es einer guten Abstimmung bei Fragen der vertraglichen Gestaltung und steuerlichen Würdigung, in Zweifelsfragen auch unter Einholung einer verbindlichen Auskunft beim FA.

     

    Zum Autor | Dieser Beitrag wurde vom Autor nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst, sondern gibt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.

    Quelle: Ausgabe 01 / 2021 | Seite 5 | ID 46894637