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  • · Fachbeitrag · Gewerbliche Infektion

    Gilt die Bagatellgrenze auch bei geringfügigen gewerblichen Beteiligungseinkünften einer Obergesellschaft?

    von RiFG Prof. Dr. Volker Kreft, Dipl.-Finanzwirt, Bielefeld

    | Die Gefahr der Umqualifizierung von vermögensverwaltenden oder freiberuflichen Tätigkeiten einer Personengesellschaft in gewerbliche Tätigkeiten hat wegen der Gewerbesteuerpflicht und der Verstrickung der Wirtschaftsgüter als steuerliches Betriebsvermögen große praktische Bedeutung. Ein solches Risiko droht vor allem bei den Gewerblichkeitsfiktionen des § 15 Abs. 3 EStG. Hier steht aktuell die Frage im Fokus, inwieweit bei den beiden Alternativen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG (Seitwärts- und Aufwärtsinfektion) eine unschädliche Bagatellgrenze gilt. Der Beitrag gibt einen Überblick über die aktuelle Rechtslage und die Gestaltungsmöglichkeiten. |

    1. Seitwärtsinfektion einer Personengesellschaft

    Ist eine freiberuflich oder land- und forstwirtschaftlich oder vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft (OHG, KG oder GbR) auch gewerblich tätig, gilt ihre Tätigkeit - soweit mit Einkünfteerzielungsabsicht betrieben - in vollem Umfang als Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG, Seitwärtsinfektion).

     

    • Beispiel

    Eine Arzt-GbR erzielt auch Vergütungen aus ärztlichen Leistungen, die in erheblichem Umfang ohne leitende und eigenverantwortliche Beteiligung der Mitunternehmer-Gesellschafter erbracht werden (vgl. BFH 3.11.15, VIII R 62/13, BStBl II 16, 381).

     

    PRAXISHINWEIS | Für eine gewerbliche Tätigkeit genügt auch die Besitzgesellschaft bei einer Betriebsaufspaltung (BFH 29.11.12, IV R 37/10, BFH/NV 13, 910) oder eine gewerbliche Tätigkeit eines Gesellschafters für Rechnung der Personengesellschaft (BFH 7.11.91, IV R 17/90, BStBl II 93, 324).

     

    Betroffen von dieser Regelung sind nur Personengesellschaften, nicht also eine teils gewerblich tätige Erbengemeinschaft oder eine eheliche Gütergemeinschaft. Erfasst werden aber auch atypisch stille Gesellschaften, sofern der Geschäftsinhaber für Rechnung der stillen Gesellschaft gewerblich tätig wird (BFH 23.4.09, IV R 73/06, BStBl II 10, 40).

     

    Grundsätzlich lösen auch nur geringfügige gewerbliche Tätigkeiten die gesetzliche Folge der Umqualifizierung in gewerbliche Einkünfte aus. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 EStG sieht insoweit keine Geringfügigkeitsgrenze vor. Schädlich sind deshalb nach dem Wortlaut auch nur minimale gewerbliche Einkünfte oder nur für kurze Zeit bezogene gewerbliche Einkünfte.

     

    Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit hat der BFH im Jahr 2014 die lange währende Diskussion um eine unschädliche Geringfügigkeitsschwelle beendet und eine Bagatellgrenze für die Seitwärtsinfektion von gewerblichen Nettoumsätzen von 3 %, maximal jedoch 24.500 EUR, der gesamten Nettoumsätze festgelegt (BFH 27.8.14, VIII R 16/11, BStBl II 15, 996; VIII R 6/12, BStBl II 15, 1002; VIII R 41/11, BStBl II 15, 999; 3.11.15, VIII R 62/13, DB 16, 746).

     

    • Beispiele aus der BFH-Rechtsprechung

    Der BFH entwickelte die Bagatellgrenze an diesen Fällen:

     

     

     

     

    PRAXISHINWEISE | Trotz Anlehnung an den gewinnbezogenen Freibetrag gemäß § 11 Abs. 1 S. 3 GewStG ist der Umsatzerlös maßgebend (vgl. Wacker in: Schmidt, § 15 EStG Rz. 188 m. w. N.).

     

    Die Bagatellgrenze gilt nicht für die Mitunternehmerstellung von Berufsfremden i. S. des § 18 EStG (vgl. Wacker in: Schmidt, § 15 EStG Rz. 188, § 18 EStG Rz. 43; BFH 27.8.14, VIII R 6/12, BStBl II 15, 1002).

     

    2. Aufwärtsinfektion einer Obergesellschaft

    Nach der zweiten Tatbestandsalternative des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG tritt die vollumfängliche Umqualifizierung in gewerbliche Einkünfte auch ein, wenn die Personengesellschaft gewerbliche Einkünfte i. S. v. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG „bezieht“ (sog. Aufwärtsinfektion). Gemeint sind hier also Einkünfte aus der Beteiligung an einer gewerblich tätigen Gesellschaft. Die Beteiligung an einer OHG, KG oder anderen Personengesellschaft muss dabei mitunternehmerisch sein.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft führt demgegenüber nicht zur Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, weil diese Beteiligung weder eine gewerbliche Betätigung der Personengesellschaft darstellt noch die Beteiligung unter § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG fällt (vgl. Stapperfend in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1428).

     

    2.1 Maßgebende Gewinnanteile

    Der Bezug von gewerblichen Einkünften i. S. von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG liegt vor, wenn der beteiligten Personengesellschaft Gewinnanteile zuzurechnen sind. Die Gewinnanteile müssen nicht zugeflossen sein.

     

    Wie sich aus § 351 Abs. 2 AO ergibt, sind - sofern Zweifel hieran bestehen - Einwände gegen die Art der Beteiligungseinkünfte (als solche aus Gewerbebetrieb) in einem Verfahren gegen den Grundlagenbescheid (= Feststellungsbescheid der Beteiligungsgesellschaft) geltend zu machen, nicht im Verfahren gegen den Folgebescheid (= Feststellungsbescheid der vermögensverwaltenden oder freiberuflichen GbR).

     

    Sondervergütungen i. S. von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 HS. 2 EStG lösen ebenfalls die Infektion aus, selbst wenn keine Gewinnanteile zuzurechnen sind. Die Infektionsfolge tritt bei doppelstöckigen Personengesellschaften auch dann ein, wenn die Personengesellschaft ausschließlich Sondervergütungen von einer Personengesellschaft bezieht, an der sie - im Rahmen einer geschlossenen Mitunternehmerkette - nur mittelbar beteiligt ist (Stapperfend in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1428).

     

    2.2 Bagatellgrenze bei der Aufwärtsinfektion

    Für die Aufwärtsinfektion ist die Frage der Bagatellgrenze bislang ungeklärt. Für Fälle des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG gibt es eine entsprechende höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer Bagatellgrenze bislang nicht. In seinem Urteil vom 26.6.14 (IV R 5/11, BStBl II 14, 972) hat der BFH die Frage offengelassen. In der steuerrechtlichen Literatur wird die Frage kontrovers diskutiert. Umstritten ist, ob - aus verfassungsrechtlichen Gründen - eine Bagatellgrenze hier ebenfalls gelten muss und ggf. wann eine Beteiligung von ganz untergeordneter Bedeutung vorliegt. Die Frage hat für die Praxis überragende Bedeutung (so Weiss, DB 16, 2133 ff.).

     

    Aktuell hat sich das FG Baden-Württemberg (22.4.16, 13 K 3651/13, EFG 16, 1246; Rev. BFH IV R 30/16) dem Problem angenommen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Abfärberegelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 EStG bei Einkünften aus einer Beteiligung einer gewerblich tätigen Gesellschaft i. S. von § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG ohne Bagatellgrenze zur Anwendung kommt. Die Ungleichbehandlung originär gewerblicher Einkünfte und solcher aus einer Beteiligung an einer gewerblich tätigen Gesellschaft im Hinblick auf eine Bagatellgrenze rechtfertige sich weiterhin daraus, dass originäre gewerbliche Tätigkeiten einer Personengesellschaft regelmäßig in einem sachlichen Zusammenhang mit der nicht-gewerblichen Tätigkeit stehen dürften. Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Vermögensverwaltung schließen sich danach einander im Grundsatz jedoch aus (unter Hinweis auf BFH 25.5.11, I R 60/10, BStBl II 11, 858).

     

    PRAXISHINWEIS | Falls das Problem von den Finanzämtern aufgegriffen worden ist, sollten die Steuerbescheide bis mit Einspruch und ggf. Klage angefochten werden. Es kann sinnvoll sein, das Ruhen des Verfahrens zu beantragen.

     

    3. Ausweichgestaltungen durch Ausgliederung

    Als Ausweichgestaltung bietet sich beide Male das Ausgliederungsmodell an.

     

    Beim Ausgliederungsmodell wird eine beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft errichtet, die mit einem von der Ausgangsgesellschaft verschiedenen Gesellschaftszweck die schädlichen Tätigkeiten übernimmt (siehe auch Korn, NWB 15, 1042). Insbesondere wegen dieser Ausweichmöglichkeit hat der BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Abfärberegelung in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG gerade im Hinblick auf diese Ungleichbehandlung zwischen Einzelunternehmen und Personengesellschaften und die erheblichen steuerrechtlichen Folgen - die grundsätzlich unabhängig von der Höhe der gewerblichen Einkünfte und des Verhältnisses zum Gesamtgewinn eintreten - grundsätzlich bestätigt (BVerfG 15.1.08, 1 BvL 2/04, BFH/NV 08, Beilage 3, 247, unter C.II.). Der Anteil an der Schwester-GbR ist kein Sonder-BV bei der ersten oder umgekehrt (Seer/Drüen, BB 00, 2176, 2182).

     

    Bei der Seitwärtsinfektion übernimmt die beteiligungsidentische Schwesterpersonengesellschaft dann die gewerbliche Tätigkeit. Bei der Aufwärtsinfektion hält die Schwestergesellschaft die Anteile der Gesellschaft, die die gewerblichen Einkünfte vermittelt (siehe auch Markl/Zeidler in: Korn, EStG, § 15 Rz. 253). Ob auch eine schnelle Veräußerung nach der Anschaffung zur gewünschten Vermeidung der Abfärbewirkung führt, ist zweifelhaft (Weiss, DB 16, 2133, 2135 unter Hinweis auf BFH 26.6.14, IV R 5/11, BStBl II 14, 972 Rz. 26).

     

    PRAXISHINWEISE | Soll die gewerbliche Tätigkeit einer BAG auf eine Schwester-GbR ausgelagert werden, ist zu beachten, dass sich diese eindeutig von der Tätigkeit der freiberuflichen Gemeinschaftspraxis abgrenzen lässt und deutlich nach außen erkennbar wird (BFH 12.6.02, XI R 21/99, BFH/NV 02, 1554).

     

    4. Fazit

    Der Beitrag zeigt, dass die Gewerbegefahr für freiberufliche oder vermögensverwaltende Personengesellschaften allgegenwärtig ist. Sofern bei geringfügigen gewerblichen Tätigkeiten die Bagatellgrenze nach gesicherter Prognose nicht überschritten wird, kann auf Ausweichgestaltungen verzichtet werden. Sonst sollte die Gestaltungspraxis auf das (sichere) Ausgliederungsmodell ausweichen. Alternativ könnte daran gedacht werden, dass ein Gesellschafter die gewerbliche Tätigkeit auf eigene Rechnung (eventuell unter Reduzierung seines Gewinnanteils) übernimmt.

     

    Hinsichtlich der Schädlichkeit geringfügiger Einkünfte aus gewerblichen Beteiligungen muss die steuerliche Praxis derzeit davon ausgehen, dass die Zurechnung von gewerblichen Einkünften aus der mitunternehmerischen Beteiligung - ungeachtet des Umfangs - die Aufwärtsinfektion auslöst. Hier sollten entsprechende Ausweichgestaltungen wie das Ausgliederungsmodell bereits im Zeitpunkt des Erwerbs geprüft und umgesetzt werden. Auf jeden Fall sollte die weitere Rechtsentwicklung zur Bagatellgrenze für gewerbliche Beteiligungseinkünfte sorgfältig im Auge behalten werden.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2017 | Seite 41 | ID 44300477