Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Musterfall

    Gestaltungen zur disquotalen Gewinnausschüttung und gespaltene Gewinnverwendung

    von Prof. Dr. Alexander Kratzsch, Bünde

    | Eine disquotale Gewinnausschüttung kann in bestimmten Sachverhalten erhebliche Vorteile mit sich bringen. Dabei stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten bestehen, wenn der Gewinn nicht beteiligungskongruent ausgeschüttet werden soll. Über einen solchen Sachverhalt hat der BFH jüngst entschieden. Nachfolgend wird ein typischer Sachverhalt erörtert und einer in der Beratungspraxis tauglichen Lösung zugeführt. |

    1. Zulässigkeit einer disquotalen Gewinnverwendung

    Den folgenden Überlegungen liegt dieser Sachverhalt zugrunde.

     

    • Sachverhalt

    An der MVZ-GmbH sind die Ärzte B und C zu je 50 % beteiligt. B möchte eine möglichst hohe Ausschüttung, während C einen möglichst hohen Betrag thesaurieren will.

     

    Welche Möglichkeiten bestehen, wenn der Gewinn nicht beteiligungskongruent ausgeschüttet werden soll?

     

    1.1 Gesellschaftsrecht

    Die Aufstellung des Jahresabschlusses einer GmbH obliegt dem Geschäftsführer. Die Feststellungskompetenz, d. h. die Billigung des Jahresabschlusses, liegt bei der Gesellschafterversammlung. Aus der Feststellungskompetenz der Gesellschafterversammlung bzw. dieser grundsätzlichen Überordnung folgt auch, dass die Gesellschafter dem Geschäftsführer schon vor der Jahresabschlussaufstellung Weisungen im Rahmen des Bilanz- und Steuerrechts geben können. Beim Feststellungsbeschluss dürfen Gesellschafter-Geschäftsführer mitstimmen.

     

    Der Feststellungsbeschluss kann mit einem Gewinnverwendungsbeschluss verbunden werden. Bei der Entscheidung über die Gewinnverwendung wird anschließend festgelegt, ob und in welcher Höhe der Gewinn thesauriert, also in eine Rücklage eingestellt oder als Gewinnvortrag behandelt wird, oder ob eine Ausschüttung an die Gesellschafter erfolgen soll. Ein Gewinnverwendungsbeschluss kann nach § 47 Abs. 1 GmbHG mit einfacher Mehrheit gefasst werden, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag eine anderweitige Regelung vorsieht. Zu diesem Zeitpunkt entsteht grundsätzlich der Auszahlungsanspruch der Gesellschafter. In einem zweiten Schritt muss nach Entscheidung über die Verwendung des Gewinns die Aufteilung des ausschüttbaren Gewinns auf die einzelnen Gesellschafter geregelt werden. Im Rahmen der Gewinnverteilung wird also der Maßstab festgelegt, anhand dessen die einzelnen Gesellschafter am Gewinn partizipieren. Der BFH (und die FG) sehen nur die zivilrechtliche Wirksamkeit als Voraussetzung für die steuerliche Anerkennung als erforderlich an. Dies kann durch eine einfache Satzungsänderung geregelt werden.

     

    Nach § 29 Abs. 3 GmbHG ist es gesellschaftsrechtlich zulässig, dass die Anteilseigner eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Gewinnausschüttung beschließen. Auch steuerlich kann eine solche disquotale Gewinnausschüttung anzuerkennen sein. Schon der Umstand, dass nahezu jede verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) als disquotal zu qualifizieren ist, spricht für die Anerkennung einer auf einem wirksamen Gesellschafterbeschluss beruhenden (offenen) disquotalen Gewinnausschüttung.

     

    1.2 Verwaltungsansicht

    Eine zivilrechtlich wirksame Vereinbarung liegt vor, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:

     

    • Es wurde im Gesellschaftsvertrag gemäß § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Verteilung als das Verhältnis der Geschäftsanteile festgesetzt. Für eine nachträgliche Satzungsänderung zur Regelung einer ungleichen Gewinnverteilung ist gemäß § 53 Abs. 3 GmbHG die Zustimmung aller beteiligten Gesellschafter erforderlich.

     

    • Oder: Die Satzung enthält anstelle eines konkreten Verteilungsmaßstabs eine Klausel, nach der alljährlich mit Zustimmung der beeinträchtigten Gesellschafter oder einstimmig über eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung beschlossen werden kann und der Beschluss mit der in der Satzung bestimmten Mehrheit gefasst worden ist.

     

    MERKE | Die Finanzverwaltung fordert eine Öffnungsklausel für eine inkongruente Gewinnausschüttung.

     

    Nach Auffassung des BMF (17.12.13, IV C 2 - S 2750a/11/10001, BStBl I 14, 63) sollen disquotale Gewinnverteilungen ‒ unter Beachtung des § 42 AO ‒ nur anzuerkennen sein, wenn diese zivilrechtlich wirksam beschlossen wurden. Daher muss die Satzung entweder eine abweichende Gewinnverteilungsabrede oder aber eine Öffnungsklausel enthalten. Insbesondere eine Gewinnverteilung durch einen satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschluss wäre danach nicht anzuerkennen (vgl. Wälzholz, notar 16, 345, 347). Ein Missbrauch soll (nur dann) nicht vorliegen, wenn die disquotale Gewinnausschüttung durch beachtliche, wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe gerechtfertigt ist. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Eine kurze Dauer oder eine wiederholte Änderung der Gewinnverteilungsabrede soll einen Missbrauch indizieren (BMF 17.12.13, IV C 2 ‒ S 2750 a/11/10001). Danach wäre zu argumentieren, dass außersteuerliche Gründe bestehen.

     

    1.3 Finanzgerichtliche Rechtsprechung

    Der BFH (4.12.14, IV R 28/11) erkennt i. d. R. eine zivilrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommene inkongruente Gewinnverteilungsabrede an. Danach ist es nicht erforderlich, dass vernünftige außersteuerliche Gründe für die Gestaltung vorliegen. Eine steuerlich motivierte disquotale Ausgestaltung von Gewinnbezugsrechten in weiterem Umfang kann z. B. auch die Nutzung von Verlustpotenzialen sein (BFH 28.6.06, I R 9/05).

     

    MERKE | Nach Ansicht des FG Münster (6.5.20, 9 K 3359/18 E AO, Rev. BFH VIII R 20/20) ist ein von der Satzung abweichender, punktuell einen Einzelfall regelnder Gewinnverteilungsbeschluss auch ohne Änderung der Satzung zivilrechtlich wirksam. Der Umstand, dass der Gesellschaftsvertrag einen abweichenden Gewinnverteilungsschlüssel oder eine Öffnungsklausel nicht vorsieht, lässt nach dieser Ansicht die zivilrechtliche Wirksamkeit eines unter Zustimmung aller Gesellschafter zustande gekommenen Beschlusses über die abweichende Gewinnverteilung nicht entfallen.

     

    Erfolgt eine disquotale Gewinnausschüttung im Vorfeld der Veräußerung der Geschäftsanteile an einen der Gesellschafter bzw. an eine von diesem beherrschte Gesellschaft unter Anrechnung der Gewinnausschüttung, so liegt hierin nach Ansicht des FG Köln (14.9.16, 9 K 1560/14) kein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i. S. d. § 42 AO.

     

    ZWISCHENFAZIT | Nach finanzgerichtlicher Rechtsprechung dürfte eine disquotale Gewinnausschüttung zulässig sein. Nach Verwaltungsansicht könnten eher Zweifel bestehen. Wenn aber außersteuerliche Gründe vorliegen, dürfte die disquotale Gewinnausschüttung anzuerkennen sein.

     

    2. Gewinnausschüttung bei gespaltener Gewinnverwendung

    Nunmehr ist eine weitere Möglichkeit hinzugetreten, und zwar durch ein Urteil des BFH (28.9.21, VIII R 25/19).

     

    2.1 Generelle Zulässigkeit der gespaltenen Gewinnverwendung

    Danach ist es nunmehr zulässig, dass ein bestimmter Betrag an den Minderheitsgesellschafter ausgeschüttet wird und der dem Beteiligungsverhältnis entsprechende Teil betreffend den beherrschenden Gesellschafter in eine personenbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird. Irgendwann in der Zukunft kann dieser Gewinnanteil einmal ausgeschüttet werden, wenn er nicht durch Verluste „verbraucht“ wurde.

     

    Der BFH führt in seiner Entscheidung u. a. aus, dass die Einstellung des auf den Gesellschafter entfallenden Anteils am Gewinn in seine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage ‒ ungeachtet seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter ‒ nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 1 EStG führe. Dies folgt bereits daraus, dass auch bei einem beherrschenden Gesellschafter wie dem Kläger der Beschluss, den Gewinn im Eigenkapital in einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage zu thesaurieren, zur Folge hat, dass er insoweit keinen Gewinnanteil i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG bezieht.

     

    Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung zum Zufluss beim beherrschenden Gesellschafter (vgl. z. B. BFH 2.12.14, VIII R 2/12, BStBl II 15, 333, m. w. N.), die einen früheren Zufluss von Gewinnanteilen i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG im Fall einer Fälligkeitsbestimmung prüft, wenn und soweit ein Gewinnausschüttungsbeschluss in Bezug auf den beherrschenden Gesellschafter vorliegt. Ein solcher Gewinnausschüttungsbeschluss existiert für den jeweiligen (ggf. beherrschenden) Gesellschafter, der seinen Gewinnanteil in eine Rücklage einstellen will, gerade nicht.

     

    Die Ausschüttung eines Gewinnanteils oder eines sonstigen Bezugs kann auch nicht fingiert werden. In Höhe des dem Rücklagenkonto zugewiesenen Betrags ist kein konkreter, auszahlbarer Gewinnanspruch des Gesellschafters entstanden. Der Auszahlungsanspruch entsteht erst durch den auf Ausschüttung gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss. Ein solcher Beschluss liegt im Fall der Einstellung in die Kapitalrücklage gerade nicht vor.

     

    MERKE | Für eine gespaltene Gewinnverwendung müsste allerdings eine Satzungsänderung durchgeführt werden, wenn die Satzung eine solche bisher nicht regelt.

     

    2.2 Auswirkungen dieser Rechtsprechung

    Diese Rechtsprechung hat folgende Konsequenzen:

     

    • Kein Zufluss: Eine Einstellung in die gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt beim beherrschenden Gesellschafter nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1, § 11 Abs. 1 S. 1 EStG (BFH 28.9.21, VIII R 25/19).

     

    • Gesellschafterbezogene Gewinnverwendung: Durch den Beschluss über eine gespaltene Verwendung (Ausschüttung) wird die strikte Trennung zwischen Gewinnverwendung und -verteilung durchbrochen. Es besteht die Möglichkeit, die unterschiedlichen Interessen der Gesellschafter zu berücksichtigen, indem lediglich an einige Gesellschafter deren Gewinnanteil ausgeschüttet wird. Die übrigen Gesellschafter können anstelle einer Ausschüttung ihren proportionalen Gewinnanteil in eine ausschließlich gesellschafterbezogene Rücklage einstellen. Somit wird die (tatsächliche) Ausschüttung in die Zukunft verlagert. Weder handels- oder steuerbilanzielle noch gesellschaftsrechtliche Vorschriften verhindern eine Rücklagenzuordnung nach einem abweichenden Verhältnis im Vergleich zu ihren Beteiligungsverhältnissen, wenn dies außerhalb einer Kapitalerhöhung geschieht.

     

    • Die Einstellung in eine gesellschafterbezogene (oder auch „angestrichene“) Rücklage verhindert z. B., dass diejenigen Gesellschafter, die aktuell nicht an einer Ausschüttung teilnehmen wollen, im Zeitpunkt der Ausschüttung ihres thesaurierten Gewinnanteils benachteiligt werden. Sonst würde nämlich die spätere Ausschüttung an alle Gesellschafter anhand des Beteiligungsverhältnisses erfolgen. Neben der wirtschaftlichen Benachteiligung einiger Gesellschafter könnte dies weitere negative Folgen in Form von Schenkungen nach § 7 Abs. 8 ErbStG haben.

     

    • Kapital bleibt Eigenkapital, soweit es nicht ausgeschüttet wird: Der Anteil des Gesellschafters, dessen ihm zuzurechnender Ergebnisanteil nicht ausgeschüttet wird, ist daher im Jahresabschluss nicht als Fremdkapital (Verbindlichkeit), sondern als Eigenkapital (Gewinnrücklage) auszuweisen.

     

    • Das gilt sogar und jedenfalls für einen beherrschenden Gesellschafter: Trotz seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter und obgleich für einen erneuten Gewinnverwendungsbeschluss über die Ausschüttung des thesaurierten Betrags nur eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist, kann dieser nicht sicher sein, dass er die Ausschüttung der in seinen Rücklagenkonten thesaurierten Gewinne zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durchzusetzen vermag. So kann ‒ worauf auch der BFH zu Recht hinweist ‒ die Realisierung der Ausschüttung aus der personenbezogenen Gewinnrücklage im Verlustfall unmöglich werden.

     

    FAZIT | Die gespaltene Gewinnverwendung ermöglicht neue Gestaltungsmöglichkeiten, um eine den Interessen der jeweiligen Gesellschafter entsprechende Gewinnverwendung zu entsprechen. So kann

    • das Eigenkapital der Gesellschaft gestärkt bzw. erhalten bleiben und
    • ein Zufluss beim jeweiligen Anteilseigner vermieden werden.

     

    Ob die Rechtsprechung auch für Minderheitsgesellschafter gilt, wurde vom BFH nicht entschieden, ist aber anzunehmen.

     

    Beachten Sie | Ein entsprechendes Vorgehen sollte dem zuständigen FA dennoch vollständig offengelegt werden, damit das FA den Sachverhalt insbesondere dahingehend prüfen kann, dass die Satzung ein solches Vorgehen zulässt.

     

    Dem Grunde nach ist der Weg allerdings frei für eine gespaltene Gewinnverwendung: Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um den zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die partiellen Gewinnthesaurierungen dienen der Selbstfinanzierung und beruhen auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn hinsichtlich der übrigen Gesellschafter (vorerst) einbehalten wird.

     
    Quelle: Ausgabe 08 / 2022 | Seite 218 | ID 48082170